Orban-Regierung setzt Dublin-III-Abkommen aus
Flüchtlinge durchlaufen das Asylverfahren in dem Land, in dem sie das erste Mal die Europäische Union betreten haben - so regelt es das Dublin-III-Abkommen. Ungarn hat diese Regelung einseitig aufgekündigt und will keine Flüchtlinge mehr zurücknehmen. Die EU-Kommission verlangt von der Regierung Victor Orbans eine Erklärung.
"Das Boot ist voll", "Flüchtlinge: Ungarn trickst Österreich aus", "Ungarn nimmt keine Flüchtlinge mehr zurück" - so lauten heute die Schlagzeilen in Österreichs Zeitungen. Der Wiener Außenminister Sebastian Kurz bezeichnete das Vorgehen der Regierung Orbán als "inakzeptabel" und kündigte nach einem Telefonat mit seinem Budapester Amtskollegen Konsequenzen an. Der ungarische Botschafter in Wien wurde einbestellt. Die Regierung in Budapest hatte das Dublin-III-Abkommen einseitig bis auf Weiteres aufgekündigt und will keine Flüchtlinge mehr zurücknehmen. Der ungarische Kanzleramtsminister János Lázár begründete die Entscheidung im ungarischen Fernsehen so.
"Die Gefahr besteht darin, wenn die Flüchtlinge abgeschoben werden. Vielleicht 300.000 derartige Einwanderer gibt es in Deutschland, deren Abschiebung Ungarn betreffen würde. Was können wir mit ihnen machen, wenn wir sie nicht weiter abschieben können - in die Länder, aus denen sie kommen? Wer versorgt sie? Wer sichert ihren Unterhalt?"
Dublin-III-Abkommen
Nach den Regeln des Dublin-III-Abkommens müssen Flüchtlinge durch ein Asylverfahren in dem Land, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben. Dorthin können sie zurückgeschickt werden. In Ungarn sind nach Regierungsangaben alleine in diesem Jahr 60.000 Flüchtlinge über die serbisch-ungarische Grenze gekommen. Der Jurist Boldizsár Nagy gab der Regierung in einem Punkt recht.
"Das ganze Dublin-System ist ungerecht. Da hat die Regierung recht, sagt er. Denn es geht nicht um eine Lastenverteilung. Sondern um eine Lastenverschiebung in Richtung periphere Staaten."
Man habe nur Kapazität für 3.000 Flüchtlinge - rechnet die Regierung in Budapest vor. Zum Vergleich: Österreich hat 40.000 Flüchtlinge aufgenommen. Zwar sei das Dublin-System ungerecht, findet auch die ungarische Grüne Bernadett Széll. Sie kritisiert aber den Alleingang der Regierung Orbán.
"Ich glaube, Viktor Orbán müsste dringend lernen, welche Themen man innerhalb der EU lösen muss," sagt sie. "Nur dann kommt Ungarn gut aus der Sache raus, wenn die Gemeinschaft einbezogen wird. Wie das die Orbán-Leute gemacht haben, war völlig unerwartet und in Sachen Diplomatie katastrophal. Kein Wunder, dass es deshalb diplomatische Verwicklungen gibt. Das ist eine neuerliche Ohrfeige für die ungarische Diplomatie."
Plan von einem Zaun an der Grenze zu Serbien
Die EU-Kommission hatte umgehend eine Erklärung von der ungarischen Regierung gefordert. Schon vergangene Woche hatte die Regierung Orbán in der Flüchtlingspolitik mit einem anderen Plan für Aufsehen gesorgt: Sie will einen vier Meter hohen und 175 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien errichten. Das sorgte unter anderem für Verstimmungen in Serbien und Kroatien. Nach serbischen Angaben versuchen Flüchtlinge, schnell noch nach Ungarn zu kommen, bevor der Zaun gebaut ist. An der mazedonisch-serbischen Grenze werden derzeit bis zu 1.000 Flüchtlinge täglich gezählt. Die Regierung in Mazedonien lässt sie mittlerweile mit Bus und Bahn fahren, nachdem in der Vergangenheit zahlreiche Fußgänger entlang der Bahnstrecken getötet worden waren.