Orbán will Flüchtlingspolitik in der Verfassung festlegen
Obwohl das Referendum zur EU-Flüchtlingspolitik in Ungarn gescheitert ist, will Premierminister Victor Orbán den angeblichen Wählerwillen in der Verfassung festhalten. Demnach soll es nicht möglich sein, "fremde Ethnien in Ungarn anzusiedeln". Für eine Verfassungsänderung reichen die Stimmen der Regierung allein jedoch nicht.
Am Abend des Referendums gegen die Flüchtlingsquote ließ sich der ungarische Premier in Budapest feiern wie ein Sieger. Dabei ist das Referendum ungültig und Viktor Orbán hat eine Niederlage erlitten. Das focht ihn nicht an: Er sprach von einem scharfen Schwert für den Kampf mit Brüssel. Und: Völlig unabhängig vom Ergebnis will er den vermeintlichen Wählerwillen nun in die ungarische Verfassung schreiben. Im ungarischen Radio zitierte er aus dem Entwurf.
"Der Text sagt eindeutig: es ist nicht möglich, fremde Ethnien in Ungarn anzusiedeln. Und er sagt auch, dass Einzelfälle nur im Rahmen des Rechtsrahmens beurteilt werden dürfen, der vom ungarischen Parlament festgeschrieben wurde. Nur so kann jemand das Recht bekommen, in Ungarn zu leben. Das heißt: Es gibt weder eine Ansiedlung von Gruppen oder Einzelnen – darüber kann nur der entscheiden, der vom Parlament dazu befugt wurde."
Diskussion im Parlament
Das betont auch die EU-Kommission immer wieder: Über Asylgesuche entscheiden letztlich die Behörden der Mitgliedstaaten. Die linke Splitterpartei "Gemeinsam" erklärte die geplanten Änderungen zum "Bla Bla ohne jede Auswirkungen". Fidesz-Vize Lajos Kósa umwarb die Opposition.
"Die Grundgesetzänderung soll parteiübergreifend zustande kommen. Es ist klar: Wir müssen für die Unabhängigkeit unserer Heimat einstehen. Und Brüssels Einwanderungspolitik zurückweisen."
Bei der Parlamentsdebatte über die geplante Verfassungsänderung in Budapest fehlte Premier Orbán, dem das Thema doch so wichtig war. Er flog nach Riga – zum WM-Qualifikationsspiel der ungarischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Lettland. Der Sozialist Bertalan Tóth stellte den behaupteten Wählerauftrag in Frage.
"Die Regierung und die Regierungspartei haben noch nicht verstanden, was am 2.Oktober passiert ist. Ich helfe Ihnen: Die Mehrheit der Menschen hat genug von der Fidesz-Hasskampagne gehabt, sie haben "Nein" zur Politik von Fidesz und Jobbik gesagt. Sie sollten erkennen: Viele haben zwar abgestimmt, aber nicht genug. Sie sollten schon erkennen: Ein ungültiges Referendum darf nicht in eine Verfassungsänderung münden."
Protest gegen eingeschränkte Pressefreiheit
Bei dem Referendum hatten nur 40 Prozent der Wähler gültige Stimmen abgegeben, zehn Prozent weniger als nötig. Die meisten waren allerdings gegen die Quote. Für die Verfassungsänderungen reichen die Stimmen der Regierung allein nicht – sie hat keine Zweidrittelmehrheit mehr. Die Sozialisten wollen die Änderungen blockieren. Die Stimmen der Rechtsextremen von Jobbik dürfte die Regierung dagegen bekommen: Die Grundgesetzänderungen waren ihre Idee. Geprägt war die Parlamentsdebatte auch vom Thema "Pressefreiheit". Sozialist Tóth sagte:
"Die Fidesz-Korruption kann man mit keiner Grundgesetzänderung überdecken. Und auch nicht, indem eine Zeitung mundtot gemacht wird. Am Wochenende haben Sie einen neuen Nagel in den Sarg der Pressefreiheit eingeschlagen. Denn von Pressefreiheit kann man ja nicht mehr sprechen, wenn öffentlich-rechtliche Medien zum Sprachrohr der Regierung werden, Oligarchen – mit öffentlichen Mitteln gemästet unabhängige Medien kaufen – und wegen kritischer Artikel schließen, wo Journalisten wegen ihrer Arbeit des Parlaments verwiesen werden."
Seit dem Wochenende erscheint die linksliberale Tageszeitung Népszabadság nicht mehr. Und Journalisten des regierungskritischen Online-Portals 444.hu durften nichts ins Parlament. Einer aktuellen Studie zufolge glauben fast dreiviertel der jungen Ungarn: Wer korrupt ist, kommt weiter, die Ehrlichen sind die Dummen. Im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen kommt Ungarn auf Platz 67.