Theatermacher zwischen Selbstzensur und Trotz
Das, was seit dem Putschversuch an Zensur und Einmischung in der Türkei zu beobachten ist, kennen Theaterleute in Ungarn schon länger: Dort wurden leitende Posten an den Theatern mit Regierungstreuen besetzt. Doch es gibt auch unangepasste Widerständler.
Es ist eine Geste der Freiheit. Theatermacher Arpad Schilling zerreißt vor der Kamera ein Papier. Er wolle keine staatliche Förderung mehr haben, sagt er. An keinen Ausschreibungen mehr teilnehmen. Im ARD-Interview erklärt der Chef des Budapester Krétakör-Theaters seinen Schritt.
"In unserem Fall war es so. Wir bekamen von Jahr zu Jahr weniger Förderung. Da habe ich gesagt: Ich weiß, was ihr vorhabt. Ihr wollt uns aushungern, bis wir von selbst das Handtuch werfen. Dem wollte ich zuvor kommen. Bevor wir noch weniger bekommen, zerreiße ich den Vertrag und sage: Danke, ich will nichts mehr."
Schilling kann sich das leisten. Mit Auslandsengagements und Förderungen aus dem Ausland hält sich Kretakör – zu deutsch: Der Kreidekreis – über Wasser.
Das Budapester Projekt ist mehr als Theater. Die Stiftung organisiert soziale Interventionen, Stadtspiele, produziert Videos, regt zum Nachdenken an – über Nation, über Korruption, über Ausgrenzung von Minderheiten. Das missfällt der Regierung, meint Theatermann Schilling, der sich auch auf Anti-Regierungsdemonstrationen immer wieder zu Wort gemeldet hat.
"Es gibt so eine Art ideologisch grundierten Rachefeldzug in der Kultur. Dort gibt es viele Leute, die eher links oder liberal denken. Dieses Terrain gilt es zu säubern, das macht die Regierung Orbán systematisch. Was Erdogan jetzt nach dem Putsch in der Türkei gemacht, das macht die Orbán-Regierung seit 2010 – in der Justiz, aber auch in der Kultur."
Das Geld fließt in die großen Häuser
Druckmittel dabei ist das Geld. Das fließt in die großen Häuser und in die ungarischen Theater in den Anrainerstaaten. Spitzenposten in der Kultur wurden mit regierungstreuen Leuten besetzt. Die Folge ist Selbstzensur, meint der ehemalige Intendant des Budapester Nationaltheaters, Robert Alföldi. Es sei ruhig geworden, die Spielregeln seien bekannt. Und man spiele eben mit.
"Die Starken haben die Schwachen besiegt", sagt er. "Für sie ist es gut, wenn sie sich hinter die Starken stellen. Das ist eine gut eingerichtete, akzeptierte Ordnung. Das ist ein Einparteienstaat geworden, wie unter Kádár. Wenn wir mit der Macht pfeifen, ist es Kunst, wenn wir Fragen aufwerfen, ist das oppositionelles Aufwiegeln." (lacht)
Ganz anders in sozial-liberalen Zeiten. Damals galten die freien Theater als schick. Bekamen Geld. Das wird immer weniger. László Hudi steht dem Dachverband der etwa 100 freien Theater in Ungarn vor. Er klagt.
"Die Bedingungen sind sehr schlecht. Es gibt wenig Proberäume. Es ist schwer, gute Leute zu halten. Viele machen viele verschiedene Dinge und verzetteln sich damit. Sie brennen aus, es ist schwer, konzentriert zu arbeiten. Um mich herum sehe ich schwierige Umstände."
Die Projekte könnten sich nur mit Auslandsjobs über Wasser halten, oder indem sie in Schulen auftreten. Er selbst will sich jetzt auf eine Ausschreibung bewerben, obwohl er weiß, dass es aussichtslos ist, erzählt Hudi.
Spielplan mit ungarischen Klassikern
Wer sich dagegen mit der Regierung gut stellt, profitiert. Etwa der aus der Karpato-Ukraine stammende Theaterregisseur Attila Vidnyánszky. Er löste den homosexuellen Alföldi vor drei Jahren an der Spitze des Budapester Nationaltheaters ab.
Vidnyánszkys Inszenierungen sind barock. Auf dem Spielplan stehen ungarische Klassiker. Es gibt Aufführungen für Schulklassen, Tage der offenen Tür. Er betont das Nationale, kritisiert auf der Bühne die EU – und steht mit den ungarischen Theater-Kritikern auf Kriegsfuß.
"Die ungarische Kritik hat politisch Stellung bezogen. Und sie bevorzugt solche Stücke, die aktuelle politische Fragen sezieren, die regierungskritisch sind, und die Frage der Nation fast ausklammern. Das würdigen die Kritiker. Solche Vorstellungen mache ich nicht."
Politische Einflussnahme habe er nie erlebt, betont Vidnyánszky, der sein Ungartum pflegt. Er ist selbst einflussreich in Kulturgremien. Sein international anerkannter Kollege Schilling habe eben zu wenig geleistet, und deshalb weniger Förderung bekommen, meint Vidnyánszky im ARD-Interview. Ex-Nationaltheater-Chef Alföldi kann neben seinen Engagements mittlerweile auch wieder in Ungarn arbeiten. Aber, so meint er, das Klima in der ungarischen Theaterszene ist vergiftet.
"Es ist kein Zufall, dass es eine rückwärtsgewandte Kulturpolitik gibt. Die Kunsthalle organisiert wieder nationale Kultursalons, wie zu Zwischenkriegszeiten. Und immer, wenn der Staat in die Kunst reinredet, schwemmt es das Mittelmaß nach oben. Die, die sich politisch unterdrückt fühlten, nehmen jetzt Revanche."