Ungarn verliert Medienvielfalt

Wie Orbán sich eindimensionale Sprachrohre schafft

Mehrere Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Ungarn, eine Frau ruft laut etwas, zwei halten eine Ausgabe der Zeitung Nepszabadsag.
Mehrere Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Ungarn protestieren gegen die Schließung der Tageszeitung Nepszabadsag. © dpa / Zoltan Balogh
Von Stephan Ozsváth |
In Ungarns großen Medien sind kaum noch kritische Töne gegenüber der Regierung zu hören. Zuletzt wurde die größte Tageszeitung geschlossen, nachdem die Firma eines Orbán-Freundes sie erwarb. Nur im Netz gibt es noch Wächter.
Zu Besuch bei "Népszava" – der letzten linken Tageszeitung in Ungarn. Ein etwas herunter gekommener Siedlungsbau in der Thököly út in der Nähe des Stadtparks von Budapest. Die Zeitung ist arm, das sieht man. Und: Wie es weiter geht, weiß auch keiner. "Népszava" – zu deutsch: Volksstimme - gehört neuerdings einem Liechtensteiner Finanzinvestor. Chefredakteur Péter Németh profitiert vom Sterben eines Konkurrenzblattes.
"Die "Népszabadság" gibt es ja nicht mehr. Davon profitieren wir. Denn auf dem Markt sind wir jetzt das einzige linke Blatt. Mit der Verantwortung. Und den Chancen. Ohne, dass wir groß am Inhalt etwas ändern konnten, hat sich unsere verkaufte Auflage verdoppelt. Wir verkaufen jetzt etwa 20.000 Stück, das ist auf dem ungarischen Markt viel."
Die größte Tageszeitung Ungarns, die linksliberale "Népszabadság", war in einer Nacht- und-Nebel-Aktion von einer Firma aufgekauft worden, die einem Freund des Premiers Orbán gehört. Journalistin Klara Kovács hat die Schließung erlebt. Gerade erst war "Népszabadság" in neue Räume umgezogen.
"Ich hatte am 8. Oktober 2016 morgens Dienst. Die Computer funktionierten nicht und ich dachte, die Techniker haben die Kabel nicht wieder zusammen gesteckt. Ich versuchte hinein zu kommen. Nicht mal Facebook ließ mich rein. Dann wollte ich eine E-Mail des Chefredakteurs lesen. Ich kam nicht an meine E-Mails. Da dachte ich: Hier stimmt etwas nicht, rief meinen Online-Chef vom Dienst an. Der sagte: War der Bote noch nicht bei Dir? Was für ein Bote? Und er las mir den Brief vor. Ich war wie erstarrt. Hier hat uns keiner etwas gesagt."

Alternative Informationen finden nur wenige Ungarn

Der "Brief" war die Kündigung. Online-Medien haben jetzt recherchiert, dass der Coup von langer Hand vorbereitet war. Die Regierung behauptet: Sie habe keinen Einfluss ausgeübt. Mitarbeiter der Investigativ-Plattform "Direkt36.hu" kamen nach vielen Interviews und wochenlanger Recherche zu einem anderen Schluss, erzählt András Pethö.
"Es kam heraus, dass es politisch sensible Themen gab, über die die Zeitung nicht in der Tiefe berichten konnte. Und seit Monaten kamen aus politischen Kreisen Signale, dass mit dem Blatt, dem Verlag, etwas zu erwarten war. Also: Die Politik war hier dick drin."
Und der "Népszabadság"-Deal zahlt sich für die Regierung doppelt aus: Ein unbequemes Medium verschwindet und ein Dutzend Regionalzeitungen geraten unter Regierungskontrolle. Darunter leidet die Medienvielfalt in Ungarn, meint Ágnes Urbán vom Forschungsinstitut Mérték.
"Für die meisten Mediennutzer sind fast nur die regierungsnahen Medien erreichbar. Und man muss schon ein sehr medien-erfahrener Nutzer sein, um solche Nachrichtenquellen zu finden, wo man alternative Informationen finden kann. Die gibt es vor allem im Internet."
Die Online-Seiten heißen "Direkt36", "Átlátszó", "444" oder "Index", die sich zum Teil über Anzeigen, aber auch über zahlende Nutzer, Spenden und ausländische Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen finanzieren. Der Anzeigen-Markt wird dominiert von staatlichen Aufträgen oder Reklame staatsnaher Firmen. Investigativ-Journalist Szabolcs Panyi beschreibt den ungarischen Medienmarkt so.

Staatliche Medien haben klare Sprachregelungen

"Das Onlineportal "origo.hu" ist ein Sprachrohr der Regierungspartei Fidesz geworden. Auch das zweitgrößte Privatfernsehen "TV2" ist ein Propagandakanal geworden. Das Portal "vs.hu" ist nach einem Skandal zusammen gebrochen. Es sieht nicht gut aus. Und das Beispiel "Népszabadság" zeigt: Das ist eine Serie. Die unabhängigen Redaktionen verschwinden."
Zwar gibt es noch den Privatsender "RTL Klub", der nach einem Steuerkrieg auf Regierungskritik umschwenkte. Das Budapester "Klubradio". Einige kritische Wochenblätter. Aber Medienmogul und TV2-Besitzer Andi Vajna baut mit "Radio 1" nun einen regierungsnahen landesweiten Radiosender auf. Das Angebot wird eindimensionaler. Für die staatlichen Medien – Radio und Fernsehen – werden die Nachrichten zentral produziert. Die Nachrichtenagentur MTI liefert, die Firma MTVA produziert – auch fertig gesprochene Nachrichtensendungen – und liefert sie kostenlos weiter.
Nach ARD-Recherchen gibt es dort klare Sprachregelungen. Ein ARD-Interview mit MTVA kam nicht zustande: Die Nachrichtenzentrale wollte das ARD-Material vor der Ausstrahlung kontrollieren und die inhaltliche Ausrichtung vorgeben.
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