Ungarn will die Roma-Minderheit gezielt fördern

Von Dorothea Jung |
Seit der Machtübernahme durch Viktor Orban fällt Ungarn vor allem mit Negativschlagzeilen über den Umgang mit Minderheiten auf. Doch jetzt will das Land beispielhaft werden für andere europäische Länder durch seine Förderprogramme für Roma. Diesen soll vor allem durch Bildungs- und Beschäftigungsprojekte geholfen werden.
Roma-Tag der ungarischen Botschaft in Berlin – das heißt zunächst einmal: Andacht halten. In der kleinen Kapelle der katholischen Akademie hören sich an diesem Tag Liturgie und Kirchenmusik ganz anders an, als man es gewohnt ist.

Am Abend dann eine Diskussionsrunde im Botschaftsgebäude Unter den Linden. Die Gesprächsteilnehmer fragen nach der Rolle der Kirchen bei der Integration der Sinti und Roma in Ungarn. Der katholische Priester Geza Dul zum Beispiel hat in Budapest eine Organisation gegründet, die den Kirchengemeinden im Land hilft, Roma dabei zu unterstützen, sich selbst zu helfen. Das heißt zum Beispiel: Nachhilfeunterricht oder Lesepatenschaften zu etablieren, Nachbarschaftshilfe zu organisieren oder bei der Gesundheitsvorsorge zu beraten.

Das heißt nach Auskunft von Geza Dul aber auch, immer laut zu protestieren, wenn es in der Gemeinde rassistische und Roma-feindliche Aktionen gibt. Denn man müsse einem christlichen Menschenbild folgen und die Roma als Partner sehen.

Geza Dul: "Ohne dieses Menschenbild und ohne Gottesbild einander zu sehen und die gleiche Menschenwürde einander ehren, ohne diesen Kern funktionieren die Projekte nicht."

Lange Jahre hätten die etablierten Gemeinden die Roma vernachlässigt. Erst in den letzten Jahren gehe die ungarische Kirche auf die Roma zu, sagt Geza Dul.

"Sie haben Schwierigkeiten mit der Kirche, also mit der menschlichen Organisation, aber von der Roma-Kultur her haben sie einen sehr tiefen Kontakt mit Gott."

Bildung und Beschäftigung
Der ungarische Integrationsminister ist selbst evangelischer Pfarrer gewesen, bevor er in die Politik gegangen ist. Zoltan Balogh ist stolz darauf, dass Ungarn für seine 800.000 Roma einen Aktionsplan mit vier Schwerpunkten aufgestellt hat: Sie heißen Bildung, Beschäftigung, Wohnsituation und Gesundheit. Aber das größte Problem sieht Zoltan Balogh bei den Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft gegen die Roma-Minderheit.

Zoltan Balogh: "Es entstand nach der Wende auch unter den untergestellten, nicht Roma-Ungarn, also untere Mittelklasse, ein Runterrutschen in tiefe Armut. Man könnte sagen, eine Rivalität in der Armut, die die Leute gegeneinander zu Sündenböcken macht. Es gibt Konflikte dann auf ethnischer Basis. Aber ich muss sagen, dass wir in den letzten fünf Jahren doch ein Aufwachen der guten gesellschaftlichen Kräfte beobachten, die versuchen, dagegen sich zusammenzutun und aufzutreten."

Eine dieser Initiativen kommt aus der reformierten Kirche. Ungarns Botschafter in Deutschland zufolge engagieren sich in einem Universitätsverein Hochschullehrer für junge Roma-Studenten. Sie helfen ihnen nicht nur dabei, ihr Studium erfolgreich abzuschließen, berichtet der Botschafter.

Jozsef Czukor: "Sie vermitteln den zukünftigen Roma-Intellektuellen spezielle Kenntnisse, die es diesen jungen Menschen ermöglichen, zu vermitteln zwischen der Minderheit Roma und der Mehrheit der ungarischen Bevölkerung zu arbeiten."

"Die Roma sind ein Teil von uns"
Eine derartige Elitenförderung durch die Kirche kann sich der Vorsitzende des Zentralrates der Deutschen Sinti und Roma für die Bundesrepublik nicht vorstellen. Dennoch kann nach Meinung von Romani Rose die Kirche auch in Deutschland etwas tun:

"Ich denke, die Kirche ist in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen mit den Angehörigen der Minderheiten sehr paternalistisch umgegangen. Die Minderheiten sind mehr oder weniger benutzt worden und Vertreter der Kirche haben für sie das Wort ergriffen. Das kann von uns nicht akzeptiert werden. Wir erwarten von unserer Kirche, dass sie laut ihre Stimme erhebt bei Diskriminierung von Minderheiten."

Auf lange Sicht, sagt Ungarns Botschafter, kommt es für jede Demokratie darauf an, zu begreifen, dass Minderheiten ein Teil ihrer Gesellschaft sind. Das gelte vor allem für die Roma in Europa.

Josef Czukor: "Die Roma, sie sind keine Migranten. Sie leben zum Beispiel mit den Ungarn seit 600 Jahren zusammen. Sie haben die gleiche Religion, sie teilen mit uns die gemeinsame Kultur. Und wir wollten zeigen: Die Roma sind ein Teil von uns."