Ungeliebt und kaum betrauert
Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wenige Augenblicke vor dem tödlichen Attentat im offenen Wagen. © dpa-Bildarchiv
Franz Ferdinand in der Erinnerung der Österreicher
Feige aus einem Hinterhalt wurde 1914 der österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand ermordet. Doch weder Volk noch die Historiker scheinen sich für den Monarchen zu interessieren.
Ungeliebt und kaum betrauert: Auch 100 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod scheint der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand seinen Landsleuten so fremd wie zu seinen Lebzeiten. Zwar finden sich in Österreichs Medien Berichte über das Attentat von Sarajewo, über die Attentäter und die Hintergründe der Tat - Franz Ferdinand selbst jedoch wird in der Berichterstattung zum Ersten Weltkrieg eine Statistenrolle zugewiesen.
"Wir würden heute wohl keine Biographien über diesen Mann zu lesen bekommen, wenn nicht sein Tod eine ungeheure Katastrophe heraufbeschworen hätte", schreibt die Tageszeitung "Die Presse" und zieht eine Parallele zum britischen Kronprinzen Charles, der wie Franz Ferdinand lang auf seine Thronbesteigung warten muss - diese jedoch im Gegensatz zum Österreicher wohl noch erleben wird. Auch charakterlich ist der Brite etwas geradliniger als der schwierige Habsburger.
Blumen hatten es ihm angetan - die Realität nicht
"Legendär ist seine Jagdleidenschaft, die krankhafte Tötungsabsichten offenbarte; bekannt ist aber auch sein unbedingter Einsatz für die ihm anvertraute Armee, seine rüde Ablehnung jeglicher moderner Kunst, seine Katholizität, die durchaus eine politische Facette hatte. In seltsamem Gegensatz dazu stand sein liebevolles, harmonisches Familienleben, seine rührende Blumenliebhaberei."
Die "Salzburger Nachrichten" bescheinigen Franz Ferdinand realitätsferne innenpolitische Vorstellungen - etwa in seiner kategorischen Ablehnung des Ausgleichs mit Ungarn - und stellen die Frage, was gewesen wäre, hätte es das Attentat von Sarajevo nicht gegeben oder hätte der Erzherzog es überlebt. Ihr Resümee: Franz Ferdinand hätte das Habsburgerreich wohl auch nicht retten können:
"Sein Tod ließ eine Welt einstürzen. Und er machte aus einem menschenfeindlichen Aristokraten einen Hoffnungsträger. Starrsinnig und autoritär, wäre er als Regent wohl das geworden, was er im Tode war: Der Sargnagel der Monarchie."
Das Nachrichtenmagazin "profil" beleuchtet in einem Sonderheft zum Ersten Weltkrieg auch Franz Ferdinands Leben: seine unstandesgemäße Heirat, seine denkmalpflegerischen Aktivitäten, seine oft undiplomatische Vorgehensweise, seine ultrareaktionären Ansichten, sein angespanntes Verhältnis zum Kaiser. Letztlich aber bleibt er eine Randfigur, und so fragt "profil":
"Wie konnte der Tod eines Mannes, dem weder Volk noch Herrscher nachzutrauern schienen, dessen Hingang die Diplomatie kaum zu erschüttern vermochte, so dramatische Folgen haben?"
Dramatische Folgen und keine Erklärung
In der Weltkriegs-Sonderausgabe der Tageszeitung "Der Standard" taucht Franz Ferdinand nur indirekt auf, in einem Interview mit seinem Urenkel Max Hohenberg. Der "Kurier" hat sich schon Ende des Vorjahres die Frau des Erzherzogs vorgenommen, Sophie, die "gehasste Hochgeliebte", die aus dem gesellschaftlichen Leben weitgehend verbannt wurde - was wiederum Franz Ferdinand zutiefst verletzte:
"Kein gemeinsames Wohnen unter des Kaisers Dach für das Ehepaar, keine gemeinsame Teilnahme der Frischvermählten an Familiendiners, kein gemeinsamer Logenbesuch in Oper oder Burgtheater, keine gemeinsame Ausfahrt mit der Hofequipage ... Die Folge war, dass Franz Ferdinand an den Wochenenden – zumeist mit Frau – aus Wien in eines der Habsburger Jagdschlösser flüchtete."
Und die Geschichtswissenschaftler? In österreichischen Fachzeitschriften sucht man Franz Ferdinand vergeblich, der Historiker Lothar Höbelt tut das Thema beiläufig ab, es gebe ja nichts Neues, warum sollte man also darüber schreiben. Ein paar Biographien sind zumindest erschienen. Die Österreicherin Alma Hannig beleuchtet die Frage, über wieviel Einfluss der Thronfolger tatsächlich verfügte; der Franzose Jean-Paul Bled geht auf die widersprüchliche Persönlichkeit des Habsburgers ein, der deutsche Journalist Frank Gerbert zeichnet die letzten sieben Tage Franz Ferdinands minutiös nach und bezeichnet den eigensinnigen und widerborstigen Mann sogar als "Klaus Kinski der Habsburger". Dennoch: so richtig nahe kommt man dem unglücklichen Erzherzog auch heute nicht, es ist, als verleihe nur sein Tod seinem Leben eine Bedeutung. Und so erscheint es irgendwie tragisch, wenn Jean-Paul Bled die kolportierten letzten Worte Franz Ferdinands "Es ist nichts" als allzu passend empfindet:
"...so sehr waren sie in diesen letzten Augenblicken eine Zusammenfassung seines Lebens und seiner Persönlichkeit."