Ungestillte Schöpferkraft
Bis in die Gegenwart ist Picassos Werk der fünfziger Jahre zum Synonym für einen allgemeinen Begriff von "moderner Kunst" geworden. Und hatte kaum zu überschätzende Auswirkungen auf die Rezeption von Gegenwartskunst, aber auch auf die Alltagskultur wie Werbung, Design oder Mode. Das Saarlandmuseum in Saarbrücken zeigt mit rund 70 Werken einen Überblick.
Die fünfziger Jahre. Da war Picasso in seinem achten Lebensjahrzehnt, doch von Alterswerk noch keine Spur. 1955 hatte er sich oberhalb von Cannes eine Villa gekauft, La Californie. Als Maler war er längst zum Mythos entrückt, dessen stets aus den Fugen geratenes Familienleben sich dort am Mittelmeer zu konsolidieren schien, auch wenn er noch immer als unberechenbarer Ausbund an Virilität und Eigensinn galt.
Picasso war der erste Popstar der Kunstgeschichte, eine - wie er selber sagte - Sehenswürdigkeit, sein kahler Macho-Schädel ebenso ein Markenzeichen wie seine Signatur. Er lässt sich beim Stierkampf blicken, posiert in der Badehose am Strand oder mit Pistole und Cowboyhut im Salon, die Fotografen auf den Fersen, und weil das nun mal zu seinem Status als Klassiker gehört, gibt er auch gerne das Genie in Clouzots Film "Le mystère Picasso".
Er hat sich abgearbeitet an der Kunst, hat die blaue und die rose Periode absolviert, den Kubismus erfunden und den Surrealismus überwunden, hat mit "Guernica" ein politisches Fanal gesetzt - doch jetzt, nach dem Krieg, hat er den Anschluss an die Avantgarde verloren. Die neue Kunst spielt nicht am Mittelmeer, sondern immer noch in Paris und bald mehr noch in New York: die abstrakten Expressionisten, die Monochromen, die frühen Pop Artisten.
Picasso, das Alphatier im Atelier, der clevere Erfinder und Adept, ist plötzlich ein Mann von gestern. Doch er bleibt gelassen und zieht Bilanz; die fünfziger Jahre sind keine Phase des Stillstands, findet Museumschef Ralph Melcher:
"Ich denke, dass dort eine ganze Menge in seinem Werk passierte, in der Rezeption des eigenen Arbeitens, der eigenen Werke, der Rekapitulation dessen, was er in der Malerei in den Jahrzehnten zuvor gesucht und versucht und auch erreicht hat. Dass man immer überrascht ist, wie chamäleonhaft Picasso seine Malweise, seine Arbeitsweise immer neu erfindet, verändert, variiert.
Und ich denke, dass man gerade mit den fünfziger Jahren sehr deutlich zeigen kann, dass er im Grunde über sein ganzes Lebenswerk hinweg immer viele Stile, viele Ansätze nebeneinander probiert, nebeneinander setzt, und durchaus darin eine stringente Weiterentwicklung zu sehen ist."
Da ist zum Beispiel der politische Picasso, Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs, der 1951 das "Massaker in Korea" malt und 1953 einen Eklat heraufbeschwört, als er auf Anregung seines Freundes Aragon den toten Stalin zeichnet. Doch Picassos Talent lässt sich nicht für Parteizwecke zähmen. Zuvor schon hatte er der Welt seine berühmte Friedenstaube geschenkt, die sich über alle Ideologien erhebt.
Es wäre zu viel verlangt, wenn die Saarbrücker Schau das alles mit Schlüsselwerken belegen wollte, aber sie versucht mit siebzig durchweg exzellenten Leihgaben an farbigen Wänden vorzuführen, was das riesenhafte Werk in jener Zeit zusammenhält.
"Lebensfreude und Frieden" heißt ein Kabinett, prall behängt mit Bacchanalen, Tanzenden und Faunen. Ein anderer Raum widmet sich dem Stierkampfthema, mit dem Picasso viel verbindet.
"Es verbindet zum einen das Selbstverständnis von Picasso, der ja immer zwischen der französischen Staatsbürgerschaft, die er nicht bekommen hat, und seiner spanischen Herkunft, hin und her wechselte, dem immer wieder Rekurrieren auf seine spanischen Wurzeln, aber auch auf alle Klischees, die damit verbunden sind, also Virilität, Potenz, Machismo, der Geschlechterkampf. All diese Dinge spielen da hinein, dass der Stierkampf für ihn eine wichtige Rolle spielt."
Picassos eigentliche Arena freilich ist das Atelier, als malender Matador trägt er darin seinen persönlichen Kampf aus. Seine Auseinandersetzung mit dem Tod ist ambivalent. Er kann ihm nicht gelassen ins Gesicht sehen, deshalb hat er auch kein Testament hinterlassen, nur die Bilder als Trophäen, in seinem Spätwerk ein verstörender, verzweifelter Triumph.
Hier aber ist er noch ganz bei sich. Die abstrakte Avantgarde mit ihrem Verzicht auf die Figur, die bei Picasso immer die zentrale Rolle spielt, lässt ihn kalt. Er sucht die Gegenwart in der Vergangenheit und malt sich mit zahllosen Paraphrasen in der Kunstgeschichte bis ins "Goldene Zeitalter" der spanischen Meister zurück.
Gleichzeitig frönt er nach dem Krieg mit Vehemenz der neuen Lebenslust. Sylvette David, sein blondes englisches Modell mit dem Pferdeschwanz, hat er so oft gemalt, dass ihre Frisur in jenen Jahren bei Teenagern überall Furore macht. Ralph Melcher:
"Wenn man sich das Alltagsdesign, die Alltagskultur der fünfziger Jahre anschaut und auch die Rezeption dessen, was denn moderne Kunst sei, dann sind eigentlich zwei Namen prägend für das Bewusstsein in der Öffentlichkeit, was moderne Kunst sei. Das waren Picasso und Hans Arp."
Das war nicht immer schmeichelhaft gemeint, aber trifft Picassos hochtourige Malerei und seine ungestillte Schöpferkraft, egal ob sie bunt und blumig das Interieur von La Californie beschreibt oder die mediterrane Landschaft feiert.
Rückversicherung und Selbstbestätigung, immerwährende Experimente und eine faunische Wandlungsfähigkeit, die unentwegt stilistische Maskeraden und Metamorphosen probt, Physiognomien zerlegt und Formen erfindet - das ist der Picasso der fünfziger Jahre.
Doch letztlich war der Spanier nie ein Zeitgenosse, er lebte immer in seiner eigenen Sphäre und ließ in seinem Werk die Zeit zerplatzen.
"Im Grunde geht es bei Picasso trotz aller Figürlichkeit und trotz aller dargestellten Lebensgefährtinnen und Geliebten und Landschaften und Atelierbilder, geht es nicht so sehr um Ikonografie, um das Malen von etwas, was in der Wirklichkeit ist, sondern es geht um den Versuch, zu definieren, was Malerei eigentlich ist, was Malerei im Bild eigentlich ist. Und dadurch ist er nach wie vor modern."
Service:
Die Ausstellung "Pablo Picasso - Die 50er Jahre" ist im Saarlandmuseum Saarbrücken bis zum 24. Februar 2008 zu sehen.
Picasso war der erste Popstar der Kunstgeschichte, eine - wie er selber sagte - Sehenswürdigkeit, sein kahler Macho-Schädel ebenso ein Markenzeichen wie seine Signatur. Er lässt sich beim Stierkampf blicken, posiert in der Badehose am Strand oder mit Pistole und Cowboyhut im Salon, die Fotografen auf den Fersen, und weil das nun mal zu seinem Status als Klassiker gehört, gibt er auch gerne das Genie in Clouzots Film "Le mystère Picasso".
Er hat sich abgearbeitet an der Kunst, hat die blaue und die rose Periode absolviert, den Kubismus erfunden und den Surrealismus überwunden, hat mit "Guernica" ein politisches Fanal gesetzt - doch jetzt, nach dem Krieg, hat er den Anschluss an die Avantgarde verloren. Die neue Kunst spielt nicht am Mittelmeer, sondern immer noch in Paris und bald mehr noch in New York: die abstrakten Expressionisten, die Monochromen, die frühen Pop Artisten.
Picasso, das Alphatier im Atelier, der clevere Erfinder und Adept, ist plötzlich ein Mann von gestern. Doch er bleibt gelassen und zieht Bilanz; die fünfziger Jahre sind keine Phase des Stillstands, findet Museumschef Ralph Melcher:
"Ich denke, dass dort eine ganze Menge in seinem Werk passierte, in der Rezeption des eigenen Arbeitens, der eigenen Werke, der Rekapitulation dessen, was er in der Malerei in den Jahrzehnten zuvor gesucht und versucht und auch erreicht hat. Dass man immer überrascht ist, wie chamäleonhaft Picasso seine Malweise, seine Arbeitsweise immer neu erfindet, verändert, variiert.
Und ich denke, dass man gerade mit den fünfziger Jahren sehr deutlich zeigen kann, dass er im Grunde über sein ganzes Lebenswerk hinweg immer viele Stile, viele Ansätze nebeneinander probiert, nebeneinander setzt, und durchaus darin eine stringente Weiterentwicklung zu sehen ist."
Da ist zum Beispiel der politische Picasso, Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs, der 1951 das "Massaker in Korea" malt und 1953 einen Eklat heraufbeschwört, als er auf Anregung seines Freundes Aragon den toten Stalin zeichnet. Doch Picassos Talent lässt sich nicht für Parteizwecke zähmen. Zuvor schon hatte er der Welt seine berühmte Friedenstaube geschenkt, die sich über alle Ideologien erhebt.
Es wäre zu viel verlangt, wenn die Saarbrücker Schau das alles mit Schlüsselwerken belegen wollte, aber sie versucht mit siebzig durchweg exzellenten Leihgaben an farbigen Wänden vorzuführen, was das riesenhafte Werk in jener Zeit zusammenhält.
"Lebensfreude und Frieden" heißt ein Kabinett, prall behängt mit Bacchanalen, Tanzenden und Faunen. Ein anderer Raum widmet sich dem Stierkampfthema, mit dem Picasso viel verbindet.
"Es verbindet zum einen das Selbstverständnis von Picasso, der ja immer zwischen der französischen Staatsbürgerschaft, die er nicht bekommen hat, und seiner spanischen Herkunft, hin und her wechselte, dem immer wieder Rekurrieren auf seine spanischen Wurzeln, aber auch auf alle Klischees, die damit verbunden sind, also Virilität, Potenz, Machismo, der Geschlechterkampf. All diese Dinge spielen da hinein, dass der Stierkampf für ihn eine wichtige Rolle spielt."
Picassos eigentliche Arena freilich ist das Atelier, als malender Matador trägt er darin seinen persönlichen Kampf aus. Seine Auseinandersetzung mit dem Tod ist ambivalent. Er kann ihm nicht gelassen ins Gesicht sehen, deshalb hat er auch kein Testament hinterlassen, nur die Bilder als Trophäen, in seinem Spätwerk ein verstörender, verzweifelter Triumph.
Hier aber ist er noch ganz bei sich. Die abstrakte Avantgarde mit ihrem Verzicht auf die Figur, die bei Picasso immer die zentrale Rolle spielt, lässt ihn kalt. Er sucht die Gegenwart in der Vergangenheit und malt sich mit zahllosen Paraphrasen in der Kunstgeschichte bis ins "Goldene Zeitalter" der spanischen Meister zurück.
Gleichzeitig frönt er nach dem Krieg mit Vehemenz der neuen Lebenslust. Sylvette David, sein blondes englisches Modell mit dem Pferdeschwanz, hat er so oft gemalt, dass ihre Frisur in jenen Jahren bei Teenagern überall Furore macht. Ralph Melcher:
"Wenn man sich das Alltagsdesign, die Alltagskultur der fünfziger Jahre anschaut und auch die Rezeption dessen, was denn moderne Kunst sei, dann sind eigentlich zwei Namen prägend für das Bewusstsein in der Öffentlichkeit, was moderne Kunst sei. Das waren Picasso und Hans Arp."
Das war nicht immer schmeichelhaft gemeint, aber trifft Picassos hochtourige Malerei und seine ungestillte Schöpferkraft, egal ob sie bunt und blumig das Interieur von La Californie beschreibt oder die mediterrane Landschaft feiert.
Rückversicherung und Selbstbestätigung, immerwährende Experimente und eine faunische Wandlungsfähigkeit, die unentwegt stilistische Maskeraden und Metamorphosen probt, Physiognomien zerlegt und Formen erfindet - das ist der Picasso der fünfziger Jahre.
Doch letztlich war der Spanier nie ein Zeitgenosse, er lebte immer in seiner eigenen Sphäre und ließ in seinem Werk die Zeit zerplatzen.
"Im Grunde geht es bei Picasso trotz aller Figürlichkeit und trotz aller dargestellten Lebensgefährtinnen und Geliebten und Landschaften und Atelierbilder, geht es nicht so sehr um Ikonografie, um das Malen von etwas, was in der Wirklichkeit ist, sondern es geht um den Versuch, zu definieren, was Malerei eigentlich ist, was Malerei im Bild eigentlich ist. Und dadurch ist er nach wie vor modern."
Service:
Die Ausstellung "Pablo Picasso - Die 50er Jahre" ist im Saarlandmuseum Saarbrücken bis zum 24. Februar 2008 zu sehen.