"Unglaublich bewegend"
Zum Gedenken an die Schlacht von Stalingrad gibt das Osnabrücker Symphonieorchester mehrere Konzerte in Wolgograd - eines davon gemeinsam mit dem Wolgograder Philharmonischen Orchester. Ein Gespräch mit dem Geiger Christian Heinecke, der die Idee zu diesem Projekt hatte.
Susanne Führer: Vor 70 Jahren endete die Schlacht von Stalingrad, eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Über 700.000 Menschen starben, Soldaten der Sowjetischen Armee, der Deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten sowie unzählige zivile Opfer. Heute heißt Stalingrad Wolgograd und zum Gedenken an die furchtbare Schlacht und den Sieg der Roten Armee gibt es dort am Sonntag ein Konzert, gemeinsam gegeben von zwei Orchestern, dem Wolgograder Philharmonischen Orchester und dem Osnabrücker Symphonieorchester. In dem spielt Christian Heinecke die Violine. Er gehört zum Orchestervorstand und er hatte die Idee zu diesem Gedenkkonzert. Guten Tag nach Wolgograd, Herr Heinicke!
Christian Heinecke: Ja, schönen guten Tag von der Wolga!
Führer: Sie sind ja schon seit einigen Tagen dort, das Osnabrücker Symphonieorchester hat schon zwei Konzerte gegeben, diesmal allerdings allein, also noch ohne Wolgograder musikalische Unterstützung – welche Resonanz hat es gegeben auf Ihre Konzerte?
Heinecke: Das erste Konzert, was wir gegeben haben, war in Zareta. Zareta liegt im Süden von Wolgograd und ist eine alte deutsche Siedlung, vor 300 Jahren gegründet, die man sich richtig so vorstellen kann mit einer Kirche in der Mitte und einem kleinen Marktplatz. Und in dieser evangelischen Kirche war ich vor zwei Jahren bei meinen Vorbereitungsbesuchen und habe den Pfarrer getroffen, und der hat spontan gefragt, ob wir nicht auch bei ihm spielen können ein Konzert. Das habe ich gerne zugesagt, und insofern hatten wir jetzt das erste Konzert in Zareta in dieser wunderbaren, schön renovierten evangelischen Kirche.
Führer: Und wie war das? War das gut besucht?
Heinecke: Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt, und wir sind vor der Kirche begrüßt worden. Frauen waren in ihren Trachten und haben uns auf Deutsch begrüßt, also man spricht dort auch noch ein bisschen Deutsch, und das war natürlich sehr bewegend für uns, so einen Empfang zu bekommen.
Führer: Also sozusagen die Nachfahren der Wolga-Deutschen?
Heinecke: Ob es nun wirklich Nachfahren von Wolga-Deutschen sind, weiß ich nicht, aber dort wird das traditionelle Liedgut auch gepflegt. Wir haben nach dem Konzert ein Abendessen dort bekommen und dann haben uns, ich glaube, acht oder neun Frauen in ihren Trachten deutsche Volkslieder vorgesungen. Das war sehr schön.
Führer: Und das zweite Konzert, was sie gegeben haben?
Heinecke: Das zweite Konzert war ein wirkliches sinfonisches Konzert in der Wolgograder Philharmonie. Darum bin ich damals gebeten worden bei meinen Vorbereitungsbesuchen, weil hier ja noch kein deutsches Orchester gespielt hatte und man einfach gerne mal ein echtes deutsches Symphonieorchester hier hören wollte mit einem auch ganz deutschen Programm, insofern haben wir hier auch erst Brahms gespielt, die "Tragische Ouvertüre", dann mit Tabea Zimmermann den "Schwanendreher" und die "Trauermusik" und am Ende Beethovens Vierte, also ein richtig schönes Stück deutsches Programm.
Führer: Und wie war da die Resonanz?
Heinecke: Die war enthusiastisch. Standing Ovations, Bravo-Rufe – es war sehr bewegend, weil ich zufällig von meinem Geigenpult aus einen Veteranen im Blick hatte, der, so wie man sie kennt, mit Orden bepackt, dort saß und sich am Ende die Tränen aus den Augen gewischt hat. Und da habe ich mir gedacht, vor 70 Jahren hat dieser Mann gegen die Deutschen gekämpft und jetzt kommen die Deutschen und spielen für ihn ein Konzert, was er sich auch anhört. Das fand ich unglaublich bewegend.
Führer: Haben Sie sich auch eine Träne aus dem Auge gewischt, vielleicht ...
Heinecke: Ja, nicht nur ich. Emotional sehr, sehr bewegend, und so was wie hier erlebt das Osnabrücker Symphonieorchester natürlich auch nicht alle Tage, vielleicht sogar nie wieder. Hier wird schon sehr viel über diese ganze Situation damals gesprochen.
Führer: Wie ist denn das für Sie als Deutscher, heute in Wolgograd, also dem früheren Stalingrad zu sein, also einer Stadt, die ja vom faschistischen Deutschland überfallen wurde? Bedrückt Sie das?
Heinecke: Also ich bin jetzt ja natürlich zum vierten Mal hier, aber ich erinnere mich sehr, sehr gut an meinen allerersten Besuch, den ich hier – das ist jetzt fast zwei Jahre her – gemacht habe, wo ich ja noch gar nicht richtig absehen konnte, wie kann so ein gemeinsames Gedenkkonzert aussehen? Sind wir wirklich willkommen oder war das erst mal nur eine freundliche Botschaft? Da gebe ich zu, da bin ich ganz klein und demütig in diese Stadt gefahren, habe auch die großen russischen Gedenkanlagen angeguckt. Das war sehr belastend, da habe ich mich auch nicht sehr gut gefühlt, aber ich habe viele gute Gespräche geführt. Unter anderem hat mich eine alte Frau in den Arm genommen, die als Kind in Stalingrad war und hat auf meine Frage, ob man sich vorstellen kann, dieses gemeinsame Projekt hier zu machen, wie sie das empfindet, gesagt: Wir lieben die Deutschen und wir hassen die Faschisten. Und das auch von einer Frau, die die Faschisten in ihrer Stadt erlebt hat und unendliches Leid erlebt hat. Ich bin da immer wieder sprachlos.
Führer: Gibt es denn jetzt abseits der Konzerte auch Begegnungen zwischen Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen vom Osnabrücker Symphonieorchester und den Russen, also zwischen den Kindern und Enkeln der ehemaligen Kriegsgegner?
Heinecke: Das ist noch nicht erfolgt. Es ist in Planung, dass wir auch mit einigen Veteranen noch sprechen wollen, die uns ihre Erlebnisse von damals erzählen werden. Aber unser Konzert ist nicht die einzige Aktivität hier. Die Stadt ist jetzt, sag ich mal, festlich geschmückt. Es hängen unendlich viel Fahnen, es sind viele Podeste aufgebaut. Hier wird es am Samstagvormittag, am 2. Februar, eine große Parade geben mit alten Waffen der Roten Armee. Hier werden Panzer lang fahren, so wie man das auch vom 8. Mai in Moskau immer kennt. Also diese ganz großen Feierlichkeiten sind sowieso hier auch und deswegen bekommen wir zu den Veteranen schwer Kontakt, weil sie einfach überall im Einsatz sind und überall erzählen müssen und überall gefilmt werden.
Führer: Ich meinte auch mehr so zu Gleichaltrigen. Haben Sie zu gleichaltrigen Russen Kontakt?
Heinecke: Na, wir haben natürlich zu dem Orchester sehr intensiven Kontakt. Es war wunderbar, wir haben heute Morgen die erste gemeinsame Probe gehabt, und unter Musikern ist es dann irgendwie gleich so, man macht das Gleiche, man sitzt am Pult, spielt die gleiche Musik, und es wurden sofort Geschenke überreicht, es sind Einladungen ausgesprochen worden, also ich freue mich sehr darüber. Das war für mich persönlich sehr schön, dass ich diese zwei Jahre Arbeit, die ich in dieses Projekt gesteckt habe – heute zu sehen, dass 300 Musiker auf die Bühne kommen, die nur deshalb kommen, weil ich vor zwei Jahren eine Mail hierher geschickt habe, ob man sich vorstellen kann, ein gemeinsames Konzert zu spielen. Und jetzt sind wir mittendrin in den Vorbereitungen, und es gibt für mich persönlich nichts Schöneres.
Führer: Christian Heinecke vom Osnabrücker Symphonieorchester, das zum Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad mehrere Konzerte gibt, und zwar im heutigen Wolgograd. Herr Heinecke, Sie haben schon gesagt, wie die Stadt geschmückt ist, was es da für eine Parade geben wird. Wir wirkt denn das auf Sie? Das kennen wir ja aus der Bundesrepublik, so eine Art von Gedenken ja nicht.
Heinecke: Nein, das ist mir natürlich auch sehr fremd, und ich bin auch ganz, ganz pazifistisch und gegen jede Kriegsverherrlichung eingestellt, deswegen: Ich kann damit nichts anfangen, aber natürlich ist das das absolute Recht der russischen Bevölkerung oder der Verantwortlichen, so eine Parade hier zu machen, aber es ist nicht meine Art, kriegerischer Auseinandersetzungen zu gedenken. Das ist überhaupt auch eine Problematik dieses Konzertes zunächst gewesen, weil wir Deutschen natürlich mit diesen Tagen sehr still, sehr demütig und leise umgehen und wir aus Erfahrung wissen, dass für die russische Seite diese Tage, gerade der 2. Februar ganz, ganz anders gefeiert wird. Wir mussten gucken, ob wir beide musikalisch uns auf Stücke einigen können, die diesem Anlass gerecht werden.
Führer: Am kommenden Sonntag gibt es dann ja das große gemeinsame Konzert, von Ihrem, dem Osnabrücker Symphonieorchester und eben den Wolgogradern Philharmonikern. Sie haben gerade gesagt, es gab schon eine erste Probe – auf welche Stücke haben Sie sich denn nun geeinigt?
Heinecke: Das erste Stück war ganz einfach, sich zu einigen. Das kam von der russischen Seite, der Vorschlag, das war die Neunte Sinfonie von Beethoven, die natürlich mit dem Schlussteil – "Alle Menschen werden Brüder" – die Intention dieser Reise wunderbar zusammenfasst. Das zweite Stück war ein Vorschlag von uns, denn wir fanden, dass wir mit einem besonderen Geschenk hierher kommen wollten, und haben Elena Firsova, eine russische Komponistin, die heute in London lebt, gebeten, ein Auftragswerk zu komponieren speziell für diesen Anlass, speziell für ein sehr, sehr großes Orchester. Sie hat das mit großer Leidenschaft und großer Emotionalität gemacht, und dieses Stück haben wir heute Morgen eben auch zum ersten Mal geprobt. Und dann spielen wir auch ein ganz ruhiges Stück, was in Deutschland ganz unbekannt ist, das ist von Popov eine Aria für Cello solo und Streicher, das wurde auch heute Morgen zum ersten Mal geprobt.
Führer: Und mit welchen Gefühlen blicken Sie diesem Konzert entgegen?
Heinecke: Also ich persönlich muss sagen, ich bin da sehr emotional bei der Sache, es geht vielen anderen auch so, zumal wir ja dieses Konzert mit einer besonderen Aktion beginnen: Ich habe sehr engen Kontakt seit einem Jahr zum Volksbund der Kriegsgräberfürsorge und ich wollte wissen, im Vorfeld, ob es in Osnabrück oder in der Umgebung Menschen gibt, die hier, also in Osnabrück, ums Leben gekommen sind, also russische Verschleppte, die aus dem Stalingrader Gebiet kommen. Es hat sehr lange gedauert, der Volksbund hat sich darum gekümmert und hat tatsächlich uns 70 Namen symbolisch – 70 Namen, es sind eigentlich viel mehr – zur Verfügung gestellt von Stalingrader Bürgern, die nach Deutschland, speziell nach Niedersachsen und sogar nach Osnabrück verschleppt worden sind. Und wir werden das Konzert beginnen und werden diese 70 Namen vorlesen vor dem Publikum. Und das Besondere ist, dass viele Namen für die russische Seite noch als vermisst gelten. Das heißt, wenn wir die Namen hier vorlesen, wenn die russischen Fernsehkameras diese Zettel filmen, sie stehen auf kyrillisch, sodass die im Fernsehen verbreitet werden können, und wir hoffen, vielleicht sogar damit helfen zu können, das eine oder andere Vermisstenschicksal auf diese Weise aufzuklären.
Führer: Das sagt Christian Heinecke, Geiger im Osnabrücker Symphonieorchester, gehört dort auch zum Vorstand. Und das Osnabrücker Symphonieorchester wird am Sonntag gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Wolgograd ein Konzert zum Gedenken an das Ende der Schlacht von Stalingrad geben. Deutschlandradio Kultur sendet die Aufzeichnung dieses Konzerts ab 20 Uhr im Programm, und einen Bericht über das Konzert und die Reaktionen hören Sie dann ab 23 Uhr in unserer Sendung Fazit, auch am Sonntag natürlich. Und, Herr Heinecke, mir bleibt dann nur noch, Ihnen ein wirklich großartiges Konzert zu wünschen.
Heinecke: Ja, schönen Dank! Viel Spaß beim Konzert in Deutschland beim Zuhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christian Heinecke: Ja, schönen guten Tag von der Wolga!
Führer: Sie sind ja schon seit einigen Tagen dort, das Osnabrücker Symphonieorchester hat schon zwei Konzerte gegeben, diesmal allerdings allein, also noch ohne Wolgograder musikalische Unterstützung – welche Resonanz hat es gegeben auf Ihre Konzerte?
Heinecke: Das erste Konzert, was wir gegeben haben, war in Zareta. Zareta liegt im Süden von Wolgograd und ist eine alte deutsche Siedlung, vor 300 Jahren gegründet, die man sich richtig so vorstellen kann mit einer Kirche in der Mitte und einem kleinen Marktplatz. Und in dieser evangelischen Kirche war ich vor zwei Jahren bei meinen Vorbereitungsbesuchen und habe den Pfarrer getroffen, und der hat spontan gefragt, ob wir nicht auch bei ihm spielen können ein Konzert. Das habe ich gerne zugesagt, und insofern hatten wir jetzt das erste Konzert in Zareta in dieser wunderbaren, schön renovierten evangelischen Kirche.
Führer: Und wie war das? War das gut besucht?
Heinecke: Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt, und wir sind vor der Kirche begrüßt worden. Frauen waren in ihren Trachten und haben uns auf Deutsch begrüßt, also man spricht dort auch noch ein bisschen Deutsch, und das war natürlich sehr bewegend für uns, so einen Empfang zu bekommen.
Führer: Also sozusagen die Nachfahren der Wolga-Deutschen?
Heinecke: Ob es nun wirklich Nachfahren von Wolga-Deutschen sind, weiß ich nicht, aber dort wird das traditionelle Liedgut auch gepflegt. Wir haben nach dem Konzert ein Abendessen dort bekommen und dann haben uns, ich glaube, acht oder neun Frauen in ihren Trachten deutsche Volkslieder vorgesungen. Das war sehr schön.
Führer: Und das zweite Konzert, was sie gegeben haben?
Heinecke: Das zweite Konzert war ein wirkliches sinfonisches Konzert in der Wolgograder Philharmonie. Darum bin ich damals gebeten worden bei meinen Vorbereitungsbesuchen, weil hier ja noch kein deutsches Orchester gespielt hatte und man einfach gerne mal ein echtes deutsches Symphonieorchester hier hören wollte mit einem auch ganz deutschen Programm, insofern haben wir hier auch erst Brahms gespielt, die "Tragische Ouvertüre", dann mit Tabea Zimmermann den "Schwanendreher" und die "Trauermusik" und am Ende Beethovens Vierte, also ein richtig schönes Stück deutsches Programm.
Führer: Und wie war da die Resonanz?
Heinecke: Die war enthusiastisch. Standing Ovations, Bravo-Rufe – es war sehr bewegend, weil ich zufällig von meinem Geigenpult aus einen Veteranen im Blick hatte, der, so wie man sie kennt, mit Orden bepackt, dort saß und sich am Ende die Tränen aus den Augen gewischt hat. Und da habe ich mir gedacht, vor 70 Jahren hat dieser Mann gegen die Deutschen gekämpft und jetzt kommen die Deutschen und spielen für ihn ein Konzert, was er sich auch anhört. Das fand ich unglaublich bewegend.
Führer: Haben Sie sich auch eine Träne aus dem Auge gewischt, vielleicht ...
Heinecke: Ja, nicht nur ich. Emotional sehr, sehr bewegend, und so was wie hier erlebt das Osnabrücker Symphonieorchester natürlich auch nicht alle Tage, vielleicht sogar nie wieder. Hier wird schon sehr viel über diese ganze Situation damals gesprochen.
Führer: Wie ist denn das für Sie als Deutscher, heute in Wolgograd, also dem früheren Stalingrad zu sein, also einer Stadt, die ja vom faschistischen Deutschland überfallen wurde? Bedrückt Sie das?
Heinecke: Also ich bin jetzt ja natürlich zum vierten Mal hier, aber ich erinnere mich sehr, sehr gut an meinen allerersten Besuch, den ich hier – das ist jetzt fast zwei Jahre her – gemacht habe, wo ich ja noch gar nicht richtig absehen konnte, wie kann so ein gemeinsames Gedenkkonzert aussehen? Sind wir wirklich willkommen oder war das erst mal nur eine freundliche Botschaft? Da gebe ich zu, da bin ich ganz klein und demütig in diese Stadt gefahren, habe auch die großen russischen Gedenkanlagen angeguckt. Das war sehr belastend, da habe ich mich auch nicht sehr gut gefühlt, aber ich habe viele gute Gespräche geführt. Unter anderem hat mich eine alte Frau in den Arm genommen, die als Kind in Stalingrad war und hat auf meine Frage, ob man sich vorstellen kann, dieses gemeinsame Projekt hier zu machen, wie sie das empfindet, gesagt: Wir lieben die Deutschen und wir hassen die Faschisten. Und das auch von einer Frau, die die Faschisten in ihrer Stadt erlebt hat und unendliches Leid erlebt hat. Ich bin da immer wieder sprachlos.
Führer: Gibt es denn jetzt abseits der Konzerte auch Begegnungen zwischen Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen vom Osnabrücker Symphonieorchester und den Russen, also zwischen den Kindern und Enkeln der ehemaligen Kriegsgegner?
Heinecke: Das ist noch nicht erfolgt. Es ist in Planung, dass wir auch mit einigen Veteranen noch sprechen wollen, die uns ihre Erlebnisse von damals erzählen werden. Aber unser Konzert ist nicht die einzige Aktivität hier. Die Stadt ist jetzt, sag ich mal, festlich geschmückt. Es hängen unendlich viel Fahnen, es sind viele Podeste aufgebaut. Hier wird es am Samstagvormittag, am 2. Februar, eine große Parade geben mit alten Waffen der Roten Armee. Hier werden Panzer lang fahren, so wie man das auch vom 8. Mai in Moskau immer kennt. Also diese ganz großen Feierlichkeiten sind sowieso hier auch und deswegen bekommen wir zu den Veteranen schwer Kontakt, weil sie einfach überall im Einsatz sind und überall erzählen müssen und überall gefilmt werden.
Führer: Ich meinte auch mehr so zu Gleichaltrigen. Haben Sie zu gleichaltrigen Russen Kontakt?
Heinecke: Na, wir haben natürlich zu dem Orchester sehr intensiven Kontakt. Es war wunderbar, wir haben heute Morgen die erste gemeinsame Probe gehabt, und unter Musikern ist es dann irgendwie gleich so, man macht das Gleiche, man sitzt am Pult, spielt die gleiche Musik, und es wurden sofort Geschenke überreicht, es sind Einladungen ausgesprochen worden, also ich freue mich sehr darüber. Das war für mich persönlich sehr schön, dass ich diese zwei Jahre Arbeit, die ich in dieses Projekt gesteckt habe – heute zu sehen, dass 300 Musiker auf die Bühne kommen, die nur deshalb kommen, weil ich vor zwei Jahren eine Mail hierher geschickt habe, ob man sich vorstellen kann, ein gemeinsames Konzert zu spielen. Und jetzt sind wir mittendrin in den Vorbereitungen, und es gibt für mich persönlich nichts Schöneres.
Führer: Christian Heinecke vom Osnabrücker Symphonieorchester, das zum Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad mehrere Konzerte gibt, und zwar im heutigen Wolgograd. Herr Heinecke, Sie haben schon gesagt, wie die Stadt geschmückt ist, was es da für eine Parade geben wird. Wir wirkt denn das auf Sie? Das kennen wir ja aus der Bundesrepublik, so eine Art von Gedenken ja nicht.
Heinecke: Nein, das ist mir natürlich auch sehr fremd, und ich bin auch ganz, ganz pazifistisch und gegen jede Kriegsverherrlichung eingestellt, deswegen: Ich kann damit nichts anfangen, aber natürlich ist das das absolute Recht der russischen Bevölkerung oder der Verantwortlichen, so eine Parade hier zu machen, aber es ist nicht meine Art, kriegerischer Auseinandersetzungen zu gedenken. Das ist überhaupt auch eine Problematik dieses Konzertes zunächst gewesen, weil wir Deutschen natürlich mit diesen Tagen sehr still, sehr demütig und leise umgehen und wir aus Erfahrung wissen, dass für die russische Seite diese Tage, gerade der 2. Februar ganz, ganz anders gefeiert wird. Wir mussten gucken, ob wir beide musikalisch uns auf Stücke einigen können, die diesem Anlass gerecht werden.
Führer: Am kommenden Sonntag gibt es dann ja das große gemeinsame Konzert, von Ihrem, dem Osnabrücker Symphonieorchester und eben den Wolgogradern Philharmonikern. Sie haben gerade gesagt, es gab schon eine erste Probe – auf welche Stücke haben Sie sich denn nun geeinigt?
Heinecke: Das erste Stück war ganz einfach, sich zu einigen. Das kam von der russischen Seite, der Vorschlag, das war die Neunte Sinfonie von Beethoven, die natürlich mit dem Schlussteil – "Alle Menschen werden Brüder" – die Intention dieser Reise wunderbar zusammenfasst. Das zweite Stück war ein Vorschlag von uns, denn wir fanden, dass wir mit einem besonderen Geschenk hierher kommen wollten, und haben Elena Firsova, eine russische Komponistin, die heute in London lebt, gebeten, ein Auftragswerk zu komponieren speziell für diesen Anlass, speziell für ein sehr, sehr großes Orchester. Sie hat das mit großer Leidenschaft und großer Emotionalität gemacht, und dieses Stück haben wir heute Morgen eben auch zum ersten Mal geprobt. Und dann spielen wir auch ein ganz ruhiges Stück, was in Deutschland ganz unbekannt ist, das ist von Popov eine Aria für Cello solo und Streicher, das wurde auch heute Morgen zum ersten Mal geprobt.
Führer: Und mit welchen Gefühlen blicken Sie diesem Konzert entgegen?
Heinecke: Also ich persönlich muss sagen, ich bin da sehr emotional bei der Sache, es geht vielen anderen auch so, zumal wir ja dieses Konzert mit einer besonderen Aktion beginnen: Ich habe sehr engen Kontakt seit einem Jahr zum Volksbund der Kriegsgräberfürsorge und ich wollte wissen, im Vorfeld, ob es in Osnabrück oder in der Umgebung Menschen gibt, die hier, also in Osnabrück, ums Leben gekommen sind, also russische Verschleppte, die aus dem Stalingrader Gebiet kommen. Es hat sehr lange gedauert, der Volksbund hat sich darum gekümmert und hat tatsächlich uns 70 Namen symbolisch – 70 Namen, es sind eigentlich viel mehr – zur Verfügung gestellt von Stalingrader Bürgern, die nach Deutschland, speziell nach Niedersachsen und sogar nach Osnabrück verschleppt worden sind. Und wir werden das Konzert beginnen und werden diese 70 Namen vorlesen vor dem Publikum. Und das Besondere ist, dass viele Namen für die russische Seite noch als vermisst gelten. Das heißt, wenn wir die Namen hier vorlesen, wenn die russischen Fernsehkameras diese Zettel filmen, sie stehen auf kyrillisch, sodass die im Fernsehen verbreitet werden können, und wir hoffen, vielleicht sogar damit helfen zu können, das eine oder andere Vermisstenschicksal auf diese Weise aufzuklären.
Führer: Das sagt Christian Heinecke, Geiger im Osnabrücker Symphonieorchester, gehört dort auch zum Vorstand. Und das Osnabrücker Symphonieorchester wird am Sonntag gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Wolgograd ein Konzert zum Gedenken an das Ende der Schlacht von Stalingrad geben. Deutschlandradio Kultur sendet die Aufzeichnung dieses Konzerts ab 20 Uhr im Programm, und einen Bericht über das Konzert und die Reaktionen hören Sie dann ab 23 Uhr in unserer Sendung Fazit, auch am Sonntag natürlich. Und, Herr Heinecke, mir bleibt dann nur noch, Ihnen ein wirklich großartiges Konzert zu wünschen.
Heinecke: Ja, schönen Dank! Viel Spaß beim Konzert in Deutschland beim Zuhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.