Einzigartig aber vernachlässigt
Klavier-Tanzrollen, Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In deutschen Universitäten lagern unglaubliche Schätze, von denen wir nichts oder kaum etwas wissen. Denn oft sind die wertvollen Sammlungen in Abstellräumen oder Kellern versteckt. Unsere Fazit-Reihe "Universitäre Sammlungen" hebt diese verborgenen Schätze wieder ins Bewusstsein.
Die nächsten Beiträge:
Freitag, 24.7.: Krankheiten in 3-D moduliert: Die Moulagensammlung, Medizinhistorisches Museum in der Berlin Charité
Samstag, 25.7.: Wachswalzen und Edison-Phonograph: Die phonetische Sammlung der Uni Halle/Wittenberg
Sonntag, 26.7.: Weltweit bedeutendste Herbarien-Sammlung - Die Botanische Staatssammlung, Ludwig-Maximilians-Universität München
Montag, 27.7.: Nordische Helden: Die Edda-Sammlung – Institut für Skandinavistik, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Dienstag, 28.7.: Sammlung "Religiöser und weltanschaulicher Pluralismus in Deutschland" an der Universität Leipzig
Schimmelpilze und andere Gespinste
Bier, Wein, Käse oder Antibiotika wären ohne Schimmelpilze nicht denkbar. Die ältesten Pilze in der Sammlung der Universität Jena sind 65 Jahre alt. Sie müssen regelmäßig gefüttert werden.
Wenn ich Schimmelpilze sehe – im Brotkorb oder in vergessenen Pesto-Gläsern im Kühlschrank –, dann werde ich fortan immer an Kerstin Voigt denken. Sie liebt ihre Schimmelpilze. Seit vielen Jahren betreut sie die Jena Microbial Resource Collection – eine der weltweit größten Sammlungen von Schimmelpilzen.
Kerstin Voigt: "Alles beginnt mit einem Schimmel am Anfang!"
Warum, das wird sie später erklären. Kerstin Voigt ist die Hüterin der Pilze in Jena. 50.000 an der Zahl. Sie führt mich in die Basis der Jenaer Pilzsammlung, einen Kühlraum.
"Da wird's jetzt kalt. Was sie hier sehen, ist also bei einer Temperatur von 10 Grad, wo Pilze in unterschiedlichen Nährmedien ..."
Ein Raum, vielleicht 16 Quadratmeter, 2 Meter hoch, mit zigtausenden Reagenzgläsern in den Regalen.
"... wie zum Beispiel hier auf Erde sichtbar sind. Da ist ein Teil Sand drin, ein Teil Gartenerde und ein Teil Kompost. Und da wachsen die bodengebürtigen Pilze drin! Die kann man bis zu 15 Jahre auf solchen Konserven lassen."
Aber sehen tue ich nur die Erde!?
"Sie sehen nur die Erde! Wenn Sie genau hingucken – ein geübtes Auge – da ist so ein leichter, feiner, weißer ... - wie so ein Hauch von Tau. Und das ist der Pilz! Es gibt manche, die sehen etwas offensichtlicher aus, da bildet sich wie hier eine kleine Pilzstuppe!"
Mit viel gutem Willen ist ein feines weißes Gespinst zu erkennen.
"Und dann haben wir hier Pilze, die auf verschiedenen Nährmedien wachsen. Mal aufmachen ..."
Nährmedien sind Kirschwasser, Gemüsesaft, Wasser, Fleischsuppe, Gartenboden, Heilerde.
Schimmel in anderen tollen Farben
"Manchmal wachsen die Pilze aber auch sehr schwarz, sie bilden dann so schwarze Belege. Manche Pilze haben andere tolle Farben."
Dem Laien präsentieren sich Reagenzgläser mit hässlichen braunen, gelben, schwarzen Inhalten. Kerstin Voigt aber sieht wertvolle Schätze:
"Es gibt Kollegen, die arbeiten mit dieser Gattung, die heißt Fusarium, und die teilen die Pilze schon in unterschiedliche Jahrgänge von Bordeaux-Rotwein ein, weil das so eine Abstufung ist. Die machen da einen Sport draus."
Trotz der Kälte im Kühlraum sprudelt Kerstin Voigt, begeistert von ihren Pilzen.
"Hier sehen sie zum Beispiel die bordeauxfarbenen Pilze ... oder auch solche Farben. Und die sind natürlich für unsere Chemiker extrem interessant! Weil, die wollen natürlich wissen: Was sind das für Pigmente, sind es neue Strukturen, die wir noch nie kennen? Deshalb ist so eine Sammlung auch sehr wichtig. Selbst wenn heute so ein Pilz erst mal keinen Wert darstellt. Aber wenn Sie sich überlegen: In zehn Jahren gibt es zum Beispiel eine Maschine, die 1000 Pilze am Tag analysieren könnte, da hätte man natürlich wieder so einen Wert für eine Sammlung, weil: So schnell hat man einen Pilz auch nicht isoliert aus der Natur, das ist total viel Arbeit."
Die ältesten Pilze in der Jenaer Sammlung sind 65 Jahre alt. Nach 1989, als die Forscher endlich in die Welt reisen durften, kamen exotische Pilze zur Sammlung aus Guam, von Hawaii. Die Pilze bekommen nur so viel Nahrung, wie sie zum Überleben brauchen. Manche müssen alle fünf Monate gefüttert werden, andere nur alle fünf Jahre. Und wenn ein Arzt, ein Chemiker, ein Mikrobiologe einen bestimmten Pilz bestellt, dann muss der vermehrt werden. Allein mit diesen Aufgaben sind zwei Mitarbeiter voll beschäftigt.
"Jetzt wird's mir auch kalt! Das Licht habe ich aus gemacht!?"
Pilze halfen bei der Landnahme
Wozu aber braucht man Schimmelpilze? Kerstin Voigt greift, wieder draußen im Warmen, weit zurück:
"Man kann eigentlich sagen: Ohne Schimmelpilze wäre das Landleben auf der Erde gar nicht möglich gewesen, weil: Die Pflanzen sind nur so vom Wasser ans Land gekrochen, dass sie eigentlich nur über die Symbiose mit Pilzen konnten sie Wurzeln bilden. Am Anfang waren das noch Pilzwurzeln, Mykorrhiza-Wurzeln, und später hat die Pflanze dann Wurzelbildung evolviert, im Laufe der Evolution. Und die Pilze haben der Landnahme sozusagen mitgeholfen."
Und auch heute, meint sie, kämen wir ohne Schimmelpilze nicht aus, da die unser Immunsystem trainierten und es davon abhielten, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Auch Lebensmittel wie Bier, Wein, Hunderte Käsesorten gäbe es nicht ohne Pilze, Antibiotika ebenso wenig. Hier liegt auch das Hauptforschungsgebiet des Hans-Knöll-Instituts Jena, dem die Pilzsammlung gehört.
Kerstin Voigt: "Wir sehen uns hier wie Kinder, die eigentlich auf Entdeckungsreise gehen! Hat viel mit Suchen und Finden zu tun. Die Wege sind oftmals unberechenbar, die Ziele noch viel weniger berechenbar. Und die meisten Entdeckungen, die schönsten, sind immer aus Zufall entstanden. Und das ist eigentlich die Sache, die so eine Sammlung auch sehr wertvoll macht und die Arbeit mit Schimmelpilzen."