Einzigartig aber vernachlässigt
Klavier-Tanzrollen, Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In deutschen Universitäten lagern unglaubliche Schätze, von denen wir nichts oder kaum etwas wissen. Denn oft sind die wertvollen Sammlungen in Abstellräumen oder Kellern versteckt. Unsere Fazit-Reihe "Universitäre Sammlungen" hebt diese verborgenen Schätze wieder ins Bewusstsein.
Die nächsten Beiträge:
Sonntag, 26.7.: Weltweit bedeutendste Herbarien-Sammlung - Die Botanische Staatssammlung, Ludwig-Maximilians-Universität München
Montag, 27.7.: Nordische Helden: Die Edda-Sammlung – Institut für Skandinavistik, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Dienstag, 28.7.: Sammlung "Religiöser und weltanschaulicher Pluralismus in Deutschland" an der Universität Leipzig
Kostbares Tonarchiv in prekärer Lage
Aufnahmen aussterbender Dialekte, Originalreden von Kaiser Wilhelm II., Lesungen Thomas Manns: In einem Schallarchiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lagern Raritäten unter prekären Bedingungen auf Wachswalzen. Die Hoffnung auf Erhalt der Schätze ist gering.
"Wangerooger Friesisch, ein verschwundener Dialekt, den die Menschen bis in die 1930er Jahre auf der gleichnamigen Nordseeinsel so gesprochen haben sollen."
Ein echtes Unikat aus dem Jahr 1924. Eine von etwa 12.000 Aufnahmen der Phonetischen Sammlung des Seminars für Sprechwissenschaft und Phonetik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 1910 wird hier eine deutsche Bibliothek der gesprochenen Sprache aufgebaut, erzählt Institutsdirektor Baldur Neuber.
Die kostbaren Tonwalzen sind Hitze, Feuchtigkeit und Staub ausgesetzt
"Die Idee war tatsächlich, aussterbende Dialekte, seltene Stimmen – es gibt hier Kastratenstimmen die hier aufgenommen wurden – berühmte Persönlichkeiten, berühmte Sänger, unterschiedlich interessante Äußerungen, einschließlich Gesang aufzunehmen, um die dann später zu archivieren, um sie dann für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung zu haben."
Die Aufnahmen, darunter auch Originalreden von Kaiser Wilhelm II. oder gesprochene Texte von Schriftstellern, wie Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann, wurden auf einer Wachswalze gespeichert. Sie sehen aus, wie kleine schokoladenfarbene Röhren. Heute stehen sie in einem verbeulten DDR-Blechspind in einem unklimatisierten Raum in einer neoklassizistischen Gründerzeitvilla im Hallenser Giebichensteinviertel.
Schutzmaßnahmen sind so gut wie nicht vorhanden, stattdessen sind die kostbaren Tonwalzen Hitze, Feuchtigkeit oder Staub ausgesetzt.
Einige Unikate sind bereits abhanden gekommen
"Viele sind auch schon – oder besser einige, sag ich mal –, schon kaputt gegangen. Oder einfach abhanden gekommen",
gesteht Archivmitarbeiter Peter Müller, während er die Walzen mit bloßen Händen anfasst. Dabei kann es auch schon mal passieren, dass er mit den Fingern – wenn auch unbeabsichtigt - über die Tonrillen fährt.
Martin Körber von der Kinemathek Berlin, Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, ein international ausgewiesener Experte in Sachen Archivierung von audiovisuellem Kulturgut, glaubt nicht recht zu hören.
"Wenn es so ist, dass einfach Walzen geklaut werden oder man einfach ohne Handschuhe darauf rumtapsen darf, dann ist das schon sehr problematisch."
Institutsdirektor Baldur Neuber nickt nachdenklich den Kopf.
"Von idealen Bedingungen können wir nur träumen"
"Ne normale Raumtemperatur, nicht zu feucht, nicht zu trocken: Diese normalen Bedingungen haben wir nie gehabt. Dieses Schallarchiv ist zwangsläufig mit Umzügen der Universität an verschiedenste Orte gezogen. Ne Zeitlang lagen mal Dinge im Keller, ne Zeitlang waren sie in einem ganz anderen Gebäude. Immer mehr oder weniger notdürftig untergebracht. Das heißt, von idealen Bedingungen können wir nur träumen."
Vieles was im Hallenser Schallarchiv lagert, wurde seit dem es Anfang des 20. Jahrhunderts aufgenommen wurde, nie wieder angehört. Daher weiß heute auch niemand, ob auf allen Wachswalzen überhaupt noch was zu hören ist. Institutsdirektor Baldur Neuber findet klare Worte.
600.000 Euro bis 800.000 Euro für den Erhalt nötig
"Bisher ist es uns offenbar nicht gelungen, die Sammlung mal angemessen aufzubereiten. Auch für die Öffentlichkeit gut sichtbar zu machen. Das ist dann vielleicht schon das Desaster. Das wäre eigentlich dringend erforderlich. Da hat man offenbar keinerlei Geld und keinerlei Möglichkeiten, es so aufzubereiten, wie man es müsste."
Nach Schätzung Neubers, geht es um etwa 600.000 Euro bis 800.000 Euro, die für die Digitalisierung und den Erhalt des Audioarchivs nötig seien. Geld, dass die Uni Halle-Wittenberg nicht hat oder einfach nicht bereit ist, auszugeben.
Eine erste Hilfe kann das von der Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Mai gestartete Bundesprogramm Allianz für Universitäre Sammlungen sein. Auch weil ausdrücklich gefordert ist, gerade die Universitätssammlungen kleiner Fächer zu bevorzugen.
"Das Ziel ist es, dazu beizutragen, dass diese Sammlungen in den Universitäten, dass diese Schätze gehoben werden. Dass man ein stärkeres Bewusstsein für das einmalige Kulturgut, was man in der Universität hat, entwickelt."
7,5 Millionen Euro sollen in das Programm fließen. Nicht viel, wenn man realisiert, dass es bundesweit rund 800 wissenschaftliche Sammlungen an rund 80 Universitäten gibt, von denen ein Großteil in prekärer Lage steckt. Allein an der Martin-Luther-Universität Halle existieren 40 Sammlungen mit etwa 6 Millionen Objekten, von denen viele sanierungsbedürftig sind.