Einzigartig aber vernachlässigt
Klavier-Tanzrollen, Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In deutschen Universitäten lagern Schätze, von denen wir nichts oder kaum etwas wissen. Denn oft sind die wertvollen Sammlungen in Abstellräumen oder Kellern versteckt. Unsere Fazit-Reihe "Universitäre Sammlungen" hebt diese verborgenen Schätze wieder ins Bewusstsein.
Nächster und letzter Beitrag dieser Reihe:
Dienstag, 28.7.: Sammlung "Religiöser und weltanschaulicher Pluralismus in Deutschland" an der Universität Leipzig
Nordische Helden: Die Edda-Sammlung
Die "Edda" ist eine uralte auf Alt-Isländisch verfasste Sammlung von Götter- und Heldensagen - und zugleich die wohl wichtigste Quelle für die Beschäftigung mit nordischen Mythen. Auch für die Skandinavisten an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Die Edda, eine Sammlung nordischer Götter- und Helden-Mythen aus dem Mittelalter - auf den ersten Blick weit weg von unserer modernen Alltagskultur. Falsch, weiß Katja Schulz:
"Das ist eine CD der schwedischen Heavy-Metal-Gruppe Barthory. Die sind eine frühe Gruppe, die sich in ihrem Motivbereich sehr stark auf nordische Mythen konzentriert haben. Wir haben hier die CD 'Blood, Fire, Death'. Und wenn man diesem Motiv-Inventar nachgeht und wenn man sich auch Schriften anschaut, die aus der Heavy-Metal-Szene selber entstanden sind, das ist ja eine Szene, die viel über sich selbst schreibt, sich selbst erforscht, dann gelangt man relativ schnell zurück zu Namen wie C. G. Jung, der einen Essay über Wotan geschrieben hat und der da so germanische Archetypen entdeckt in dieser Odin-Figur.
Man kommt zu dem österreichischen Skandinavisten und Ethnologen Otto Höfler, der ein Buch über kultische Geheimbünde geschrieben hat, das 1934 veröffentlicht wurde. Da sind wir ganz nahe an einer nationalsozialistischen Ideologie, die auch gerne aufgegriffen worden ist, etwa im Zusammenhang mit der männerbündischen Vorstellung von der SS."
Spätestens jetzt ist klar: Die "Edda"-Sammlung ist kein harmloser Spleen einiger Skandinavisten im Souterrain des IG-Farben-Hauses auf dem Campus Westend der Goethe-Uni Frankfurt am Main. Wer sich wissenschaftlich mit nordischen Mythen des Mittelalters und ihrer Rezeptionsgeschichte bis heute beschäftigt, betritt politisch hoch-vermintes Gelände. Katja Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Skandinavistik an der Uni-Frankfurt und Hüterin der Edda-Sammlung:
"Man muss vielleicht vorausschicken, dass Edda nicht ein Text ist sondern das es verschiedene Texte gibt, die mit dem Namen „Edda" bezeichnet werden. Es gibt eine Lieder-Edda, das sind anonym gesammelte Götter-und Helden-Lieder. Die erzählen von den nordischen Göttern Thor, Odin, von ihrem Kampf gegen die Riesen. Die erzählen in einem zweiten Teil, im Heldenliederteil, die Nibelungen-Mythen, die auch aus der südgermanischen Überlieferung, aus dem Nibelungen-Lied bekannt sind. Die aber reichhaltiger noch im Norden überliefert sind."
Weltweit einzigartige Edda-Sammlung
Zur Lieder-Edda kommt eine Prosa-Edda, die im frühen 13. Jahrhundert entstand und die gleichen Stoffe in Prosaform erzählt. Beide Texte sind die wichtigsten Quellen für die nordischen Mythen. Katja Schulz erklärt, was nun die Frankfurter Edda-Sammlung über die reine textwissenschaftliche Bearbeitung des Stoffes so besonders macht:
"Meines Wissens gibt es so eine Sammlung nur in Frankfurt und sonst weltweit nirgendwo. Dies ist eben eines der ganz wenigen interdisziplinären Projekte, wo Religionswissenschaftler beteiligt sind. Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft, wo zur Alltagskultur geforscht wird."
Katja Schulz greift in einen Pappkarton, der auf dem Schreibtisch steht. Sie befördert leere Bierdosen und Corn-Flakes-Türen zutage:
"Unsere Müllsammlung wird das auch gelegentlich genannt. Es gibt sehr viele Produkte, die sich nach nordischen Mythen, nordischen Göttern benennen. Die gab es immer schon, zum Beispiel haben wir hier ein Zigarren-Schächtelchen der Marke Odin. Es gibt eine Eissorte Walhalla, eine dänische Sorte. Es gibt Käse, der heißt Freya."
Neue Forschungsgelder sind beantragt
Graphikmappen, Comics, Filme, Tonträger, Computerspiele, Postkarten und vieles mehr gehören zum ständig wachsenden Bestand der "Edda-Sammlung", die jetzt dringend frisches Forschungsgeld braucht. Die Anträge dazu sind in Vorbereitung, versichert Katja Schulz:
"Die Gefahr ist, wenn ein Projekt wie die Edda- Rezeption nicht mehr gefördert wird, wenn kein systematisierender Blick mehr auf die Sammlung fällt und die zusammenhält, dass sie irgendwann nicht mehr als Sammlung gesehen wir, sondern als Ansammlung."
Umso wichtiger ist nun die Digitalisierung der Sammlung, die gemeinsam mit Fachleuten der Uni Trier vorbereitet wird. Wenn die Frankfurter Edda-Sammlung demnächst ins Internet wandert, wird es auch wieder um den Heavy Metal gehen. Schon wegen der Frankfurter Studierenden der Skandinavistik, betont Katja Schulz:
"Wir haben viele Studierende, die ursprünglich ihr Interesse aus dem Heavy Metal entwickelt haben und dann gesagt haben, wir möchten mehr darüber wissen. Die also mit ganz ersthaften und seriösen Studieninteressen hierhin kommen."
Diese Studierenden distanzieren sich glaubhaft von allem rechtsradikalen Gedankengut. Aber:
"Die Frage ist, ob man das kann. Das sind alles angereicherte Stoffe, wo man nicht einfach sagen kann, ich blende da bestimmte Gehalte aus."