Warum Migranten häufiger im Studium scheitern
Studierende aus Migrantenfamilien scheitern an Universitäten besonders häufig und brechen ihr Studium ab, besagen gleich zwei aktuelle Studien. Migrationsforscherin Claudia Diehl erklärt, welche Rolle der soziale Hintergrund dabei spielt.
Aus gleich zwei Studien – der der Mercator Stiftung und einer ergänzenden Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen, die heute von der Bundesbildungsministerin Wanka vorgestellt werden – geht hervor, dass Zuwanderer oder Zuwandererkinder überproportional oft an deutschen Hochschulen scheitern. Und dann ihr Studium abbrechen. Sie scheitern an sprachlichen, fachlichen und finanziellen Hürden, sagt Migrationsforscherin Claudia Diehl.
Hohe Studierbereitschaft
Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung, die einen Migrationshintergrund haben, wechselten bei gleichen schulischen Leistungen häufiger an die Uni als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund, so Diehl im Deutschlandfunk Kultur.
"Das heißt dann aber auch, dass sie, was ihre leistungsmäßigen Voraussetzungen anbetrifft, etwas schlechter dastehen, wenn sie an den Unis ankommen als die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund."
Alle sprächen in der Regel sehr gut deutsch, betont die Migrationsforscherin. Geringe Unterschiede gäbe es allerdings noch, wenn es um Wissenschafts- oder Schriftsprache gehe. Zu beobachten sei, das vor allem bei Jugendlichen, "die selber gewandert sind, zum Beispiel als Kinder nach Deutschland gekommen sind, (...) dass es da an den sprachlichen Voraussetzungen etwas hapert".
Fachliche und finanzielle Hürden
Noch wichtiger sei jedoch der soziale Hintergrund, so Diehl. Studierende mit Migrationshintergrund kämen sehr häufig aus Elternhäusern, wo niemand einen akademischen Abschluss besitze. "Das ist natürlich etwas, das weitreichende Implikationen hat. Sie können weniger ihre Eltern um Rat fragen, sie haben weniger Vorbilder – und sie haben vor allem auch viel weniger finanzielle Unterstützung."
Die Universitäten müssten sich auf die zunehmende Diversität der Studierenden einstellen und Unterstützung anbieten für diejenigen, "die das Akademische nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben". Als Beispiel nannte die Migrationsforscherin Schreibtrainings oder verpflichtende Beratung. Für Jugendliche ohne akademischen Hintergrund sei so ein stärker strukturiertes Studium "die bessere Alternative".
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wir versuchen es jetzt noch mal mit unserer Gesprächspartnerin. Wir wollen ja darüber reden, dass gleich zwei Studien, die heute veröffentlicht werden, der Mercator-Stiftung und der Studie des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen, belegen, dass Zuwanderer bzw. Zuwandererkinder überproportional oft an deutschen Hochschulen scheitern und ihr Studium abbrechen. Sie scheitern an sprachlichen, fachlichen und finanziellen Hürden. Warum das so ist, das will ich jetzt wissen im Gespräch mit Claudia Diehl, sie ist Migrationsforscherin und hat einen Lehrstuhl für Mikrosoziologie an der Uni Konstanz. Sie ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Claudia Diehl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Eine Abbrecherquote von 41 Prozent bei Migrantenkindern, bei Zuwanderern – woran liegt das, dass da so überdurchschnittlich oft im Studium gescheitert wird?
Diehl: Das hat zunächst einen eigentlich erfreulichen Grund: Was wir wissen, ist, dass SchulabsolventInnen mit einer Hochschulzugangsberechtigung, die einen Migrationshintergrund haben, bei gleichen schulischen Leistungen häufiger an die Uni wechseln als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund. Das heißt dann aber auch, dass sie leistungsmäßig, also was ihre leistungsmäßigen Voraussetzungen anbetrifft, etwas schlechter dastehen, wenn sie an den Unis ankommen, als die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Warum ist das so, warum sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund so studierwillig? Das hat unterschiedliche Gründe.
Zum einen hat es etwas mit dem, ich sage mal, migrantenspezifischen Ehrgeiz zu tun. Wir wissen, Leute, die ihr Land verlassen, das sind in der Regel diejenigen, die es wissen wollen. Wir sehen auch tatsächlich bei den Eltern von zugewanderten Schülerinnen und Schüler, dass sie sehr hohe, wie wir es nennen, Leistungsaspirationen haben. Die wollen also, dass ihre Kinder studieren. Deswegen wechseln sie häufiger. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass die Alternativen zum Hochschulstudium, die in Deutschland als respektable Alternativen gelten, also zum Beispiel eine Lehre zu machen oder auch an die Fachhochschule zu gehen, unter Zugewanderten als weniger attraktiv und weniger statusträchtig wahrgenommen werden.
Und es gibt dann auch noch die Vermutung, dass die Uni als ein Raum wahrgenommen wird, wo es besonders wenig Diskriminierung gibt, wo man also gern hingeht, wenn man einen Zuwanderungshintergrund hat. Das führt zu diesen höheren Übergangsraten, die ja eigentlich erfreulich sind, aber eben auch dazu, dass die fachlichen Voraussetzungen etwas schlechter sind, was sich dann nicht nur in höheren Abbruchquoten widerspiegelt, sondern auch darin, dass das Studium länger dauert.
von Billerbeck: Das spricht ja auch dafür, dass viele Zuwanderer, die an die Uni gehen, auch keine Ahnung haben, dass es da noch Alternativen gäbe.
Diehl: Man weiß nicht so genau, ob – ich meine, Ahnung, dass es das gibt, wissen sie schon, aber in den Herkunftsländern gibt es zum Beispiel das duale Ausbildungssystem nicht. Oder ein Fachhochschulstudium ist auch weniger bekannt. Das heißt, Studierende mit Migrationshintergrund wählen in der Regel Fächer, die zu statushohen Berufen führen, Medizin, Jura, Wirtschaftswissenschaften, und die studiert man in der Regel an Universitäten und nicht an Fachhochschulen.
von Billerbeck: Aber gerade Jura ist ja so ein Fach, bei dem man ja sehr schnell scheitern kann. Das wissen ja auch Menschen, die nicht aus Zuwandererfamilien kommen und die deutsche Sprache durchaus gut beherrschen.
Diehl: Ja, die deutsche Sprache, da haben Sie ein ganz anderes Thema angesprochen. Das ist natürlich auch was, wozu man sagen kann, deutsche Sprache, da muss man ein bisschen vorsichtig sein. Diejenigen, die eine Hochschulzugangsberechtigung in der Tasche haben, die sprechen natürlich in der Regel sehr gut Deutsch. Wo es noch geringe Unterschiede gibt, die aber durchaus eine Rolle spielen können, ist, wenn es um Wissenschaftssprache geht oder auch um Schriftsprache. Sie müssen an den Unis viel schreiben und korrekt schreiben. Und da sehen wir, dass gerade bei denen, die an der Uni landen mit Migrationshintergrund, die selbst gewandert sind, zum Beispiel als Kinder nach Deutschland gekommen sind, was für viele Aussiedler gilt, dass es da durchaus noch an den sprachlichen Voraussetzungen etwas hapert.
Aber ich glaube, was ein viel wichtigerer Faktor ist, das darf auch nicht übersehen werden, und das gilt eigentlich für das gesamte Bildungssystem, ist der soziale Hintergrund. Die Studierenden mit Migrationshintergrund, die an den Unis landen, kommen sehr viel häufiger aus Elternhäusern, wo keiner einen akademischen Abschluss hat. Sie sind also Bildungsaufsteiger, Bildungspioniere, wenn Sie so wollen. Und das ist natürlich etwas, was weitreichende Implikationen hat. Sie können weniger ihre Eltern um Rat fragen, sie haben weniger Vorbilder in der Familie, und sie haben vor allen Dingen auch viel weniger finanzielle Unterstützung.
von Billerbeck: Was können nun die Unis tun, um es den Migranten zu erleichtern?
Diehl: Ich sag mal, für diese Bildungspioniere, ist eigentlich alles, was in Richtung stärkere Strukturierung und stärkere Unterstützung, gerade auch in den Bereichen geht, die vielleicht denjenigen ein bisschen fehlen, die das Akademische nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. Also Schreibtrainings zum Beispiel, eine Beratung, die auch durchaus verpflichtend ist.
Und das ist natürlich was, wo sich die Unis nicht immer ganz leicht tun, weil wir an den Unis halten unsere akademische Freiheit, unsere Wahlfreiheit sehr hoch. Jetzt kann man sagen, das ist für all die, die akademisch vorgebildet sind oder das System ein bisschen kennen, ist das sehr angenehm. Für diejenigen, die an den Unis ankommen und relativ orientierungslos sind, ist ein stärker strukturiertes Studium, vielleicht auch mit einer Pflichtberatung, vielleicht die bessere Alternative.
Die Universitäten müssen sich natürlich auch erst langsam auf eine zunehmende Diversität einstellen. Die waren sehr lange in Deutschland eine Klientel gewohnt, die keinen Migrationshintergrund hatte, die zu einem sehr hohen Anteil akademisch vorgebildet war, und müssen sich insofern auf diese neue Klientel einstellen. Und dass es diese neue Klientel gibt, das ist natürlich erfreulich. Das sind im Prinzip die Kinder der Gastarbeiter, die da landen, mit all den Problemen, die so ein Bildungsaufstieg mit sich bringt.
von Billerbeck: Die Migrationsforscherin Claudia Diehl war das über die Gründe für das Scheitern vieler Migranten an deutschen Universitäten und die Dinge, die sich auch ändern müssen an den Unis, um derlei künftig zu verhindern. Ich danke Ihnen, Frau Diehl, für das Gespräch!
Diehl: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.