Universum eines Schriftstellers
Swetlana Geier, deren Übersetzungen der großen Dostojewski-Romane Furore gemacht haben, will gegen das überlieferte pathetisch-religiöse Bild des Autors dessen Modernität herausarbeiten. Denn seine Romane schildern kein gottesfürchtiges, sondern ein sadistisches Universum voller Zweifel und Verzweiflung.
Im fiktiven deutschen Kurort Roulettenburg hat sich eine internationale Gesellschaft versammelt – "Der Spieler" ist der einzige Roman Dostojewskis, der seinen Schauplatz außerhalb Russlands hat. Der "Auslandsrusse" war in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts ein großes Thema (auch Turgenjew hat es im Roman "Rauch" behandelt). Der slawophile Dostojewski, der sich von der russischen Seele weltheilende Kräfte versprach, zeigt die globalisierten Existenzen freilich im scharfen Licht der Satire.
Ein verschuldeter russischer "General" und seine Familie stehen im Zentrum. Es gilt, die Forderungen junger Geliebter und französischer Hochstapler zu bedienen. Die einzige Hoffnung ist die alte, gelähmte Erbtante im fernen Russland: Stündlich erwarten die "Unsrigen" ihren Tod, der die finanzielle Rettung wäre. Großartig sind die 50 Seiten, die dem Besuch der alten Dame gewidmet sind. Dostojewski verschafft der Totgesagten einen fulminanten Auftritt. Unversehens trifft sie in Roulettenburg ein und stülpt die Verhältnisse um. Zur geradezu draufgängerischen Lebenskraft gesellt sich der Altersstarrsinn. In kurzer Zeit verspielt sie den größten Teil ihres Vermögens beim Roulett – und die Panik der voreiligen Erbengesellschaft wird als boshafte Komödie inszeniert.
Auch die eigentliche Hauptfigur, der Hauslehrer Alexej, ist (wie der Autor selbst) dem Spiel verfallen. Meisterhaft demonstriert Dostojewski, wie gerade die Euphorie der Gewinne die psychologische Voraussetzung für umso größere Verluste ist. Mit seinem Genie für nervöse, rauschhaft besessene Charaktere beschreibt er, wie Alexej starr und in Trance seine Einsätze bestimmt, nur Beine und Hände schlottern vor Angst: Nicht weniger als das Leben steht auf dem Spiel.
Ein anderes Glücksspiel, das in die Besinnungslosigkeit treiben kann, ist die Liebe. Dostojewski hatte damals eine gescheiterte Ehe und eine verunglückte Affäre zu verarbeiten. Das Verhältnis zwischen Alexej und Polina, der Tochter des Generals, zeigt ungeachtet einiger Längen eine faszinierende, ans Sadomasochistische grenzende Psychologie der Geschlechter, eine riskante Zündelei mit Gefühlen, eine Erotik der Exzentrizität.
Die klassischen Dostojewski-Übersetzungen besitzen eine Glätte, die wenig mit dessen rauem Duktus zu tun hat. Authentizität spielte gegenüber stilistischer Brillanz eine untergeordnete Rolle, gegebenenfalls wurde ein wenig "aufpoliert". Swetlana Geier, deren Übersetzungen der großen Dostojewski-Romane Furore gemacht haben, will gegen das überlieferte pathetisch-religiöse Bild des Autors dessen Modernität herausarbeiten. Bei aller Bedeutung der Erlösungssehnsucht schildern seine Romane durchaus kein gottesfürchtiges, sondern ein sadistisches Universum voller Zweifel und Verzweiflung. Die Figuren verwickeln sich in verbale Gefechte – ein Gesprudel der Meinungen, Ahnungen, Selbstentblößungen. Die Nervosität dieser gepeinigten Existenzen soll nicht in einem Ton zur Ruhe kommen, der inzwischen oft wie ein Großvaterton klingt. Geier nimmt Dostojewski beim Wort und arbeitet vor allem die Figurenrede und das "Stimmentheater" plastisch heraus. So entsteht im Deutschen jene Polyphonie, die Michail Bachtin als poetisches Grundprinzip von Dostojewskis Werken begriff.
Auch "Der Spieler" liest sich nun dynamischer und pointierter. Da wird zum Beispiel ein penetranter Oberkellner von der munteren Großtante als "Lebkuchenvisage" abgefertigt; das ist treffender als "Nürnberger Fratze" oder "Puppenfratze", wie in alten Übersetzungen zu lesen. Auch wenn sich auf der Inhaltsebene kaum etwas verändert – das Stakkato der Beschreibungen wirkt nun intensiver, vermeidet die geglättete Schriftsprache und nähert sich dem mündlichen Erzählen, mit elliptischen Sätzen ohne Verb oder dem oft abrupten Wechsel der Erzählzeit von der Vergangenheit in die Gegenwart. Hier wurde nicht ein alter Text geliftet – vielmehr zeigt er sich dank der Übersetzung von Swetlana Geier in der Frische, die ihm zukommt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Fjodor Dostojewski: Der Spieler
Aus dem Russischen von Swetlana Geier
Ammann Verlag, Zürich 2009
231 Seiten, 24,95 Euro
Ein verschuldeter russischer "General" und seine Familie stehen im Zentrum. Es gilt, die Forderungen junger Geliebter und französischer Hochstapler zu bedienen. Die einzige Hoffnung ist die alte, gelähmte Erbtante im fernen Russland: Stündlich erwarten die "Unsrigen" ihren Tod, der die finanzielle Rettung wäre. Großartig sind die 50 Seiten, die dem Besuch der alten Dame gewidmet sind. Dostojewski verschafft der Totgesagten einen fulminanten Auftritt. Unversehens trifft sie in Roulettenburg ein und stülpt die Verhältnisse um. Zur geradezu draufgängerischen Lebenskraft gesellt sich der Altersstarrsinn. In kurzer Zeit verspielt sie den größten Teil ihres Vermögens beim Roulett – und die Panik der voreiligen Erbengesellschaft wird als boshafte Komödie inszeniert.
Auch die eigentliche Hauptfigur, der Hauslehrer Alexej, ist (wie der Autor selbst) dem Spiel verfallen. Meisterhaft demonstriert Dostojewski, wie gerade die Euphorie der Gewinne die psychologische Voraussetzung für umso größere Verluste ist. Mit seinem Genie für nervöse, rauschhaft besessene Charaktere beschreibt er, wie Alexej starr und in Trance seine Einsätze bestimmt, nur Beine und Hände schlottern vor Angst: Nicht weniger als das Leben steht auf dem Spiel.
Ein anderes Glücksspiel, das in die Besinnungslosigkeit treiben kann, ist die Liebe. Dostojewski hatte damals eine gescheiterte Ehe und eine verunglückte Affäre zu verarbeiten. Das Verhältnis zwischen Alexej und Polina, der Tochter des Generals, zeigt ungeachtet einiger Längen eine faszinierende, ans Sadomasochistische grenzende Psychologie der Geschlechter, eine riskante Zündelei mit Gefühlen, eine Erotik der Exzentrizität.
Die klassischen Dostojewski-Übersetzungen besitzen eine Glätte, die wenig mit dessen rauem Duktus zu tun hat. Authentizität spielte gegenüber stilistischer Brillanz eine untergeordnete Rolle, gegebenenfalls wurde ein wenig "aufpoliert". Swetlana Geier, deren Übersetzungen der großen Dostojewski-Romane Furore gemacht haben, will gegen das überlieferte pathetisch-religiöse Bild des Autors dessen Modernität herausarbeiten. Bei aller Bedeutung der Erlösungssehnsucht schildern seine Romane durchaus kein gottesfürchtiges, sondern ein sadistisches Universum voller Zweifel und Verzweiflung. Die Figuren verwickeln sich in verbale Gefechte – ein Gesprudel der Meinungen, Ahnungen, Selbstentblößungen. Die Nervosität dieser gepeinigten Existenzen soll nicht in einem Ton zur Ruhe kommen, der inzwischen oft wie ein Großvaterton klingt. Geier nimmt Dostojewski beim Wort und arbeitet vor allem die Figurenrede und das "Stimmentheater" plastisch heraus. So entsteht im Deutschen jene Polyphonie, die Michail Bachtin als poetisches Grundprinzip von Dostojewskis Werken begriff.
Auch "Der Spieler" liest sich nun dynamischer und pointierter. Da wird zum Beispiel ein penetranter Oberkellner von der munteren Großtante als "Lebkuchenvisage" abgefertigt; das ist treffender als "Nürnberger Fratze" oder "Puppenfratze", wie in alten Übersetzungen zu lesen. Auch wenn sich auf der Inhaltsebene kaum etwas verändert – das Stakkato der Beschreibungen wirkt nun intensiver, vermeidet die geglättete Schriftsprache und nähert sich dem mündlichen Erzählen, mit elliptischen Sätzen ohne Verb oder dem oft abrupten Wechsel der Erzählzeit von der Vergangenheit in die Gegenwart. Hier wurde nicht ein alter Text geliftet – vielmehr zeigt er sich dank der Übersetzung von Swetlana Geier in der Frische, die ihm zukommt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Fjodor Dostojewski: Der Spieler
Aus dem Russischen von Swetlana Geier
Ammann Verlag, Zürich 2009
231 Seiten, 24,95 Euro