"Unkontrollierbares Wuchern"

Christian Unselt im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Ambrosia, Jakobskreuzkraut und Traubenkirsche gehören nicht zu den in Deutschland beheimateten Pflanzen. Eingeschleppt über den internationalen Handel, bedrohen sie den heimischen Bestand. Christian Unselt, Vizepräsident des NABU, sieht Gefahren für Ökologie und Landwirtschaft.
Gabi Wuttke: Kein ausgesprochener Hingucker, aber doch recht hübsch, die zarten, pinkfarbenen Blüten der Ambrosia. Im August bekommen die 20 Millionen Allergiker in Deutschland sie wieder zu spüren, mehr denn je, denn das Beifußgewächs breitet sich überall in Europa stark aus. Aber auch länger denn je, denn die Pollen treiben immer länger ihr Unwesen. Warum und mit welchen weiteren Folgen? Um diese Fragen zu beantworten, ist Christian Unselt, Vizepräsident vom NABU, Naturschutzbund Deutschland, am Telefon. Schönen guten Morgen!

Christian Unselt: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Breiten die Biester sich durch den Klimawandel so stark aus?

Unselt: Na, die Ambrosia ist vermutlich durch Vogelfutter bei uns ins Land gekommen und ist als eine Art, die bei uns günstige Lebensbedingungen vorfindet, obwohl sie von Natur aus hier nicht vorkommen würde, in der Lage, sich nun sehr stark auszubreiten.

Wuttke: Das heißt, nicht Klimawandel, sondern Globalisierung?

Unselt: Globalisierung des Samenhandels in diesem Falle, und insofern menschengemacht, ja.

Wuttke: Es gibt seit Kurzem eine Extrameldestelle für Ambrosien, angesiedelt allerdings nicht, wie man glauben könnte, im Gesundheits-, sondern im Landwirtschaftsministerium. Weshalb, was ist denn da der Schaden?

Unselt: Also, wir haben nicht nur durch die Ambrosia, sondern auch durch andere Pflanzenarten, die neu bei uns eingeschleppt wurden, durchaus große Schäden in der Landwirtschaft, weil die eben auch in landwirtschaftliche Kulturen eindringt, so dass sich die landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen dieses Themas angenommen haben und jetzt in diesem Falle eben die Daten sammeln, um dann Strategien zu entwickeln, wie diese Arten bekämpft werden können.

Wuttke: Ambrosien und welche anderen Pflanzen schaden tatsächlich noch, ohne dass wir es vielleicht jetzt unbedingt als Nichtlandwirte wissen?

Unselt: Also, wir haben zum Beispiel in der Landwirtschaft auch Probleme mit dem Jakobskreuzkraut. Eine durchaus unscheinbare Pflanzenart, wenn man sie so in der Landschaft draußen sieht, der normale Spaziergänger wird sie wahrscheinlich gar nicht sonderlich wahrnehmen. Aber sie ist für Weidetiere giftig und kann auf diese Weise zu Problemen auf landwirtschaftlichen Weideflächen führen. Oder wir haben auch die spät blühende Traubenkirsche beispielsweise, das ist eine Baumart, die mal zu forschlichen Zwecken bei uns eingeführt wurde und die sich heute massiv in Wäldern ausbreitet und der Forstwirtschaft durchaus große Probleme bereitet bei der Neubegründung von Wäldern mit standortheimischen Baumarten, beispielsweise der Buche.

Wuttke: Wieso, was machen die denn?

Unselt: Na, die verjüngen sich einfach. Also, die bilden sehr viele Samen, die dann von Vögeln in den Wald verbreitet werden, wo die auf den Boden kommen, dann keimen die und wachsen. Und die sind sehr wuchskräftig, haben sehr dunkles Laub, wodurch sie eben sehr viel Schatten auf dem Boden verursachen und andere Baumarten, die Licht und Luft brauchen, um zu wachsen, also Eiche beispielsweise auch, haben darunter dann keine Chance, verkümmern und gehen ein. Und die Folge im Wald ist, dass wir streckenweise im gesamten Jungbestand nur noch spät blühende Traubenkirsche haben, die als Baumart weder für die Natur von Bedeutung ist, weil es eben keine darauf angepassten Tiere gibt, die dann davon leben könnten, und sie ist auch forstlich uninteressant, weil Sie mit dem Holz außer zu Brennholzzwecken eigentlich nichts machen können.

Wuttke: Das heißt, das ist ein vor allem ökologischer Schaden?

Unselt: Das ist ein ökologischer Schaden, aber durchaus auch ein wirtschaftlicher Schaden.

Wuttke: Inwiefern?

Unselt: Na, weil Sie eben keine anderen Bäume, die der Förster jetzt am Ende gerne wieder ernten würden, in dem Wald dann haben, oder Sie müssen einen hohen Aufwand treiben, der eben Geld kostet, um die gewünschten Baumarten dann tatsächlich in der Waldentwicklung auch durchzubringen.

Wuttke: Nun werden ja seit Jahrhunderten überall auf der Welt Pflanzen eingeführt, die dort eigentlich nicht wachsen. Heißt denn, fremd ist immer gleich gefährlich?

Unselt: Nein. Es gibt sehr viele Arten, die bei uns eingebracht wurden, die sich in unsere Lebensräume hier so einnischen, dass sie keinen Schaden anrichten werden, in ökologischer noch in ökonomischer Hinsicht. Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe – und das dürften so Größenordnung um die 100 Arten sein –, die sogenannt invasiv sind, das heißt, die sich invasionsartig massenhaft vermehren und die dann andere Arten – und das ist eben der große ökologische Schaden –, die eigentlich in den jeweiligen Lebensräumen zu Hause wären, verdrängen.

Wuttke: Wenn man sich mit dem Thema eingehender beschäftigt, dann kann man den Eindruck eines großen Drohpotenzials bekommen, wenn da beispielsweise vom grünen Krebs die Rede ist. Würden Sie diesen Begriff benutzen, ist das tatsächlich so gefährlich einzuschätzen?

Unselt: Na, ich bin immer vorsichtig mit solchen Vergleichen. Ich denke, Krebs ist jetzt aus der Sicht der menschheitlichen Gesundheit schon noch mal was anderes als die Einbringung von solchen Arten. Aber es ist schon für verschiedene Lebensräume durchaus bedrohlich, weil es eben auch ein unkontrollierbares Wuchern, und insofern mag der Vergleich mit dem Krebs vielleicht nicht ganz falsch sein, gibt. Wir haben beispielsweise entlang von Flussläufen in Auenlebensräumen, die ursprünglich zu den, gerade auch, was die Pflanzenvielfalt angeht, sehr artenreichen Lebensräumen gehört, so Arten wie das Drüsige Springkraut oder auch den Japanischen Knöterich, die auch sehr große Pflanzen bilden und absolute Dominanzbestände dort hinbekommen und unter denen dann eben nichts anderes mehr wächst. Und wenn die in einem, so einem Gebiet erst mal drin sind, dann breiten die sich aus. Sie können sie nur noch mit massiven mechanischen Maßnahmen, also Maht oder Ausreißen, versuchen wieder zu bekämpfen, aber wenn der Bestand mal eine gewisse Größe erreicht hat, ist es am Ende kaum noch möglich. Und das wuchert dann in der Tat immer weiter. Und bei Bachläufen ist es so, dass dann mit dem fließenden Wasser diese Pflanzen und die Samen auch bachabwärts getragen werden, das heißt, die breiten sich immer weiter aus, erobern sich auch neue Regionen und Gebiete und sind insofern schon eine große Bedrohung für die dort vorkommenden natürlichen Pflanzenarten.

Wuttke: Das heißt aber doch auch, nicht alles Einheimische ist schützenswert? Oder doch?

Unselt: Also, ich würde zunächst schon mal davon ausgehen, dass alles Einheimische über einen langen Zeitraum, ja im Grunde seit der Eiszeit, sich evolutiv angepasst hat und in einer bestimmten Lebensgemeinschaft seinen Platz hat und insofern erhaltenswert ist. Wir haben unter den einheimischen Arten keine, die in so einer Form invasiv jetzt in andere Lebensräume eindringen. Die sind in eine bestimmte Lebensgemeinschaft angepasst, leben da drin im Gleichgewicht auch mit anderen Arten und haben eben nicht so die Tendenz, andere Arten zu verdrängen. Das ist jetzt schon durch die invasiven Arten, die von außen reinkommen, eben so, dass die die heimische Artenvielfalt eben gefährden, indem sie gerade die kleineren und anspruchsvolleren, empfindlicheren Arten verdrängen.

Wuttke: Das heißt, man sollte die, die gefährlich sind, weil sie sich so massenhaft verbreiten, sofort am Schopfe packen?

Unselt: Genau. Wenn man die erste Pflanze erwischt und rausreißt und damit eine Ansiedlung in einem neuen Raum verhindern kann, dann ist das der richtige Weg.

Wuttke: Schädliche Pflanzen vermehren sich im Schweinsgalopp. Wie das einzuschätzen ist, dazu Christian Unselt vom Naturschutzbund Deutschland. Danke dafür!

Unselt: Ja, gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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