Ronen Steinke: "Vor dem Gesetz ist nicht jeder gleich"
Berlin Verlag, Berlin 2022
272 Seiten, 20 Euro
Jan Keuchel und Christina Zühlke: "Tatort Polizei. Gewalt, Rassismus und mangelnde Kontrolle. Ein Report"
C.H.Beck, München 2021
219 Seiten, 16 Euro
Unrecht im Rechtsstaat
Unter Einsatz massiver Gewalt wurde Sven von der Polizei in Köln festgenommen. Zu Unrecht. Doch er war den Beamten hilflos ausgeliefert. © picture alliance / Fotostand
Je teurer der Anwalt, umso geringer die Strafe
41:45 Minuten
Reiche Angeklagte sind vor Gericht im Vorteil, sagt der Jurist Ronen Steinke. Die Reporter Christina Zühlke und Jan Keuchel haben erhebliche Regelverletzungen der Polizei aufgedeckt. Zwei Bücher zeigen: Unser Rechtsstaat hat düstere Schattenseiten.
Es muss uns empören, wie ohnmächtig man dem Rechtsstaat ausgeliefert sein kann, sagt der Jurist und Journalist Ronen Steinke. Ob man als sozial Schwacher oder sozial Starker dem Rechtsstaat gegenübertrete, sei ein großer Unterschied.
Ein Beispiel dafür ist der Fall, den die beiden Investigativ-Reporter Christina Zühlke und Jan Keuchel recherchiert haben. Sven, ein junger Mann, geriet in die Mühlen der Justiz und drohte darin zerrieben zu werden.
Durch einen Schlag geht Sven zu Boden
Zühlke und Keuchel haben den Fall für ihr Buch "Tatort Polizei" aufgearbeitet. Sven hatte am Christopher-Street-Day in Köln teilgenommen, erzählt Zühlke. Er wollte die Toilette eines Fastfood-Restaurants in der Nähe des Doms benutzen. Dort stritten sich ein Mann und zwei Frauen und es kam zu einer Rangelei. Sven wollte helfen und den Streit schlichten. Doch die Restaurantleiterin hatte bereits die Polizei gerufen.
Als die Beamten eintrafen, war der fremde Mann verschwunden und die Polizisten wollten Svens Ausweis sehen. Ein Wort gab das andere.
Nach einem heftigen Schlag fiel Sven bewusstlos zu Boden. Die Polizei nahm ihn mit zur Wache, wo sich das Unrecht fortsetzte. Am Ende wurde Sven angeklagt und stand als mutmaßlicher Täter vor Gericht.
Nach gründlicher Aufarbeitung des Sachverhalts kam das Amtsgericht zum Schluss: Sven ist unschuldig und Opfer der Polizei geworden. Die ermittelnde Staatsanwältin bekam auch vom Landgericht, der nächsthöheren Instanz, bescheinigt, dass Sven nicht Täter, sondern Opfer gewesen sei. Doch die Staatsanwältin ging bis zum Oberlandesgericht. Auch dort bekam sie es schriftlich: Sven ist unschuldig.
Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt
"Beobachter fragten sich bei jeder Instanz, wann gegen die Polizisten ermittelt wird", berichtet Zühlke. Die Reporter fanden heraus, dass die Staatsanwältin auch die Ermittlungen gegen die Polizisten führte. Und schnell wieder einstellte.
"Die Staatsanwaltschaft ist auf die Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen", sagt Zühlke und kritisiert, dass es keine unabhängige, übergeordnete Instanz gibt, die Fehler der Polizei unter die Lupe nimmt.
Sven hatte Glück. Er konnte sich einen Anwalt leisten, der ihn durch die Instanzen begleitet und beraten hat.
Doch vor Gericht gibt es zahlreiche Fallstricke, schreibt Ronen Steinke in seinem Buch "Vor dem Gesetz ist nicht jeder gleich". Das System benachteilige beispielsweise mittellose Angeklagte.
Dafür nennt Steinke in seinem Buch zahlreiche Beispiele. Anhand von anderen Fällen, wie den Prozessen gegen Uli Hoeneß oder VW-Chef Herbert Diess, beschreibt er zugleich Beispiele dafür, wie wohlhabende Angeklagte mit einer verhältnismäßig milden Strafe davonkommen. "Je teurer der Anwalt, desto unschuldiger der Angeklagte", schlussfolgert Steinke.