Unser Babylon
Die Sprache ist es, die den Menschen auszeichnet. Sie macht ihn einmalig, mächtig und verletzlich, alles zugleich. Auch wenn Sprache nur eine Form der Kommunikation ist, so ist sie doch eine sehr besondere Form. Gedichte und Gebete gibt es nur in Sprache.
Wenn man den Begriff der Sprache weiter ausdehnt, auf Rückkoppelung, kommt man zum Kern dessen, was Sprache ausmacht, zur Erkenntnis, dass Sprechen allein nicht reicht. Sprechen setzt nämlich voraus, dass es einen anderen gibt, der dieselbe Sprache spricht. Einerseits Reden, andererseits gehört und verstanden werden, das ist die Seele der Sprache. Wie poetisch, wie intelligent, wie überzeugend, wie gebildet auch immer ich spreche - alles verhallt, wenn keiner da ist, der mich hört, der mir zuhört, der mich ernst nimmt und - mir antwortet. Und wenn der andere meine Sprache nicht versteht, dann bin auch ich, trotz meiner schönen Rede, stumm. Die saloppe, scheinbar harmlose Formel "Der spricht nicht meine Sprache" verstößt den anderen letztlich aus der Gesellschaft.
Diese Einsicht macht deutlich, dass Gesellschaft nur möglich ist, wenn es das Gespräch gibt, Rede und Antwort. Alles andere ist Fluch und Verhängnis und trostlose Einsamkeit. So ist auch immer die biblische Metapher vom babylonischen Sprachengewirr verstanden worden. Jeder spricht, aber eben eine andere Sprache, und keiner versteht keinen: Allgemeine Sprachlosigkeit als eine Form des Untergangs. Wenn man so will, ist jenes biblische Bild von der Sprachenverwirrung die erste und bis heute am hellsten nachklingende Warnung vor der multikulturellen, vor der pluralistischen Gesellschaft. Denn die Sprache der anderen, das sagt die Bibel, ist Teil einer anderen Kultur, eines anderen Wertesystems, Dschungel und Chaos.
Auch das ist ein Argument für das Erlernen der klassischen Sprachen, Griechisch und Latein. Durch sie werden wir erst eigentlich zu jenen Europäern, die wir zu sein behaupten. Wer eine andere Sprache benützt, ist auch ein anderer Mensch: Der vermittelt eine andere Welt, der lebt in einer anderen Welt. Um die Brücke von einer Sprache zur anderen zu beschreiten, reichen kein Wörterbuch, kein Sprachkurs und kein guter Wille. Um die Kultur, die Religion, die Geschichte der anderen zu erkennen, muss man den Unterschied anerkennen, vor allem den. Selbst in der eigenen Kultur muss man ja historische, kulturelle, religiöse Grenzen respektieren können. Noch heute, in unserer durch und durch säkularisierten Gesellschaft tun Katholiken und Protestanten sich schwer, eine gemeinsame Sprache beim Abendmahl zu finden.
Es geht also nicht nur um Sprechen und um Verstehen, sondern auch um ein drittes: um die Übersetzung. Und hier liegt das Problem: Der Unternehmer spricht eine andere Sprache als der Wissenschaftler, der Politiker eine andere als der Techniker. Alle reden miteinander und müssen miteinander reden, aber alle missverstehen einander – mal mehr, mal weniger. Ein berühmter Soziologe, Niklas Luhmann, hat dafür den Begriff 'Komplexitätsgewinn' gefunden. Gemeint ist, dass wir immer mehr in unserer eigenen, in einer für die anderen fremden Welt leben. Damit entfernen sich unsere Sprachen und unsere Kulturen - Subkulturen genannt - immer weiter voneinander. Jeder spricht für sich allein. Kommunikation wird immer schwieriger, oft unmöglich.
Das macht Angst. Partner, besonders Ehepartner können immer weniger miteinander reden. Die Scheidungsrate steigt. Deswegen gibt es so viele Ehe-, Partner- und Gesprächsberatungen. Und teure 'Experten' beraten Politiker, doch die Politiker verstehen sie nicht. Große Wissenschaftler schreiben in der Tagespresse, und die Leser gähnen. Den klugen Worten, dem profunden Wissen - ob über Gehlen oder Geldfluss - gelingt das Entscheidende nicht: der Bezug zum Lebenszusammenhang des Hörers, des Lesers, des Klienten, des Politikers. Jedes Wort, das kein Du anspricht, spricht ins Leere. Ein jedes Du sucht seine Antwort. Deswegen ist Massenkommunikation nur eine scheinbare, eine ganz trostlose Lösung. Alles, die ganze Welt wird zur "Bild"-Zeitung. So versteht jeder alles und nichts. "Brave New World" sage ich deswegen, um wenigstens von denen verstanden zu werden, die schon längst verstanden haben.
Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von "Paragrana" (Akademie-Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften wie Zeitschriften "Merkur" und "Universitas".
Diese Einsicht macht deutlich, dass Gesellschaft nur möglich ist, wenn es das Gespräch gibt, Rede und Antwort. Alles andere ist Fluch und Verhängnis und trostlose Einsamkeit. So ist auch immer die biblische Metapher vom babylonischen Sprachengewirr verstanden worden. Jeder spricht, aber eben eine andere Sprache, und keiner versteht keinen: Allgemeine Sprachlosigkeit als eine Form des Untergangs. Wenn man so will, ist jenes biblische Bild von der Sprachenverwirrung die erste und bis heute am hellsten nachklingende Warnung vor der multikulturellen, vor der pluralistischen Gesellschaft. Denn die Sprache der anderen, das sagt die Bibel, ist Teil einer anderen Kultur, eines anderen Wertesystems, Dschungel und Chaos.
Auch das ist ein Argument für das Erlernen der klassischen Sprachen, Griechisch und Latein. Durch sie werden wir erst eigentlich zu jenen Europäern, die wir zu sein behaupten. Wer eine andere Sprache benützt, ist auch ein anderer Mensch: Der vermittelt eine andere Welt, der lebt in einer anderen Welt. Um die Brücke von einer Sprache zur anderen zu beschreiten, reichen kein Wörterbuch, kein Sprachkurs und kein guter Wille. Um die Kultur, die Religion, die Geschichte der anderen zu erkennen, muss man den Unterschied anerkennen, vor allem den. Selbst in der eigenen Kultur muss man ja historische, kulturelle, religiöse Grenzen respektieren können. Noch heute, in unserer durch und durch säkularisierten Gesellschaft tun Katholiken und Protestanten sich schwer, eine gemeinsame Sprache beim Abendmahl zu finden.
Es geht also nicht nur um Sprechen und um Verstehen, sondern auch um ein drittes: um die Übersetzung. Und hier liegt das Problem: Der Unternehmer spricht eine andere Sprache als der Wissenschaftler, der Politiker eine andere als der Techniker. Alle reden miteinander und müssen miteinander reden, aber alle missverstehen einander – mal mehr, mal weniger. Ein berühmter Soziologe, Niklas Luhmann, hat dafür den Begriff 'Komplexitätsgewinn' gefunden. Gemeint ist, dass wir immer mehr in unserer eigenen, in einer für die anderen fremden Welt leben. Damit entfernen sich unsere Sprachen und unsere Kulturen - Subkulturen genannt - immer weiter voneinander. Jeder spricht für sich allein. Kommunikation wird immer schwieriger, oft unmöglich.
Das macht Angst. Partner, besonders Ehepartner können immer weniger miteinander reden. Die Scheidungsrate steigt. Deswegen gibt es so viele Ehe-, Partner- und Gesprächsberatungen. Und teure 'Experten' beraten Politiker, doch die Politiker verstehen sie nicht. Große Wissenschaftler schreiben in der Tagespresse, und die Leser gähnen. Den klugen Worten, dem profunden Wissen - ob über Gehlen oder Geldfluss - gelingt das Entscheidende nicht: der Bezug zum Lebenszusammenhang des Hörers, des Lesers, des Klienten, des Politikers. Jedes Wort, das kein Du anspricht, spricht ins Leere. Ein jedes Du sucht seine Antwort. Deswegen ist Massenkommunikation nur eine scheinbare, eine ganz trostlose Lösung. Alles, die ganze Welt wird zur "Bild"-Zeitung. So versteht jeder alles und nichts. "Brave New World" sage ich deswegen, um wenigstens von denen verstanden zu werden, die schon längst verstanden haben.
Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von "Paragrana" (Akademie-Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften wie Zeitschriften "Merkur" und "Universitas".