Der Weltklasse-Unterhaltungskünstler: Wolf Haas
"Rückwärts durch die Knie betrachtet war die Welt immer am schönsten." Das ist wieder so ein grenzgenialer Satz aus dem neuen Roman von Wolf Haas. Schaut man mal auf diese Weise, also rückwärts durch die Knie, auf so ein Monument wie den Literaturnobelpreis, dann gehört als nächstes ganz klar dieser österreichische Schriftsteller ausgezeichnet. Ein Weltklasse-Unterhaltungskünstler – und gut ausschauen tut er auch noch!
Seriös-betagte, längst überfällige Kandidaten wie Peter Nadás, Margaret Atwood, Amos Oz und Ruth Klüger haben ja meine Kollegen jetzt auch schon genug vorgebracht. Und Wolf Haas kann einfach alles, was man sich von einem Autor wünscht: Gut aussehen, wie gesagt, und gut, nein fantastisch erzählen. Mit dem ersten Satz zieht er einen hinein ins schräge Haas-Universum, ob da der grantige Privatdetektiv Brenner drin herumstolpert, ein Alter-Ego des Autors eine Liebesgeschichte in Interviewform erzählt wie in "Das Wetter vor 15 Jahren" oder das absurde Pubertätsdrama eines dicklichen Burschen aufgeführt wird wie im aktuellen Bestseller "Junger Mann".
Der Haas-Sound ist so eigenwillig und unverkennbar wie die ersten Takte eines David-Bowie oder Bob Dylan-Songs. Der hat ihn ja schon bekommen und das war nicht unmutig von der Jury, wie die Österreicher mit ihrer Vorliebe für Doppelnegationen sagen. Würde die neue Akademie sich trauen, Wolf Haas den nächsten Literaturnobelpreis zu geben, möchte man mit dem Brenner beglückt seufzen: "Nirwana nichts dagegen."
Wäre Ruth Klüger eine geeignete Kandidatin für den Literaturnobelpreis?© Bachmannpreis / imago / Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Die Barbarei durch Literatur bezwingen: Ruth Klüger
Würde der Literaturnobelpreis in diesem Jahr vergeben, für mich hieße die Ausgezeichnete Ruth Klüger. Die österreichisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, geboren 1931 in Wien, musste als Kind die Torturen dreier Konzentrationslager erdulden.
Gerettet hat Klüger, so sagt sie selbst, die Lyrik. Das Reimen bewahrte sie davor, den Verstand zu verlieren. In "Zerreißproben", einem lebensumspannenden Gedichtband finden sich auch jene unvergleichlichen Verse, die sie als Zwölf- und Dreizehnjährige über die Öfen von Auschwitz verfasste. Das WIE des Überlebens und des Weiterlebens bestimmt Klügers Schreiben, das von der Erfahrung des Todes grundiert, dennoch das Leben bejaht und dabei stets kritisch die Möglichkeiten der Literatur, das Verhältnis von Ethik und Ästhetik befragt.
Ruth Klüger bringt das scheinbar Unsagbare, das Unsägliche zur Sprache, sie bezwingt die Barbarei durch die Literatur. Sie legt Zeugnis ab über die Verbrechen der Vergangenheit und zugleich schärft sie den Blick für die Unmenschlichkeiten auch unserer Tage. Den Literaturnobelpreis 2018 müsste, ginge es nach mir, Ruth Klüger erhalten.
Wiebke Porobmkas Plädoyer für Ruth Klüger zum Nachhören:
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Wäre Peter Nadas ein geeigneter Kandidat für den Literaturnobelpreis?© picture alliance / Erwin Elsner / imago / Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Der literarische Extremist: Péter Nádas
Würde der Literaturnobelpreis dieses Jahr verliehen, erhielte ihn: Péter Nádas. Er wäre nach Imre Kertész 2002 erst der zweite Ungar, der die angesehene Auszeichnung erhält.
Péter Nádas ist ein literarischer Extremist mit ausgesprochen guten Manieren. Seine großen Romane sprengen mit 1000 oder gar 1800 Seiten den üblichen Umfang. Die üblichen Vorstellungen, was ein Roman ist, lassen sie ohnehin weit hinter sich. Fremd ist seinen Erzählern nichts. Der Roman "Parallelgeschichten" schildert das 20. Jahrhundert der Gewalt, der Massen und der Ideologien mit einer Vielzahl von Figuren, Orten und Zeiten. Die vielen Parallelen ergeben ein verschwenderisch üppiges Dickicht aus höchst individuellen Lebensgeschichten, aus Verschwörungen, Moden, Massenerschießungen, Esssitten, Rezepten, Gerüchen von Leichen, Exkrementen und lebenden Menschen, dazu Musik, Schulfreundschaften, Judesein und Assimilation, Reisebeschreibungen, Lektüren und immer wieder Wohnungen, Häuser, Straßen, Brücken. In "Aufleuchtende Details" folgt der Leser den Assoziationsketten des Erzählers und erfährt so viel wie nie zuvor über einen Menschen, der Péter Nádas heißt – und, das lässt sich nicht vermeiden, über sich. Lesen als Grenzerfahrung, das schenkt einem Péter Nádas.
Jörg Plaths Plädoyer für Péter Nádas zum Nachhören:
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Ein "Literaturnobelpreis" für Margaret Atwood?© imago / Leemage / Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Macht und Ohnmacht: Margaret Atwood
Wenn es in diesem Jahr einen Literaturnobelpreis geben würde, dann müsste ihn - natürlich - unbedingt Margaret Atwood bekommen! Was für eine großartige Erzählerin, die weiß, welche Macht Geschichten haben können. Für mich steht die Kanadierin schon lange ganz oben, beim britischen Wettanbieter Ladbrokes gilt sie seit Jahren als klare Favoritin. Über die Jahrzehnte hat die 78-Jährige ein gewaltiges Werk von mehr als 50 Büchern geschaffen, darunter Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays, aber auch Theaterstücke und Opern-Libretti - keine Gattung ist dieser hellwachen Autorin fremd. Mal als Science-Fiction, mal als Historien- oder Kriminalroman.
Allein für ihren dystopischen Roman "Der Report der Magd" aus dem Jahr 1985 hätte Atwood den Literaturnobelpreis verdient. Ein düsteres schauderhaftes Meisterwerk über einen totalitären Staat, mit dem sich Atwood stark und selbstbewusst in die Reihe ihrer großen Helden Huxley und Orwell gestellt hat.
Seitdem hat Margaret Atwood auch unseren Blick geschärft: Nämlich für das, was passieren kann, wenn die Kraft der Fantasie in die falschen Hände gerät. Macht und Ohnmacht, Überwachen und Strafe, das sind die großen Themen der Margaret Atwood.
Wenn ich es mir aussuchen dürfte: Literaturnobelpreis 2018 an Margaret Atwood.
Amos Oz hätte den Literaturnobelpreis gewiss verdient, findet Carsten Hueck.© imago / epd / Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Immer wieder überraschend: Amos Oz
Gäbe es in diesem Jahr einen Literaturnobelpreis, wäre es höchste Zeit, ihn an Amos Oz zu verleihen. Der israelische Schriftsteller wird im nächsten Jahr 80 - ich wünsche ihm natürlich, dass er 120 wird, so könnte er noch weiterhin ein paar Jahrzehnte seine großartigen Bücher schreiben. Immer wieder aufs neue überraschen sie mit Originalität, Fantasie, Humor, Leidenschaft und unsentimentalem Realismus. Aber ich finde: Der Preis für das umfangreiche und vielfältige Werk dieses Autors ist schon lange fällig, spätestens aber seit "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" 2002.
Seit über einem halben Jahrhundert schreibt Oz Erzählungen, Romane, Essays, Kinderbücher. Übersetzt sind sie in mehr als 40 Sprachen. Amos Oz hat die hebräische Sprache und die Literatur seines Landes genauso verändert wie den Blick der Welt auf dieses Land. Sprachliche Kreativität, modern, zeitgemäß und dabei auch biblische Resonanzräume eröffnend, politisches Engagement jenseits von Parolen oder Prophezeiungen, Durchdringung jüdischer und humanistischer Traditionen, das Aufwerfen moralischer Fragen – all das macht das Werk von Amos Oz unbedingt nobelpreiswürdig.
Carsten Huecks Plädoyer für Amos Oz können Sie hier nachhören:
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Der Lesart-Literatur "Nobelpreis" an Murakami?© imago / Christian Thiel / Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Kultur als Remix: Haruki Murakami
Wenn es in diesem Jahr einen Literaturnobelpreis geben würde, dann müsste ihn natürlich endlich Haruki Murakami bekommen. Auf den japanischen Schriftsteller würde ich bei Ladbrokes mein letztes Geld verwetten - und das nicht nur, weil er zu den Superstars auf dem internationalen Literaturmarkt gehört.
Für mich ist Haruki Murakami einer der wichtigsten Vertreter einer neuen, globalisierten Literatur: Romane wie "Wilde Schafsjagd", "Mister Aufziehvogel" oder "Naokos Lächeln" sind einerseits fest in Japan verankert – über die matt schimmernden Oberflächen ihrer Texte huschen allerdings die Schatten der deutschen Romantik, der Sound erinnert an Chandler und Hammett und die masochistische Neigung seiner Protagonisten zur Melancholie erinnert genauso an Yasunari Kawabata wie an F. Scott Fitzgerald.
Kultur als Remix: Wer verstehen will, wie die Welt durch japanische Zeichentrickserien, MTV und Facebook immer kleiner geworden ist und warum man sich trotzdem so verdammt verloren darin fühlen kann, der muss Haruki Murakami lesen.
Die Lobeshymne von Kolja Mensing auf Haruki Murakami hier zum Nachhören:
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Hintergrund: Im Mai dieses Jahres kündigte die Schwedische Akademie an, für 2018 keinen Nobelpreis für Literatur zu vergeben. Vorausgegangen war ein Belästigungs- und Korruptionsskandal, der im Rahmen der #metoo-Debatte an die Öffentlichkeit kam. Mehrere Mitglieder der Jury legten daraufhin aus Protest ihre Arbeit nieder. Der Nobelpreis für Literatur soll nun im nächsten Jahr für 2018 und 2019 gemeinsam verliehen werden. Zunächst müsse man sich intern wieder neu aufstellen.