"Unser Sozialstaat ist keine Schönwetterveranstaltung"

Thomas Oppermann im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Nach Einschätzung von Thomas Oppermann sind trotz der Wirtschaftskrise in Deutschland keine politischen Unruhen zu befürchten. Es gebe keinen Anlass zur Sorge, da der deutsche Sozialstaat funktioniere, betonte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion.
Jörg Degenhardt: Wird das ein heißer Freitag? Die Wirtschaftskrise und die Angst vor Arbeitsplatzverlust werden ganz sicher die Kundgebungen der Gewerkschaften am 1. Mai bestimmen. Verschiedene Politiker fürchten eine Zunahme von Gewalt an diesem Tag. Andere sehen soziale Unruhen in zwei, drei Monaten heraufziehen, wenn die Zahl der Menschen ohne Job spürbar wachsen sollte und die politisch Verantwortlichen nicht angemessen reagieren. Szenarien, die von anderen wiederum als Panikmache abgetan werden. Gesine Schwan, die SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, will gleichwohl von ihrer Warnung, dass die Stimmung im Zuge der Wirtschaftskrise explosiv werden könnte, nichts zurücknehmen. – Thomas Oppermann ist jetzt am Telefon, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Oppermann.

Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Degenhardt.

Degenhardt: Wie ernst ist denn die Lage? Blicken Sie auch schon mit ein bisschen Sorge auf den 1. Mai und darüber hinaus?

Oppermann: Die Wirtschaftslage ist ernst. Die Institute prognostizieren einen Einbruch von sechs Prozent. Das hat die Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt, das ist eine Bewährungsprobe auch für die Demokratie und für die Politik in diesem Land. Aber ich denke, wir haben keinen Grund, uns große Sorgen über politische Unruhen zu machen.

Degenhardt: Warum nicht?

Oppermann: Weil wir daran arbeiten müssen, dass unser Sozialstaat funktioniert, dass die soziale Sicherheit funktioniert. Unser Sozialstaat – das zeigt doch der Beginn der Krise – ist keine Schönwetterveranstaltung, sondern er kann Arbeitsplätze schützen. Wir haben die Kurzarbeit verlängert von 12 auf 18 Monate. Jetzt überlegen wir, sie weiter zu verlängern auf 24 Monate, auch den Arbeitgebern, die vielleicht über einen solchen langen Zeitraum keine Kurzarbeit finanzieren können, zu helfen bei der Finanzierung ihrer Arbeitgeberbeiträge.

Degenhardt: Entschuldigung, wenn ich da gleich mal einhake. Da warnen aber zum Beispiel Wirtschaftsweise davor, genau diese Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, das würde den notwendigen Strukturwandel hemmen.

Oppermann: Wir können doch jetzt in der Krise nicht den Strukturwandel vorantreiben; wir müssen doch jetzt sehen, dass Industriearbeitsplätze in Deutschland so gut wie möglich geschützt werden. Diese Krise dauert vielleicht etwas länger, als wir ursprünglich angenommen hatten, aber nach der Krise gibt es auch wieder einen Aufschwung und an diesem Aufschwung werden doch nur die Länder teilhaben, die dann auch noch Industriearbeitsplätze haben, in denen industrielle Strukturen erhalten geblieben sind. Im Augenblick müssen wir konservativ sein. Für Strukturwandel gibt es bessere Zeiten. In der Krise müssen die Arbeitsplätze geschützt werden und dazu kann der Staat durch vernünftige Politik beitragen.

Degenhardt: Das heißt, die Krise ist beherrschbar, und nicht, dass die Krise uns beherrscht?

Oppermann: Wir müssen natürlich aufpassen. Gesine Schwan hat Recht. Die Nazis haben ja die Weltwirtschaftskrise durchaus ausgenutzt, um am Ende die Demokratie in Weimar zu zerstören. Die Weltwirtschaftskrise war ein Grund für das Ende der Demokratie in Deutschland, aber nicht der einzige. Wir haben heute eine stabile Demokratie. Wir haben Gewerkschaften, die eingebunden sind durch Mitbestimmung in unser demokratisches System. Diese Gewerkschaften tragen Verantwortung und ich finde, gerade in der Krise handeln sie auch verantwortungsvoll. Wenn ich jetzt sehe, dass die ganzen Betriebsräte praktisch das Co-Management in den Unternehmen übernehmen, dann ist das doch eine ganz andere Situation, als wir sie in der Weimarer Republik hatten. Damals hatten wir eben keine funktionierende Sozialversicherung. Die Leute bekamen nur kurz Arbeitslosengeld und waren dann praktisch auf Almosen angewiesen. Die Situation ist grundlegend anders. Aber ich wiederhole und ich betone: Die Politik muss jetzt alles tun, um Arbeitsplätze in diesem Land zu schützen, um die Krise abzumildern, um Kaufkraft zu stärken, damit ein Teil des wegfallenden Exportes jetzt durch Binnennachfrage kompensiert werden kann.

Degenhardt: Ihr Parteivorsitzender, Herr Oppermann, der will den Kapitalismus nicht lackieren, der will ihn in die Mülltonne der Geschichte befördern. Mal abgesehen davon, dass das mehr nach Lafontaine als nach Müntefering klingt, aber war Ihre Partei nicht auch an einigen Fehlentwicklungen der Marktwirtschaft beteiligt? DGB-Chef Sommer meint zum Beispiel, auch die SPD sei vom Kurs der Deregulierung und des Sozialabbaus infiziert gewesen.

Oppermann: Nicht jede Bürokratie ist ja automatisch vernünftig. Ich finde, überflüssige Regeln müssen auch weg, aber das ist eine ganz andere Debatte. Der Turbo-Kapitalismus gehört in der Tat in die Mülltonne, ein Kapitalismus, der nur den Profit und nur das Geldprinzip kennt. Wir treten ein für die soziale Marktwirtschaft, und was in den letzten Jahren vernachlässigt worden ist, das sind die Regeln der sozialen Marktwirtschaft und da sehe ich nicht bei der SPD die Verantwortung. Das sehe ich bei der politischen Konkurrenz (insbesondere bei der Union und bei der FDP). Die haben Debatten geführt darüber, wie der Markt den Vorrang haben kann. Die haben letztlich den Primat der Politik auch in Frage gestellt. Der Markt soll es richten, das war doch die Botschaft. Diese Botschaft ist falsch. Das zeigt sich jetzt. Eine soziale Marktwirtschaft braucht Regeln, braucht einen handlungsfähigen Staat, der die Regeln setzt, aber auch durchsetzt. Das muss in Zukunft passieren, damit sich solche Krisen nicht wiederholen.

Degenhardt: Aber hat die SPD nicht auch ein gerüttelt Maß Schuld an einer Verschärfung der Gerechtigkeitsproblematik, um Frau Schwan noch einmal zu zitieren? Ich denke da an die Rente mit 67 oder an die Hartz-IV-Gesetzgebung.

Oppermann: Aber diese Gesetzgebung hat doch dazu beigetragen, dass wir im Augenblick stabile Sozialversicherungen haben. Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Überschuss von 17 Milliarden Euro. Der reicht im Augenblick bis Mitte nächsten Jahres, um die Krisenfolgen zu bewältigen. Ohne die Stabilität dieser Sozialversicherungen, ohne die Arbeitsmarktreformen wären wir doch heute der Krise weitgehend schutzlos ausgeliefert. Man muss doch jetzt erkennen, dass gerade diese Reformen dazu beigetragen haben, dass wir jetzt mit einem robusten Sozialstaat in die Krise gehen.

Degenhardt: Das war Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch.

Oppermann: Ich bedanke mich auch.