"Unser Ziel ist die Nulltoleranz"
Die Nichtregierungsorganisation Transparency International fordert die detaillierte Veröffentlichung von Nebeneinkünften aller Bundestagsabgeordneten. Wie Transparency-Chefin Edda Müller sagt, sollen so mögliche Interessenskonflikte aufgedeckt und Korruptionsgefahren verringert werden.
Deutschlandradio Kultur: Meine Gesprächspartnerin ist heute Edda Müller. Sie ist die Vorsitzende von Transparency International Deutschland e.V., also der deutschen Sektion dieser weltweit tätigen Antikorruptionsorganisation. Guten Tag, Frau Müller.
Edda Müller: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, Sie waren in Ihrer langen beruflichen Laufbahn in diversen Ministerien und Bundesbehörden tätig. Sie waren als Landesministerin in Schleswig-Holstein eine Politikerin, als ehemalige Chefin der Verbraucherzentrale Bundesverband waren Sie auch so eine Art Lobbyistin. Jetzt sind Sie Hochschulprofessorin. Aus diesen vielfältigen Erfahrungen gesehen, ist die Berliner Republik korrupter als die Bonner Republik vielleicht war?
Edda Müller: Die Frage kann ich nicht beantworten, weil Korruption eigentlich dadurch definiert, dass sie sich im Geheimen abspielt. Was wir auf jeden Fall sagen können, ist, die Sensibilität für das Thema ist enorm gewachsen, so dass vielleicht einfach mehr bekannt wird, was vielleicht in der Vergangenheit unter der Decke gehalten wurde.
Korruption ist in den Mittelpunkt der politischen Diskussion geraten – und nicht ganz ohne Grund. Ich glaube auch, dass die Politiker, politische Akteure inzwischen merken, dass Demokratie zentral auf das Vertrauen der Menschen angewiesen ist in die Integrität der Personen, die in der Politik arbeiten, aber auch der politischen Institutionen. Von daher hat das Thema Korruption einen völlig neuen Stellenwert bekommen.
Zu der Zeit, als ich begonnen habe in den 70er Jahren, damals im Bundesinnenministerium, war in der Tat Korruption kein Thema. Man hat sich auch gar nicht vorstellen können, dass sich Politiker bestechen lassen oder dass Verbände, die ihre Interessen gegenüber der Politik artikulierten – das haben die damals gemacht, das machen die heute –, das mit illegitimen Mitteln tun. Das war damals außerhalb der Vorstellung. Man glaubte, das ist etwas, was irgendwo fernab in Entwicklungsländern möglicherweise der Fall ist, aber nicht bei uns.
Deutschlandradio Kultur: Heute ist es nicht mehr außerhalb der Vorstellung. Deshalb musste der designierte Kanzlerkandidat der SPD Peer Steinbrück sich diese Woche hinstellen und sagen, er sei nicht käuflich. Er hat jetzt seine Nebentätigkeiten offen gelegt. Hat er damit ein Zeichen gesetzt für umfassende Transparenz bei Politikereinkünften?
Edda Müller: Er hat auf jeden Fall aus der Not eine Tugend gemacht. Er hat eine offensichtlich sehr, sehr intensive Vortragstätigkeit gehabt. Er hat alles so berichtet, wie das zu der damaligen Zeit oder gegenwärtig von den Regeln her notwendig war. Aber ich glaube schon, dass mit dieser Aktion die Regeln verschärft werden, vor allen Dingen für das künftige Notwendigsein, dass man nicht nur die Beträge offen legt, sondern auch die Auftraggeber. Für uns bei Transparency ist eigentlich viel wichtiger als das Informiertsein über Summen die Fragen von möglichen Interessenkonflikten. Wer ist eigentlich hier Auftraggeber? Steht das im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen, etwa mit Gesetzgebungsvorhaben, die im Bundestag beraten werden, um da mögliche Interessenkonflikte, mögliche mangelnde Unbefangenheit dann auch wirklich beurteilen zu können.
Deutschlandradio Kultur: Die Regierungskoalition will jetzt ja etwas tun. Sie hat ein Zehnstufenprogramm oder ein Zehnstufenmodell auf den Weg gesetzt, das ausweisen soll, wer wie viel verdient. Aber bei dem Punkt, den Sie jetzt auch angesprochen haben, wo das Geld eigentlich herkommt, wer dieses Geld zahlt, kommt mir das ein bisschen vage vor, was die Bundesregierung da vor hat. Sehen Sie das auch so?
Edda Müller: Die Vorschläge kommen aus dem Bundestag. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen sind jetzt hier zusammen und debattieren das in der so genannten Rechtsstellungskommission. Die Bundesregierung ist hier weniger betroffen. In der Tat, wir kennen natürlich diese Vorschläge, 10 Stufen. Aber was es konkret bedeutet, auch im Hinblick auf Abgeordnete, die zum Beispiel gleichzeitig Nebentätigkeiten im Rahmen von Anwaltstätigkeit haben oder als Unternehmensberater, das ist noch alles ein bisschen unklar. Hier werden wir mit Sicherheit Nachbesserung fordern und vor allen Dingen Transparenz und klare Aussagen, dass der Zusammenhang – wie gesagt – von inhaltlichen Themen, von Branchen, für die man sich einsetzt, und der Tätigkeit oder den Bezügen oder einzelnen Honoraren, die ein Abgeordneter bekommt, sehr deutlich gemacht wird.
Deutschlandradio Kultur: Der Opposition geht dieses Zehnstufenmodell – also von 1.000 bis 250.000 € Einkünftigen nicht weit genug. Die wollen das auf Heller und Pfennig abgerechnet sehen. Was soll das an zusätzlichen Erkenntnissen bringen, wenn man genau den Betrag weiß und nicht nur so eine Stufe, in der sich der Betrag bewegt?
Edda Müller: Zunächst mal muss man sagen: Warum will man nun genau diesen nächsten Schritt, der eigentlich zwangsläufig ist, wirklich zu sagen, klar Heller und Pfennig und von wem kommt das, eigentlich nicht gehen? Indem man diese Stufen bis 250.000 € ausgeweitet hat, trägt man der Tatsache Rechnung, dass anscheinend Nebentätigkeiten, Honorare für Vortragstätigkeiten, aber es gibt auch andere Nebentätigkeiten, weit über dem Betrag liegen, der heute die oberste Grenze, nämlich 7.000 €, festmacht. Insofern ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber wir sagen: Nun, jetzt wirklich alles auf den Tisch! Von daher unterstützen wir die Position der Oppositionsfraktionen, die sagen, jetzt wirklich alles offenlegen.
Deutschlandradio Kultur: Soll es denn generell eine Obergrenze geben, wie viel ein Abgeordneter im Jahr nebenher verdienen darf?
Edda Müller: Das würden wir hier nicht einfordern. Wir wünschen uns, dass auch durch die Transparenz das Gefühl der politischen Akteure für das, was sich gehört und was sich nicht gehört, wieder geschärft wird, so ähnlich, wie ja auch die Debatten über die Gehälter von Managern in Unternehmen, die ja zum Teil astronomische Summen haben. Und natürlich werden diese Gehälter auf die Preise aufgeschlagen. Insofern sind es im einen Fall möglicherweise die Steuerzahler, die etwas bezahlen, im anderen Fall ist es der Verbraucher. Das ist unanständig. So ähnlich würde ich das auch in der Politik sehen.
Ich würde mich jetzt nicht dafür stark machen, und wir von Transparency, dass wir sagen, ein Abgeordneter darf nur eine Summe X verdienen. Wir brauchen sehr, sehr gute Leute in der Politik. Wir brauchen auch Menschen, die sich – und das tun die meisten auch – einen vollen Tag und meistens sieben Tage in der Woche für ihre Aufgabe einsetzen. Von daher ist ja in unserer Gesellschaft inzwischen die Wertigkeit von Funktionen auch ein bisschen an die materielle Seite geknüpft. Was nichts kostet, ist nichts wert. Wer zu wenig eventuell für etwas verdient, etwas bekommt, hat möglicherweise im Bewusstsein vieler Menschen auch eine nebensächliche Bedeutung. Von daher, soweit würden wir also nicht gehen, dass wir hier eine Obergrenze festschreiben lassen wollten.
Deutschlandradio Kultur: Ich fasse zusammen: Abrechnung auf Heller und Pfennig wäre schon gut. Und man soll vor allem auch wissen, woher das Geld kommt und welche Interessen da möglicherweise betroffen wären. Glauben Sie denn, dass so eine verschärfte Regelung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten gerichtsfest wäre? Denn das Bundesverfassungsgericht hat ja schon bei der letzten Regelung einige Bedenken gehabt.
Edda Müller: Also, da will ich mich als Nichtjuristin jetzt nicht hier auf ein schwieriges Parkett begeben und mutmaßen, was Juristen dazu sagen könnten. Art. 38 GG verlangt die Freiheit und die Unabhängigkeit von Abgeordneten, aus unserer Sicht bedeutet das ja nicht nur, dass sie nicht weisungsabhängig sein dürfen, sondern auch, dass sie nicht etwa durch wirtschaftliche Abhängigkeit von bestimmten Kreisen hier in ihrer Rolle als Politiker beeinträchtigt sind. Das wären Kriterien, die man hier beurteilen müsste. Aber ansonsten ist man immer gut beraten, wenn man den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreift.
Deutschlandradio Kultur: Gönnen wir also den Politikern, dass sie was nebenher verdienen, dass sie neben der Politik auch noch ein Einkommen haben und ein Leben haben und auch nach der Politik, Frau Müller. Das kann dann aber dazu führen, das Leben nach der Politik, dass ein Ex-Politiker nach dem Ausscheiden aus dem Amt vielleicht für jemanden arbeitet, der zuvor von Entscheidungen eben dieses Politikers profitiert hat.
Das klassische Beispiel: Gerhard Schröder setzte als Bundeskanzler die Ostsee-Gas-Pipeline durch und arbeitet anschließend für Gazprom. Ist so etwas anrüchig?
Edda Müller: Ich glaube, Gerhard Schröder war nicht gut beraten, unmittelbar im Anschluss an sein Amt als Bundeskanzler eine solche Aufgabe zu übernehmen. Wir wünschen uns eine – wir nennen das mal – "Abkühlungsphase", dass man zwischen dem Verlassen eines politischen Amtes drei Jahre mindestens vergehen lässt, bevor man eine gut bezahlte Position in der Wirtschaft, in Aufsichtsräten oder sonst wo übernimmt, die unmittelbar etwas mit dem Zuständigkeitsbereich zu tun hat, für den man vorher verantwortlich war, weil sonst in der Tat die Gefahr, dass man sich in der Rolle als Politiker, als Staatssekretär, als Minister schon orientiert an möglichen Positionen, die man danach bekleiden könnte, weil diese Möglichkeit natürlich dann gegeben ist. Die sollte nicht sein.
Deutschlandradio Kultur: Aber jemand, der ein wichtiges Amt bekleidet hat, bringt dann auch nach drei Jahren Karenzzeit ja immer noch seine Verbindungen mit, sein Adressbuch, seine persönlichen Freunde. Ist es da auch ganz zu verhindern, dass es da zu große Interessensnähen gibt?
Edda Müller: Was ist die Alternative? Wir fordern auf der einen Seite Politiker, die nicht an ihrem Sessel kleben, die auch wieder zurückgehen in einen Beruf. Ich bedaure manchmal, dass wir heute einen Politikertypus haben, der praktisch von der Schulzeit, nach der Universität, wenn man dann studiert hat, unmittelbar in eine politische Funktion geht und dann, wenn er eine Familie ernähren muss, wenn er nicht aus einer superreichen Familie kommt, danach sein Leben ja aus anderen Quellen gestalten muss. Von daher von Politiker zu verlangen, dass sie keine Zukunft haben in einem Beruf, wäre völlig kontraproduktiv, weil wir damit noch mal wieder diesen Bereich der Politik als eine eigene Klasse abschotten würden, die überhaupt keine Mobilität kennt – weder aus dem Beruf in die Politik, aus einem kommerziellen Beruf, noch wieder zurück. Von daher, drei Jahre Karenzzeit ist wichtig.
Entscheidend ist ja nicht, dass jemand sich in einem Bereich auskennt, sondern entscheidend ist, und wir nennen das in der Definition von Korruption, die wir benutzen, der "Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Nutzen oder Vorteil". Anvertraute Macht haben diese Leute, wenn sie drei Jahre aus dem Amt sind, nicht mehr, dass sie das tatsächlich unmittelbar beeinflussen können. Von daher drei Jahre, das würden wir fordern, aber kein generelles Berufsverbot für Politiker, die aus ihren Ämtern entlassen worden sind.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, am 9. Dezember 2003 wurde in Merida in Mexiko die UN-Konvention gegen Korruption feierlich unterzeichnet, auch von einem Vertreter Deutschlands. Seither ist dieses Abkommen von 161 Staaten ratifiziert worden, nicht aber von der Bundesrepublik – warum denn bloß nicht?
Edda Müller: Das ist wirklich das Trauerspiel, mit dem wir uns jetzt seit Jahren rumschlagen. Die UN-Konvention sieht bestimmte Regeln im Hinblick auf die Strafbarkeit der Bestechlichkeit von Abgeordneten vor bei uns im Bundestag, in den Landtagen, aber auch in den Kommunalparlamenten. Und der Text der Konvention verlangt eine strengere Regelung als die, die wir derzeit im Strafrecht haben. Wir haben in § 108e StGB eine Strafbarkeit des Kaufs von Stimmen. Ein Abgeordneter, der sich kaufen lässt, damit er zum Beispiel in einer bestimmten Weise abstimmt, ob die Hauptstadt Berlin oder Bonn ist und was man sich so vorstellen könnte. Das ist strafbar, aber nicht die Beeinflussung im politischen Prozess, also bei Abstimmungen, bei Beratungen im Ausschuss oder innerhalb der Fraktion.
Von daher muss hier nachgebessert werden. Und im Deutschen Bundestag haben sich seit 2003, also fast 10 Jahre lang, keine Mehrheiten gefunden, um eine solche Verschärfung der einschlägigen Vorschrift durchzubringen. Deshalb können wir nicht ratifizieren.
Deutschlandradio Kultur: Aber warum diese Widerstände? Die Bundesregierung, wenn ich das richtig verstanden habe, will den § 108 eh, also diesen Abgeordnetenbestechungsparagraphen, durchaus regulieren, die Opposition sowieso. Die Internationale Handelskammer Deutschland hat im Namen wirklich der Creme de la Creme der deutschen Unternehmen einen Brandbrief an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag geschrieben, doch endlich diese Konvention zu ratifizieren, weil deutsche Firmen im Ausland an Ansehensverlust leiden würden. – Wer bremst denn da?
Edda Müller: Derzeit bremsen die Mehrheitsfraktionen. Das sind die Fraktionen von CDU/CSU und FDP.
Deutschlandradio Kultur: Und warum?
Edda Müller: Da gibt es das Argument unter anderem, dass – ich erwähnte bereits den Art. 38 GG, der die Stellung des Abgeordneten definiert – dieser eine strengere Bestrafung von Abhängigkeit oder Bestechung verfassungsrechtlich untersage, was wir für völlig absurd halten, weil die Beeinträchtigung der Freiheit und Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Abgeordneten natürlich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich gegeben sein könnte. Man könnte genauso gut umgekehrt fordern, dass unsere Verfassung im Art. 38 GG es verlangt geradezu, dass hier eine ganz klare Regelung da ist.
Aber was befürchten die Abgeordneten wirklich? Wir nehmen das durchaus ernst. Abgeordnete sagen: Unser tägliches Geschäft ist, mit Menschen zu reden, in Betriebe zu gehen, Informationen dort einzuholen, mit den Menschen zu sprechen. Und natürlich bedeutet das, dass man auch in den Betrieben möglicherweise bewirtet wird, dass man bei Winzerfesten bewirtet wird usw. Die Abgeordneten sagen, die Definition dessen, was ich als Abgeordneter tun darf und was ich nicht tun darf, wo also die Grenze zur Bestechlichkeit gegeben ist, die ist sehr schwer zu definieren. Von daher befürchtet man, dass man ununterbrochen in den Verdacht gerät, bestechlich zu sein und damit vor die Gerichte gezogen wird. Und da ein Politiker in der Regel natürlich nicht abwarten kann, bis dann nach mehreren Monaten oder manchmal noch länger ein Gericht entschieden hat oder eine Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet hat, ist ein Politiker in der Regel schon politisch sozusagen geschädigt. Das ist das, was die Abgeordneten befürchten.
Wir glauben aber, dass diese Argumente nicht stichhaltig sind, sondern dass man durchaus eine Regelung treffen kann, die muss in anderen Ländern ja auch existieren, es ist ja nicht so, dass wir das hier neu erfinden müssen, wonach man klar definieren kann, was ein Abgeordneter darf und was nicht.
Im US-Kongress zum Beispiel ist klar gesagt, dass keinerlei Geschenke oder ähnliches angenommen werden darf, die mehr als 25 Dollar kosten. Über diese Grenze kann man sich unterhalten, sollen die Abgeordneten sich unterhalten, wo man das ansetzt. Bei Beamten zum Beispiel ist die Grenze bei zehn Euro festgesetzt. Und ansonsten gibt es ein sehr detailliertes Regelwerk, was ein Beamter oder ein Angestellter im Öffentlichen Dienst darf und was nicht. So etwas kann man vergleichbar als Regelung auch für Abgeordnete entwickeln. Von daher hoffen wir sehr, im Moment sind drei Gesetzentwürfe in den parlamentarischen Beratungen, dass auch der Appell, der noch mal von 30 großen deutschen DAX-Unternehmen formuliert worden ist, die gesagt haben: Wir sind eine Exportnation, wir sind darauf angewiesen, dass wir im Auslandsgeschäft einerseits selber nicht bestechlich sind und zum anderen dass wir hier deutlich machen, dass wir bestimmte Praktiken in einzelnen Ländern nicht tolerieren wollen.
Und da kriegen wir entgegen gehalten: Aber was macht denn eure Regierung? Was macht denn Deutschland? Deutschland ist in der nicht besonders angenehmen Bündnispartnerschaft mit Ländern wie Saudi Arabien und Syrien an dem Punkt. Deshalb haben wir gesagt: Leute, ihr müsst da jetzt endlich mal was tun.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, wir reden die ganze Zeit über Abgeordnete, aber die Einflussnahme interessierter Kreise auf die Politik kann ja auch auf ganz anderen Wegen stattfinden – Stichwort Lobbyismus. In Berlin soll es um die 5.000 Lobbyisten geben. Transparency schlägt vor, ein zentrales Lobbyistenregister anzulegen. Was soll das bringen?
Edda Müller: Zunächst einmal ganz deutlich: Auch Transparency Deutschland ist ein Lobbyist. Wir lobbyieren dafür, dass zum Beispiel die UN-Konvention gegen Korruption nun endlich ratifiziert wird. Also, Interessen zu vertreten gegenüber der Politik, ist legitim – ob das Verbraucherinteressen, Wirtschaftsinteressen, Gewerkschaftsinteressen oder eben Umweltinteressen sind. Entscheidend ist, dass es transparent zugeht, dass keine illegalen Praktiken, dass man etwa – und das ist heute eine neue Form Lobbyismus, in der das üblich geworden ist – kommerzielle Dienstleister einschaltet, die mit allen Tricks von Meinungsbeeinflussung, über Leserbriefe, die lanciert werden, und in anderer Form, eine bestimmte Stimmung erzeugen wollen.
Jeder, der im politischen Prozess Meinung vermittelt und auch kommerzielle Informationen, sagen wir, muss sich registrieren. Deshalb dieses Lobbyregister. Aber wir würden da nicht aufhören. Wir wollen auch, dass im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren dokumentiert wird, welche Interessen angehört worden sind, welche nicht angehört worden sind. Das ist häufig noch viel wichtiger, denn wir brauchen eine ausgewogene und gerechte Interessenberücksichtigung. Nicht jedes Interesse kann immer siegen, aber es muss gehört werden. Es muss argumentativ abgewogen werden. Und es muss in den parlamentarischen Beratungen von Gesetzentwürfen mit zu einem Thema gemacht werden.
Wir hatten vor vielen Jahren im Finanzmarkt Regelungen, wo man zum Beispiel die Hedgefonds für den Privatkundenmarkt zugelassen hat. Damals war ich im Verbraucherschutz und habe gesagt: Das sollte man nicht tun. Aber in der Politik wurden im Wesentlichen die Banken und die großen Finanzdienstleister gehört, aber nicht die Verbraucher. Das ist etwas, was wir ändern wollen. Von daher hier Transparenz hereinzubekommen, Ausgewogenheit in der Interessenartikulation und der Anhörung, das ist das, was wir hier fordern.
Das muss natürlich dann auch politisch diskutiert werden. Die Transparenz als solche bringt nichts, wenn sie nicht als Kontrollinstrument auch wirklich benutzt wird.
Deutschlandradio Kultur: Nun drücken Lobbyisten sich ja nicht nur in der berühmten namensgebenden Parlamentslobby herum oder treffen sich in Edelrestaurants in Berlin Mitte mit Politikern. Teilweise haben sie auch ganz offiziell ihre Schreibtische in Ministerien und Behörden und arbeiten da als Berater für Geld. – Geht das zu weit?
Edda Müller: Diese Form, wie Sie sie gerade schildern, dass ein Mitarbeiter einer großen Bank oder eines großen Unternehmens im Ministerium an einer einschlägigen Vorschrift arbeitet, das ist sicherlich etwas, das jede Unabhängigkeit von Politikberatung durch diesen Ministerialapparat natürlich ins Absurde kehrt. Das kann nicht sein.
Allerdings ist es durchaus legitim aus unserer Sicht, dass man Mitarbeiter auch aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, auch aus Unternehmen mal hospitieren lässt, dass sie den politischen Prozess kennen lernen, dass sie wissen, wie es dort eigentlich zugeht – aber auch da immer wieder: Die Namen müssen klar sein. Wenn jemand, der eine solche Funktion hat, in der Öffentlichkeit für das Ministerium auftritt, dann muss klar sein, wer das eigentlich ist, wo der herkommt, was er möglicherweise für einen Arbeitgeber in seiner ständigen Berufstätigkeit hat. Und das darf nicht versteckt werden.
Deutschlandradio Kultur: Gesetzgebungsverfahren sind ja sehr kompliziert, vor allem, wenn man auch abschätzen will, was sie eigentlich für Folgen haben können. Sie haben gerade das Beispiel Hedgefonds erwähnt. Das geht ja dann manchmal an die Grenzen der Kompetenz von Bürokratien. Und dann holt man sich gerne externen Sachverstand. Holt man sich damit dann auch Einflüsterer ins Haus?
Edda Müller: Zunächst einmal, ein Ministerialapparat verfügt über einen hochkompetenten Apparat von Menschen, die dort das Geschäft verstehen. Ich komme ja auch aus der Umweltpolitik, da muss nicht in dem Ministerium jemand sitzen, der bis ins Detail genau die Beweglichkeit von Schwermetallen im Boden oder im Gewässer oder so was analysieren kann. Deshalb hat es natürlich immer, und das ist auch heute so und war so, dass im Ministerialapparat im Wesentlichen politische Manager sind, die vorbereiten und die natürlich auch Sachverstand hereinholen.
Dazu haben sie zum Beispiel Fachbehörden, nachordnete Behörden, das Umweltbundesamt im Umweltschutz und andere Behören, die sie beraten. Und sie können Gutachten vergeben. Sie können Fachleute anhören. Es geht immer darum, dass man deutlich macht, dass es nicht einäugig ist, dass es abgewogen ist und ausgewogen und vor allen Dingen, dass man erkennen kann, ob es eine Abhängigkeit eines Experten gibt von zum Beispiel wirtschaftlichen Kreisen.
Der berühmte Experte für Gesundheitsfragen oder bestimmte pharmakologische Fragen, der seinen Hauptforschungsbereich im Wesentlichen finanziert bekommt von der Pharmaindustrie, das muss bekannt gemacht werden, damit man weiß, hier ist kein unabhängiger Sachverständiger, dessen Rat man vielleicht unhinterfragt dann auch als wissenschaftliche Meinung, sondern möglicherweise ist das ein gekaufter Lobbyist.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, was vielleicht nicht jeder weiß, in Ihrer Zeit im Bundesumweltministerium, die Sie gerade angesprochen haben, hatten Sie wesentlichen Anteil an der Formulierung des ersten Klimaziels der Bundesregierung. Es ging damals um die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes bis 2005. Haben Sie auch ein Korruptionsziel für Deutschland? Im weltweiten Korruptionsindex von Transparency International stehen wir ja auf Platz 14, was für europäische Verhältnisse eher mittelprächtig ist.
Edda Müller: Sie sprechen jetzt etwas an, das man in der Politik – und das ist gerade in der Klimapolitik so, aber das gilt auch für uns – immer Ziele braucht, an denen man sich orientiert, auch gerade weil, in der Regel müssen ja vielfältige Maßnahmen in die Gänge kommen. Und die haben so eine Art Ziele, haben eine Koordinationsfunktion. Ich habe immer gesagt, sie sind wie ein Leuchtturm in einem Hafen und alle Schiffe müssen in Richtung dieses Ziels fahren. Wenn man jedem Einzelnen den Weg vorgeben würde, wäre es kompliziert.
Unser Ziel ist bei Transparency die Nulltoleranz. Wir wissen, das ist ein ganz hohes Ziel, aber für einzelne Unternehmen und für die jeweils anzusprechenden Akteure ist es kein unrealistisches Ziel. Es muss in einem Unternehmen Geschäftspolitik sein, Botschaft an die Mitarbeiter, wir machen keinerlei Korruptionsgeschichten. Wir lassen uns nicht bestechen und wir bestechen auch niemanden.
Da muss sich auch rumsprechen, dass Korruption auch betriebswirtschaftlich äußerst problematisch ist. Mir wurde erzählt, ich habe das nicht nachgeprüft, dass der deutsche Maschinenbau, einer unserer großen erfolgreichen Exportbereiche, ohne Bestechung und ohne Korruption deshalb schon auskommt, weil die einfach so gute Produkte liefern. Die haben es nicht nötig, irgendwo Bestechungsgelder zu zahlen, weil, sie sind meistens hochpreisig, aber sie sind sehr gut. Und das weiß man. Das heißt, wenn man besticht, verschleiert man seine echte Wettbewerbssituation am Markt. Man hat möglicherweise die Illusion, dass man weiter auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist, aber in Wirklichkeit ist man das nur, weil man irgendjemanden bestochen hat.
Von daher Nulltoleranz in den konkreten Bereichen. Das ist ein realistisches Ziel. Und das ist das, worauf wir hinarbeiten. Dass man Kriminalität, dass man kriminelles Verhalten nicht von dieser Welt verbannen können wird, das ist uns auch bekannt, aber das heißt nicht, dass wir uns nicht diesem Ziel verschreiben.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Edda Müller: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, Sie waren in Ihrer langen beruflichen Laufbahn in diversen Ministerien und Bundesbehörden tätig. Sie waren als Landesministerin in Schleswig-Holstein eine Politikerin, als ehemalige Chefin der Verbraucherzentrale Bundesverband waren Sie auch so eine Art Lobbyistin. Jetzt sind Sie Hochschulprofessorin. Aus diesen vielfältigen Erfahrungen gesehen, ist die Berliner Republik korrupter als die Bonner Republik vielleicht war?
Edda Müller: Die Frage kann ich nicht beantworten, weil Korruption eigentlich dadurch definiert, dass sie sich im Geheimen abspielt. Was wir auf jeden Fall sagen können, ist, die Sensibilität für das Thema ist enorm gewachsen, so dass vielleicht einfach mehr bekannt wird, was vielleicht in der Vergangenheit unter der Decke gehalten wurde.
Korruption ist in den Mittelpunkt der politischen Diskussion geraten – und nicht ganz ohne Grund. Ich glaube auch, dass die Politiker, politische Akteure inzwischen merken, dass Demokratie zentral auf das Vertrauen der Menschen angewiesen ist in die Integrität der Personen, die in der Politik arbeiten, aber auch der politischen Institutionen. Von daher hat das Thema Korruption einen völlig neuen Stellenwert bekommen.
Zu der Zeit, als ich begonnen habe in den 70er Jahren, damals im Bundesinnenministerium, war in der Tat Korruption kein Thema. Man hat sich auch gar nicht vorstellen können, dass sich Politiker bestechen lassen oder dass Verbände, die ihre Interessen gegenüber der Politik artikulierten – das haben die damals gemacht, das machen die heute –, das mit illegitimen Mitteln tun. Das war damals außerhalb der Vorstellung. Man glaubte, das ist etwas, was irgendwo fernab in Entwicklungsländern möglicherweise der Fall ist, aber nicht bei uns.
Deutschlandradio Kultur: Heute ist es nicht mehr außerhalb der Vorstellung. Deshalb musste der designierte Kanzlerkandidat der SPD Peer Steinbrück sich diese Woche hinstellen und sagen, er sei nicht käuflich. Er hat jetzt seine Nebentätigkeiten offen gelegt. Hat er damit ein Zeichen gesetzt für umfassende Transparenz bei Politikereinkünften?
Edda Müller: Er hat auf jeden Fall aus der Not eine Tugend gemacht. Er hat eine offensichtlich sehr, sehr intensive Vortragstätigkeit gehabt. Er hat alles so berichtet, wie das zu der damaligen Zeit oder gegenwärtig von den Regeln her notwendig war. Aber ich glaube schon, dass mit dieser Aktion die Regeln verschärft werden, vor allen Dingen für das künftige Notwendigsein, dass man nicht nur die Beträge offen legt, sondern auch die Auftraggeber. Für uns bei Transparency ist eigentlich viel wichtiger als das Informiertsein über Summen die Fragen von möglichen Interessenkonflikten. Wer ist eigentlich hier Auftraggeber? Steht das im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen, etwa mit Gesetzgebungsvorhaben, die im Bundestag beraten werden, um da mögliche Interessenkonflikte, mögliche mangelnde Unbefangenheit dann auch wirklich beurteilen zu können.
Deutschlandradio Kultur: Die Regierungskoalition will jetzt ja etwas tun. Sie hat ein Zehnstufenprogramm oder ein Zehnstufenmodell auf den Weg gesetzt, das ausweisen soll, wer wie viel verdient. Aber bei dem Punkt, den Sie jetzt auch angesprochen haben, wo das Geld eigentlich herkommt, wer dieses Geld zahlt, kommt mir das ein bisschen vage vor, was die Bundesregierung da vor hat. Sehen Sie das auch so?
Edda Müller: Die Vorschläge kommen aus dem Bundestag. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen sind jetzt hier zusammen und debattieren das in der so genannten Rechtsstellungskommission. Die Bundesregierung ist hier weniger betroffen. In der Tat, wir kennen natürlich diese Vorschläge, 10 Stufen. Aber was es konkret bedeutet, auch im Hinblick auf Abgeordnete, die zum Beispiel gleichzeitig Nebentätigkeiten im Rahmen von Anwaltstätigkeit haben oder als Unternehmensberater, das ist noch alles ein bisschen unklar. Hier werden wir mit Sicherheit Nachbesserung fordern und vor allen Dingen Transparenz und klare Aussagen, dass der Zusammenhang – wie gesagt – von inhaltlichen Themen, von Branchen, für die man sich einsetzt, und der Tätigkeit oder den Bezügen oder einzelnen Honoraren, die ein Abgeordneter bekommt, sehr deutlich gemacht wird.
Deutschlandradio Kultur: Der Opposition geht dieses Zehnstufenmodell – also von 1.000 bis 250.000 € Einkünftigen nicht weit genug. Die wollen das auf Heller und Pfennig abgerechnet sehen. Was soll das an zusätzlichen Erkenntnissen bringen, wenn man genau den Betrag weiß und nicht nur so eine Stufe, in der sich der Betrag bewegt?
Edda Müller: Zunächst mal muss man sagen: Warum will man nun genau diesen nächsten Schritt, der eigentlich zwangsläufig ist, wirklich zu sagen, klar Heller und Pfennig und von wem kommt das, eigentlich nicht gehen? Indem man diese Stufen bis 250.000 € ausgeweitet hat, trägt man der Tatsache Rechnung, dass anscheinend Nebentätigkeiten, Honorare für Vortragstätigkeiten, aber es gibt auch andere Nebentätigkeiten, weit über dem Betrag liegen, der heute die oberste Grenze, nämlich 7.000 €, festmacht. Insofern ist das schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber wir sagen: Nun, jetzt wirklich alles auf den Tisch! Von daher unterstützen wir die Position der Oppositionsfraktionen, die sagen, jetzt wirklich alles offenlegen.
Deutschlandradio Kultur: Soll es denn generell eine Obergrenze geben, wie viel ein Abgeordneter im Jahr nebenher verdienen darf?
Edda Müller: Das würden wir hier nicht einfordern. Wir wünschen uns, dass auch durch die Transparenz das Gefühl der politischen Akteure für das, was sich gehört und was sich nicht gehört, wieder geschärft wird, so ähnlich, wie ja auch die Debatten über die Gehälter von Managern in Unternehmen, die ja zum Teil astronomische Summen haben. Und natürlich werden diese Gehälter auf die Preise aufgeschlagen. Insofern sind es im einen Fall möglicherweise die Steuerzahler, die etwas bezahlen, im anderen Fall ist es der Verbraucher. Das ist unanständig. So ähnlich würde ich das auch in der Politik sehen.
Ich würde mich jetzt nicht dafür stark machen, und wir von Transparency, dass wir sagen, ein Abgeordneter darf nur eine Summe X verdienen. Wir brauchen sehr, sehr gute Leute in der Politik. Wir brauchen auch Menschen, die sich – und das tun die meisten auch – einen vollen Tag und meistens sieben Tage in der Woche für ihre Aufgabe einsetzen. Von daher ist ja in unserer Gesellschaft inzwischen die Wertigkeit von Funktionen auch ein bisschen an die materielle Seite geknüpft. Was nichts kostet, ist nichts wert. Wer zu wenig eventuell für etwas verdient, etwas bekommt, hat möglicherweise im Bewusstsein vieler Menschen auch eine nebensächliche Bedeutung. Von daher, soweit würden wir also nicht gehen, dass wir hier eine Obergrenze festschreiben lassen wollten.
Deutschlandradio Kultur: Ich fasse zusammen: Abrechnung auf Heller und Pfennig wäre schon gut. Und man soll vor allem auch wissen, woher das Geld kommt und welche Interessen da möglicherweise betroffen wären. Glauben Sie denn, dass so eine verschärfte Regelung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten gerichtsfest wäre? Denn das Bundesverfassungsgericht hat ja schon bei der letzten Regelung einige Bedenken gehabt.
Edda Müller: Also, da will ich mich als Nichtjuristin jetzt nicht hier auf ein schwieriges Parkett begeben und mutmaßen, was Juristen dazu sagen könnten. Art. 38 GG verlangt die Freiheit und die Unabhängigkeit von Abgeordneten, aus unserer Sicht bedeutet das ja nicht nur, dass sie nicht weisungsabhängig sein dürfen, sondern auch, dass sie nicht etwa durch wirtschaftliche Abhängigkeit von bestimmten Kreisen hier in ihrer Rolle als Politiker beeinträchtigt sind. Das wären Kriterien, die man hier beurteilen müsste. Aber ansonsten ist man immer gut beraten, wenn man den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreift.
Deutschlandradio Kultur: Gönnen wir also den Politikern, dass sie was nebenher verdienen, dass sie neben der Politik auch noch ein Einkommen haben und ein Leben haben und auch nach der Politik, Frau Müller. Das kann dann aber dazu führen, das Leben nach der Politik, dass ein Ex-Politiker nach dem Ausscheiden aus dem Amt vielleicht für jemanden arbeitet, der zuvor von Entscheidungen eben dieses Politikers profitiert hat.
Das klassische Beispiel: Gerhard Schröder setzte als Bundeskanzler die Ostsee-Gas-Pipeline durch und arbeitet anschließend für Gazprom. Ist so etwas anrüchig?
Edda Müller: Ich glaube, Gerhard Schröder war nicht gut beraten, unmittelbar im Anschluss an sein Amt als Bundeskanzler eine solche Aufgabe zu übernehmen. Wir wünschen uns eine – wir nennen das mal – "Abkühlungsphase", dass man zwischen dem Verlassen eines politischen Amtes drei Jahre mindestens vergehen lässt, bevor man eine gut bezahlte Position in der Wirtschaft, in Aufsichtsräten oder sonst wo übernimmt, die unmittelbar etwas mit dem Zuständigkeitsbereich zu tun hat, für den man vorher verantwortlich war, weil sonst in der Tat die Gefahr, dass man sich in der Rolle als Politiker, als Staatssekretär, als Minister schon orientiert an möglichen Positionen, die man danach bekleiden könnte, weil diese Möglichkeit natürlich dann gegeben ist. Die sollte nicht sein.
Deutschlandradio Kultur: Aber jemand, der ein wichtiges Amt bekleidet hat, bringt dann auch nach drei Jahren Karenzzeit ja immer noch seine Verbindungen mit, sein Adressbuch, seine persönlichen Freunde. Ist es da auch ganz zu verhindern, dass es da zu große Interessensnähen gibt?
Edda Müller: Was ist die Alternative? Wir fordern auf der einen Seite Politiker, die nicht an ihrem Sessel kleben, die auch wieder zurückgehen in einen Beruf. Ich bedaure manchmal, dass wir heute einen Politikertypus haben, der praktisch von der Schulzeit, nach der Universität, wenn man dann studiert hat, unmittelbar in eine politische Funktion geht und dann, wenn er eine Familie ernähren muss, wenn er nicht aus einer superreichen Familie kommt, danach sein Leben ja aus anderen Quellen gestalten muss. Von daher von Politiker zu verlangen, dass sie keine Zukunft haben in einem Beruf, wäre völlig kontraproduktiv, weil wir damit noch mal wieder diesen Bereich der Politik als eine eigene Klasse abschotten würden, die überhaupt keine Mobilität kennt – weder aus dem Beruf in die Politik, aus einem kommerziellen Beruf, noch wieder zurück. Von daher, drei Jahre Karenzzeit ist wichtig.
Entscheidend ist ja nicht, dass jemand sich in einem Bereich auskennt, sondern entscheidend ist, und wir nennen das in der Definition von Korruption, die wir benutzen, der "Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Nutzen oder Vorteil". Anvertraute Macht haben diese Leute, wenn sie drei Jahre aus dem Amt sind, nicht mehr, dass sie das tatsächlich unmittelbar beeinflussen können. Von daher drei Jahre, das würden wir fordern, aber kein generelles Berufsverbot für Politiker, die aus ihren Ämtern entlassen worden sind.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, am 9. Dezember 2003 wurde in Merida in Mexiko die UN-Konvention gegen Korruption feierlich unterzeichnet, auch von einem Vertreter Deutschlands. Seither ist dieses Abkommen von 161 Staaten ratifiziert worden, nicht aber von der Bundesrepublik – warum denn bloß nicht?
Edda Müller: Das ist wirklich das Trauerspiel, mit dem wir uns jetzt seit Jahren rumschlagen. Die UN-Konvention sieht bestimmte Regeln im Hinblick auf die Strafbarkeit der Bestechlichkeit von Abgeordneten vor bei uns im Bundestag, in den Landtagen, aber auch in den Kommunalparlamenten. Und der Text der Konvention verlangt eine strengere Regelung als die, die wir derzeit im Strafrecht haben. Wir haben in § 108e StGB eine Strafbarkeit des Kaufs von Stimmen. Ein Abgeordneter, der sich kaufen lässt, damit er zum Beispiel in einer bestimmten Weise abstimmt, ob die Hauptstadt Berlin oder Bonn ist und was man sich so vorstellen könnte. Das ist strafbar, aber nicht die Beeinflussung im politischen Prozess, also bei Abstimmungen, bei Beratungen im Ausschuss oder innerhalb der Fraktion.
Von daher muss hier nachgebessert werden. Und im Deutschen Bundestag haben sich seit 2003, also fast 10 Jahre lang, keine Mehrheiten gefunden, um eine solche Verschärfung der einschlägigen Vorschrift durchzubringen. Deshalb können wir nicht ratifizieren.
Deutschlandradio Kultur: Aber warum diese Widerstände? Die Bundesregierung, wenn ich das richtig verstanden habe, will den § 108 eh, also diesen Abgeordnetenbestechungsparagraphen, durchaus regulieren, die Opposition sowieso. Die Internationale Handelskammer Deutschland hat im Namen wirklich der Creme de la Creme der deutschen Unternehmen einen Brandbrief an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag geschrieben, doch endlich diese Konvention zu ratifizieren, weil deutsche Firmen im Ausland an Ansehensverlust leiden würden. – Wer bremst denn da?
Edda Müller: Derzeit bremsen die Mehrheitsfraktionen. Das sind die Fraktionen von CDU/CSU und FDP.
Deutschlandradio Kultur: Und warum?
Edda Müller: Da gibt es das Argument unter anderem, dass – ich erwähnte bereits den Art. 38 GG, der die Stellung des Abgeordneten definiert – dieser eine strengere Bestrafung von Abhängigkeit oder Bestechung verfassungsrechtlich untersage, was wir für völlig absurd halten, weil die Beeinträchtigung der Freiheit und Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Abgeordneten natürlich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich gegeben sein könnte. Man könnte genauso gut umgekehrt fordern, dass unsere Verfassung im Art. 38 GG es verlangt geradezu, dass hier eine ganz klare Regelung da ist.
Aber was befürchten die Abgeordneten wirklich? Wir nehmen das durchaus ernst. Abgeordnete sagen: Unser tägliches Geschäft ist, mit Menschen zu reden, in Betriebe zu gehen, Informationen dort einzuholen, mit den Menschen zu sprechen. Und natürlich bedeutet das, dass man auch in den Betrieben möglicherweise bewirtet wird, dass man bei Winzerfesten bewirtet wird usw. Die Abgeordneten sagen, die Definition dessen, was ich als Abgeordneter tun darf und was ich nicht tun darf, wo also die Grenze zur Bestechlichkeit gegeben ist, die ist sehr schwer zu definieren. Von daher befürchtet man, dass man ununterbrochen in den Verdacht gerät, bestechlich zu sein und damit vor die Gerichte gezogen wird. Und da ein Politiker in der Regel natürlich nicht abwarten kann, bis dann nach mehreren Monaten oder manchmal noch länger ein Gericht entschieden hat oder eine Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet hat, ist ein Politiker in der Regel schon politisch sozusagen geschädigt. Das ist das, was die Abgeordneten befürchten.
Wir glauben aber, dass diese Argumente nicht stichhaltig sind, sondern dass man durchaus eine Regelung treffen kann, die muss in anderen Ländern ja auch existieren, es ist ja nicht so, dass wir das hier neu erfinden müssen, wonach man klar definieren kann, was ein Abgeordneter darf und was nicht.
Im US-Kongress zum Beispiel ist klar gesagt, dass keinerlei Geschenke oder ähnliches angenommen werden darf, die mehr als 25 Dollar kosten. Über diese Grenze kann man sich unterhalten, sollen die Abgeordneten sich unterhalten, wo man das ansetzt. Bei Beamten zum Beispiel ist die Grenze bei zehn Euro festgesetzt. Und ansonsten gibt es ein sehr detailliertes Regelwerk, was ein Beamter oder ein Angestellter im Öffentlichen Dienst darf und was nicht. So etwas kann man vergleichbar als Regelung auch für Abgeordnete entwickeln. Von daher hoffen wir sehr, im Moment sind drei Gesetzentwürfe in den parlamentarischen Beratungen, dass auch der Appell, der noch mal von 30 großen deutschen DAX-Unternehmen formuliert worden ist, die gesagt haben: Wir sind eine Exportnation, wir sind darauf angewiesen, dass wir im Auslandsgeschäft einerseits selber nicht bestechlich sind und zum anderen dass wir hier deutlich machen, dass wir bestimmte Praktiken in einzelnen Ländern nicht tolerieren wollen.
Und da kriegen wir entgegen gehalten: Aber was macht denn eure Regierung? Was macht denn Deutschland? Deutschland ist in der nicht besonders angenehmen Bündnispartnerschaft mit Ländern wie Saudi Arabien und Syrien an dem Punkt. Deshalb haben wir gesagt: Leute, ihr müsst da jetzt endlich mal was tun.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, wir reden die ganze Zeit über Abgeordnete, aber die Einflussnahme interessierter Kreise auf die Politik kann ja auch auf ganz anderen Wegen stattfinden – Stichwort Lobbyismus. In Berlin soll es um die 5.000 Lobbyisten geben. Transparency schlägt vor, ein zentrales Lobbyistenregister anzulegen. Was soll das bringen?
Edda Müller: Zunächst einmal ganz deutlich: Auch Transparency Deutschland ist ein Lobbyist. Wir lobbyieren dafür, dass zum Beispiel die UN-Konvention gegen Korruption nun endlich ratifiziert wird. Also, Interessen zu vertreten gegenüber der Politik, ist legitim – ob das Verbraucherinteressen, Wirtschaftsinteressen, Gewerkschaftsinteressen oder eben Umweltinteressen sind. Entscheidend ist, dass es transparent zugeht, dass keine illegalen Praktiken, dass man etwa – und das ist heute eine neue Form Lobbyismus, in der das üblich geworden ist – kommerzielle Dienstleister einschaltet, die mit allen Tricks von Meinungsbeeinflussung, über Leserbriefe, die lanciert werden, und in anderer Form, eine bestimmte Stimmung erzeugen wollen.
Jeder, der im politischen Prozess Meinung vermittelt und auch kommerzielle Informationen, sagen wir, muss sich registrieren. Deshalb dieses Lobbyregister. Aber wir würden da nicht aufhören. Wir wollen auch, dass im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren dokumentiert wird, welche Interessen angehört worden sind, welche nicht angehört worden sind. Das ist häufig noch viel wichtiger, denn wir brauchen eine ausgewogene und gerechte Interessenberücksichtigung. Nicht jedes Interesse kann immer siegen, aber es muss gehört werden. Es muss argumentativ abgewogen werden. Und es muss in den parlamentarischen Beratungen von Gesetzentwürfen mit zu einem Thema gemacht werden.
Wir hatten vor vielen Jahren im Finanzmarkt Regelungen, wo man zum Beispiel die Hedgefonds für den Privatkundenmarkt zugelassen hat. Damals war ich im Verbraucherschutz und habe gesagt: Das sollte man nicht tun. Aber in der Politik wurden im Wesentlichen die Banken und die großen Finanzdienstleister gehört, aber nicht die Verbraucher. Das ist etwas, was wir ändern wollen. Von daher hier Transparenz hereinzubekommen, Ausgewogenheit in der Interessenartikulation und der Anhörung, das ist das, was wir hier fordern.
Das muss natürlich dann auch politisch diskutiert werden. Die Transparenz als solche bringt nichts, wenn sie nicht als Kontrollinstrument auch wirklich benutzt wird.
Deutschlandradio Kultur: Nun drücken Lobbyisten sich ja nicht nur in der berühmten namensgebenden Parlamentslobby herum oder treffen sich in Edelrestaurants in Berlin Mitte mit Politikern. Teilweise haben sie auch ganz offiziell ihre Schreibtische in Ministerien und Behörden und arbeiten da als Berater für Geld. – Geht das zu weit?
Edda Müller: Diese Form, wie Sie sie gerade schildern, dass ein Mitarbeiter einer großen Bank oder eines großen Unternehmens im Ministerium an einer einschlägigen Vorschrift arbeitet, das ist sicherlich etwas, das jede Unabhängigkeit von Politikberatung durch diesen Ministerialapparat natürlich ins Absurde kehrt. Das kann nicht sein.
Allerdings ist es durchaus legitim aus unserer Sicht, dass man Mitarbeiter auch aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, auch aus Unternehmen mal hospitieren lässt, dass sie den politischen Prozess kennen lernen, dass sie wissen, wie es dort eigentlich zugeht – aber auch da immer wieder: Die Namen müssen klar sein. Wenn jemand, der eine solche Funktion hat, in der Öffentlichkeit für das Ministerium auftritt, dann muss klar sein, wer das eigentlich ist, wo der herkommt, was er möglicherweise für einen Arbeitgeber in seiner ständigen Berufstätigkeit hat. Und das darf nicht versteckt werden.
Deutschlandradio Kultur: Gesetzgebungsverfahren sind ja sehr kompliziert, vor allem, wenn man auch abschätzen will, was sie eigentlich für Folgen haben können. Sie haben gerade das Beispiel Hedgefonds erwähnt. Das geht ja dann manchmal an die Grenzen der Kompetenz von Bürokratien. Und dann holt man sich gerne externen Sachverstand. Holt man sich damit dann auch Einflüsterer ins Haus?
Edda Müller: Zunächst einmal, ein Ministerialapparat verfügt über einen hochkompetenten Apparat von Menschen, die dort das Geschäft verstehen. Ich komme ja auch aus der Umweltpolitik, da muss nicht in dem Ministerium jemand sitzen, der bis ins Detail genau die Beweglichkeit von Schwermetallen im Boden oder im Gewässer oder so was analysieren kann. Deshalb hat es natürlich immer, und das ist auch heute so und war so, dass im Ministerialapparat im Wesentlichen politische Manager sind, die vorbereiten und die natürlich auch Sachverstand hereinholen.
Dazu haben sie zum Beispiel Fachbehörden, nachordnete Behörden, das Umweltbundesamt im Umweltschutz und andere Behören, die sie beraten. Und sie können Gutachten vergeben. Sie können Fachleute anhören. Es geht immer darum, dass man deutlich macht, dass es nicht einäugig ist, dass es abgewogen ist und ausgewogen und vor allen Dingen, dass man erkennen kann, ob es eine Abhängigkeit eines Experten gibt von zum Beispiel wirtschaftlichen Kreisen.
Der berühmte Experte für Gesundheitsfragen oder bestimmte pharmakologische Fragen, der seinen Hauptforschungsbereich im Wesentlichen finanziert bekommt von der Pharmaindustrie, das muss bekannt gemacht werden, damit man weiß, hier ist kein unabhängiger Sachverständiger, dessen Rat man vielleicht unhinterfragt dann auch als wissenschaftliche Meinung, sondern möglicherweise ist das ein gekaufter Lobbyist.
Deutschlandradio Kultur: Frau Müller, was vielleicht nicht jeder weiß, in Ihrer Zeit im Bundesumweltministerium, die Sie gerade angesprochen haben, hatten Sie wesentlichen Anteil an der Formulierung des ersten Klimaziels der Bundesregierung. Es ging damals um die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes bis 2005. Haben Sie auch ein Korruptionsziel für Deutschland? Im weltweiten Korruptionsindex von Transparency International stehen wir ja auf Platz 14, was für europäische Verhältnisse eher mittelprächtig ist.
Edda Müller: Sie sprechen jetzt etwas an, das man in der Politik – und das ist gerade in der Klimapolitik so, aber das gilt auch für uns – immer Ziele braucht, an denen man sich orientiert, auch gerade weil, in der Regel müssen ja vielfältige Maßnahmen in die Gänge kommen. Und die haben so eine Art Ziele, haben eine Koordinationsfunktion. Ich habe immer gesagt, sie sind wie ein Leuchtturm in einem Hafen und alle Schiffe müssen in Richtung dieses Ziels fahren. Wenn man jedem Einzelnen den Weg vorgeben würde, wäre es kompliziert.
Unser Ziel ist bei Transparency die Nulltoleranz. Wir wissen, das ist ein ganz hohes Ziel, aber für einzelne Unternehmen und für die jeweils anzusprechenden Akteure ist es kein unrealistisches Ziel. Es muss in einem Unternehmen Geschäftspolitik sein, Botschaft an die Mitarbeiter, wir machen keinerlei Korruptionsgeschichten. Wir lassen uns nicht bestechen und wir bestechen auch niemanden.
Da muss sich auch rumsprechen, dass Korruption auch betriebswirtschaftlich äußerst problematisch ist. Mir wurde erzählt, ich habe das nicht nachgeprüft, dass der deutsche Maschinenbau, einer unserer großen erfolgreichen Exportbereiche, ohne Bestechung und ohne Korruption deshalb schon auskommt, weil die einfach so gute Produkte liefern. Die haben es nicht nötig, irgendwo Bestechungsgelder zu zahlen, weil, sie sind meistens hochpreisig, aber sie sind sehr gut. Und das weiß man. Das heißt, wenn man besticht, verschleiert man seine echte Wettbewerbssituation am Markt. Man hat möglicherweise die Illusion, dass man weiter auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist, aber in Wirklichkeit ist man das nur, weil man irgendjemanden bestochen hat.
Von daher Nulltoleranz in den konkreten Bereichen. Das ist ein realistisches Ziel. Und das ist das, worauf wir hinarbeiten. Dass man Kriminalität, dass man kriminelles Verhalten nicht von dieser Welt verbannen können wird, das ist uns auch bekannt, aber das heißt nicht, dass wir uns nicht diesem Ziel verschreiben.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.