Unsere Soldaten in Afghanistan

Von Michael Wolffsohn |
Bundesligaspiel. Volles Stadion. Sonnenschein, gute Laune. Da… ein Flugzeug naht. Im Sturzflug rast und explodiert es auf der Haupttribüne: 3000 Tote. So viele wie im New Yorker World Trade Center am 11. September 2001… Damit genau das nicht geschehe, sind unsere Soldaten in Afghanistan. Dort hatten nämlich die damaligen Terroristen ihren Hauptstützpunkt. Unbehelligt, ja gefördert von den tötenden Taliban-und-al-Qaida-Drahtziehern und Mittätern.
Deutschland war einer ihrer Planungs- und Rückzugsräume. Damit sich auch das nicht wiederhole, achtet das Bundesinnenministerium verstärkt auf Sicherheit und Freiheit. Dafür sorgt im Innern unsere Polizei. Ja, unsere Polizei. Freiheit und Sicherheit. Dafür sorgt im Außenbereich unsere Bundeswehr. Ja, unsere Bundeswehr, unsere Soldaten, unsere mit Waffen um Frieden kämpfenden Männer und Frauen.

Rein nach und raus aus Afghanistan. Die Taliban militärisch heftig und nachhaltig schwächen, um den Afghanen politische Selbstbestimmung, Freiheit und Sicherheit wieder zu ermöglichen. Das hätte von Anfang an unsere Strategie sein müssen. Seit Jahren hatte ich dafür plädiert. Statt dessen haben Rot-Grün, Schwarz-Rot und nun Schwarz-Gelb von unseren Soldaten Unmögliches verlangt und uns Unmögliches eingeredet: Dass eine Armee gleichzeitig sowohl Technisches Hilfswerk als auch notfalls erfolgreich kämpfende Truppe sein könne.

Statt zu kämpfen, wollten unsere Soldaten, wie sympathisch, in Afghanistan lieber "Staat machen" - Brunnen graben, Schulen und Straßen bauen. Allein, Taliban und al-Qaida lassen das nicht zu. Bei aller Kritik an der politischen Afghanistan-Strategie und an so manchem militärischen und politischen Fehler – das ist, bis auf wenige Ausnahmen, nicht die Schuld unserer Soldaten.

Unseren Soldaten gebührt Dank, aufrichtiger Dank. Daran fehlt es hier. Weit, weit weg von uns setzen sie seit Jahren ihr Leben für uns ein. Was tun wir für sie? Nichts. Nicht einmal ein dürres Danke hören sie von uns. Im Gegenteil: Heimgekehrte Soldaten prallen an Mauern des Desinteresses, der Distanz ja, der Verachtung und Verhöhnung. Im fernen Afghanistan haben sie Schreckliches erlebt und erlitten, dem Tod ins Auge geschaut. Wer von uns schaut sie hier zuhause an? Wer hört ihnen zu? Wer hilft ihnen, Tod und Trauma zu bewältigen? Kaum jemand.

Elementare Menschlichkeit gebietet: Wir schulden unseren Soldaten wenigstens Interesse, mehr aber noch Dank und Achtung, und vor allem Hilfe im Alltag. Es ist verständlich und sympathisch, dass "die" Deutschen – nach Hitler - in ihrer großen Mehrheit Gewalt als Mittel der Politik ablehnen. Doch nicht nur Friedensnobelpreisträger Obama sagt zu recht: Manchmal sei Krieg nötig, um Frieden und Freiheit und Sicherheit zu erreichen.

Selbst in unserer Dienstleistungsgesellschaft kann man Sicherheit nicht wie eine Tafel Schokolade kaufen. Für Sicherheit sorgen Soldaten, und weder Soldaten noch Sicherheit sind eine Ware. So wenig wie Fußballspieler. Trauma, Tragik und Tod von Torwart Enke erschütterten die Nation. Trauma, Tragik und Tod unserer Soldaten lassen die Nation offenbar kalt. Das ist "was faul im Staate" Deutschland, in der deutschen Gesellschaft. Wer im Namen der Menschlichkeit sagt "Der Mensch ist keine Ware", darf dabei die für Sicherheit zuständigen Menschen nicht ausklammern: unsere Soldaten.


Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West" und "Meine Juden - Eure Juden".
Der Historiker Michael Wolffsohn
Michael Wolffsohn© AP