Unter Algen

Von Alexandra Wrann |
An Ideen, erneuerbare Energie aus Sonne, Wind, Wasser oder Pflanzen zu gewinnen, mangelt es nicht. Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg ist nun ein Haus zu begutachten, an dessen Fassade Algen wachsen - ein hervorragender Rohstoff für Biogasanlagen.
"Ja, wir könnten starten. Okay, dann starten wir jetzt!"

Das Funkgerät in der linken Hand, macht Stefan Hindersin zwei rasche große Schritte durch den Raum zu einem fassgroßen Stahlbehälter. Er wirft einen Blick durch das Bullauge in dem Gefäß. Darin eine grünliche Masse: Algen.

"Okay, das Erdgeschoss wird jetzt befüllt!"

Der Biologe im schwarzem Hemd, schwarzer Hose und braunen Trekkingschuhen gibt per Mausklick am PC den Befehl. Eine kleine Pumpe springt an, die Algenmasse fließt durch ein Labyrinth aus Rohren an der Decke des etwa 20 Quadratmeter großen Raumes.

Das weltweit erste Algenhaus nimmt seinen Betrieb auf. Ein Wohnhaus mit einer sogenannten Bioreaktorfassade - und ein Ausstellungsobjekt bei der Internationalen Bauausstellung in Hamburg. An der Hausfassade wachsen Algen, aus denen Energie gewonnen werden soll. Hindersin ist angespannt. Die Pumpe arbeitet nicht richtig, die Algenmasse fließt nicht einwandfrei durch die Rohre.

"Einen kleinen Augenblick Geduld noch... Jetzt haben wir 'nen positiven Flow. Jetzt geht's los!"

Hindersin tritt aus der Energiezentrale, wie der kleine Raum heißt, nach draußen. An der Südwest- und Südostseite des kubischen Gebäudes sind insgesamt 129 längliche Glaselemente angebracht. Gefüllt mit Wasser sehen die 2,70 Meter langen Behälter aus wie flache Aquarien. Langsam vermischt sich die grünliche Algenmasse mit dem klaren Wasser.

Regelmäßig werden die Pflanzen gedüngt: Mineralstoffe, Spurenelemente, Stickstoff - und vor allem CO2, Kohlendioxid aus Abgasen. Damit und durch das einstrahlende Sonnenlicht betreiben die Algen Photosynthese. Und vermehren sich rasend schnell, bis zu zehnmal schneller als Landpflanzen. Innerhalb weniger Tage wird die wässrig-hellgrüne Flüssigkeit dunkelgrün, die Masse dichter - und kann geerntet werden.

"Je nach Wachstum erwarten wir das, in zwei, drei Tagen hätten wir dann die optimale Zelldichte erreicht, sodass wir dann auch schon ernten müssten, damit die Algen auch nicht zu doll verschattet sind."

Damit die Algen auch während des Wachstums nicht schon verschatten, also zu wenig Licht abbekommen und absterben, wird immer wieder Luft in die Glas-Behälter gepumpt. Große Blasen steigen auf und verwirbeln das Algen-Wasser-Gemisch - so bekommt jede Zelle etwa gleichviel Licht ab. Aus der entstandenen Biomasse lässt sich anschließend in Biogasanlagen Gas gewinnen, mit dem Strom erzeugt, Maschinen oder Fahrzeuge betrieben werden können.

Bislang ist die gewonnene Energie aus den Algen noch gering
Algen als Energie-Lieferant - an sich ist das keine neue Idee. Bereits seit Jahren forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt zu diesem Thema. Und auch dieses Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Strom oder Gas für Autos entsteht aus den hier wachsenden Algen vorerst nicht. Zu gering ist die Menge, die das einzelne Haus liefert. Stattdessen wird die Biomasse zur Herstellung von Futtermittel oder in der Pharma- und Kosmetikindustrie eingesetzt. Noch. Denn Hindersin denkt langfristig:

"Sie alle kennen die Diskussion 'Teller statt Tank'. Das heißt: Wollen wir noch mehr Ackerflächen für Energiemais, für Soja - oder wollen wir effizientere Systeme in der Stadt? Insofern ist das die große Herausforderung, da Systeme zu etablieren, die laufen und damit müssen wir jetzt beginnen und nicht erst, wenn die fossilen Energieträger alle sind."

Während außen am Haus die Algen wachsen, wohnen drinnen Menschen: 15 Wohnungen sind in dem Gebäude unterbracht. Die ersten Mieter sind bereits eingezogen. Einer davon ist Markus Meyer-Thies. Seine 60-Quadratmeter-Wohnung liegt im obersten Stockwerk. Gerade kommt der 42-Jährige in Hemd und Jeans von der Arbeit. Der Bauingenieur interessiert sich privat wie beruflich für nachhaltige Wohnformen - und das Projekt hat ihn von Beginn an fasziniert:

"Ich würde sagen, ich bin begeistert dabei, bei meinem Beruf und möchte halt auch gerne dazu beitragen, dass wir alle energieeffizienter handeln und entsprechend auch in der Energie nachhaltige beziehungsweise nachwachsende Baustoffe oder nachwachsende Energieträger schaffen, um dort einen Beitrag zu leisten, entsprechend auf die Atomkraft oder andere Dinge, Kohlekraftwerke zu verzichten."

Zwei Zimmer, offene Küche, Bad, Balkon. Rein optisch unterscheidet die Wohnung nichts von der in einem herkömmlichen Haus. Dass er hier auf einem Ausstellungsgelände lebt, macht Meyer-Thies nichts aus. Im Gegenteil:

"Am Sonntagnachmittag sind hier Hundertschaften unterwegs, um sich das Gelände anzuschauen und man sieht eben auch viele Führungen, die entsprechend vor dem Haus anhalten und Fotos machen. Ich finde das spannend. Und auch, wenn ich unten bin und die Leute sprechen mich an, ich erkläre das gerne. Also wenn mich das stören würde, das hätte ich ja vorher gewusst und dann hätte ich das nicht gemacht."

Algen liefern nicht nur Biomasse, sondern auch Wärme
13 Euro pro Quadratmeter zahlt Meyer-Thies - eine stolze Summe für den wenig prestigeprächtigen Stadtteil Wilhelmsburg. Dafür sind die Betriebskosten niedrig - nur zehn Euro sind pro Monat fällig. Denn: Heizkosten fallen hier nicht an. Die Algen liefern nämlich nicht nur Biomasse - sondern auch Wärme. In der Sonne heizen sie sich auf, diese Wärmeenergie wird der Flüssigkeit bei der Ernte entzogen, gespeichert und zum Beheizen der Wohnungen genutzt.

In der Energiezentrale ist die Befüllung der Biorektoren währenddessen weiter in vollem Gange. Stefan Hindersin greift eine kleine, gelbe Plastiktonne steigt auf eine Trittleiter und kippt weitere 30 Liter Algenmasse in den Tank.

"So. Die Algen sind jetzt im System und fühlen sich hoffentlich wohl und wachsen schnell."

Die letzte Ladung für heute. In zwei bis drei Tagen wird geerntet.