Unterbringung von Flüchtlingen

"Mit diesem Gesetz werden rote Linien überschritten"

Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern im Erstaufnahmelager
Hamburg will leere Gewerbeimmobilien beschlagnahmen, um Winterquartiere für Flüchtlinge zu schaffen. © Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel
Katja Suding im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Viele Flüchtlinge in Deutschland wohnen bislang noch in Zelten. Um genug Winterquartiere zu schaffen, will Hamburg nun leer stehende Gewerbeimmobilien beschlagnahmen lassen. Die FDP-Politikerin Katja Suding kritisiert die Pläne scharf.
"Das ist ein ganz harter Eingriff in unsere Grundrechte – nämlich das Grundrecht auf Eigentum", so Suding im Deutschlandradio Kultur. Es werde immer so getan, als gäbe es nur die Alternative zwischen der Obdachlosigkeit von Flüchtlingen und der Beschlagnahmung von Immobilien. "Das ist aber nicht richtig. Wir hören jeden Tag von Angeboten, die freiwillig gemacht werden."
Suding zufolge sei es "brandgefährlich, jetzt zu sagen, dass all diejenigen, die ihre Immobilie – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Verfügung stellen wollen – dass die letztendlich Verantwortung für das Versagen des Senats tragen". In dieser Situation dürfe man nicht zu Zwangsmaßnahmen greifen. "Das ist übrigens auch etwas, dass das große Wohlwollen in der Bevölkerung zerstören könnte."
Das Argument, dass die freiwilligen Angebote zur Deckung des Bedarfs an Unterkünften für den Winter nicht ausreichen könnten, will Suding nicht gelten lassen: "An diesem Punkt sind wir noch lange nicht." Es müssten erst einmal die "vielen, vielen Angebote" geprüft werden. Sie sei sicher, dass "die Hilfsbereitschaft reichen wird, um die Flüchtlinge unterzubringen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Hunderttausende Flüchtlinge haben sich zu uns in Sicherheit gebracht, sie wollten ihr Leben retten oder auch einfach ein besseres Leben führen. Doch wo und wie sollen die vielen Menschen untergebracht werden. Manche Stadt und manches Dorf weiß das einfach nicht mehr, und so kommt auch auf unkonventionelle Ideen, wie in Hamburg: Da hat die Bürgerschaft gestern in zweiter Lesung ein Gesetz beschlossen, das es ermöglicht, leerstehende Gewerbeimmobilien zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Die Opposition in Hamburg – das sind dort CDU und FDP –, die ist dagegen, die FDP erwägt sogar eine Klage. Auch andere Bundesländer denken über solche Maßnahmen nach, um vor dem Winter genügend Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. Käme es dazu, zu dieser Klage, dann geht es letztlich um die Frage, was stärker wiegt: Das Recht auf Eigentum oder das Wohl der Allgemeinheit. Darüber will ich jetzt mit Katja Suding sprechen, sie ist Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft und stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende. Schönen guten Morgen!
Katja Suding: Guten Morgen!
von Billerbeck: Frau Suding, Sie sind gegen das neue Gesetz. Warum?
"Ein ganz harter Eingriff in unsere Grundrechte"
Suding: Mit diesem neuen Gesetz werden tatsächlich rote Linien überschritten. Es ist ein ganz harter Eingriff in unsere Grundrechte, nämlich das Recht auf Eigentum. Und es ist auch nicht richtig, dass mit diesem Gesetz nur gewerbliche Immobilien beschlagnahmt werden können. Der Gesetzestext lässt nämlich ganz eindeutig offen, dass das nur gewerbliche Immobilien sind, da wird nämlich nicht unterschieden zwischen privaten und gewerblichen Immobilien. Von daher wird damit auch eine Beschlagnahme von privatem Wohnraum möglich. Es wird ja immer so getan, als sei es nur die Alternative zwischen der Obdachlosigkeit von Flüchtlingen und der Beschlagnahmung von Immobilien, das ist aber nicht richtig. Wir hören jeden Tag von Angeboten, die freiwillig gemacht werden, die der Senat aber nicht prüft, die einfach ignoriert werden. In einer solchen Situation darf zu einer solchen Zwangsmaßnahme nicht gegriffen werden.
von Billerbeck: Aber nun wissen wir ja, dass der Winter vor der Tür steht und die Zahlen der Flüchtlinge, die nehmen ja nicht gerade ab. Diese Woche haben Flüchtlinge das erste Mal unter freiem Himmel übernachten müssen. Sehen Sie da kein Problem?
Suding: Das ist ein Problem und deswegen haben wir ja schon seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, gefordert, dass die Stadt nun endlich einen Flüchtlingskoordinator benennt, der das Behördenwirrwarr in Hamburg auflöst, der auch alle Beteiligten mal an einen Tisch holt – die Verbände, die Vereine, die Initiativen, auch die Wohnungswirtschaft –, um mit der großen Freiwilligkeit, die ja in der Stadt da ist, mit der großen Hilfsbereitschaft, die einmal zu bündeln. Sodass wir alle an einem Strang ziehen und wir auch auf freiwillige Angebote endlich zurückkommen können, die es ja tatsächlich gibt. Da braucht es solche Zwangsmaßnahmen nicht.
von Billerbeck: Aber die gibt es wahrscheinlich nicht in ausreichendem Maße und vor allem nicht in so großen Größen. Da schafft man es wahrscheinlich gar nicht, so viele Leute unterzubringen, wie sie eben jetzt nach Deutschland kommen. Zumal die Immobilien, über die wir hier reden, diese Gewerbeimmobilien, die stehen ja ohnehin leer. Wo ist denn da das Problem, wenn man da Flüchtlinge unterbringt?
"Handeln des Senats könnte das große Wohlwollen in der Bevölkerung zerstören"
Suding: Ich halte es für brandgefährlich, jetzt zu sagen, dass all diejenigen, die ihre Immobilien aus welchen Gründen auch immer nicht zur Verfügung stellen wollen, dass die letztendlich Verantwortung für das Versagen des Senates tragen. Das ist nicht richtig. Es ist so, dass viele Immobilien, auch größere Immobilien, wo viele Flüchtlinge auf einmal untergebracht werden können, dass die angeboten werden, aber diese Angebote müssen eben auch geprüft werden. Und der Senat hat ja auch schon in Anfragen der Opposition zugeben müssen, dass nicht genügend Personal vorhanden ist, um die Angebote überhaupt zu prüfen. In dieser Situation – ich sage es noch einmal – darf eine solche rote Linie, ein solch harter Eingriff in unsere Grundrechte nicht stattfinden. Das ist übrigens auch etwas, was das große Wohlwollen in der Bevölkerung zerstören könnte. Und das ist das Letzte, was wir wollen, und das ist etwas, was wir überhaupt nicht riskieren dürfen.
von Billerbeck: Nun ist dieses Gesetz aber zeitlich befristet. Das ist doch eigentlich erstmal gut, dass man sagt, wir brauchen das für eine bestimmte Zeit, um eben sehr, sehr viele Flüchtlinge in kurzer Zeit unterzubringen. Rechtfertigt da nicht in diesem Fall der Zweck die Mittel?
Suding: Nein, der Zweck heiligt längst nicht alle Mittel. Der Bürgermeister hat uns gesagt, dass keine privaten Immobilien beschlagnahmt werden sollen. Im Gesetz steht aber etwas anderes. Nun gibt es eine Befristung. Wer soll den Worten denn noch glauben, wenn nicht das in den Gesetzen steht, was angeblich passieren soll. Das halte ich für ganz, ganz schwierig, und den Worten des Senats und des Bürgermeisters vertraue ich da nicht mehr.
Appell an Immobilienbesitzer
von Billerbeck: Ihre Partei, die FDP, erwägt nun eine Klage gegen das Gesetz und Sie haben da auch prominenten Beistand, denn der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, der hegt auch rechtliche Bedenken gegen die Beschlagnahmung von Immobilien, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Aber man muss ja auch sagen, wir haben Artikel 14 Grundgesetz, da heißt es, das Eigentum wird gewährleistet – dort heißt es aber auch, Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Wäre nicht dieser Fall, wo so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, genau dieser Moment, wo man eben Eigentümern von solchen leerstehenden Gewerbeimmobilien sagen muss, stellt uns die jetzt bitte zur Verfügung?
Suding: Ja, und wir appellieren auch an alle, die Immobilien haben, die sich zur Flüchtlingsunterbringung eignen, diese auch zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist es auch gut, wenn man die Menschen an einen runden Tisch bringt, dass man noch mal appelliert, ein Symbol setzt, wir müssen alle helfen und wir müssen da auch besondere Anstrengungen unternehmen. Und dafür ist auch die Gesellschaft und jeder einzelne sicherlich in der Verantwortung, aber dennoch: Erstmal müssen wir die Freiwilligkeit ausreizen und sehen, dass wir wirklich alle Möglichkeiten in diesem Bereich genutzt werden, bevor Zwangsmaßnahmen umgesetzt werden. An diesem Punkt sind wir nicht.
von Billerbeck: Das heißt, wenn es dann irgendwann nicht mehr genug Freiwilligkeit gäbe, dann wären Sie auch bereit, diese Zwangsmaßnahmen, also eine Beschlagnahme zu akzeptieren?
Suding: An diesem Punkt sind wir noch lange nicht, und solange wir da nicht sind, kann man dazu auch nichts sagen. Es müssen jetzt erstmal die vielen, vielen Angebote, die uns täglich erreichen, geprüft werden, und dann werden wir weitersehen. Ich bin mir sicher, dass das große Wohlwollen und die große Hilfsbereitschaft auch ausreichen wird, um die Flüchtlinge dann auch unterzubringen.
von Billerbeck: Die Hamburger FDP-Abgeordnete und stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei, Katja Suding war das. Danke für das Gespräch!
Suding: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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