Unterkühlte Sachlichkeit
Nora Bossong beschreibt den Niedergang eines in Essen angesiedelten Familienunternehmens über mehrere Generationen hinweg. Manche Rezensenten haben das Ergebnis bereits mit Thomas Manns "Buddenbrooks" verglichen. Unser Kritiker findet das Buch dagegen: ein bisschen langweilig.
Wir leben schon lange nicht mehr im Zeitalter von Fortschritt, Aufbau und Optimismus. Vielmehr geht es darum, aufziehende Katastrophen zu bewältigen und den Niedergang zu managen. In Nora Bossongs Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" findet einer der Protagonisten dafür die Formel: "Es geht alles den Bach runter, daran können wir nichts ändern. Es kommt nur darauf an, als Letzter unten anzukommen." Konkurrenz, die Triebfeder kapitalistischer Ökonomie, muss sich demnach mit umgekehrten Vorzeichen in der Abwärtsspirale bewähren, wo es nicht um Tempo, sondern um Entschleunigung geht.
"Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ist aber nur vordergründig ein Wirtschaftsroman. In knappen Strichen wird die Geschichte eines in Essen angesiedelten Familienunternehmens für Frotteeprodukte rekapituliert, das als Zulieferer der Reichswehr im Ersten Weltkrieg seine wirtschaftliche Basis fand, sich in der Hitler-Zeit geschickt abseits hielt und doch unauffällig seine Geschäfte machte, im Grunde aber da schon mit dem schleichenden Niedergang zu kämpfen hatte. Der ereignet sich jedoch weniger als ökonomische Notwendigkeit, denn als Ermüdung und zunehmende Kraftlosigkeit der Firmenchefs von Generation zu Generation.
In der Gegenwart bestimmt Kurt Tietjen, Enkel des Firmengründers, die Politik des Unternehmens, vielmehr: Er bestimmt sie eben nicht. Ohne weitere Erklärungen und ohne eine Adresse zu hinterlassen, hat er sich abgesetzt. In Brooklyn versucht er, ein neues Leben zu beginnen und eine neue Identität am untersten Rand der Gesellschaft zu finden. Frei sein, nichts mehr tun müssen, nichts verantworten: Das wäre sein Wunsch. Paul Auster könnte aus so einer Figur ein großes Identitätsdrama und Verwirrspiel machen. Nora Bossong lässt ihn irgendwo auf halber Strecke verhungern. Er kommt nicht wirklich los von seiner Geschichte.
Das liegt auch an der Tochter, Luise Tietjen, 27 Jahre alt, die in seiner Abwesenheit die Firma zu leiten beginnt und gegen den schon lange verschleierten Konkurs ankämpft. Auch hier findet ein Rollenwechsel statt, der in seiner Geschwindigkeit frappiert. Aus einer sensiblen, liebesbedürftigen jungen Frau wird binnen kürzester Zeit eine knallhart kalkulierende Chefin, die sich aber, so viel darf verraten werden, am Ende doch verrechnet hat. Der Kampf Vater gegen Tochter und Tochter gegen Vater ist auch mit dessen Tod nicht beendet. Wer da für wen haftet und mit welchen Beschränkungen - das ist das subtile Thema des Romans.
In ersten Besprechungen ist "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" mit Thomas Manns "Buddenbrooks" verglichen worden. Dafür spricht das Genre des Familienromans und eines über mehrere Generationen gezeichneten Niedergangs. Doch Bossong zeichnet keine psychologischen Porträts; so richtig plausibel sind ihre Figuren nicht mit all den Wendungen, die sie vollziehen müssen. Auch als Wirtschaftsroman taugt das Buch nicht wirklich, obwohl Bossong neben New York als Ort des Geldes vor allem die grauenhaften Produktionsstätten in China und Bangladesch in den Blick nimmt. Das deutsche Familienunternehmen zerschellt auch an der globalen Verflechtung, für die es bei allen Intrigen und Bilanzmanipulationen einfach nicht niederträchtig genug ist. Doch wenn schon Wirtschaftsroman, dann wäre Rainald Goetz' mit viel Hass und Verve geschriebenes Pamphlet "Johann Holtrop" die überlegene Alternative.
Bossong schreibt mit unterkühlter Sachlichkeit. Das ist zunächst ein Vorzug: Die Eingangsszene, in der Luise zu ihrem Vater reist, ihn aber nur noch tot in einer heruntergekommen Unterkunft vorfindet, gewinnt dadurch an Kraft. Von hier aus erzählt sie in gekonnt geschnittenen Rückblenden. Das unvermeidliche Ende ist dadurch immer gegenwärtig. Immer wieder gelingen ihr Sätze von bewundernswerter Präzision, so etwa, wenn es über Luise im Büro des Vaters heißt: "Die Tage hinter seinem Schreibtisch fühlten sich beklemmend an, als trüge sie den Anzug eines Toten." Doch je länger man liest, umso mehr schlägt die distanzierte Haltung der Erzählerin um in mangelnde Teilnahme, als ob ihr selbst immer unklarer werden würde, was sie eigentlich erzählen will. Als Leser beobachtet man eine Autorin als Souverän: Die Figuren müssen ihr gehorchen, auch wenn sie unglaubwürdig wirken. Dabei mitzugehen ist leider auch ein bisschen langweilig.
Besprochen von Jörg Magenau
Nora Bossong: Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Roman
Hanser, München 2012
300 Seiten, 19,90 Euro
"Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ist aber nur vordergründig ein Wirtschaftsroman. In knappen Strichen wird die Geschichte eines in Essen angesiedelten Familienunternehmens für Frotteeprodukte rekapituliert, das als Zulieferer der Reichswehr im Ersten Weltkrieg seine wirtschaftliche Basis fand, sich in der Hitler-Zeit geschickt abseits hielt und doch unauffällig seine Geschäfte machte, im Grunde aber da schon mit dem schleichenden Niedergang zu kämpfen hatte. Der ereignet sich jedoch weniger als ökonomische Notwendigkeit, denn als Ermüdung und zunehmende Kraftlosigkeit der Firmenchefs von Generation zu Generation.
In der Gegenwart bestimmt Kurt Tietjen, Enkel des Firmengründers, die Politik des Unternehmens, vielmehr: Er bestimmt sie eben nicht. Ohne weitere Erklärungen und ohne eine Adresse zu hinterlassen, hat er sich abgesetzt. In Brooklyn versucht er, ein neues Leben zu beginnen und eine neue Identität am untersten Rand der Gesellschaft zu finden. Frei sein, nichts mehr tun müssen, nichts verantworten: Das wäre sein Wunsch. Paul Auster könnte aus so einer Figur ein großes Identitätsdrama und Verwirrspiel machen. Nora Bossong lässt ihn irgendwo auf halber Strecke verhungern. Er kommt nicht wirklich los von seiner Geschichte.
Das liegt auch an der Tochter, Luise Tietjen, 27 Jahre alt, die in seiner Abwesenheit die Firma zu leiten beginnt und gegen den schon lange verschleierten Konkurs ankämpft. Auch hier findet ein Rollenwechsel statt, der in seiner Geschwindigkeit frappiert. Aus einer sensiblen, liebesbedürftigen jungen Frau wird binnen kürzester Zeit eine knallhart kalkulierende Chefin, die sich aber, so viel darf verraten werden, am Ende doch verrechnet hat. Der Kampf Vater gegen Tochter und Tochter gegen Vater ist auch mit dessen Tod nicht beendet. Wer da für wen haftet und mit welchen Beschränkungen - das ist das subtile Thema des Romans.
In ersten Besprechungen ist "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" mit Thomas Manns "Buddenbrooks" verglichen worden. Dafür spricht das Genre des Familienromans und eines über mehrere Generationen gezeichneten Niedergangs. Doch Bossong zeichnet keine psychologischen Porträts; so richtig plausibel sind ihre Figuren nicht mit all den Wendungen, die sie vollziehen müssen. Auch als Wirtschaftsroman taugt das Buch nicht wirklich, obwohl Bossong neben New York als Ort des Geldes vor allem die grauenhaften Produktionsstätten in China und Bangladesch in den Blick nimmt. Das deutsche Familienunternehmen zerschellt auch an der globalen Verflechtung, für die es bei allen Intrigen und Bilanzmanipulationen einfach nicht niederträchtig genug ist. Doch wenn schon Wirtschaftsroman, dann wäre Rainald Goetz' mit viel Hass und Verve geschriebenes Pamphlet "Johann Holtrop" die überlegene Alternative.
Bossong schreibt mit unterkühlter Sachlichkeit. Das ist zunächst ein Vorzug: Die Eingangsszene, in der Luise zu ihrem Vater reist, ihn aber nur noch tot in einer heruntergekommen Unterkunft vorfindet, gewinnt dadurch an Kraft. Von hier aus erzählt sie in gekonnt geschnittenen Rückblenden. Das unvermeidliche Ende ist dadurch immer gegenwärtig. Immer wieder gelingen ihr Sätze von bewundernswerter Präzision, so etwa, wenn es über Luise im Büro des Vaters heißt: "Die Tage hinter seinem Schreibtisch fühlten sich beklemmend an, als trüge sie den Anzug eines Toten." Doch je länger man liest, umso mehr schlägt die distanzierte Haltung der Erzählerin um in mangelnde Teilnahme, als ob ihr selbst immer unklarer werden würde, was sie eigentlich erzählen will. Als Leser beobachtet man eine Autorin als Souverän: Die Figuren müssen ihr gehorchen, auch wenn sie unglaubwürdig wirken. Dabei mitzugehen ist leider auch ein bisschen langweilig.
Besprochen von Jörg Magenau
Nora Bossong: Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Roman
Hanser, München 2012
300 Seiten, 19,90 Euro