Mit Kind und Kollege
Brauchen wir eine Frauenquote in Führungsetagen? "Nein", sagt Nina Patisson. "Wir brauchen familienfreundliche Strukturen bei der Arbeit." Weil die Mutter zweier Kinder aus dem Siegerland weiß, was das bedeutet, schaffte sie als Geschäftsführerin einer mittelständischen Firma einfach selbst diese Strukturen, zum Beispiel mit einem Familientag in der Betriebskantine.
"Guten Morgen."
"Morgen."
"Morgen."
Nina Patisson auf dem Weg in die hintere Produktionshalle. Vor einer halben Stunde hat sie noch ihre Kinder in die Schule verabschiedet, jetzt lässt sie Maschinenaufbauten, den großen Überseecontainer und die Bahnschienen in der Halle links liegen und öffnet mit Schwung die schwere Feuerschutztür in die Ausstellungshalle.
"Oh morgen, Herr Hopp ..."
Um ein Haar wäre die 36-Jährige voller Elan in den Mann hineingerauscht, der ihr durch die Tür entgegen kommt, in Latzhose und grauem Kittel. Sie trägt hautenge, goldglänzende Jeans; Schuhe mit hohem Blockabsatz und eine rockige Rüschenbluse unter einem enganliegenden, kurzen Blazer. Dazu ein feuerroter, asymmetrischer Schopf - kaum zu glauben, dass so die Chefin einer Maschinenbau-Firma aussieht.
Nina Patisson: "Ich wurde schon öfter danach gefragt, warum ich nicht in der Mode arbeite oder so. Aber ich brauche schon ein erklärungsbedürftiges Produkt, ja."
"Ja, sie kommt ganz oft und fragt dann schon 'mal wegen irgendwelcher Sachen, die wir dann besprechen und dann, ja, dann kriegt sie vernünftige Antworten ... wenn man nichts weiß…"
"…, wenn man nichts weiß, dann muss man fragen."
Ein freundschaftlicher Ton zwischen Chefin und Mitarbeitern. Jede Woche lässt sie sich in der Ausstellungshalle zeigen, wie weit die Männer mit dem Aufbau der Spezialmaschine für die Kunden zum Anschauen sind. Die junge Frau bringt frischen Wind mit. Und muss jetzt dringend weiter, in ihr Büro. Sie hat noch viel zu tun bis zum Mittag.
Der Dienstag - ein Highlight
Nina Patisson wollte nie ins Familienunternehmen einsteigen. Sie lernt Reiseverkehrskauffrau, aber fängt dann doch noch ein Wirtschaftsstudium an. Und sie wird nach vielen Stationen im In- und Ausland im September 2013 Geschäftsführerin der Albrecht Bäumer GmbH.
Dienstags hat sie einen sehr wichtigen Termin in ihrem prallgefüllten Kalender: Famililientag in der Kantine. Das war ihre Idee. Nina Patisson ist verheiratet und hat zwei kleine Mädchen. Mia und Hope. Es ist punkt halb eins. Gerade kommen die beiden in ihr Büro gelaufen und schmeißen sich der Mama in die Arme.
"Hallo Mimi! ... Du hast mich heute angerufen, habe ich gehört - ich hab noch versucht, Dich zurückzurufen und Du warst dann nicht mehr am Telefon ....."
Eine innige Szene. Es ist mit Händen zu greifen, dass gerade die kleinere mit ihren sieben Jahren die Mama schon noch sehr braucht. Hand in Hand gehen die drei in die Kantine.
"Alles ok so?"
"Du bezahlst!".
"Du bezahlst!".
Von früh morgens an ist die hell und freundlich ausgebaute Kantine der Treffpunkt für alle Bäumer-Mitarbeiter. Doch um halb eins sind die meisten schon durch mit dem Mittag. Die Sonne scheint durch die hohen Fenster, die Kinder rennen aufgekratzt umher; Max Patisson hat ein Tablett mit Eintopf und Getränken bestückt. Er ist Ninas Ehemann; ein cooler, durchtrainierter Typ mit geschmeidigen Bewegungen. Er ist Tanzpädagoge. Nina war seine Schülerin. Jetzt hat er seine Arbeit deutlich reduziert und ist viel für die Kinder da. Dienstags ist sein freier Tag vom Kochen. Eine Art Ferientag für alle Patissons.
Nina Patisson: "Das lenkt mich gerne ab in der Mittagspause. Und dann bin ich hinterher wieder voll da. Ich bin es gewohnt, das so zu machen. Ich glaube, das Problem ist eher andersherum schwer, wirklich abzuschalten und aus der Arbeit rauszukommen. Wenn ich keine Kinder hätte, wäre das schwieriger. Weil: Die nehmen einen immer ganz - und das ist auch gut so."
Sie strahlt Mia und Hope an. Kinder wollte sie lange gar nicht haben; jetzt kann sie sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen. Ein Leben ohne die berufliche Herausforderung aber auch nicht. Bis zu zehn Stunden am Tag ist sie weg; für die Kinder ist der Dienstag deshalb ein Highlight.
"Ja. Weil meine Mami dann hier ist. Weil ich die dann jeden Dienstag mal sehen kann."
Strahlende Kinderaugen in der Werkskantine
Sonst sehen sie sich tagsüber nie.
"Nee. Nur abends sehen wir uns. Und am Wochenende."
Darauf freut sich die neunjährige Mia jetzt schon. Strahlende Kinderaugen in der Werkskantine. Ein erstaunlicher Anblick in einer Firma mit 45 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Am Nebentisch sitzen noch zehn Mann im Blaumann und schaufeln stoisch Schnitzel mit Pommes in sich hinein. Eigentlich ist der Familientag auch für sie gedacht. Alle 300 Mitarbeiter dürften dienstags ihre Kinder mitbringen. Aber bislang kommt da nur wenig.
Nina Patisson: "Ich kann mir vorstellen, dass da eine Hemmschwelle da ist, zu sagen: 'Ja, wenn ich die Kinder hole, dann sind die halt laut.' und das ist nicht so perfekt - in Anführungszeichen -, wie so eine Arbeitswelt eigentlich sein sollte. Also ich bin der Meinung: Davon müssen wir uns in der Neuen Zeit verabschieden. Dass das alles so 'perfekt' sein muss."
"Die neue Zeit", wie sie nennt, die hat Nina Patisson in Frankreich kennen gelernt. Da ist es ganz normal, dass beide Eltern arbeiten, und dass die Firmen familienfreundlich sind. Sie will da auch hin und geht auch deshalb mit gutem Beispiel voran.
"Ich weiß ja nicht, ob es so wirkt, wie ich es mir vorstelle, aber wenn es so wirkt, dann wäre ich froh."
Ein letzter Haps vom Brötchen, ein Kuss für Mann und Kinder. Nina Patisson greift nach ihrem i-Pad und dem Handy. Die halbe Stunde Familienpause ist um. Sie muss wieder los. Bald will sie einen Kindergarten auf dem Bäumer-Gelände installieren. Vielleicht kommen dann mehr Mitarbeiter auf den Geschmack und bringen ihre Familien doch noch zum Familientag in die Kantine. Sie hofft es und stürmt davon: Betriebsratssitzung.