Als Quereinsteiger ins Rathaus
Herten war einst die größte Bergbaustadt Europas, doch heute ist die Stadt eine der ärmsten Kommunen Deutschlands. Ihr Bürgermeister Fred Toplak ist Seiteneinsteiger - und will unternehmerischen Geist in die Politik bringen.
Erwartungsvoll hat sich Fred Toplak aufgestellt – und guckt in eine Handy-Kamera:
"Wir sind natürlich wieder live."
"Ehrlich."
"Das Live-Video ist gestartet… Wir befinden uns hier in Herten, direkt am Schlosspark oder im Schlosspark, heute gab es hier von der NRW-Stiftung eine Scheckübergabe und ich habe mir jetzt gerade mal den Bürgermeister Fred Toplak gekrallt, um mal ein paar Fragen zu stellen. Als Bürgermeister der Stadt, denk ich mal, ist man natürlich froh über so eine besondere Veranstaltungs-Location, die jetzt hier gerade auch entstehen wird, oder?"
"Ja, auf jeden Fall. Erstmal noch mein herzlicher Dank an den Förderverein…"
Toplak, 59 Jahre alt, ein drahtiger, kleiner Mann mit kurzem lichten Haar, auffälliger Brille mit schwarzem Rand, Jackett, Hemd, Jeans und roten Turnschuhen, steht vor jener Ruine im Schlosspark von Herten, die bald saniert werden soll. Als Bürgermeister hat er bei der Scheckübergabe mitgemacht – einer der angenehmeren Seiten seines Jobs. Denn: Der ehemalige Betreiber einer Werbe-Agentur trat im Jahr 2016 als parteiloser Unternehmer zur Bürgermeisterwahl an, um eine der ärmsten Kommunen Deutschlands voranzubringen. Und dazu gehört eben auch die direkte Kommunikation:
"Es ist wichtig, insofern, dass ich immer davon überzeugt bin, dass man versuchen muss, auf mindestens vier Kanälen unterwegs zu sein. Das ist zum einen eben die sozialen Medien, die Lokalpresse, der nächste Teil ist eben alles, was Verwaltung und Rat kommuniziert und der letzte und wichtigste Teil ist eben, so wie gerade, wenn wir hierher gehen und man trifft fLeute, man kann mal einen kurzen Plausch halten, kriegt eine Information."
Die Arbeitslosenquote ist zweistellig
Sprich: Das persönliche Gespräch. Wer einen Tag mit Toplak durch Herten läuft und fährt, erlebt einen ungewöhnlichen Politiker. Wobei, Politiker will Toplak gar nicht sein:
"Ich finde einfach das Wort Politiker schränkt einen so ein. Man ist dann wie in so einer ganz spezifischen Kategorie, man muss politisch denken, man muss politisch handeln, man ist eine politische Person. Irgendwo bin ich das vielleicht auch alles, aber ich glaube, ich bin mehr…."
Diese eher abstrakte, fast schon philosophische Antwort, zeigt recht gut, wie sich Toplak sieht: Als Seiteneinsteiger, als Ausstehender, der ein System verändern möchte.
"Nennen wir es doch einfach unternehmerischer Bürgermeister."
Der nun – einmal im Amt – vor riesigen Herausforderungen steht: In den goldenen Zeiten des Ruhr-Bergbaus förderten 12.000 Kumpel in Herten sechs Millionen Tonnen Kohle im Jahr. Mit 61.000 Einwohnern war Herten die größte Bergbaustadt Europas – und eiserne SPD-Hochburg. Heute ist die Arbeitslosenquote zweistellig und der Schuldenberg gigantisch. Auch ein Grund, weshalb Toplak, der jetzt durch den Schlosspark spaziert, damals gewann:
"Ich weiß, es wird immer sehr suspekt betrachtet, wenn man ein Unternehmen mit einer Stadt vergleicht, aber trotzdem gibt es eine Menge Parallelen, wie bei anderen Dingen auch. Man muss es ja auch nicht immer so ultimativ sagen: Das ist jetzt so oder so. Oder schwarz oder weiß, es ist auch manchmal grau. Das hat mich dazu bewogen…."
"Guten Morgen."
"Schönen guten Morgen! ...und das hat mich dazu bewogen mich für das Amt zu bewerben. Aber ich war mir auch von Anfang sicher, dass ich es werden…"
Toplak, Vater von vier Kindern, ist Mann mit großem Selbstbewusstsein:
"Alle bisherigen Akteure haben in dem Rahmen, in dem sie in dieser Zeit eben agieren konnten, entsprechend agiert. Ich bin überhaupt kein Freund davon, immer im Nachhinein zu sagen: Hätte man alles besser und anders machen können. Hätte, hätte, Zigarette. Für mich war wichtig, zu schauen, was möchte ich machen, was kann ich machen, aber auch ein Stück Neugierde, ein Stück unternehmerischer Geist, zu sagen: Da muss man mal was probieren. Man muss Dinge vielleicht mal anders betrachten. Sich mal kleiner machen, größer machen, einen anderen Blickwinkel einnehmen."
Toplak ist passionierter Langläufer
Toplak hat erst einmal den Fahrer abgeschafft. In der Bilanz seines erstes Jahres führte er beispielsweise auf, dass es nun ein kostenloses WLAN in der Innenstadt gebe, ein Konzept gegen Raser, aber auch, dass er bisher 62.300 Hände geschüttelt und auf Facebook 41 Wochenrückblicke gepostet habe. Mit den anderen Parteien hat er sich rasch überworfen – doch Toplak ist niemand, der aufgibt. Das zeigte auch seine Krebserkrankung, die ihn unmittelbar nach Amtsübernahme traf. Er ließ sich operieren und nicht unterkriegen:
"Ich habe auch organisch einige Einschränkungen, also, sie merken das mein Sprechen nicht ganz so einfach ist, weil ich nur eine halbe Zunge habe."
Eine Konsequenz der Operation. Aber Toplak, ein passionierter Ultra-Langläufer, der Strecken über 240 Kilometer am Stück bewältige, gibt nicht einfach auf.
"Lange zu laufen, strategisch zu laufen, gerade, wenn es im Gebirge oder so Sachen ist, da muss man schon ein stückweit sich ganz genau kennen, sich ganz genau einschätzen können. Wo sind Grenzen? Wo kann ich rübergehen über die Grenze? Wo muss ich vielleicht ein Stück Abstand halten, weil es vielleicht auch gefährlich wird? Das ist das spannende an solchen Läufen."
Und eine Erfahrung, die Toplak jetzt auch in der Politik macht. Denn: Der erste Zauber seiner unabhängigen Kandidatur ist bereits verflogen, wie ein Anruf im Rathaus ergibt:
"Das ist schon so, dass ein Unabhängiger die Möglichkeit hat, über Parteigrenzen hinweg für eine Stadt zu erreichen. Leider funktioniert das Thema Kommunikation nur sehr eingeschränkt. Im Regelfall wird eigentlich mit uns kaum noch gesprochen. Und mit uns meine ich jetzt den gesamten Rat, sondern wir erhalten fertige Vorlagen über die wir dann entscheiden sollen, auch bei sehr kontroversen Themen", ...
... sagt Christian Bugzel, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Herten. Auf Toplak sind die klassischen Parteien – logischerweise – nicht gut zu sprechen. Doch dieser zog daraus seine Konsequenzen, gründete im letzten Sommer die TOP-Partei. TOP, das steht für "Transparente Offene Politik" und – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – für die Anfangsbuchstaben seines Nachnamens:
"Wir hatten auch hundert andere Namen und konnten uns einfach nie auf irgendeine Richtung, weil die irgendwie keine Aussage hatte oder, ich sage mal, drei inhaltlose Buchstaben und jetzt über sozial, christlich und frei und liberal und all das, was ja besetzt ist, kann man jetzt alles in einen Sack hauen und kann sich drei Buchstaben raussuchen und kann dann gucken, welche nimmt man davon. So, dann sind wir bei TOP. Ja, ob das jetzt mein Name ist oder nicht. Top ist nun mal nicht mein Name, weil, das war eigentlich eher so ein Anstoß zu sagen: Wir wollen eine Top-Arbeit liefern, wir wollen ein Top-Team sein, wollen für Top-Ergebnisse sorgen."
Bei der nächsten Wahl will er wieder kandidieren
Und eben eine Partei aufbauen. Für SPD-Mann Bugzel ist diese Neugründung nicht nachvollziehbar, …
"… weil er sagt, er will die Blockade im Rat durchbrechen. Dieser Ansatz ist aber überhaupt nicht notwendig, weil alle Parteien und alle Fraktionen immer signalisiert haben: In der Sache sind wir natürlich bereit zu reden."
Dennoch zeigt sich: Der Seiteneinsteiger Toplak, er wird vielleicht doch noch zum Politiker. Denn neben der Parteineugründung, stellte er vor einiger Zeit einen Referenten mit Verwaltungs- und Parlamentserfahrung ein, will bei der nächsten Wahl wieder kandidieren – und übt auch Selbstkritik:
"Okay, ich komme, so wie ich angefangen habe, nicht weiter. Und ich möchte eigentlich das eine oder andere noch gerne umsetzen, erreichen und das schaffe ich leider in den vier Jahren nicht. Also bin ich bereit für die nächsten fünf."
Im Jahr 2020 wird gewählt. Ein Seiteneinsteiger ist Fred Toplak dann aber nicht mehr.