Unternehmer, Häftling, Putin-Gegner
Dieses Buch provoziert: Es enthält Essays von Michail Chodorkowski zu Politik und Gesellschaft sowie Dialoge des Autors mit bekannten russischen Schriftstellern. Und es zeigt: Russlands bekanntester Häftling hat sich inzwischen zu einem der führenden Köpfe der liberalen Opposition entwickelt.
Ein Land, das sich damit abfindet, dass die Polizeibürokratie im eigenen und keineswegs im Interesse des Landes Zehn- wenn nicht Hunderttausende talentierter Unternehmer, Führungskräfte und einfache Bürger in Gefängnissen hält, ist ein krankes Land.
Diese Sätze Chodorkowskis stammen aus seinem Schlussplädoyer vor Gericht im vergangenen November. Da der Prozess öffentlich war, hat jemand dieses Plädoyer aufgezeichnet - eine politische Programmrede, die im Buch "Briefe aus dem Gefängnis" nachzulesen ist. Darin lässt Chodorkowski an seiner Gegnerschaft zum Putin-Regime keine Zweifel:
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die uns weiter im Gefängnis sehen wollen. Für immer ( ... ) Weil sie demonstrieren wollen: Sie stehen über dem Gesetz, sie erreichen immer das, was sie vorhaben. Bisher haben sie das Gegenteil erreicht. Sie haben aus gewöhnlichen Menschen ein Symbol des Widerstands gegen die Willkür gemacht. Jetzt brauchen sie einen Schuldspruch, um nicht selbst zu Sündenböcken zu werden.
Putin hatte im November 2010 wenige Wochen vor der zweiten Urteilsverkündung öffentlich erklärt, an den Händen Chodorkowskis klebe Blut, ein Dieb gehöre hinter Gitter. Inzwischen hat Amnesty International auf Antrag von zahlreichen prominenten russischen Künstlern, Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern Chodorkowski als Gefangenen aus Gewissensgründen anerkannt. Denn in den Jahren seiner Haft, davon sind die russischen Intellektuellen überzeugt, hat er sich vom politischen Gefangenen zu einer herausragenden Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Russland entwickelt. Dieser Meinung ist auch der Kriminalautor Boris Akunin, dessen Briefwechsel aus dem Jahr 2008 mit dem derzeit berühmtesten Häftling Russlands in das Buch aufgenommen worden ist. Akunin interessiert sich vor allem für den Grund des persönlichen Krieges, den Putin gegen Chodorkowski führt. Chodorkowski antwortet:
Ein Gespräch mit Putin über Spielregeln hat tatsächlich stattgefunden. Während dieses Gesprächs im Jahre 2000 sagte Putin, er erwarte, dass die großen Konzerne sich nicht für die Lösung politischer Aufgaben einspannen ließen. Wir erklärten alle, darunter auch ich, dass wir diese Position unterstützen.
Doch Chodorkowski hält sich nicht an die Spielregeln: 2001 gründet er seine soziale Stiftung "Offenes Russland". Er finanziert die Opposition, hilft unabhängigen Medien und unterstützt die Arbeit für die politische Bildung der Jugend. Ein Jahr später erklärt er, dass er 2008 aus seinem Ölkonzern Jukos ausscheiden wolle.
Geld, deine Position, all das ist wichtig, wenn das, was du tust, im Einklang mit deinem genuinen Verständnis von dem, was richtig ist, steht. Ist das nicht der Fall, fühlst du dich unfrei. Dir diese Freiheit zu nehmen, daran hindert dich die Macht der Gewohnheit. So lässt du es zu, dass dich die Gegenstände, das System, deine Position oder dein Eigentum versklaven. Ich bin fest davon überzeugt: Das einzig Richtige ist, all das hinzuschmeißen und etwas anderes zu machen.
Viele verstanden das so, dass der damals reichste Unternehmer Russlands in die Politik gehen würde. Im Februar 2003 kritisierte Chodorkowski auf einer Konferenz den ebenfalls anwesenden Putin wegen der ausufernden Korruption in Russland. Das aber war bereits eine direkte Einmischung in die Politik und konnte nicht geduldet werden.
Ich sprach damals von dem gigantischen Marktanteil der Korruption in unserem Land: 30 Milliarden US-Dollar, das heißt zehn Prozent des seinerzeitigen Bruttoinlandsprodukts. Im März begann meine Verfolgung. Und dann kam eins zum anderen.
Im Oktober desselben Jahres begriff Chodorkowski, das er diese Runde verloren hatte. Er wurde festgenommen.
Das Ausmaß und die Formen der Rache unserer Gegner überstiegen allerdings unsere Befürchtungen. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass der Konzern zerschlagen, die Justiz praktisch ausgeschaltet und den unabhängigen Medien das Maul gestopft wird.
Chodorkowski hat sich in den Jahren seiner Haft immer wieder öffentlich zu Wort gemeldet. In russischen Printmedien kommentierte er aktuelle politische Ereignisse. In seinen Essays äußerte er Gedanken über das Verhältnis von Staat und Eigentum, über die Modernisierung, den Liberalismus und eine funktionierende starke Zivilgesellschaft als Entwicklungsmodell für Russland. Besonders intensiv hat er sich allerdings mit dem russischen Rechtswesen befasst. Und hier fällt seine Bilanz vernichtend aus:
Das Justiz- und Polizei-Förderband lähmt vor Angst und raubt Millionen die Lebenskraft. Doch das Förderband ist nicht für die Ewigkeit. Jedes Jahr bringt es viele tausend Menschen hervor, die das System hassen. ( ... ) Entweder wird dieses Förderband-System zerstört, indem die notwendigen Strukturen mit der Verfassung in Einklang gebracht werden, oder die Zerstörung erfolgt auf die in Russland traditionelle Art und Weise – von unten und mit Blutvergießen. Man kann mit Sicherheit sagen, dass das Förderband der Silowiki, der Gegner von Spielregeln, das die Justiz unterhöhlt hat, der Totengräber eines modernen Russlands ist.
In der russischen Ausgabe des Buches sind mehrere wichtige schriftliche Interviews Chodorkowskis mit russischen und internationalen Zeitungen enthalten. Leider fehlen sie in der deutschen Fassung. Stattdessen hat der Verlag - wohl um das Buch besser verkaufen zu können - einen 35 Seiten langen Aufsatz eines Spiegel-Reporters aufgenommen. Der Essay ist zeitgleich mit dem Erscheinen des Buches in dem Hamburger Nachrichtenmagazin gedruckt worden. Allerdings bedient der Autor dort so manches Klischee und trägt kaum Erhellendes zum Phänomen Chodorkowski bei.
Michail Chodorkowski: Briefe aus dem Gefängnis
Aus dem Russischen von Birgit Veit und Ganna-Maria Braungardt
Knaus Verlag, München/2011
Diese Sätze Chodorkowskis stammen aus seinem Schlussplädoyer vor Gericht im vergangenen November. Da der Prozess öffentlich war, hat jemand dieses Plädoyer aufgezeichnet - eine politische Programmrede, die im Buch "Briefe aus dem Gefängnis" nachzulesen ist. Darin lässt Chodorkowski an seiner Gegnerschaft zum Putin-Regime keine Zweifel:
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die uns weiter im Gefängnis sehen wollen. Für immer ( ... ) Weil sie demonstrieren wollen: Sie stehen über dem Gesetz, sie erreichen immer das, was sie vorhaben. Bisher haben sie das Gegenteil erreicht. Sie haben aus gewöhnlichen Menschen ein Symbol des Widerstands gegen die Willkür gemacht. Jetzt brauchen sie einen Schuldspruch, um nicht selbst zu Sündenböcken zu werden.
Putin hatte im November 2010 wenige Wochen vor der zweiten Urteilsverkündung öffentlich erklärt, an den Händen Chodorkowskis klebe Blut, ein Dieb gehöre hinter Gitter. Inzwischen hat Amnesty International auf Antrag von zahlreichen prominenten russischen Künstlern, Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern Chodorkowski als Gefangenen aus Gewissensgründen anerkannt. Denn in den Jahren seiner Haft, davon sind die russischen Intellektuellen überzeugt, hat er sich vom politischen Gefangenen zu einer herausragenden Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Russland entwickelt. Dieser Meinung ist auch der Kriminalautor Boris Akunin, dessen Briefwechsel aus dem Jahr 2008 mit dem derzeit berühmtesten Häftling Russlands in das Buch aufgenommen worden ist. Akunin interessiert sich vor allem für den Grund des persönlichen Krieges, den Putin gegen Chodorkowski führt. Chodorkowski antwortet:
Ein Gespräch mit Putin über Spielregeln hat tatsächlich stattgefunden. Während dieses Gesprächs im Jahre 2000 sagte Putin, er erwarte, dass die großen Konzerne sich nicht für die Lösung politischer Aufgaben einspannen ließen. Wir erklärten alle, darunter auch ich, dass wir diese Position unterstützen.
Doch Chodorkowski hält sich nicht an die Spielregeln: 2001 gründet er seine soziale Stiftung "Offenes Russland". Er finanziert die Opposition, hilft unabhängigen Medien und unterstützt die Arbeit für die politische Bildung der Jugend. Ein Jahr später erklärt er, dass er 2008 aus seinem Ölkonzern Jukos ausscheiden wolle.
Geld, deine Position, all das ist wichtig, wenn das, was du tust, im Einklang mit deinem genuinen Verständnis von dem, was richtig ist, steht. Ist das nicht der Fall, fühlst du dich unfrei. Dir diese Freiheit zu nehmen, daran hindert dich die Macht der Gewohnheit. So lässt du es zu, dass dich die Gegenstände, das System, deine Position oder dein Eigentum versklaven. Ich bin fest davon überzeugt: Das einzig Richtige ist, all das hinzuschmeißen und etwas anderes zu machen.
Viele verstanden das so, dass der damals reichste Unternehmer Russlands in die Politik gehen würde. Im Februar 2003 kritisierte Chodorkowski auf einer Konferenz den ebenfalls anwesenden Putin wegen der ausufernden Korruption in Russland. Das aber war bereits eine direkte Einmischung in die Politik und konnte nicht geduldet werden.
Ich sprach damals von dem gigantischen Marktanteil der Korruption in unserem Land: 30 Milliarden US-Dollar, das heißt zehn Prozent des seinerzeitigen Bruttoinlandsprodukts. Im März begann meine Verfolgung. Und dann kam eins zum anderen.
Im Oktober desselben Jahres begriff Chodorkowski, das er diese Runde verloren hatte. Er wurde festgenommen.
Das Ausmaß und die Formen der Rache unserer Gegner überstiegen allerdings unsere Befürchtungen. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass der Konzern zerschlagen, die Justiz praktisch ausgeschaltet und den unabhängigen Medien das Maul gestopft wird.
Chodorkowski hat sich in den Jahren seiner Haft immer wieder öffentlich zu Wort gemeldet. In russischen Printmedien kommentierte er aktuelle politische Ereignisse. In seinen Essays äußerte er Gedanken über das Verhältnis von Staat und Eigentum, über die Modernisierung, den Liberalismus und eine funktionierende starke Zivilgesellschaft als Entwicklungsmodell für Russland. Besonders intensiv hat er sich allerdings mit dem russischen Rechtswesen befasst. Und hier fällt seine Bilanz vernichtend aus:
Das Justiz- und Polizei-Förderband lähmt vor Angst und raubt Millionen die Lebenskraft. Doch das Förderband ist nicht für die Ewigkeit. Jedes Jahr bringt es viele tausend Menschen hervor, die das System hassen. ( ... ) Entweder wird dieses Förderband-System zerstört, indem die notwendigen Strukturen mit der Verfassung in Einklang gebracht werden, oder die Zerstörung erfolgt auf die in Russland traditionelle Art und Weise – von unten und mit Blutvergießen. Man kann mit Sicherheit sagen, dass das Förderband der Silowiki, der Gegner von Spielregeln, das die Justiz unterhöhlt hat, der Totengräber eines modernen Russlands ist.
In der russischen Ausgabe des Buches sind mehrere wichtige schriftliche Interviews Chodorkowskis mit russischen und internationalen Zeitungen enthalten. Leider fehlen sie in der deutschen Fassung. Stattdessen hat der Verlag - wohl um das Buch besser verkaufen zu können - einen 35 Seiten langen Aufsatz eines Spiegel-Reporters aufgenommen. Der Essay ist zeitgleich mit dem Erscheinen des Buches in dem Hamburger Nachrichtenmagazin gedruckt worden. Allerdings bedient der Autor dort so manches Klischee und trägt kaum Erhellendes zum Phänomen Chodorkowski bei.
Michail Chodorkowski: Briefe aus dem Gefängnis
Aus dem Russischen von Birgit Veit und Ganna-Maria Braungardt
Knaus Verlag, München/2011