Unterricht

Warum es zu wenig islamische Religionslehrer gibt

Der Lehrer Timur Kumlu unterrichtet an der Henri-Dunant-Schule in Frankfurt am Main islamischen Religionsunterricht.
Der Lehrer Timur Kumlu unterrichtet an der Henri-Dunant-Schule in Frankfurt am Main islamischen Religionsunterricht. © picture alliance / dpa
Moderation: Frank Meyer |
Die Ausbildung islamischer Religionslehrer kommt voran. Trotzdem fehlt es vielerorts an Angeboten in den Schulen. Ismail Hakki Yavuzcan, der an der Uni Tübingen entsprechende Lehrkräfte ausbildet, erläutert die schwierigen Rahmenbedingungen.
Frank Meyer: Christliche Kinder können an unseren Schulen evangelischen oder katholischen Religionsunterricht besuchen, natürlich, jedenfalls in den meisten Bundesländern. Wenn muslimische Kinder an ihren Schulen Religionsunterricht haben möchten, dann gucken sie meistens in die Röhre, obwohl es doch heißt, der Islam gehört zu Deutschland. Warum es so wenig islamischen Religionsunterricht gibt, das fragen wir den Religionspädagogen Ismail Yavuzcan. Er bildet an der Universität Tübingen muslimische Religionslehrer aus. Seien Sie willkommen, Herr Yavuzcan!
Ismail Yavuzcan: Ja, herzlichen Dank auch für das Interview!
Meyer: In Nordrhein-Westfalen, da gibt es zum Beispiel 300.000 muslimische Schüler, aber nur 4000 davon haben Religionsunterricht. Woran liegt das dann in Nordrhein-Westfalen?
Yavuzcan: Ich denke, dafür gibt es mehrere Gründe. Einmal der rechtliche Rahmen, das heißt, wir haben eigentlich in Deutschland bis dato keinen flächendeckenden Religionsunterricht, obwohl ja das Grundgesetzt Artikel 7 Absatz 3 den Religionsunterricht verpflichtend einstuft. Das Problem bis dato ist zum einen, dass auf staatlicher Seite die Voraussetzungen dafür, das heißt die Infrastruktur nicht geschaffen werden, aber auf der anderen Seite natürlich sieht Artikel 7 Absatz 3 vor, dass der deutsche Staat oder die Länder in diesem Fall wegen der Bildungshoheit Ansprechpartner brauchen. Und da ist der Einwand, dass wir auch hier uns eben die Religionsgemeinschaften als Ansprechpartner wie die katholische oder die evangelische Kirche fehlen würden.
Meyer: Das geht an die Adresse der muslimischen Verbände. Wie ist deren Haltung eigentlich? Es heißt immer, dass sie diesem Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen kritisch gegenüber stehen. Ist das so?
Modellversuche gingen bisher von staatlicher Seit aus
Yavuzcan: Eigentlich nicht. Die Diskussion um den islamischen Religionsunterricht läuft seit fast 40 Jahren und die Verbände der unterschiedlichsten Couleur fordern seit Jahren, seit Jahrzehnten schon die Einführung eines regulären Religionsunterrichts. Der Knackpunkt oder der Kritikpunkt war bis dato teilweise, dass Modellversuche oder Initiativen von staatlicher Seite ausgingen und oft die Religionsverbände entweder ganz ausgeschlossen wurden oder mittels Elternvereine in die Vorbereitung beziehungsweise Durchführung des Religionsunterrichts involviert wurden, was natürlich für die Religionsgemeinschaft – für die islamischen Religionsverbände - sehr unbefriedigend ist, weil sie ja theoretisch auch entsprechend Artikel 7 Absatz 3 ja eigentlich dort Mitwirkungspflicht oder Mitwirkungsrecht haben.
Meyer: Also, das heißt, sie kritisieren, ihnen werden zu wenig Rechte, zu wenig Einfluss dann auch auf den Religionsunterricht an den Schulen eingeräumt?
Yavuzcan: Genau. Das heißt, die Gestaltungsmöglichkeiten sind dort sehr begrenzt und deswegen ist die Forderung eher, wenn der Religionsunterricht flächendeckend, also, das heißt, auch regulär eingeführt wird und auch die Länder entsprechend dann ihren Ansprechpartner auf der muslimischen Seite haben.
Meyer: Es heißt aber auch immer, die muslimischen Verbände, wir wissen ja alle, es gibt sehr viele davon, sie sind lange nicht so zentral organisiert, wie das die evangelische und die katholische Kirche sind, und es liege an dieser Uneinigkeit unter den ganz verschiedenen muslimischen Verbänden, dass auch in dieser Frage Religionsunterricht, da so schwer man vorankommt. Was sagen Sie dazu?
Yavuzcan: Ich denke, das trifft zu einem Teil zu. Wir wissen, dass die Verbände sich Jahre, jahrzehntelang sozusagen miteinander konkurriert haben in der Frage, wer sollte mehr Einfluss haben in solchen Fragen zum Beispiel. Aber wir haben spätestens seit, ich glaube, seit 2006, 2007 einen Koordinationsrat der Muslime, das heißt, einen Dachverband, wo sich die verschiedenen islamischen Verbände zusammengeschlossen haben, um ein gemeinsames Sprachrohr zu bilden.
Da sind schon Strukturen, denke ich, vorhanden, wo muslimische Verbände aufeinander zugegangen sind. Was, glaube ich, das Problem bei den Verbänden ist, dass sie sich teilweise mit den föderalen Strukturen etwas schwertun. Gang und gäbe war bis dato, dass die Verbände eher zentral, in diesem Fall von Köln aus, denn der Hauptsitz der islamischen Verbände ist in Köln, in der Regel von dort geführt wurden, das heißt, wenn es um Betreuung, Verwaltungsgeschichten ging. Mittlerweile haben auch die Verbände eingesehen, dass sie föderale Strukturen aufbauen müssen. So weit ich das erkenne, haben fast alle Verbände mittlerweile Landesverbände aufgebaut, die wiederum als Ansprechpartner für die entsprechenden Landesregierungen dann dienen.
Meyer: Ich habe auch gelesen, es habe Konflikte gegeben und dadurch Verzögerungen, weil die muslimischen Verbände meinen, an den Schulen würde eher ein europäisch ausgerichteter, ein Euro-Islam gelehrt, der aufgeklärter, liberaler daherkomme als ein Islamunterricht, wie ihn sich die Verbände eigentlich vorstellen. Gibt es diesen Konflikt?
Yavuzcan: Ich glaube nicht, dass dieser Konflikt besteht. Zumal wir, so kann man bei den verschiedenen Curricula, Lehrplänen und so weiter, die jetzt in den Bundesländern vorhanden sind, dass sie sich eher an dem Mainstream der Muslime, an dem, was Konsens unter den Muslimen ist, orientieren. Also, dort kann man kaum davon sprechen, dass er konservativ oder liberal wäre, sondern er orientiert sich an dem, was sozusagen Muslime auch allgemein an Inhalten, was Glaubensinhalte, was Praxis und so weiter betrifft, wo sie sich auch einig sind ... Es gibt natürlich in der muslimischen Community Stimmen, die eher säkular, eher progressiv sind, also eher liberal orientiert, da kann ich mir gut vorstellen, dass diese Kreise dann entsprechend an dem Religionsunterricht Kritik üben würden, aber das sind sozusagen grundsätzliche Fragen, die nicht nur den islamischen Religionsunterricht betreffen, sondern allgemein Religionsunterricht im Kontext von Schule überhaupt, ob es noch zeitgemäß ist und so weiter und so weiter.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, warum bekommen nur so wenige muslimische Kinder an ihren Schulen Religionsunterricht, darüber reden wir mit Ismail Yavuzcan, Religionspädagoge an der Universität Tübingen. Sie haben uns jetzt erklärt, die muslimischen Verbände sind eigentlich für einen solchen Unterricht, ideologische Vorbehalte sind auch nicht das große Problem. Woran liegt es denn dann letzten Endes, dass nach wie vor die Lage so schwierig ist für diesen Unterricht?
Ziel ist ein regulärer islamischer Religionsunterricht
Yavuzcan: Das Hauptproblem, denke ich, ist einfach, dass sozusagen von staatlicher Seite wir den gesetzlichen Rahmen brauchen für die Einführung eines Religionsunterrichts, also nicht mehr, wie es teilweise in Baden-Württemberg beziehungsweise in Bayern und Rheinland-Pfalz der Fall ist, dass wir einen Modellversuch haben, sondern die Einführung eines regulären Religionsunterrichtes. Die Bundesländer knüpfen den Tatbestand daran, dass sie fordern, dass es einen Ansprechpartner für sie gibt, das heißt, eine Religionsgemeinschaft, die sie anerkennen können als Partner in der Umsetzung des Religionsunterrichts.
Aber auch da sind, glaube ich, jetzt Schritte getan worden. Vor circa zwei Jahren hat ja die DITIB in Hessen die Anerkennung als Religionsgemeinschaft bekommen, und dort gibt es schon einen Ansprechpartner, auch in Nordrhein-Westfalen haben sich die Verbände zusammengeschlossen, und die funktionieren dort als Ansprechpartner. Und es sind wohl Anträge gestellt worden von den Verbänden auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft, dass wir um 2016, 2017 herum auch dort offizielle Ansprechpartner, sprich: Religionsgemeinschaften haben werden. Aber man muss sich auch bewusst sein, dass wir unterschiedliche Akteure haben und auch in den einzelnen Bundesländern sehr wahrscheinlich auch mehrere anerkannte Religionsgemeinschaften haben werden, die dann als Ansprechpartner für den Religionsunterricht funktionieren oder fungieren.
Meyer: Also, verstehe ich Sie richtig: Sie meinen, jetzt müssten sich eigentlich die Bundesländer vor allem bewegen und da mehr tun?
Yavuzcan: Ja, genau, richtig, und auch die Verbände müssen natürlich offenliegen, ihre Verbandstrukturen, ihre Satzungen, Mitgliederzahl und so weiter. Das heißt, dort wird gefordert, dass sie sozusagen den Ansprüchen, die das Grundgesetz ja vorsieht, es gibt ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil, nach welchen Kriterien es den Verbänden ermöglicht werden kann, dass sie Religionsgemeinschaften werden, und das sieht zum Beispiel vor, dass sie einen verlässlichen Ansprechpartner darstellen sollen, dass die Strukturen transparent sind, dass sie verfassungskonform sind und so weiter und so weiter. Aber diese Bedingungen erfüllen die meisten Verbände ja schon und es braucht sozusagen jetzt das Prozedere, muss einfach jetzt sozusagen durchgeführt werden, dass die Verbände und auch der Staat sich sozusagen entgegenkommen und dort eine gemeinsame Basis für eine Zusammenarbeit schaffen.
Meyer: Nur sehr wenige muslimische Kinder bekommen an ihren Schulen Religionsunterricht. Über die Gründe haben wir mit Ismail Yavuzcan gesprochen, er ist Religionspädagoge an der Universität Tübingen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Yavuzcan: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.