Jahrelang Akten und Gutachten studiert
Der BER ist noch lange nicht fertig, doch die Arbeit des Untersuchungsausschusses neigt sich dem Ende entgegen. Ende Juni sollen die Ergebnisse im Abgeordnetenhaus debattiert werden. Was wird drinstehen? Die Opposition wetzt bereits die Klingen, nicht zuletzt der Aussschussvorsitzende Martin Delius von den Piraten.
"Zur heutigen Sitzung wurde folgender Zeuge geladen: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, das ist Ihnen ja bekannt, …"
Drei Jahre ist es her: Am 24. Mai 2013 befragt der BER-Untersuchungsausschuss Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, mehr als elf Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft. Entsprechend groß ist das Interesse der Öffentlichkeit. Etliche Medienvertreter verfolgen die Anhörung im Stehen.
"Das Ausschussbüro hat mir mitgeteilt, dass weitere Stühle aus Sicherheitsgründen, ne, wir kennen das ja vom Brandschutz, nicht zulässig sind, … (Gelächter) es tut mir sehr leid, aber der Platz ist begrenzt."
Fast sechs Stunden lang steht Klaus Wowereit an jenem Tag Rede und Antwort. Erläutert den Parlamentariern, warum ein Scheitern des ursprünglich geplanten Eröffnungstermins im Juni 2012 für ihn bis zum Schluss nicht erkennbar gewesen sei. So viel Aufmerksamkeit erreicht der Untersuchungsausschuss nie wieder. Nicht davor und nicht danach. Trotz einiger weiterer spektakulärer Zeugenbefragungen wie beispielsweise der des ehemaligen Sprechers der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft, Rainer Schwarz.
"Herr Prof. Dr. Schwarz hat sich schlicht geweigert, mit dem Ausschuss zusammenzuarbeiten, und es war gerade für mich als Vorsitzenden eine Herausforderung, ihm klarzumachen, in welcher Situation er sich hier befindet, dass der Ausschuss durchaus in der Lage ist, eine Beugehaft zu verhängen, wenn er weiterhin nicht antworten möchte."
100.000 Mails ausgewertet
Der Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Martin Delius von der Piratenfraktion bringt ihn dann doch noch zum Sprechen. Wie auch die mehr als 70 anderen Zeuginnen und Zeugen. Dazu werden 1.650 Akten und mehrere 100.000 Emails ausgewertet. Das Ergebnis: niederschmetternd.
"Wir wissen aus öffentlichen Aussagen, dass die Geschäftsleitung an den Controllingberichten, die eigentlich unabhängig sein sollten, herum geschrieben hat. Wir haben, und das ist halt auch Aufarbeitung dieses Aktenberges, Beweise dafür gefunden, dass die Geschäftsleitung dies ohne Begründung per Befehl an die Controller getan hat."
Ein hartes Stück Arbeit geht nun zu Ende, so Martin Delius, aber die Erkenntnisse, die der Untersuchungsausschuss dadurch gewonnen hat, zeigen, dass es das wert war.
"Kollektive Verantwortungslosigkeit, strukturelle Schwäche der Flughafengesellschaft, kein Controlling, keine Nachsteuerung, das gegen die Wand fahren lassen, das sprichwörtliche, was jeden einzelnen Bereich der Baustelle angeht, das war der Grund, warum das mit dem BER nicht funktioniert hat."
Darin sind sich alle Ausschussmitglieder einig. Parteienübergreifend. Umstritten ist lediglich, welche bisher als vertraulich behandelten Dokumente als Beleg dafür im Abschlussbericht veröffentlicht werden. Völlig uneins sind sich die Parlamentarier hingegen in der Frage, ob es einen Hauptverantwortlichen für das Flughafen-Desaster gibt.
"Eine Ursache für so eine komplexe Problemlage? Da muss ich jetzt aber wirklich mal schmunzeln."
Ole Kreins von der SPD.
"Es gibt natürlich auch immer die Frage: wer trägt die Letztverantwortung? Hat die Geschäftsführung geschummelt, hätte man sehen müssen im Aufsichtsrat, dass die Geschäftsführung schummelt, dass der Baufortschritt nicht so weit ist? Da gab es einen Dissens bei uns, das sind die Punkte, die dann auch in den Minderheitenvoten stehen werden der Oppositionsparteien. Das erwarte ich zumindest."
"Machen wir uns nüscht vor, die Mehrheit heißt SPD und CDU, die bestimmen, was in dem Bericht des Ausschusses steht, …"
Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen.
"… dass in dem Mehrheitsbericht drin steht: Herr Wowereit oder auch Herr Henkel, die sind für das Debakel verantwortlich, davon gehe ich nicht aus."
Unzureichend auf die Steuergelder geachtet
Im Klartext: Der Streit geht darum, wer stärker verantwortlich gemacht wird für die Verzögerungen im Bauablauf und die enorme Kostensteigerung am BER. Entweder die damalige Geschäftsführung der Flughafengesellschaft, die Herren Körtgen und Schwarz, beide längst entlassen, oder eben doch der politisch dominierte Aufsichtsrat, unter ihnen die Herren Wowereit, SPD, und Henkel, CDU. Der Aufsichtsrat, so der Vorwurf, habe seine Kontrollfunktion über den korrekten Umgang mit den Steuergeldern nur unzureichend wahrgenommen.
"Pflichtverstöße des Aufsichtsrates, die aktienrechtlich Bedeutung haben, für die man Aufsichtsratsmitglieder belangen könnte, haben wir eben nicht gefunden."
Für Ole Kreins ist klar: sein Parteifreund Klaus Wowereit hat korrekt gehandelt.
"Der Aufsichtsrat hat sich eingemischt, nun ist die Frage, wie weit er sich dort einmischen durfte, der kann die Dinge ansprechen und kann von der Geschäftsführung gewisse Dinge verlangen, er kann aber nicht das operative Tagesgeschäft übernehmen, dafür ist die Geschäftsführung da. Ich glaube, dass die Geschäftsführung zum Teil selbst nicht darüber im Klaren war, wie der Zustand tatsächlich auf der Baustelle ist. Aber dass wir jetzt die Chance haben, mit einer Klage Schaden wieder gut zu machen, das sehe ich nicht."
Widerspruch von Seiten der Opposition. Der Aufsichtsrat habe die zahlreichen Änderungen an der Bauplanung zugelassen und dann auch noch den Generalplaner rausgeschmissen, als es mit dem Eröffnungstermin im Juni 2012 nichts wurde. Was zu etwa eineinhalb Jahren Stillstand auf der Baustelle führte. Martin Delius von den Piraten:
"Im Abschlussbericht dieses Untersuchungsausschusses wird sicherlich nicht stehen, Klaus Wowereit ist schuld, aber es wird drinstehen, Klaus Wowereit hat sich nicht so sehr für die Arbeit der Geschäftsführung interessiert wie er das hätte machen müssen als Aufsichtsratsvorsitzender, und darin liegt eines der Probleme."
Ein opulentes Werk
Was steht im Hauptbericht des Untersuchungsausschusses, was in den Minderheitenvoten? Auf der letzten Sitzung morgen wird es genau darum gehen. So viel ist jetzt schon klar: Es wird ein opulentes Werk. Piraten, Linke und Bündnis 90/Die Grünen werden jeweils ein eigenes Sondervotum in den Abschlussbericht einbringen. Ein Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert, das der Opposition im Parlament zur Verfügung steht. Im September wird gewählt in Berlin – da werden die Klingen schon einmal gewetzt.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ging bereits in der vergangenen Woche in die Offensive. Unter dem Titel 'Unkontrolliert ins BER-Chaos' stellte sie ihren Bericht vor. 64 Seiten, in denen die Kardinalfehler am BER aufgelistet sind. Von der misslungenen Brandschutzanlage über das peinliche Krisenmanagement bis hin zum katastrophalen Lärmschutz. Fehler, die sich nach Meinung von Andreas Otto nicht wiederholen dürfen. Wie zum Beispiel die nachträglichen Umplanungen am Flughafenterminal.
"Wir haben am BER erlebt – aber auch in Berlin an anderen Stellen, Stichwort Staatsoper – dass nachdem gerade mal die Baugenehmigung beantragt worden war, schon die erste Änderungsorgie kam. Deshalb unsere Forderung: ordentlich planen, ordentlich vorbereiten, genehmigen lassen, und dann bauen und zu Ende führen. Das Risiko, dass ein Gebäude nicht abgenommen wird vom Bauamt, dass ein Gebäude nicht in Betrieb gehen kann, ist ungleich größer als der möglicherweise kleine Vorteil, ein Detail anders gebaut zu haben."
Lernen, wie es besser geht, die richtigen Schlüsse ziehen für zukünftige Großprojekte: Das hatte sich der BER-Untersuchungsausschuss ebenfalls auf die Fahnen geschrieben. Doch auch bei den Handlungsempfehlungen gehen die Meinungen darüber auseinander, was im gemeinsamen Teil des Abschlussberichts steht und was in den Sondervoten. Erst planen, dann bauen? Diese Forderung von Bündnis 90/Die Grünen findet der Ausschussvorsitzende Martin Delius von den Piraten zu einfach.
"Was auf jeden Fall klar ist, ist, dass man ne aktivere Steuerung seitens der Politik von solchen Projekten braucht. Das ist ja beim BER nicht passiert. Selbst wenn man sich darüber streiten kann, dass es gute oder schlechte Nutzungsänderungen Anfang 2009 gegeben hat, einige davon waren ja notwendig, eben auch aufgrund geänderter EU-Vorschriften usw. usf., dann hätte man daraus die Konsequenzen ziehen müssen, einen anderen Zeitablauf etablieren müssen, andere Kostenstruktur etablieren müssen, andere Steuerungsstruktur etablieren müssen, möglicherweise wenn sich die Gewerke ändern, und das hat man nicht gemacht. Das ist ein Steuerungsproblem, das hat nichts mit Planung oder Durchführung von Planung zu tun."
"Keine neue Erkenntnis"
In einem Punkt ist sich die Opposition allerdings einig. Sie schlägt vor, in Haushaltspläne zunächst nur die Planungskosten aufzunehmen und erst später auf Basis der Entwurfsplanung die Investitionskosten zu veranschlagen. Vorteil: das Parlament entscheidet über ein Projekt, wenn es schon etwas durchdachter ist. Nachteil: wenn das Projekt keine Mehrheit findet, hat man das Geld für die Planung quasi umsonst ausgegeben.
"Die Handlungsempfehlungen sind ja auch großteils nicht neu. Dass man ne vernünftige Steuerung seitens der Politik und der öffentlichen Hand für solche Großprojekte braucht, das ist keine neue Erkenntnis. Dass man möglicherweise die Planungsbudgets rein finanziell schon aus den Projektbudgets herausholen sollte, um das unabhängig voneinander zu machen, und dann fundiert entscheiden zu können, ob man ein Projekt auch wirklich an den Start bringt, das ist auch keine neue Erkenntnis. Man muss es halt mal machen!"
Ole Kreins von der SPD findet, das Parlament müsse Großprojekte dieser Dimension viel stärker kontrollieren. Die Instrumentarien dafür seien ja alle da.
"Wir als Abgeordnete müssen uns der Aufgabe annehmen, das intensiver zu begleiten. Wenn Sie schauen, was in der letzten Legislatur an Fragen zum Flughafen gekommen sind, im Rahmen von kleinen schriftlichen, großen Anfragen, tendiert das gen null. In dieser Legislatur holen wir das alles nach. Das ist auch unsere Verantwortung."
Dreieinhalb Jahre lang haben die Mitglieder des BER-Untersuchungsausschusses Berge von Akten durchkämmt, Gutachten studiert und Zeugen befragt. Morgen werden sie den Abschlussbericht verabschieden. Am 23. Juni wird das Abgeordnetenhaus darüber debattieren. Danach wird der Abschlussbericht vermutlich in den Regalen verstauben - und das umfangreiche Wissen um die vielfältigen Gründe für das Scheitern des BER in den Köpfen der Ausschussmitglieder langsam verblassen.
"Vielleicht fragt es mal jemand ab, ich weiß es nicht."
Einer der Parlamentarier gehört mittlerweile zur politischen Prominenz der Stadt: der Ausschussvorsitzende Martin Delius. Die wenigsten hatten dem Piratenpolitiker die Arbeit zugetraut: zu jung, zu unerfahren, hieß es. Jetzt sagen alle, er habe seine Sache sehr gut gemacht: kenntnisreich und humorvoll. Wetten, welches der beiden Mammutprojekte zuerst beendet ist, der BER-Untersuchungsausschuss oder der BER-Flughafen, nimmt Martin Delius nun allerdings nicht mehr an.
"Ich habe gesagt: wir sind zuerst fertig. Tja, und recht hatte ich. (lacht)"