Unterwandert von rechts

Neonazis im thüringischen Kloster Veßra

Das Dorfgasthaus "Goldener Löwe" im thüringischen Kloster Veßra
Der "Goldene Löwe" in Kloster Veßra © DRadio / Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster |
Ein Dorf wird nicht einfach so rechtsradikal. Wie bestehende Strukturen gezielt unterwandert werden, zeigt das Beispiel Kloster Veßra in Thüringen. Dort hat ein rechter Aktvist das Dorfgasthaus übernommen und einen neuen Szenetreff aufgebaut.
Sie: "Wir gucken mal." Er: "Mal sehen, ob er deine Preise hat."
Sie: "7.90 geht's los, das ist nicht teuer." Er: "Das ist nicht teuer."
Die alte Wirtin beugt sich ein wenig nach vorne. Schiebt ihr Gesicht ganz dicht an den Glaskasten, um die verblichene Speisekarte zu entziffern. "Schweinegulasch mit Thüringer Klößen 7,90. Rinderroulade 9,10 Euro." Das ist in Ordnung. Soviel nimmt sie in ihrer Gaststätte auch. Ihr Begleiter studiert die Getränkekarte. Beginnt zu lachen:
"Tressen", hahaha, hat er vielleicht gedacht, es wird mit s-zett geschrieben!"
Gelächter hallt über die menschenleere Dorfstraße von Kloster Veßra. "Tresen" mit zwei "s". Dafür Speisen mit "ß". Mit der Rechtschreibung steht der neue Wirt vom "Goldenen Löwen" scheinbar auf Kriegsfuß. Die 72-Jährige schüttelt amüsiert den Kopf. Eine kleine rote Lederschleife hält die schütteren schwarzen Haare zum Zopf zusammen. Sie geht einige Schritte zurück, lässt den Blick über die Fassade wandern: Fachwerk, braune Balken, weißer Putz, an vielen Stellen abgeblättert, drei Stockwerke, an der Dachrinne wächst Moos. So sieht es also aus, das Wirtshaus, von dem alle reden.
Es ist 15 Uhr. "Heute Ruhetag", verkündet ein Schild. Neugierig blicken sich die beiden um. Entdecken auf dem Nachbargrundstück einen Mann in roter Latzhose, der gerade Holz stapelt.
Sie: "Und da ist heute Ruhetag?" Er: "Und hier ist heute gar nix los?"
Nachbar: "Jaja, erst heute Abend." Sie: "Weil Ruhetag dransteht."
Nachbar: "Heute Abend erst ist was los." Sie: "Erzähl uns mal was."
Nachbar: "Pffff..." Sie: "Was treibt der Frenck heute?"
Wo Frenck auftaucht, steht Ärger ins Haus
Der Frenck? Der Mann zuckt mit den Schultern. Und schweigt. Tommy Frenck, Ex-NPD-Kandidat, Kampfsportler, Kreistagsmitglied für das rechtsextreme Bündnis Zukunft Hildburghausen in Thüringen. Seit einigen Monaten sind sie Nachbarn. Der 27-Jährige hat den "Goldenen Löwen" im Dezember 2014 gekauft. Die einzige Gaststätte im 300-Seelen Ort Kloster Veßra. Die alte Wirtin kennt Tommy Frenck und seine Kameraden. Früher haben sie oft in ihrer Kneipe ein paar Orte weiter gefeiert.
"Bei mir wollten sie auch immer mal Konzerte machen. Da habe ich gesagt: das wird nix, da machen sie uns sofort das Ding zu. Also ich hab mich nie mit sie einlassen können, weil ich genau wusste, dass ich da nur Scherereien mit der Polizei hab."
Wo Tommy Frenck auftaucht, ist Ärger programmiert. Seinen Thüringer Heimatort Schleusing erklärt er schon vor Jahren zur "Frontstadt" und "befreiten Zone". Am Marktplatz in Hildburghausen hängt er die Reichskriegsflagge aus einem Fenster. Mit Konzerten und Sportveranstaltungen lockt er seit Jahren Jugendliche ins stramm rechte Lager. Die nötigen Devotionalien liefert sein Internet-Versandhandel. Zurzeit prüft das Landeskriminalamt, ob er hinter der Organisation einer Bürgerwehr steckt, die im letzten Jahr unschuldige Rumänen mit Autos durch Hildburghausen gehetzt hat. Der Nachbar hält inne beim Holzstapeln. In Kloster Veßra ist alles in Ordnung, sagt er.
"Letztens hatten sie mal eine Ballermann-Party hier, da war es relativ überschaubar. Deswegen, ich meine in jedem Dorf gibt es so ne Sache, wo sie Kirmes feiern."
Langsam rollt ein schweres schwarzes Motorrad auf den Parkplatz vor der Kneipe. Das Kennzeichen endet mit AH-1. Eine begehrte Buchstaben-Kombination in der ultrarechten Szene. Die Initialen von Adolf Hitler. Der Fahrer in schwarzem Lederkombi steigt ab. Lässt den Helm auf. Zündet sich eine Zigarette an. Wartet.
"Komm wieder mit raus, das geht noch nicht rein."
Keine 200 Meter weiter scheucht Silvia Wagner Federvieh aus einem Fachwerkhaus. Echte Thüringer Barthühner, tiefschwarz, mit Buscheln am Hals.
"Das sind unsere Hühner, weil die Grafen von Henneberg haben in ihrem Wappen, auf dem obersten Berg steht ein schwarzes Huhn, das sind unsere Wappentiere sozusagen. Sie bereichern halt unser Gelände."
Der Hahn stolziert vorneweg. Die Hühner hinterher. Zum nächsten Gebäude.
Ein Dutzend Fachwerkhäuser verteilen sich um die alte Klosterruine. Ihre zwei mächtigen Türme überragen alles in dem kleinen Ort Kloster Veßra im Süden Thüringens. "Eines der bedeutendsten romanischen Baudenkmäler in Thüringen", werben Reiseführer für das Hennebergische Museum Kloster Veßra. Schmiede, Wassermühle, Brauhaus, Backhaus – alles da. Lebendige Geschichte auf sechs Hektar. Inklusive Bierbrauen und Brotbacken. Knapp 40.000 Besucher kommen pro Jahr. Mit Bussen und PKW.
Kleiner Schönheitsfehler: Der große Besucherparkplatz liegt direkt vor dem "Goldenen Löwen". Und das Gasthaus gehört nun einem aktiven Rechtsextremen. Tommy Frenck.
Im Hennebergischen Museum Kloster Veßra besichtigen Besucher die denkmalgeschützte Anlage.
Das Kloster Veßra zählt zu den bedeutendsten romanischen Baudenkmalen in Thüringen.© picture alliance / dpa / Martin Schutt
"Wir bleiben bunt"
"Wir haben es aus der Zeitung erfahren. Und waren natürlich sehr überrascht. Und haben uns ja auch positioniert."
Silvia Wagner, eine der Leiterinnen des Museums, hat auf die Website geschrieben: "Wir bleiben bunt – gegen Neonazis in Kloster Veßra". Sie und ihre Mitarbeiter wollen sich gegen die Etablierung einer Neonazis-Szene wehren. Bloß wie?
An einem Montag sind sie 30 Kilometer nach Suhl gefahren. Dort organisieren Frenck und seine rechtsextremen Kameraden immer wieder die sogenannten Sügida-Demos. Hetzen gegen Flüchtlinge, Ausländer, den Islam. Die Museumsleute gehen zur Gegendemo mit einem selbstgemalten Transparent.
"Wir haben haben geschrieben: ‚Wir sind bunt'. Und das haben wir zur Demo auch gezeigt, wir sind auch bei den Mitdemonstranten sehr freudig aufgenommen worden, Und haben dann einfach Flagge gezeigt. Wir waren auch sehr angetan über die Mitgefühle der anderen Demonstranten."
Silvia Wagner zuckt mit den Schultern. Die Solidarität hat gut getan. Sie könnten Unterstützung gebrauchen. Vor allem gegen die Verunsicherung. Und die Angst vor dem Imageverlust:
"Und wir möchten uns nicht von diesen Nachbarn in eine bestimmte Ecke drängen lassen. Sondern wir sagen ‚Wir sind hier, wir sind nach wie vor für Euch da, wir machen unser Programm.'"
Es ist kurz nach vier. Im "Goldenen Löwen" beginnt Tommy Frenck sein Programm. Von innen öffnet sich die Kneipentür. Der Motorradfahrer mit dem Hitler-Kennzeichen stapft zuerst hinein, den Helm auf dem Kopf. Dann die neugierige alte Wirtin mit ihrem Begleiter. Tommy Frenck kommt hinter dem Tresen hervor. Ein untersetzter Mann, mit breiten, sehr breiten Schultern. „Division Thüringen" prangt in Runenschrift auf seinem schwarzen T-Shirt, muskulöse, tätowierte Oberarme spannen die Ärmel.
Beide: "Hallo!" Frenck: "Servus!"
Sie: "Das ist der Frenky. Bist ein ganz begehrtes Wesen, oder? Machst uns einen Kaffee?"
Frenck: "Ich mache euch gerne einen Kaffee, wenn ihr wollt."
Frenck nickt, geht kurz in die Küche. Am Tresen nimmt der Motorradfahrer seinen Helm ab. Ein kahler Kopf kommt zum Vorschein. Zwei Mittdreißiger, auch in „Division Thüringen"-Shirts, kommen aus der Küche. Tommy Frenck bringt den Kaffee.
"Könnt vielleicht das Auto schnell mal ausladen, alles was was drinne ist. Und die alle in die mittlere Abteilung. Die Tische könnt ihr schon mal der Reihe nach aufstellen. Darauf kommen die Sachen zu verkaufen. Komme ich gleich, dann machen wir den Rest."
Vorbereitung auf den Abend, es wird ein Konzert geben. So etwas kommt in Kloster Veßra nicht oft vor. Ein großer Karton mit „Division Thüringen"-Sweatshirts wartet in der Ecke. Auch "Division Franken" ist zu haben. Ein Stückchen weiter: Eine Weinkiste als Blickfang, halb geöffnet: "Treue um Treue", steht eingebrannt im Holz. Und: "Der Leibstandarte liebster Tropfen". Ein Teil des Erlöses fließt in die Pflege eines SS-Denkmals.
Tommy Frenck blickt auf die Uhr. Noch dreieinhalb Stunden bis zum Konzert-Beginn. Er setzt sich an einen der Kneipentische, legt die kräftigen Hände auf die verblichene rosa Tischdecke.
"Das ist ein älteres historisches Gebäude, hat ne längere Geschichte, Fachwerkhaus mit Saalbau und Wohnung."
80.000 Euro für den Dorfgasthof und alleiniges Nutzungsrecht
Seit Jahren studiert er die Angebote in der Region, erzählt der gelernte Koch. Doch nie konnte er kaufen. Immer wenn er, der thüringenweit bekannte Rechtsradikale, Interesse anmeldet, greifen die erschrockenen Kommunen lieber selbst zu. Dreimal ist das allein in seinem Heimatort Schleusingen passiert. Tommy Frenck grinst.
Beim "Goldenen Löwen" lief alles ganz anders. Frenck kam, sah und konnte kaufen. Für 80.000 Euro. Er hat den Vertrag unterschrieben und mit dem Besitzer das alleinige Nutzungsrecht vereinbart.
"Und zwar habe ich schon im Dezember gekauft. Und die haben dann bis Mitte Februar gebraucht, bis sie erst einmal eine Sitzung hatten und dann beschlossen hatten, wie sie es drehen können. Man hört ja auch immer, die wollten nicht kaufen, die wurden dazu genötigt vom Museum, so im Dorfgespräch."
In letzter Minute meldet die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht an. Man hat Angst um den guten Ruf, um das Museum. Und pocht plötzlich auf den Denkmalschutz. Aber da feiert der 27-Jährige schon seit einigen Wochen mit seinen rechten Kameraden in der Kneipe.
"Stand ist jetzt: Stadt oder Gemeinde hat Vorkaufsrecht geltend gemacht. Dagegen läuft mein Widerspruchsverfahren. Wir ziehen das auf jeden Fall bis zum letzten Instanz durch. Bis zur letzten Instanz, die geht."
Und das kann länger als zwei Jahre dauern. "Nun werden wir Euch bis auf Weiteres jede Woche bespaßen", informiert Frenck die Gemeinde via Facebook. Und kündigt einige "Überraschungen" an.
"Tommy, wir brauchen mal ein Bier!"
Zum Saisonauftakt spielt "Lunikoff"
Eine Frau, so um die 50, kommt aus der Küche. Dunkle Haare, schwarze Hose, schwarzes Shirt mit "Consdaple"-Aufdruck. Es ist Tommy Frencks Mutter. Die Marke "Consdaple" fehlt in keinem Neonazi-Fundus. Trägt man darüber eine Jacke und deckt die äußeren Buchstaben ab, steht in der Mitte "nsdap". Frenck:
"Wir habe hier montags Stammtische eingerichtet, wir haben hier eine Karnevalsveranstaltung gehabt, mit Büttenreden, die war hier in den Räumlichkeiten, komplett ausgebucht, da haben wir hier 120 Mann reingequetscht, da mussten wir die Leute wieder heimschicken, weil kein Platz mehr war. Zu der Zeit war der Saal noch nicht zur Verfügung. Und wir haben Weinverkostungen schon gemacht, viele Vortragsabende. Wir haben da vielgeplant jetzt, heut spielt 'Lunikoff' hier."
"Lunikoff" – das wird der Auftakt der Konzertsaison im "Goldenen Löwen". Seit Wochen wirbt er im Netz für den "Balladenabend". "Der Sänger in Ketten – live in Kloster Veßra", heißt es.
"Jeder der eigentlich ein bisschen Deutschrock hört, hat das schon mal gehört, eigentlich."
"Lunikoff", dahinter verbirgt sich der Sänger Michael Regener. Der ehemalige Frontmann der Gruppe "Landser". Die Band wurde verboten. Wegen Volksverhetzung, Verbreitung rechtsextremer Propaganda, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Regener ging für drei Jahre und vier Monate ins Gefängnis. Seit seiner Entlassung tourt er mit der Band "Lunikoff" durch die rechtsextreme Szene
"Ich gehe mal davon aus, dass mindestens 200 Leute auf'm Dienstag kommen. Wir nehmen keinen Eintritt. Hier kann theoretisch jeder reinkommen, der möchte."
"Muss man doch mal wissen, was da losgeht, was passiert."
Draußen, ein paar Häuser die Dorfstraße hinunter, unterhalten sich zwei Rentner über den Gartenzaun. Einer trägt ein dickes Bündel Reisigstroh unterm Arm:
"Das wird ein Insektenmodell. Was ist Sekte? Insektenhotel ja, hier wird schön auf Länge geschnitten. Und dann quartieren die sich da ein."
Fachmännisch begutachten die beiden das Reisigbündel. Und blicken zwischendurch immer wieder Richtung "Goldener Löwe". Sie wissen, wer dort heute feiert. Es stört sie nicht.
"Ist doch erlaubt als Partei, warum soll man was dagegen sagen? Andere Parteien gibt's auch. Das ist, wenn jeder andere die Gaststätte gekauft hätte, hätten sie auch nicht so ein Palaver gemacht, und jede Partei hat auch ihren Sitz irgendwo. Nicht dass ich dafür bin, aber ich kann auch net sagen, so lange die Ruhe halten und machen ihr Zeug, ist mir das egal."
Ein Polizeifahrzeug rollt vor die Gaststätte, gefolgt von einem schwarzen Kleinwagen. Die Rentner recken die Hälse. Zwei sportlich-großgewachsene Polizisten klettern aus dem Streifenwagen. Zwei ältere Herren in Zivil aus dem Kleinwagen.
Frencks Mutter: "Wie willst Du denn die Tische haben hier aussen, beide rein?" Frenck: "Beide rein, die Stühle können in den Saal rein."
Im "Goldenen Löwen" schleppen Helfer eine Getränkekiste nach der anderen in den Gastraum. Frencks Mutter schiebt Tische und Stühle hin und her. Ihr Sohn reserviert noch schnell dem Motorradfahrer das letzte Doppelzimmer. Es ist 18 Uhr. Im Türrahmen tauchen die beiden Polizeibeamten auf. Im Schlepptau die älteren Herren in Zivil.
"'Lunikoff', das sind die ganz normalen Dinger. Wollt ihr das alles aufschreiben? Könnt ihr von mir aus auch fotografieren!",
sagt Frenck. Die älteren Herren, die sich nicht mit Namen vorstellen, werfen einen Blick in die Kiste mit den "Lunikoff"-CDs. Mehr gelangweilt als interessiert. Ihnen ist klar, dass sie hier nichts finden werden. Die ultrarechte Szene weiß genau, wie weit sie bei öffentlichen Veranstaltungen gehen darf.
"Ich habe ein Lautstärkemessgerät dabei."
An der Theke geht Polizei-Oberkommissar Andreas Müller mit Tommy Frenck die Auflagen durch. Er überragt den 27-Jährigen um zwei Köpfe. Müller verweist auf den Lärmschutz, die Parkverbote auf dem Museumsparkplatz, nimmt die Personalien der Ordner auf. Der ehemalige Fallschirmjäger lässt Frenck spüren, dass dieser Abend unter verschärfter Beobachtung steht. Den 27-Jährigen stört das wenig. Derweil streifen sich Frencks Ordner orangene Warnwesten über. Und gehen nach draußen.
Langsam rollt ein Kleintransporter am "Goldenen Löwen" vorbei, hält vor dem großen Parkplatz. "Stiftung Thüringischer Schlösser und Gärten", verkündet ein notdürftig mit Kabelbindern befestigtes Schild. Ein Museumsmitarbeiter im braunen Overall wuchtet einen Metallständer nach dem anderen aus dem Laderaum. Dann gut hundert Meter Trassierband. Silvia Wagner lässt absperren:
"Wir haben ja unmittelbar in der Nachbarschaft der Gaststätte 'Goldener Löwe' unsern Besucherparkplatz. Und sperren den nach Möglichkeit. So dass der wirklich nur Museumsgästen zur Verfügung stehen kann."
Kein Parkplatz für Neonazis. Bei jeder Veranstaltung sperrt das Museum ab. Aus Protest. Sylvia Wagner zuckt mit den Schultern. Sie ist froh, dass sie wenigstens etwas tun kann:
"Und wir sind im Moment, was soll ich sagen, in der Position, dass wir abwarten, was uns da noch künftig passiert. Man kommt sich ein bisschen hilflos vor."
Kofferraumkontrolle vor dem "Goldenen Löwen"
Jetzt aber fährt sie nach Hause. Silvia Wagner wohnt in Suhl. Direkt vor dem großen Museumstor, stoppen zwei Polizeitransporter. Fünf Beamte steigen aus, streifen Leuchtwesten über. Einer greift zur Haltekelle. Ein schwarzer BMW mit Breitreifen kommt die Straße entlang. Das Kennzeichen endet auf 88. In der rechten Szene eine begehrte Zahlenkombination. Der achte Buchstabe im Alphabet ist das "H". 2 x H steht da für "Heil Hitler". Der Polizist hebt die Kelle, der BMW muss rechts ran. Führerschein, Ausweis-, Kofferraumkontrolle.
Von der anderen Straßenseite blickt ein Jugendlicher herüber. Sein Dackel Bella zerrt ungeduldig an der Leine. Langsam wird es dunkel.
"Die stehen ja jetzt jedes Mal hier, gut finde ich das nicht."
Für seinen Geschmack ist das einfach zu viel Polizei. Hinter dem BMW warten schon die drei nächsten Wagen auf die Kontrolle. Der Teenager schüttelt den Kopf. Er wird heute bestimmt nicht in den ‚Goldenen Löwen' gehen. Auch wenn das Konzert umsonst ist.
"Ich bin nicht so einer dafür. Aber ich wohne hier im Dorf, also ich habe jetzt nichts gegen ihn, soll er halt sein Zeug machen, ich finde es in Ordnung."
Der schwarze BMW darf weiterfahren. Rollt motorröhrend die 300 Meter bis zum „Goldenen Löwen". Da füllen sich die wenigen Parkplätze, drängen sich Autos schon in den beiden Nebenstraßen. Die beiden Rentner stehen immer noch am Zaun. Und staunen.
"Ist wenigstens mal was los in dem kleinen Dorf, haha. Genau, naja, das ist halt so."
Ein BMW mit vier Achten auf dem Kennzeichen rangiert gegenüber in die Parklücke, ein VW-Transporter mit eisernem Kreuz auf der Fahrertür rollt vorbei.
"Vor dem hätten sie es ja wissen müssen, als Gemeinde oder Landkreis oder wie auch immer",
sagt einer der Rentner.
"Es wäre genau, als wenn die CDU die Gaststätte gekauft hätte. Dann wäre vielleicht nicht so viel los gewesen - oder die SPD, ne? Ja."
"Ich bin NPD-Mitglied", erzählt ein Ordner während er Wagen einweist. Sein Atem riecht nach Alkohol. Aber eigentlich ist ihm die Partei zu lasch. Mehr als 1.200 Stimmen holt er als NPD-Kandidat bei der letzten Wahl in Suhl. Das waren 5,7 Prozent. Ein Stückchen weiter diskutiert Polizei-Oberkommissar Müller mit einem glatzköpfigen Gast, den Tommy Frenck vor die Tür gesetzt hat.
"Erstens, dafür nehmen sie jetzt den Rucksack, Sie nehmen den Rucksack, wir gehen ans Fahrzeug. Sie können auch über den Radweg nach Thema laufen, zu ihrer Schwester."
Schwankend torkelt der Mann von der Terrasse. Geht ein paar Meter weiter, stellt eine halbleere Sektflasche neben sich. Der Ordner nickt zufrieden.
"Spinner, wie wir jetzt gesehen haben, die werden aussortiert, Das soll ordentlich und gesittet vonstatten gehen",
sagt der NPD-Mann.
"Wir lachen zusammen. Und mehr wollen wir nicht machen. Hier geht es rum, die richtigen Leute zu manifestieren, die deutsche Jugend mal wieder zu fördern."
Er geht einige Meter zur Seite. Da steht seine Flasche. Der Ordner nimmt einen beherzten Schluck, kommt zurück. Will noch etwas sagen:
"Das Volk wurde in einen riesigen Tiefschlaf getreten, die gesamteuropäische Rasse wurde in den Tiefschlaf getrieben."
Seine Augen sind jetzt unruhiger. Er spricht Stakkato.
"Was hat denn der Herr Putin? Er hat eine jüdische Frau. Und was hat Frau Merkel? Eine jüdische Mutter, komisch!"
Alle Wahlen sind gefälscht, sagt er noch, alle regierenden Politiker Marionetten der USA. Da bleibt ihm und seinen Kameraden nur der nationale Widerstand:
"Weil diese Meinung sowieso schon seit 45 sehr stark unterdrückt wird in diesem Staat, warum haben wir das, die freie Meinungsäußerung ist nämlich nicht gewünscht. Wir sind besetztes Gebiet. Und ganz oben herrscht einer, und das ist Zion, in der ganz obersten Gewalt."
Die beiden Rentner machen einen Abendspaziergang. Auch eine Ehefrau ist dabei. Sie mustern interessiert die Grüppchen, die rauchend vor dem "Goldenen Löwen" stehen. Mehr Männer als Frauen, fast alle tragen schwarz, Durchschnittsalter 20 bis 40. Junge Leute in Kloster Veßra, das gibt es nicht alle Tage. Viele tragen "Division Thüringen"-Sweatshirts, keine Glatzen, dafür Bärte und schwarze Schirmmützen. Bevorzugte Fahrzeugmarken: VW und BMW.
"Ihr wisst, wer vor dem Fenster steht"
Um viertel nach Acht kommt Tommy Frenck zur Eingangstür. Bittet die letzten Raucher hinein. Gleich soll es losgehen. Der Reporter muss draußen bleiben. Tommy Frenck zuckt mit den breiten Schultern, seine Gäste reagieren gerade ein bisschen gereizt, sagt er.
"Ich meine, die sind da ein bisschen allergisch, die mögen nicht. Ich kann es nicht genau sagen, ich denke über 200."
Jetzt muss er wieder rein. "Lunikoff" macht schon Soundcheck auf der Bühne. Da fehlen noch die Sicherheitshinweise des Gastgebers.
"Ansonsten bitte ich drum, seht aus dem Fenster, macht gewisse Armbewegungen nicht, ihr wisst alle, was ihr tun dürft oder nicht."
Durch die alten Fensterscheiben dringt jedes Wort auf die Straße. "Bitte keine falschen Armbewegungen", ermahnt Tommy Frenck das Publikum. Und meint den Hitlergruß. "Ihr wisst, wer vor dem Fenster steht." Dort haben sich jetzt auch die beiden älteren Herren, die Polizisten in Zivil, aufgebaut, die Hände in ihren etwas zu großen Schimanski-Jacken.
Drinnen im Saal legt "Lunikoff" los. Spielt das altbewährte Programm. Ausländerfeindlich, gewaltverherrlichend. Mal steigt Friedrich der Große von seinem Sockel und vertreibt die Politiker, mal prügelt sich Skinhead Bolle aus Neuruppin durch Kreuzberg. Dumpf national klingt es aus dem Saal, das Publikum johlt.
Nach zehn Minuten tritt ein älterer Mann im weißen Hemd vor die Tür. Zündet sich auf der Terrasse eine Zigarette an. Inhaliert tief. Es der ehemalige Besitzer des "Goldenen Löwen", der Mann, der das Gasthaus in Kloster Veßra an Tommy Frenck verkauft hat:
"Ja, das ist schön heute. Ich meine, das ist halt durch diesen Balladenabend, den er da macht und so, und das ist eben auch groß angekündigt auf'm Internet und so weiter. Und dadurch ist ganz schön Betrieb."
Sparkasse verhalf Veßra zu einem Neonazi-Treffpunkt
Er stützt sich mit einer Hand an die Wand. Sein Rücken ist schon lange kaputt, klagt er. Bei seiner Frau machen die Hände nicht mehr mit. Darum haben sie das Gasthaus verkauft. Für 80.000 Euro.
"Es waren vier Interessenten am Anfang. Und dreie sind abgesprungen, als sie gehört haben, dass da Denkmalschutz drauf ist, dann ist der Herr Frenck übrig geblieben. Den habe ich auch erst durch den Immobilienberater der Rhön-Rennsteigsparkasse, den Herrn Haak, kennengerlernt."
Der Sparkassenberater hat dem thüringischen Örtchen Kloster Veßra also zu einem Neonazi-Treffpunkt verholfen – wissentlich oder auch nicht. Jedenfalls machte der Altbesitzer mit Frenck den Vertrag. Ohne etwas Genaues über seinen Käufer zu wissen, sagt er. Das ändert sich erst, als die Kriminalpolizei bei ihm am Tresen auftaucht.
"Das habe ich erst mitgekriegt, als die Kripo dastand. Das war ja offen. Und die sind einfach reingekommen. Und ich dachte, es kommen Gäste. Und auf einmal haben sie ihre Marke rausgeholt, Kripo. Und gefragt, wie und was und so weiter. Habe denen die Telefonnummer von dem Immobilienmakler gegeben. Und damit war für mich der Fall erledigt."
Er zieht noch einmal an der Zigarette. Na gut, erledigt ist der Fall für ihn doch noch nicht. Es fehlt das Geld:
"Ich bekomme das Geld nicht eher, bis jetzt raus ist, wer es kaufen kann. Ob es da nun der Herr Frenck oder die Gemeinde kriegt. Eher bekomme ich kein Geld, bis das geklärt ist."
Und darum kochen seine Frau und er erst einmal weiter im "Goldenen Löwen". Und hoffen, dass viele Gäste kommen. Durch die Scheiben hallt das nächste "Lunikoff"-Lied. Die Rentner haben ihre Abendrunde beendet, stehen wieder vor dem „Goldenen Löwen", lauschen. "Sag ich doch, soviel waren noch nie. Die Autos stehen bis da unten. Soviel war noch nie."
Im thüringischen Ort Kloster Veßra ist endlich was los. Drinnen singt "Lunikoff" über einen Neonazi auf der Flucht. Der immer weitermacht. Und sich nicht unterkriegen lässt. Das Publikum gröhlt. Die Polizei beobachtet. Die Rentner gehen jetzt nach Hause. Und die Leute vom Museum? Ihr einsamer Protest in Form eines Absperrbandes ist das einzige, was in Kloster Veßra die Rechtsextremen aufhält.
Ernst-Ludwig von Aster: "Ich bin von einem Bekannten auf die Kneipe in Kloster Veßra gekommen - seine Tochter reitet auf dem Pferdehof gegenüber. Rechtsradikale in Kloster Veßra, der Mann war geschockt. Dann bin ich mal hingefahren und hab mir das angeguckt."
Ernst-Ludwig von Aster
Ernst-Ludwig von Aster© privat
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