High mit Techno-Jazz
16:02 Minuten
Die Jazzrausch Bigband verbindet Jazz und Techno. Ihr Erfolg wird immer größer. Doch dem Sex-und-Drogen-Klischee von Stars entspreche man nicht, sagen die Musiker: In erster Linie sei man ein Umzugsunternehmen, das zwei Stunden am Tag Musik spielt.
Seit rund einer Stunde fährt der weiße Transporter schon bei strömendem Regen über die Autobahn, auf dem Weg zum Gig. Der Kastenwagen ist voll besetzt: Vorne reist ein Teil der Band – hinten das ganze Material: Instrumente, Noten, Mischpult und so weiter. Es ist ziemlich eng, ungemütlich und wenig glamourös hier im rumpelnden Transporter. Auf den Rückbänken zieht es, wegen der Schiebetür.
Patricia Römer, die Sängerin der Jazzrausch Bigband, fröstelt. "Ja wir sind jetzt im Bus vom Josy, dem Tontechniker und der muss selber fahren. Also wir haben keinen Fahrer dabei."
Für die Mitglieder der Jazzrausch Bigband ist das Alltag, erzählt Patricia. Sie ist Ende 20, hat Jazzgesang studiert. Wir fahren in Augsburg von der Autobahn ab, folgen den Anweisungen des Navis. Die Gegend wirkt wie eine Mischung aus Gewerbegebiet und Bahnhofsviertel. "Willkommen im glamourösen Musikerleben hier, Hinterhof und Regen, geil."
Der Rest der Band ist schon da – ganz schön viele Leute. Insgesamt werden an diesem Abend 15 Musikerinnen und Musiker auf der Bühne stehen, erklärt Patricia. Alles Profis.
Backstage ist es wie in einer WG
Aber erst mal geht’s ans Ausladen und Aufbauen. Da müssen alle ran. Routiniert schleppen die Bandmitglieder Instrumente und Kabel in die Halle. Und die Stagebox, eine Art Verteilerkasten. Sie montieren Notenständer, bauen das Schlagzeug auf. Ganz offensichtlich ein eingespieltes Team.
Gut eine halbe Stunde später. In einer kleinen Mansarde unter dem Dach der Halle essen die meisten aus der Band schon an einem langen Biertisch oder stehen am Tisch gegenüber an. Darauf: Dampfende Lasagne und große Schüsseln mit gemischtem Salat.
Die Atmosphäre in den beiden kleinen Zimmern mit der Dachschräge erinnert an eine große WG – mit gut einem Dutzend Mitbewohnern zwischen Mitte 20 und Mitte 30, die sich offensichtlich gut verstehen. Alle tragen bequeme Kleidung, trinken Cola, Apfelschorle oder Wasser, viele essen Süßigkeiten oder Chips.
Wie der Techno in die Bigband kam
Als dann die 15 Musiker auf die Bühne treten, sind sie kaum wiederzuerkennen: Alle sind schwarz gekleidet, Sängerin Patricia hat ihre langen blonden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Die ersten Sounds der Live-Electronics starten vom Laptop, die Bläser stimmen ein.
Am Anfang ist das Publikum noch etwas zögerlich, viele hatten wohl mit einem normalen Jazz-Konzert gerechnet. Doch am Ende tanzen ältere Damen ausgelassen mit jungen Leuten zu Techno vor der Bühne.
Nach dem Konzert sind alle Musiker platt, keiner hat mehr so richtig Lust, mit mir zu reden, Bandleader und Posaunist Roman Sladek opfert sich.
Ursprünglich habe seine Bigband Swing und Jazz gespielt, aber er und der Komponist seien eben privat Techno-Fans, erzählt er. So kamen sie auf die Idee, dass eine Bigband ja auch Techno spielen könnte. "Und man rutscht da auch ehrlich gesagt irgendwie so rein. Ich hab da halt angefangen mit der Bigband und dann gemerkt, hey, das bewegt die Musikerinnen und Musiker aber auch das Publikum und da bleiben wir dran. Und dann rutscht man so von einem ins andere."
Mit dem Tonmann im Lager
Jetzt muss aber erst mal abgebaut werden, wieder helfen alle mit. Dann geht es zurück nach München, wieder im Transporter. Wir setzen einen nach dem anderen zuhause ab. Aber noch ist der Abend nicht vorbei.
Tontechniker Josy erklärt: "Wir sind bei mir am Lager. Und laden das Konzertequipment aus, das heißt, mein Mischpult und Verkabelung, die Instrumente." Es ist drei Uhr morgens. Auf die Feststellung, dass er nach den Konzerten noch die Arbeit habe, sagt Josy: "Ja, unangenehm, aber es gehört halt dazu. Irgendjemand muss es ja ausladen. Und nachdem jetzt nicht ganze Band jetzt noch nachts zum Lager fahren kann, weil das irgendwann ausufert, macht man’s halt alleine." Auf Nachfrage sagt er, sein Arbeitstag dauere jetzt 13,5 Stunden.
Am nächsten Nachmittag sitzen wir wieder im Transporter, wieder auf der Autobahn. Es geht zu einem Jazzfestival nach Würzburg, diesmal sind Tubistin Jutta Keeß und Baritonsaxofonist Flo Leuschner mit im Auto.
Plötzlich beginnt der Motor des Transporters zu stottern, Josy erreicht gerade noch den nächsten Parkplatz. Und ruft seinen Mechaniker an. "Da Josy, grüß dich, Rudi. Du, ich bin grad hinter Nürnberg auf der Autobahn, der Motor hat plötzlich des Klappern angefangen."
Josy öffnet die Motorhaube, das Handy immer am Ohr. Kurze Zeit später steigt er wieder ein, dreht den Zündschlüssel.
"Oh. Der startet mir gar nicht mehr. Der hat jetzt grad zweimal gerumpelt, jetzt hab ich ihn wieder ausgeschalten. Das klang jetzt grad gar nicht gesund."
Wenn der Transporter zur Unzeit streikt
Wir haben definitiv ein Problem: In vierzig Minuten sollte die Band beim Soundcheck in Würzburg sein, im Laderaum sind die komplette Technik und einige Instrumente. Aber aufgeben gibt’s nicht. Josy spricht den Fahrer eines weißen Lieferwagens an – und tatsächlich, der Mann hat Platz für das Material und erklärt sich bereit, uns nach Würzburg mitzunehmen. Das heißt: zwei von uns. Alle passen leider nicht rein.
Wir quetschen uns auf den Vordersitz des Lieferwagens, Josy ruft Bandleader Roman an und organisiert, dass jemand von Würzburg zurückfährt, um Jutta und Flo vom Parkplatz abzuholen. Der Fahrer des Lieferwagens erklärt sich dann sogar bereit, uns direkt bis zum Jazzfestival zu fahren.
Tonmann Josy fängt schon mal mit dem Soundcheck an, auch wenn Tubistin Jutta und Baritonsaxofonist Flo noch fehlen. Die Tür geht auf, Jutta und Flo kommen rein. Gerade noch rechtzeitig. "Ganz kurz nicht spielen, bitte. Wir haben leider nur noch fünf Minuten für den Soundcheck und ich würde ganz gerne die Instrumente noch checken."
"Ich hab kein Ecstasy genommen, aber es fühlt sich so an"
Rund zwei Wochen später. Releasekonzert in der ausverkauften Muffathalle. Die Halle ist riesig, alles ist viel größer und der Aufbau aufwendiger als bei normalen Konzerten. Es ist kurz vor der Show. Im Trakt hinter der Bühne spielen sich noch ein paar Musiker ein, viele ziehen sich um.
Auch Tubistin Jutta schlüpft in eine schwarze Hose, ein schwarzes Oberteil und neonfarbene Turnschuhe. Sie zieht Wimperntusche und Make-Up aus der Tasche – außerhalb der Auftritte sieht man sie eigentlich nur ungeschminkt. "Für die Bühne schmink ich mich schon, ja. Das ist wie, dass man extra ein anderes Paar Schuhe dabei hat. Das fühlt sich dann einfach mehr nach Bühne an und Auftritt."
Es geht los, die Muffathalle ist zum Bersten voll, die Menge tanzt und jubelt, mehr als zwei Stunden lang. Ein voller Erfolg – die Band kann’s kaum fassen: "Voll geil, sau anstrengend und voll lang", sagt Roman Sladek. Patricia Römer stimmt euphorisiert ein: "Ich hab kein Ecstasy genommen, aber es fühlt sich so an."
Voller Einsatz
Am Merch-Stand drängen sich die Fans, die Musiker und Musikerinnen reichen CDs über den Tresen, signieren Plakate, versuchen, niemanden zu übersehen. Sie wirken wie im Rausch. Und dann ist plötzlich die Halle leer, die Menschen sind weitergezogen zur Aftershowparty.
Bandleader Roman lehnt noch am Merchstand, ein Bier in der Hand. Er war auch Veranstalter des Releasekonzerts, erzählt er, hat Geld vorgestreckt, vom Sanitäter bis hin zum Vorverkauf alles organisiert. Es hat sich gelohnt.
Die Bigband wird immer erfolgreicher. "Also ich will das ja wirklich. Das, glaub ich, merkt man. Und ich glaube, mein 'Geheimnis' ist schon echt so ein bisschen ... naja, dass ich mir immer ein Ziel mehr setze und dann zu stolz bin, das nicht zu erreichen."
Damit erreicht er viel. Aber es nimmt viel Zeit ein. Und er bezahlt dafür auch einen Preis. "Ach, ich könnt mich wahrscheinlich deutlich mehr bewegen. Ich könnte deutlich mehr Zeit in meine Beziehung investieren. Ich könnte mit Sicherheit manchmal leichter denken und leben."
Freizeit und Beruf verschwimmen
Romans Freunde sind so gut wie alle Musiker oder arbeiten in der Kreativbranche. Freizeit und Beruf verschwimmen bei ihm, er sei in diesem Kosmos gefangen, sagt er. Und: Zwischen Musikern sei eine Verbindung da, man müsse nicht ständig wieder die gleichen Dinge erklären. Zum Beispiel, wie man von der Musik leben kann.
Roman wirkt nachdenklich und sagt dann: "Jetzt feiern wir und schwitzen noch ein bisschen ab und dann muss die ganze Riesenbühne auch noch abgebaut werden, verpackt, eingelagert und dann geht's morgen früh nach Dresden."
Am nächsten Morgen treffen wir uns am Parkplatz vor der Muffathalle. Die Aftershowparty dauerte bis um drei Uhr morgens. Alle wirken etwas müde.
Ein geliehener Transporter steht schon da, es könnte eigentlich losgehen. Aber Flo, der sich in der Band um die Besetzung kümmert, ist sichtlich nervös und telefoniert wild. Patricia erklärt das Problem: "Es fehlt ein Trompeter und wir wissen nicht genau, wo er ist. Wir glauben, dass er irgendwie nicht mitgekriegt hat, dass heute das Konzert ist, stimmt, es gab keine E-Mail. Es war nur Mundpropaganda und er war da nicht dabei."
Betriebswirt und Musiker
Der Trompeter erscheint nicht. Wir fahren los. Flo versucht, andere Trompeter dazu zu überreden, nachzukommen und einzuspringen. Was genau passiert ist, weiß er nicht. Dann nach etwa einer Stunde die Entwarnung: Der Trompeter ruft zurück, er wusste nichts von dem Konzert, ist gerade aufgewacht und kommt nach.
Nach der langen Fahrt haben alle Hunger, aber das Essen im Backstagebereich in Dresden schmeckt nicht gerade gut. Rausgehen und die Stadt anschauen lohnt sich zeitlich nicht, wie meistens.
Ich unterhalte mich mit Heinrich Wulff, dem Gitarristen der Band – er hat Musik studiert, arbeitet aber Vollzeit bei einer großen Versicherungsgesellschaft. "Ich hab relativ früh gemerkt, dass Unterrichten nicht so meins ist. Und drum wusste ich dann auch relativ schnell, dass ich nicht nur Musiker und Musiklehrer sein will. Und jetzt bin ich halt nicht Musiklehrer und Musiker sondern Betriebswirt und Musiker."
Die Jazzrausch Bigband ist also sozusagen sein Hobby, er opfert seinen Urlaub und seine Überstunden für die Konzerte. Das geht, auch weil Bandleader Roman lieber häufiger und kürzer tourt, statt wochenlang durch Europa zu ziehen, Heinrich also oft nur am Wochenende weg ist.
Leben von Jazzrausch - schwierig
Ganz allein von der Jazzrausch Bigband zu leben ist schwer, die Musiker haben meist noch andere Bands und unterrichten. Das Konzert verläuft dann wie die anderen, langsam wird’s auch für mich zur Gewohnheit. Wir fahren ins Hotel. Patricia geht schlafen, die meisten anderen sitzen noch ein bisschen in der Lobby zusammen.
"Brutal. Die Fahrt war schon brutal", sagt einer der Musiker. Es gibt Bier, das noch aus der Backstage stammt und Geschichten aus dem Tourleben: "Wie wir elf Stunden Anfahrt hatten oder so – und ein Publikum, das eigentlich voll gerne die Bands nach uns hören wollte." Auch die Kollegin kann sich noch erinnern: "Und deswegen schon die ersten zehn Reihen besetzt hatten."
Es erinnert ein bisschen an Ferienlager. Und es wird wieder spät.
"Guten Morgen. Das ist ein wunderschönes Hotel mit wunderschönen Betten und da hätte ich bestimmt noch länger als vier Stunden drin schlafen können. Also ich hab’s mir schon echt unzählige Male vorgenommen, nach dem Konzert dann einfach direkt ins Bett zu gehen, aber das klappt nie."
Die Mär von Sex and Drugs
Rund zwei Wochen später. Flo, Josy und ich sitzen wieder in einem Transporter, sind wieder auf der Autobahn. Diesmal geht’s nach Memmingen. "Der Wahnsinn, das wird herrlich heute. Wir haben jetzt eh sieben Tage nicht gespielt, das heißt, es sind eh alle Spitz auf Knopf. Total wild."
Aber – auf welche Weise wild? In den letzten Wochen habe ich nicht viel von Sex, Drugs und Rock’n’Roll gesehen, höchstens ein paar Bier nach der Show. Tonmann Josy lacht. "Bei uns ist es eher: Text, Gin und Techno-Jazz." Drogen spielen in der Jazzrausch Bigband keine Rolle, sagt er – außer den legalen.
In Memmingen angekommen treffen wir Saxophonist Raphael in der Backstage beim Essen. Auf die Frage nach Groupies lacht er nur. "Bekanntschaftsmäßig Null. Ich glaub, wir sind die lausigste Band, die ich kenne. Wenn man das Klischee jetzt vom Rockstar ... lausig, richtig lausig. Also, da sind wir enttäuschend, wenn jemand da glaubt, dass wir viele Frauen kennenlernen."
Auch auf die Frage nach Drogen schütteln er und Bassist Maxi den Kopf: "Wir stammen ja doch aus dem Jazz-Bereich. Da gibt’s natürlich genug Drogenopfer. Aber damals war die Kohle auch da, dass man sich so aufführen konnte, wie man wollte und auch völlig zugedröhnt zum Gig kommen."
Gitarrist Heinrich hat die ganze Diskussion bisher nur beobachtet, jetzt mischt er sich ein. Wie viele andere Bands erfülle die Jazzrausch Bigband das Klischee vom Rockstarleben einfach nicht. "Wir sind ein Umzugsunternehmen, in erster Linie. Und zwei Stunden am Tag spielen wir auch Musik." Es ist viel Arbeit für wenig Geld.
Soziales Auffangbecken
Aber als dann die Musik losgeht, als Jutta um ihre Tuba tanzt, Bassist Maxi selbst während des Konzerts seine E-Zigarette raucht, Roman mit seiner Posaune über die Bühne springt, muss ich an das denken, was mir Flo vor der Show erzählt hat:
"Wir sagen, glaube ich, gerne selber so: Endstation Jazzrausch Bigband, weil das ist so wie ein soziales Auffangbecken. Weil so viele Sonderfälle dabei sind und jeder so einen Knall hat auf seine Art. Und genau so individuell wie jeder als Mensch ist, ist jeder auch als Musiker. Also, jeder hat so eine Rolle in der Gruppe, jeder hat aber auch auf der Bühne eine ganz andere Rolle und das ist alles so ehrlich und ungespielt – und das find ich was wahnsinnig Dankbares und ich bin unglaublich froh, dass ich da dabei sein kann."