Unterwerfung
Von Michel Houellebecq
Deutschsprachige Erstaufführung in einer Fassung von Karin Beier und Rita Thiele
Regie: Karin Beier
Darsteller: Edgar Selge
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 6.2.2016
Houellebecqs Roman als Ein-Mann-Show
Eine böse Melange aus Sex und Politik: Karin Beier inszeniert "Unterwerfung" am Schauspielhaus Hamburg und speist Michel Houellebecqs Roman erfolgreich in die öffentliche Debatte ein. Das Publikum bejubelt Edgar Selges zweieinhalbstündigen Alleinauftritt – und das eigene Durchhaltevermögen.
Michel Houellebecq imaginiert in seinem vor einem Jahr erschienenen Roman, dass eine Muslim-Partei in Frankreich die Regierungsmacht übernimmt. Sie beschwört familiäre Werte (was auch die Katholiken zu Verbündeten macht), schickt die Frauen zurück an den Herd (was die Arbeitslosigkeit reduziert und den Sozialetat, Stichwort Pflege, entlastet) und ermöglicht die Vielweiberei. Letzteres sichert die Unterstützung der männlichen Eliten, so auch des Literaturprofessors Francois, Houellebecqs Icherzähler.
Edgar Selge als großartiger Nacherzähler
"Ich habe viel über den Roman gelesen, aber den Roman selbst habe ich nicht gelesen" – diese in der Pause häufig zu hörende Aussage von Premierenbesuchern rechtfertigt Karin Beiers schmucklose Herangehensweise: Sie lässt Houellebecqs "Unterwerfung" in gekürzter Form von Edgar Selge auf der Bühne nacherzählen. Das funktioniert, weil Selge es wirklich großartig macht und die Kürzung Houellebecqs spitze Bemerkungen noch weiter zuspitzt: Während die Lektüre eine eher deprimierende Grundstimmung verbreitet, wird an diesem Premierenabend viel gelacht. Es ist ja auch komisch, wie Edgar Selge alias Francois die unangenehmen Erkenntnisse über die politischen Veränderungen in Frankreich stets mit exquisiten alkoholischen Getränken hinunterspült oder dem Ende seines Liebeslebens mit sexuellen Verrenkungen bei Escort-Damen entgegenzuwirken sucht.
Bühnenbildner Olaf Altmann hat die Drehbühne quasi senkrecht gestellt: Über Selges Kopf dreht sich ein riesiger Kreis mit einem geräumigen Kreuz. So geräumig ist es, dass Selge hineinklettern und die einzelnen Kreuz-Arme als kleine Sitzecken nutzen kann. Wenn Francois' Freundin Myriam die Gefühle des Helden mit ihren Fellatio-Künsten in Aufruhr versetzt, steht Edgar Selge aufrecht in seinem Kreuz-Bau und wird von dem rasch pendelnden Kreis hin und her geworfen wie auf einem schwankenden Schiff. Doch vor allem fällt es ihm im Laufe des Stücks immer schwerer, in das Kreuz über seinem Kopf hineinzukommen: Hat er es zu Beginn noch mit bloßem Hochspringen, Aufstützen, sich aus eigener Kraft Hineinziehen geschafft, braucht Selge gegen Ende erst einen Hocker, dann Tisch und Hocker zusammen. Das symbolisiert treffend den körperlichen Verfall des Helden einerseits, andererseits die allmähliche Entfernung von christlichen Werten in der französischen Gesellschaft.
Stabile Allianz von französischem Katholizismus und Islam
Französischer Katholizismus und Islam gehen jedoch, als politisches Programm ihrer spirituellen Werte weitgehend entkleidet, bei Houellebecq eine stabile Allianz ein: In seiner Roman-Vision unterwerfen sich vor allem die Frauen, siegt das Patriarchat über den Feminismus.
An dieser Stelle greift die Bühnen-Nacherzählung von Regisseurin Karin Beier und Dramaturgin Rita Thiele ein wenig zu kurz: Houellebecq schildert, wie leicht die von vielen ersehnte Abkehr vom globalen Kapitalismus sich vereinnahmen lässt von primitiven, rückwärts gewandten politischen Strukturen. Kleine regionale Wirtschaftseinheiten und eine auf Nachhaltigkeit statt Wachstum ausgerichtete Produktion werden von vielen "linken" Zukunftsdenkern wie beispielsweise dem "Schulden"-Autor David Graeber propagiert. In Houellebecqs Roman missbraucht der muslimische Ministerpräsident diese Idee, um als kleinste Unternehmenseinheit die Familie zu beschwören und die Frauen wieder zu jener abhängigen, unbezahlten Arbeit zu verurteilen, der sie seit gut hundert Jahren zu entkommen suchen. Das spart dem Staat auch Sozialausgaben.
Darsteller und Publikum sind erschöpft
Die Politik greift in das Privatleben des Literaturprofessors Francois ein. Umgekehrt wird seine private Haltung, die narzisstische Neurose, die Angst vor der Liebe und den Gefühlsschwankungen in der Beziehung zu einer Frau zum politischen Programm: Mit der Restabilisierung des Patriarchats bekommen Mann und Frau wieder feste Rollen zugewiesen. Mit 17 hat man noch Träume, mit 47 unterwirft man sich. Dieses Essenz von Houellebecqs böser Melange aus Sex und Politik hat Karin Beier mit Selges zweieinhalbstündiger Ein-Mann-Show erfolgreich in die öffentliche Debatte eingespeist. Darsteller und Publikum sind am Ende erschöpft, die Zuschauer bejubeln Selges Präsenz und Leidenschaft, aber eben auch sein (und ihr eigenes) Durchhaltevermögen. Bedenkt man die Erregungswellen nach den Silvestervorfällen am Kölner Hauptbahnhof, wie rasch da über eine Sache geredet wurde, ohne die Sache selbst zu kennen, so erreicht dieser Abend zumindest eines: Ein bisschen mehr Kenntnis des Romans von Michel Houellebecq. Über ihn geredet wird ja ohnehin schon.