Untröstliche Einzelmenschen

Von Uwe Friedrich |
Mit einem Ausrufezeichen wollte Barrie Kosky seine Intendanz an der Komischen Oper eröffnen – und das ist ihm auch gelungen. Eine innere Notwendigkeit, die drei Monteverdi-Opern an einem Tag zu zeigen, konnte er jedoch nicht nachweisen.
Amor, der kleine Gott der Liebe, ist der Spielmacher in den drei Monteverdi-Opern über Orpheus, Odysseus und Poppea. Aber es soll sich niemand täuschen lassen: Dieser Liebesgott ist gar nicht lieb, nicht harmlos und süß, sondern zerstörerisch. Zwar beginnt die Monteverdi-Trilogie an der Komischen Oper mit der Fabel vom Sänger Orpheus in einem paradiesischen Gärtlein wie von den Kitschkünstlern Pierre et Giles entworfen, doch schnell bricht das Verhängnis in die triebhafte Welt der Faune und Schäfer ein. Eurydike stirbt, Orpheus macht sich auf den Weg ins Totenreich und wird seine geliebte Frau ein zweites Mal verlieren.

Regisseur Barrie Kosky inszeniert das arkadische Hirtenfest mit gewohnter Opulenz, lässt es richtig krachen in den Massenszenen, richtet aber in den Schlüsselmomenten die Konzentration vollkommen auf den untröstlichen Einzelmenschen, stellt das tragische Schicksal in den Mittelpunkt. Alle drei Opern dieses langen Eröffnungstages bringt Kosky, der sich bisher vor allem als effektsicherer Opern-Hallodri profilierte, überraschend fokussiert auf die Bühne. Keinerlei Schnickschnack lenkt auf dem Kunstrasenrechteck ab von den Traumatisierungen und Selbstzweifeln des heimkehrenden Odysseus, auch den widerlichen Zynismus der Poppea auf ihrem Weg zur abschließenden Krönung arbeitet Kosky deutlich heraus.

Wenn es allerdings nach fast zwölf Stunden, davon neuneinhalb Stunden Musik, endlich so weit ist, dass Nero und Poppea sich in die Arme sinken und in einer unwirtlichen Vulkanlandschaft eines der schönsten Duette der Operngeschichte singen dürfen, macht sich doch Ermattung breit. Das liegt nicht zuletzt am Dirigenten André de Ridder, der die drei Einzelteile allzu gleichförmig und konturlos runterspielen lässt. Dabei hat die Komponistin Elena Kats-Chernin eine grandiose Neuinstrumentierung erarbeitet. Cymbalon, die Lauteninstrumente Kora und Oud, Harmonium und E-Gitarre sorgen je nachdem für ein archaisierendes oder angejazztes Klangbild, rücken das Geschehen bald ganz nah, bald in historische Ferne und schaffen aufregende Perspektivwechsel.

Vor allem im "Odysseus" zerfallen die Rhythmen jedoch immer wieder, auch die "Poppea" hängt gefährlich durch, hat einfach nicht genügend Tempo, um den Witz einer gruseligen Komödie entfalten zu können. Dominik Köningers Orpheus rührte mit seinen Klagen tatsächlich zu Tränen, während Odysseus und seine Penelope mit ihrem verhauchten Gesang eher auf die Nerven gingen. Abschließend machten Brigitte Geller und Helene Schneidermann als Poppea und Octavia mal wieder deutlich, dass es auch an der schauspielverliebten Komischen Oper von entscheidendem Vorteil ist, wenn die Darsteller wirklich singen können.

Mit einem Ausrufezeichen wollte Barrie Kosky seine Intendanz an der Komischen Oper eröffnen, und das ist ihm auch gelungen. Eine innere Notwendigkeit, die drei Monteverdi-Opern an einem Tag zu zeigen, konnte er jedoch nicht nachweisen. Ein Kraftakt für alle Beteiligten, inklusive Publikum. Und jetzt können wir mit gutem Gewissen zum Opernalltag zurückkehren.

Informationen der Komischen Oper Berlin zu ihrer Monteverdi-Trilogie
Mehr zum Thema