Unverbesserlicher Träumer
Für den rumänischen Schriftsteller Mircea Cartarescu macht der realistische Roman keinen Sinn. Er ziehe es vor, zu träumen: Im eigenen Leben und auf allen Seiten, die er bisher verfasst habe, sagt der Träger des Internationalen Literaturpreises 2012.
"Bis zu der Zeit, als man auf der Straße gegenüber den Block hochzog und daher alles hinter Planken verschwand und die Luft nicht mehr zum Atmen war, schaute ich stets nächtelang durch das dreiteilige Panoramafenster meiner Wohnung an der Ştefan-cel-Mare-Chaussee auf Bukarest hinaus."
Mircea Cărtărescu, schlank, schwarze Haare, markante Wangenknochen, liest die ersten Zeilen aus "Orbitor", seines drei Bände umfassenden Romans. Wie schon zuvor in der Erzählung "Mendebilus" erscheint auch in Cărtărescus Opus magnum die Wohnung und der Häuserblock in der Ştefan-cel-Mare-Chaussee, der Chaussee Stefan der Große, die ganz Bukarest durchzieht, als zentraler und magischer Ort der Kindheit:
"Dort habe ich von meinem fünften bis zu meinem 30. Lebensjahr gelebt. Dieser Häuserblock hatte eigentlich nichts Besonderes oder Fantastisches an sich, er war banal und grau. Und die Chaussee Stefan der Große hatte nichts Großartiges an sich. Aber die Umgebung des Blocks, die Dâmboviţa-Mühle, ein Riesenbauwerk aus dem 19. Jahrhundert, die Brotfabrik Pionierul, der Staatszirkus, all das sind für mich fabelhafte Orte, weil ich dort meine Kindheit verbracht habe. Dort war alles auf eine natürliche Weise fabelhaft und fantastisch."
Heute liegt der Lebensmittelpunkt des 55-jährigen Cărtărescu schon lange nicht mehr in der größten Straße der Stadt. Mit seiner Frau, einer Lyrikerin und Journalistin, und dem gemeinsamen Sohn lebt er im äußersten Norden Bukarests. Wer zu dem kleinen Reihenhaus gelangen will, muss durch ein verwunschenes Waldstück fahren:
"Ich befinde mich hier in Rumänien in einer Art innerer Emigration. Das ist einer der Gründe, warum ich in letzter Zeit die Isolation gewählt habe und an einem Ort im Grünen lebe, am Rande der Stadt. Wenn Schriftsteller eine gewisse Bekanntheit erlangen, mag man sie nicht mehr im Kulturbetrieb. Der Schriftsteller fühlt sich dann wie ein Baum, der nicht mehr wächst. Anstatt anderen im Weg zu stehen, sollte er sich lieber an einen Ort zurückzuziehen, an dem er ungestört und ohne Unterbrechung schreiben kann."
Neben dem Sofa, auf dem Mircea Cărtărescu sitzt, liegt auf einem Tisch ein Silbertablett mit sandfarbene Muscheln und einem roten Seestern. Als der Autor in den 90er-Jahren endlich in die westliche Ferne reisen durfte, stellte sich dort das erhoffte Gefühl der Freiheit, das er in Rumänien - auch wegen der Zensur - vermisst hatte, nicht ein. "Der Westen hat mir den Mund gestopft" heißt es in einem die Frustration widerspiegelnden Gedicht Cărtărescus. Mit Lyrik begann er seine Karriere.
Einen Namen aber machte sich der Autor, der heute als der renommierteste lebende Schriftsteller seines Landes gilt, mit dem Erzählband "Nostalgia". Dieses in den 60er- und 70er-Jahren in Bukarest angesiedelte Buch und der dreibändige Roman "Orbitor" haben dafür gesorgt, dass der Rumäne heute als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt wird. Mircea Cărtărescu, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, ist von der Literatur der Postmoderne ebenso beeinflusst wie von jener der Romantik. Träume und Fantastisches durchziehen sein Werk:
"Für mich macht der realistische Roman keinen Sinn. Es erfüllt mich nicht besonders, plausible Szenen zu entwerfen und Personen glaubhaft zu beschreiben. Ich bin ein Dichter, kein Erzähler. Das gilt auch für meine Romane. Mich interessiert die Poesie der Dinge. Einige unserer Träume haben eine innere Magie, sie strahlen in einem besonderen Licht. André Breton definierte den Menschen in seinem Surrealistischen Manifest als unverbesserlichen Träumer. Ich habe mich immer als unverbesserlichen Träumer gesehen. Das bin ich in meinem ganzen Leben gewesen und auf allen Seiten, die ich geschrieben habe."
Mehr zum Thema auf dradio.de:
Mircea Cartarescu bekommt Internationalen Literaturpreis - Rumänischer Autor erhält Auszeichnung vom Berliner Haus der Kulturen der Welt, (Deutschlandradio, Aktuell vom 23.5.2012)
Mircea Cărtărescu, schlank, schwarze Haare, markante Wangenknochen, liest die ersten Zeilen aus "Orbitor", seines drei Bände umfassenden Romans. Wie schon zuvor in der Erzählung "Mendebilus" erscheint auch in Cărtărescus Opus magnum die Wohnung und der Häuserblock in der Ştefan-cel-Mare-Chaussee, der Chaussee Stefan der Große, die ganz Bukarest durchzieht, als zentraler und magischer Ort der Kindheit:
"Dort habe ich von meinem fünften bis zu meinem 30. Lebensjahr gelebt. Dieser Häuserblock hatte eigentlich nichts Besonderes oder Fantastisches an sich, er war banal und grau. Und die Chaussee Stefan der Große hatte nichts Großartiges an sich. Aber die Umgebung des Blocks, die Dâmboviţa-Mühle, ein Riesenbauwerk aus dem 19. Jahrhundert, die Brotfabrik Pionierul, der Staatszirkus, all das sind für mich fabelhafte Orte, weil ich dort meine Kindheit verbracht habe. Dort war alles auf eine natürliche Weise fabelhaft und fantastisch."
Heute liegt der Lebensmittelpunkt des 55-jährigen Cărtărescu schon lange nicht mehr in der größten Straße der Stadt. Mit seiner Frau, einer Lyrikerin und Journalistin, und dem gemeinsamen Sohn lebt er im äußersten Norden Bukarests. Wer zu dem kleinen Reihenhaus gelangen will, muss durch ein verwunschenes Waldstück fahren:
"Ich befinde mich hier in Rumänien in einer Art innerer Emigration. Das ist einer der Gründe, warum ich in letzter Zeit die Isolation gewählt habe und an einem Ort im Grünen lebe, am Rande der Stadt. Wenn Schriftsteller eine gewisse Bekanntheit erlangen, mag man sie nicht mehr im Kulturbetrieb. Der Schriftsteller fühlt sich dann wie ein Baum, der nicht mehr wächst. Anstatt anderen im Weg zu stehen, sollte er sich lieber an einen Ort zurückzuziehen, an dem er ungestört und ohne Unterbrechung schreiben kann."
Neben dem Sofa, auf dem Mircea Cărtărescu sitzt, liegt auf einem Tisch ein Silbertablett mit sandfarbene Muscheln und einem roten Seestern. Als der Autor in den 90er-Jahren endlich in die westliche Ferne reisen durfte, stellte sich dort das erhoffte Gefühl der Freiheit, das er in Rumänien - auch wegen der Zensur - vermisst hatte, nicht ein. "Der Westen hat mir den Mund gestopft" heißt es in einem die Frustration widerspiegelnden Gedicht Cărtărescus. Mit Lyrik begann er seine Karriere.
Einen Namen aber machte sich der Autor, der heute als der renommierteste lebende Schriftsteller seines Landes gilt, mit dem Erzählband "Nostalgia". Dieses in den 60er- und 70er-Jahren in Bukarest angesiedelte Buch und der dreibändige Roman "Orbitor" haben dafür gesorgt, dass der Rumäne heute als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt wird. Mircea Cărtărescu, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, ist von der Literatur der Postmoderne ebenso beeinflusst wie von jener der Romantik. Träume und Fantastisches durchziehen sein Werk:
"Für mich macht der realistische Roman keinen Sinn. Es erfüllt mich nicht besonders, plausible Szenen zu entwerfen und Personen glaubhaft zu beschreiben. Ich bin ein Dichter, kein Erzähler. Das gilt auch für meine Romane. Mich interessiert die Poesie der Dinge. Einige unserer Träume haben eine innere Magie, sie strahlen in einem besonderen Licht. André Breton definierte den Menschen in seinem Surrealistischen Manifest als unverbesserlichen Träumer. Ich habe mich immer als unverbesserlichen Träumer gesehen. Das bin ich in meinem ganzen Leben gewesen und auf allen Seiten, die ich geschrieben habe."
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