Unverbindliche Verbindlichkeit
Behinderte Kinder sollen nach der Forderung von Sozialverbänden und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nicht länger in Sonderschulen ausgegrenzt werden. Die Organisationen berufen sich auf die verbindliche UN-Behindertenkonvention, die seit Januar 2009 gilt. 90 Prozent aller behinderten Kinder sollen zusammen mit Nichtbehinderten in normalen Schulen unterrichtet werden. - Berichte aus Bremen und aus dem Saarland.
Bremen
Von Christina Selzer
Matheunterricht in der dritten Klasse an der Schule Burgdamm in Bremen. Florian steht an der Tafel und versucht eine Aufgabe lösen. Von den 28 Kindern sind zwei lernbehindert. Einer davon ist Florian. Er nimmt am Unterricht teil, muss aber nicht dieselbe Leistung bringen wie die anderen, sondern hat sein eigenes Programm. Thomas Schipfer, Schulleiter und Sonderschullehrer freut sich über Florians Fortschritte.
"Bei ihm es so, er hat durchgängig in jedem Fach zu krepsen, da braucht er Hilfestellung. Der Kreativbereich ist gut, er kann Geschichten formulieren. Die zu Papier zu bringen, ist was anders. In der ersten Klasse hat er da gesessen und gesagt: Scheiß Schule, hier komme ich nicht mehr her. Wenn ich jetzt sehe, wie dieses Kind sich entwickelt hat, die Antennen sind ausgefahren. Das ist schon toll."
Cornelia Nendel, die Lehrerin sieht das genauso. Für sie ist es selbstverständlich, dass behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam lernen. Auch wenn das etwas mehr Aufwand bedeutet.
"Einmal ist es so, dass ich meinen Unterricht so gestalten muss, dass meine Schüler daran teilnehmen können, sie bekommen extra Arbeitsbögen. Eine Schülerin bekommt im dritten Schuljahr immer noch die Materialien aus dem ersten Schuljahr. Zum Teil ist es so, dass ich Material erhalte, das nahtlos in den Unterricht einfließt."
Bremen ist das erste Bundesland, das in allen Grundschulen die Integration praktiziert. 45 Prozent der behinderten Kinder gehen auf Regelschulen, damit liegt Bremen bundesweit an der Spitze. In Niedersachsen zum Beispiel sind es nicht einmal fünf Prozent. Doch die Probleme beginnen auch in Bremen nach der vierten Klasse, dann nämlich werden behinderte Kinder auf Förderzentren geschickt.
Die Schule Burgdamm dagegen arbeitet mit Regelschulen zusammen und betreut die Kinder bis zur zehnten Klasse. Viele schaffen sogar einen Abschluss. Darauf hofft auch Gabriele Gruß. Ihr 14-jähriger Sohn Arne ist lernbehindert und geht in die achte Klasse. In seiner Klasse sind mehr als 20 normale Schüler und drei mit Lernbehinderung. Die Mutter wollte nicht, dass ihr Sohn in eine Sonderschule kommt.
"Weil ich nicht die separate Situation mit meinem Sohn haben wollte, immer nur in Kleingruppen."
Ohne die Schule Burgdamm hätte sich ihr Sohn nicht so gut entwickeln können, davon ist sie überzeugt.
"Dann hätte er nur die Möglichkeit gehabt, zur Schule für geistig behinderte zu gehen. Jetzt geht er zur Schule. Auch für die Ausbildung ist das gut. Nur mit einem Sonderschulzeugnis hätte er für eine Ausbildung keine Chance."
Arne bekommt Noten, die sich nach seinen Fähigkeiten richten. Er hat auf seinem Zeugnis zweien, dreien, die schlechteste Zensur ist eine Vier. Kunst und Erdkunde liegen ihm zum Beispiel gut, erzählt Gabriele Gruß.
"Bei Erdkunde kann er im Atlas gucken. Alles was Theorie ist, ist schwer. Mathe, versteckte Fragen, das kriegt er nicht hin. Das Förderzentrum behandelt die gleichen Themen wie die anderen Kinder, nur die Texte sind einfacher."
So bekommt er das Gefühl, mittendrin zu sein, auch etwas zu leisten. Doch natürlich nimmt er ganz genau wahr, dass er weniger versteht, als die anderen Kinder, so Gabriele Gruß. Dass ihre zwölfjährige Tochter besonders begabt ist und eine Klasse übersprungen hat, macht die Sache zu Hause allerdings nicht leichter.
"Zu Anfang hat ihm das zu schaffen gemacht. Ich will, was die anderen auch machen. Lass es langsamer angehen. Meine Tochter ist im verkürzten Bildungsgang da prallen zwei Welten aufeinander."
Doch es tut ihm gut, da ist sie sicher. Lernen in der Gruppe, Kontakt zu anderen Kindern, all das ist wichtig auch für behinderte Kinder. Das sieht auch Rudolf Siemer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft so. Es ist keine Lösung, sagt er, behinderten Kindern einen Schonraum zu geben.
"Da sind alle zusammen, und wenn sie aus der Schule kommen, was passiert dann? Dann sind sie wieder in der Gesellschaft, dann müssen sie in der Umwelt klarkommen, das ist ein Schonraum, kein Abbild der Gesellschaft. Aber wie wollen wir Schüler vorbereiten, wenn wir sie in Watte packen?"
Ein typisch deutsches Phänomen sei diese Tendenz, behinderte Schüler auszusortieren. Dabei profitierten alle vom gemeinsamen Lernen: Das Gesamtniveau steige, die Kinder lernten soziale Kompetenz und Toleranz, das zeigten Studien und auch Erfahrungen aus dem Ausland, aus Skandinavien zum Beispiel und aus Italien, wo es keine Sonderschulen mehr gebe.
Die Sonderschulen, die jetzt Förderzentren heißen, sollen nach und nach aufgelöst werden. In Bremen wehren sich viele dagegen. sagt Gewerkschaftsmann Rudolf Siemer.
"Vor allem die Lehrer an den Förderzentren haben sich kuschelig eingerichtet."
Raus aus der Kuschelecke, fordert er. Gebraucht wird seiner Meinung nach stattdessen eine bessere Diagnostik: Wie kann ein Kind gefördert werden, das ist die Frage, die gestellt wird. Inklusion nennen das die Fachleute. Inklusion bedeutet, dass das Kind schon von Anfang an dabei ist, und gar nicht erst von den gesunden Kindern getrennt wird.
"Es müssen mehr Sonderschullehrerstunden her. Pädagogische Mitarbeiter müssen in die Klassen rein. Das ist jetzt schon so. Der Rollstuhlfahrer hat ne Assistenz. Wenn er auf die Toilette muss, etc."
Hans-Joachim Steinbrück ist Beauftragter für behinderte Menschen in Bremen und auch er fordert den Umbau des Systems, bevor die behinderten Kinder in die Regelschulen kommen.
"Es geht ja nicht darum, Kinder in die allgemeinen Schulen zu stecken und sagen, jetzt haben wir Inklusion, sondern Schule muss sich verändern. Muss in der Lage sein, behinderte Kinder willkommen zu heißen und zu fördern. Bisher ist es so, dass die Kinder schulgerecht sein müssen."
Nicht umsonst verlangt die UN-Konvention für behinderte Menschen ja auch, dass sich die Mitgliedstaaten verpflichten, Lehrer stetig weiterzubilden. Für den promovierten Juristen Steinbrück, der selbst blind ist, ist die UNO-Konvention ein wichtiges Signal.
"Was für viele schwer zu akzeptieren ist, dass nach internationalem Völkerrecht die Beschulung in gesonderten Schulen als Verstoß gegen die Menschenrechte angesehen wird. Überall dort, wo andere entscheiden, zum Beispiel die Behörde, das Kind muss in eine Förderschule, aufgrund von Gutachten, wird ein behindertes Kind in seinen Menschenrechten verletzt."
Sein Optimismus über das, was sich jetzt ändern wird, hält sich allerdings in Grenzen. Denn schon jetzt haben in Bremen Behinderte einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Regelschule. Doch dieser Anspruch konnte bisher nicht eingelöst werden. Zurzeit bestimmt die Bildungsbehörde, auf welche Schule behinderte Kinder gehen müssen. Sobald bei einem Kind ein sogenannter sonderpädagogischer Bedarf festgestellt wird, haben Eltern keine freie Schulwahl. Aussonderung sei das, und das, obwohl laut Landesverfassung niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe, kritisieren Eltern. Petra Kettler vom Zentralen Elternbeirat hat einen geistig behinderten Sohn. Integration gibt es nicht in Bremen, behauptet sie. Stattdessen gebe es das Kooperationsmodell - und das habe die Einzelintegration verhindert.
"Dieses Kooperationsmodell wird uns angepriesen als so gut wie Integration, ist es aber nicht, es ist ziemlich willkürlich. Ich habe einen Sohn, der ist in der elften Klasse und hat seit fünf Jahren nicht eine Stunde Kooperation gehabt."
Das Modell ist gescheitert, dieser Meinung ist auch Gisela Bründermann, die zusammen mit anderen Eltern die Initiative "Eine Schule für alle in Bremen" gegründet hat. Die Eltern wollen die Schule für ihre Kinder selbst wählen.
"Wir haben die Initiative eine Schule für alle jetzt gegründet, vor dem Hintergrund, dass es das in Bremen das Kooperationsmodell gibt, aber noch nicht wirklich, dass es Integration eigentlich nicht gibt, das sind Fächer wie Musik, Sport, aber bei den Fächern wir Rechnen und Deutsch wird getrennt, an vielen Schulen wir das ab 5 gar nicht mehr gemacht, das ist kein Rechtsanspruch, das liegt an den Lehrern, läuft an vielen Schulen nicht gut."
An Regelschulen gibt es noch zu wenig Ressourcen, auf die behinderten Kinder einzugehen, sagt Gisela Bründermann, die selbst Lehrerin ist und beobachtet, das die Schulen noch zu wenig auf die besonderen Bedürfnisse behinderter Kinder eingestellt sind.
"Ich sehe es einfach wie das Selektieren läuft: Du gehörst hier nicht hin, wenn es aber darum geht, dass jeder bekommt, was er braucht, dann dürfte so eine Haltung nicht sein."
Ihre Tochter Miriam hat das Down Syndrom und wird im Sommer eingeschult. Miriam stand ein Jahr lang auf der Warteliste. Sie kommt in eine integrative Vorklasse in der Kinderschule Bremen, die am Modellversuch "inklusive Schule" teilnimmt. Für Gisela Bründermann und ihre Tochter ein Glücksfall:
"Ich würde mich das an keiner andere Schule trauen. Aber dort haben sie bestimmte pädagogische Prinzipien, jahrgangsübergreifendes Lernen etc. An anderen Schulen müsste noch viel geändert werden. Aber an dieser Schule, die 25 Jahre Erfahrung hat, da traut man sich das schon mal."
Bis es in Bremen normal ist, dass behinderte Kinder auch nach Klasse 5 an Regelschulen unterrichtet werden, wird es noch eine Weile dauern, da macht sich auch Gisela Bründermann keine Illusionen. Sie hofft jetzt auf die Schulreform in Bremen. Denn derzeit wird das gesamte Schulsystem – mal wieder – umgebaut. Eine gute Gelegenheit für die Initiative "Eine Schule für alle", sich für eine bessere Integration einzusetzen.
Saarland
Von Tonia Koch
"In der Konvention ist sehr klar ein Wahlrecht formuliert und ist sehr klar formuliert, dass Schritte auf dem Weg zu einer inklusiven Schule von allen Ländern eingeleitet werden müssen, die diese Konvention unterschrieben haben und dazu gehört Deutschland."
Ilse Blug leitet seit Jahren den Verein miteinander Leben Lernen im Saarland. Und wie alle Vertreter von Behindertenverbänden setzt sie große Hoffnungen in die neue UN-Konvention, insbesondere auf die Teilnahme behinderter Kinder am regulären Schulbetrieb. Ein direkter Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Regelschule ließe sich aus der UN-Konvention jedoch nicht ableiten, argumentiert der Präsident des Bundessozialgerichtes Peter Masuch.
"Der Artikel 24 mit den Bildungsanforderungen ist zunächst einmal eine Handlungspflicht des Staates und schafft keinen Rechtsanspruch eines behinderten Menschen oder seiner Angehörigen."
Es sei nun Aufgabe der Unterzeichnerstaaten, ihre rechtlichen Regeln anzupassen, sagt Masuch.
"Wir können nur hoffen, dass die Verpflichtung , die unser Staat übernommen hat, dazu führt, dass er das nationale Recht im Sinne der Förderung von behinderten Menschen ernst nimmt und entsprechend umsetzt und wir insofern einen Innovationsschub in unserem Rechtswesen und in unserm gesamten gesellschaftlichen Bereich bekommen."
Allerdings zeigt sich die Mehrzahl der Bundesländer in ihrer Domäne, der Bildungspolitik, alles andere als innovativ. Im Gegenteil, sie haben sich längst in Stellung gebracht und zwar mehr oder minder gegen den Geist der Konvention. Statt mehr Integration, wollen sie ihr ausgeklügeltes System von Sonderschulen unbedingt erhalten. Und um einer breiten Öffentlichkeit zu suggerieren, Sonderschulen seien hoffnungsvolle Einrichtungen, haben sie diese inzwischen in Förderschulen umgetauft, Annegret Kramp-Karrenbauer, saarländische Bildungsministerin.
"Wir haben höchstrichterliche Rechtssprechung, wonach Förderschulen- und das ist im Saarland so – Teil des allgemeinen Schulsystems sind. Und deshalb vertritt die Saarländische Landesregierung – wie viele andere Bundesländer auch - die Auffassung, dass trotz einer Ratifizierung der UN-Charta, Förderschulen zulässig sind und aus meiner Sicht auch notwendig sind."
Bereits 1997 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Sonderschulweg und die Unterrichtung von behinderten Kindern in Regelschulen als gleichwertig anzusehen ist. Deshalb sei es den Behörden auch gestattet, behinderte Kinder gegen ihren Willen, auf eine Sonderschule zu verweisen. Allerdings, fügten die Richter seinerzeit hinzu, sei es nur dann erlaubt, behinderte Kinder auszusondern, wenn ihre Integration in den regulären Schulbetrieb unvertretbar hohe Kosten verursache. Seitdem nutzt die Mehrzahl der Bundesländer, die vom Verfassungsgericht unterstellten höheren Kosten der Integration als Freibrief für die Belegung ihrer Sonderschulen. Mit wachsender Tendenz, vor allem bei Kindern mit diagnostizierter Lernbehinderung. Eine Praxis, die den Stand der Forschung weitestgehend ignoriert. Dass lernbehinderte Kinder in Sonderschulen weniger lernten als in Regelschulen sei längst Fakt, sagt die Frankfurter Integrationsforscherin Irmgard Schnell.
"Das ist zweifelsfrei nachgewiesen, dass diese Schulen weder in sozial emotional noch in kognitiver Hinsicht förderlich sind für die Kinder, die von diesen Schulen besucht werden."
Auch umgekehrt werde ein Schuh daraus, so Schnell.
"Nachgewiesen ist für die Nicht-Behinderten-Kinder, dass sie in Integrationsklassen entweder besser lernen oder gleich gut. Da ist ja oft die Sorge der Eltern, wird mein Kind auch genügend lernen, wenn behinderte Kinder dazu kommen, das ist zweifelsfrei festgestellt."
Dieser Einschätzung widerspricht der Landesverband Sonderpädagogik nicht. Unter dem Dach des Verbandes sind sowohl Pädagogen organisiert, die ausschließlich an Förderschulen unterrichten als auch solche Lehrer, die Schülern in Regelschulen zur Seite stehen. An der Spitze des Verbandes steht Erich Schwarz. 17 Jahre lang stand er einer L-Schule, einer Schule für Lernbehinderte vor. Den Vorschlag, den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu folgen und die L-Schulen zugunsten eines integrativen Weges abzuschaffen, hört er nicht zum ersten Mal. Und jedes Mal wehrt er sich vehement dagegen. Die Schulen für Lernbehinderte hätten - so Schwarz -eine Daseinsberechtigung, weil die Schwierigkeiten der betroffenen Kinder nicht pauschal über die Organisationsform zu regeln seien.
"Es gibt mit Sicherheit Kinder, die gehen an der Lernbehindertenschule unter. Und es gibt mit Sicherheit Kinder für die die Lernbehinderten Schulen die bessere Schule ist, weil sie dort ganz andere Bedingungen haben. Auch da rede ich aus Erfahrung. Es gibt Kinder, denen hätte man die Musserfolgserlebnisse an anderen Schulen ersparen können, sie sind in der Lernbehindertenschule regelrecht aufgeblüht. Aber es gibt tatsächlich auch Kinder denen hätte man die L-Schule besser erspart und hätte sie integrativ unterrichtet. Also ich bin der Meinung, das muss man von Kind zu Kind unterschiedlich sehen."
.
Die übrigen europäischen Länder haben ihre Sonderschulen in den vergangenen Jahren überwiegend aufgelöst oder sie zu Zentren weiter entwickelt, die Regelschulen bei ihrer Arbeit mit Behinderten Kindern unterstützen. Aber wo sollen die 400.000 Schülerinnen und Schülern, die derzeit in Deutschland eine Sonderschule besuchen, unterrichtet werden. Im dreigliedrigen Schulsystem, das sie schon früh nach Leistungsklassen unterteilt, ist kein Platz für sie. An dieser Stelle habe nicht nur das Bildungssystem sondern auch die Gesellschaft versagt, schimpft Erich Schwarz.
"Diese Schulen angeln sich ihre Kinder ja nicht, sie sind ja da. Das hängt damit zusammen, dass es eine gewisse Klientel gibt, von der man im Moment nicht weiß, was man mit ihnen schulisch machen kann. Wir haben eine immer größere Zahl vom Kinder, der wir mit dem Regelschulsystem nicht mehr gerecht werden."
50 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gehören der Gruppe der Lernbehinderten an. Und diese L-Schüler, so Schwarz, scheiterten letztendlich nicht an der Schulform, sondern an der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
"Ich war in dem Modellversuch und habe zum ersten Mal eine Klasse, also zwölf Schüler unserer Schule zum Hauptschulabschluss geführt. Aber Fakt ist - dieser Hauptschulabschluss, da stand also nicht drauf, Schule für Lernbehinderte, da stand einfach nur drauf Hauptschulabschluss – aber die Kinder finden keine Lehrstelle. Wir haben nur noch Arbeit für Spezialisten. Und wir haben eine Gruppe von Menschen, die diesen Anforderungen nicht gerecht wird und die Gesellschaft schafft es nicht, sie zu integrieren."
Immer mehr L-Schüler finden sich nach ihrer Schulkarriere in beschützenden Werkstätten wieder, wo sie per definitionem ganz bestimmt nicht hingehören. Diese Entwicklung zeige eindeutig, so Ilse Blug, die saarländische Vorsitzende des Vereins miteinander Leben lernen, dass Förderschulen Kinder auf die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht vorbereiteten. Sie fordert daher ein echtes Wahlrecht für Eltern. Ein Wahlrecht hätten die Eltern jedoch erst dann, wenn die Bedingungen unter denen behinderte Kinder in Sonderschulen und in Regelschulen unterrichtet würden, tatsächlich gleichwertig seien. Das aber sei nicht der Fall. Ilse Blug.
"Es gibt zu wenig Sonderschullehrerstunden in der Integration. Es gibt auch zu wenige in den Förderschulen. Aber da kann man das irgendwie auffangen. In der Einzelintegration kann man das nicht auffangen. Die Stundenzahl sinkt von Jahr zu Jahr."
Ilse Blug hat daher Verständnis dafür, dass sich Eltern der besseren Bedingungen wegen bewusst für die Sonderschule entscheiden. Wer trotzdem den integrativen Weg gehen möchte, wird im Saarland in aller Regel nicht abgewiesen. 30 Prozent aller Kinder, für die sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird, werden in Regelschulen unterrichtet. Das ist eine Quote, die weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Die Aufnahme behinderter Kinder in die Regelschulen ist freiwillig. Sie ist in das Ermessen einer Kommission gestellt, in der Schulleitung und Behörde über maßgeblichen Einfluss verfügen. Christel Dewald die Rektorin der Saarbrücker Ordensgutgrundschule hat in 18 Jahren noch kein Kind abgewiesen.
"Da wir in jeder Klasse mehrere Integrationsschüler haben, kumulieren die Stunden und das ist von Vorteil. Wir haben zwei Integrationslehre mit voller Stundenzahl an dieser Schule."
Nur die wenigsten Kinder wissen, dass der Integrationslehrer besondere Aufgaben wahrnimmt oder wie oft er anwesend ist.
"Nein, das weiß ich nicht, der hilft meistens Ali oder Leila …"
Im Geiste der UN-Konvention, die vom Recht auf inklusive Bildung spricht, gehören hier alle dazu.
"Guten Morgen liebe Nico Drachenklasse! Guten Morgen alle zusammen!"
Von Christina Selzer
Matheunterricht in der dritten Klasse an der Schule Burgdamm in Bremen. Florian steht an der Tafel und versucht eine Aufgabe lösen. Von den 28 Kindern sind zwei lernbehindert. Einer davon ist Florian. Er nimmt am Unterricht teil, muss aber nicht dieselbe Leistung bringen wie die anderen, sondern hat sein eigenes Programm. Thomas Schipfer, Schulleiter und Sonderschullehrer freut sich über Florians Fortschritte.
"Bei ihm es so, er hat durchgängig in jedem Fach zu krepsen, da braucht er Hilfestellung. Der Kreativbereich ist gut, er kann Geschichten formulieren. Die zu Papier zu bringen, ist was anders. In der ersten Klasse hat er da gesessen und gesagt: Scheiß Schule, hier komme ich nicht mehr her. Wenn ich jetzt sehe, wie dieses Kind sich entwickelt hat, die Antennen sind ausgefahren. Das ist schon toll."
Cornelia Nendel, die Lehrerin sieht das genauso. Für sie ist es selbstverständlich, dass behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam lernen. Auch wenn das etwas mehr Aufwand bedeutet.
"Einmal ist es so, dass ich meinen Unterricht so gestalten muss, dass meine Schüler daran teilnehmen können, sie bekommen extra Arbeitsbögen. Eine Schülerin bekommt im dritten Schuljahr immer noch die Materialien aus dem ersten Schuljahr. Zum Teil ist es so, dass ich Material erhalte, das nahtlos in den Unterricht einfließt."
Bremen ist das erste Bundesland, das in allen Grundschulen die Integration praktiziert. 45 Prozent der behinderten Kinder gehen auf Regelschulen, damit liegt Bremen bundesweit an der Spitze. In Niedersachsen zum Beispiel sind es nicht einmal fünf Prozent. Doch die Probleme beginnen auch in Bremen nach der vierten Klasse, dann nämlich werden behinderte Kinder auf Förderzentren geschickt.
Die Schule Burgdamm dagegen arbeitet mit Regelschulen zusammen und betreut die Kinder bis zur zehnten Klasse. Viele schaffen sogar einen Abschluss. Darauf hofft auch Gabriele Gruß. Ihr 14-jähriger Sohn Arne ist lernbehindert und geht in die achte Klasse. In seiner Klasse sind mehr als 20 normale Schüler und drei mit Lernbehinderung. Die Mutter wollte nicht, dass ihr Sohn in eine Sonderschule kommt.
"Weil ich nicht die separate Situation mit meinem Sohn haben wollte, immer nur in Kleingruppen."
Ohne die Schule Burgdamm hätte sich ihr Sohn nicht so gut entwickeln können, davon ist sie überzeugt.
"Dann hätte er nur die Möglichkeit gehabt, zur Schule für geistig behinderte zu gehen. Jetzt geht er zur Schule. Auch für die Ausbildung ist das gut. Nur mit einem Sonderschulzeugnis hätte er für eine Ausbildung keine Chance."
Arne bekommt Noten, die sich nach seinen Fähigkeiten richten. Er hat auf seinem Zeugnis zweien, dreien, die schlechteste Zensur ist eine Vier. Kunst und Erdkunde liegen ihm zum Beispiel gut, erzählt Gabriele Gruß.
"Bei Erdkunde kann er im Atlas gucken. Alles was Theorie ist, ist schwer. Mathe, versteckte Fragen, das kriegt er nicht hin. Das Förderzentrum behandelt die gleichen Themen wie die anderen Kinder, nur die Texte sind einfacher."
So bekommt er das Gefühl, mittendrin zu sein, auch etwas zu leisten. Doch natürlich nimmt er ganz genau wahr, dass er weniger versteht, als die anderen Kinder, so Gabriele Gruß. Dass ihre zwölfjährige Tochter besonders begabt ist und eine Klasse übersprungen hat, macht die Sache zu Hause allerdings nicht leichter.
"Zu Anfang hat ihm das zu schaffen gemacht. Ich will, was die anderen auch machen. Lass es langsamer angehen. Meine Tochter ist im verkürzten Bildungsgang da prallen zwei Welten aufeinander."
Doch es tut ihm gut, da ist sie sicher. Lernen in der Gruppe, Kontakt zu anderen Kindern, all das ist wichtig auch für behinderte Kinder. Das sieht auch Rudolf Siemer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft so. Es ist keine Lösung, sagt er, behinderten Kindern einen Schonraum zu geben.
"Da sind alle zusammen, und wenn sie aus der Schule kommen, was passiert dann? Dann sind sie wieder in der Gesellschaft, dann müssen sie in der Umwelt klarkommen, das ist ein Schonraum, kein Abbild der Gesellschaft. Aber wie wollen wir Schüler vorbereiten, wenn wir sie in Watte packen?"
Ein typisch deutsches Phänomen sei diese Tendenz, behinderte Schüler auszusortieren. Dabei profitierten alle vom gemeinsamen Lernen: Das Gesamtniveau steige, die Kinder lernten soziale Kompetenz und Toleranz, das zeigten Studien und auch Erfahrungen aus dem Ausland, aus Skandinavien zum Beispiel und aus Italien, wo es keine Sonderschulen mehr gebe.
Die Sonderschulen, die jetzt Förderzentren heißen, sollen nach und nach aufgelöst werden. In Bremen wehren sich viele dagegen. sagt Gewerkschaftsmann Rudolf Siemer.
"Vor allem die Lehrer an den Förderzentren haben sich kuschelig eingerichtet."
Raus aus der Kuschelecke, fordert er. Gebraucht wird seiner Meinung nach stattdessen eine bessere Diagnostik: Wie kann ein Kind gefördert werden, das ist die Frage, die gestellt wird. Inklusion nennen das die Fachleute. Inklusion bedeutet, dass das Kind schon von Anfang an dabei ist, und gar nicht erst von den gesunden Kindern getrennt wird.
"Es müssen mehr Sonderschullehrerstunden her. Pädagogische Mitarbeiter müssen in die Klassen rein. Das ist jetzt schon so. Der Rollstuhlfahrer hat ne Assistenz. Wenn er auf die Toilette muss, etc."
Hans-Joachim Steinbrück ist Beauftragter für behinderte Menschen in Bremen und auch er fordert den Umbau des Systems, bevor die behinderten Kinder in die Regelschulen kommen.
"Es geht ja nicht darum, Kinder in die allgemeinen Schulen zu stecken und sagen, jetzt haben wir Inklusion, sondern Schule muss sich verändern. Muss in der Lage sein, behinderte Kinder willkommen zu heißen und zu fördern. Bisher ist es so, dass die Kinder schulgerecht sein müssen."
Nicht umsonst verlangt die UN-Konvention für behinderte Menschen ja auch, dass sich die Mitgliedstaaten verpflichten, Lehrer stetig weiterzubilden. Für den promovierten Juristen Steinbrück, der selbst blind ist, ist die UNO-Konvention ein wichtiges Signal.
"Was für viele schwer zu akzeptieren ist, dass nach internationalem Völkerrecht die Beschulung in gesonderten Schulen als Verstoß gegen die Menschenrechte angesehen wird. Überall dort, wo andere entscheiden, zum Beispiel die Behörde, das Kind muss in eine Förderschule, aufgrund von Gutachten, wird ein behindertes Kind in seinen Menschenrechten verletzt."
Sein Optimismus über das, was sich jetzt ändern wird, hält sich allerdings in Grenzen. Denn schon jetzt haben in Bremen Behinderte einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Regelschule. Doch dieser Anspruch konnte bisher nicht eingelöst werden. Zurzeit bestimmt die Bildungsbehörde, auf welche Schule behinderte Kinder gehen müssen. Sobald bei einem Kind ein sogenannter sonderpädagogischer Bedarf festgestellt wird, haben Eltern keine freie Schulwahl. Aussonderung sei das, und das, obwohl laut Landesverfassung niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe, kritisieren Eltern. Petra Kettler vom Zentralen Elternbeirat hat einen geistig behinderten Sohn. Integration gibt es nicht in Bremen, behauptet sie. Stattdessen gebe es das Kooperationsmodell - und das habe die Einzelintegration verhindert.
"Dieses Kooperationsmodell wird uns angepriesen als so gut wie Integration, ist es aber nicht, es ist ziemlich willkürlich. Ich habe einen Sohn, der ist in der elften Klasse und hat seit fünf Jahren nicht eine Stunde Kooperation gehabt."
Das Modell ist gescheitert, dieser Meinung ist auch Gisela Bründermann, die zusammen mit anderen Eltern die Initiative "Eine Schule für alle in Bremen" gegründet hat. Die Eltern wollen die Schule für ihre Kinder selbst wählen.
"Wir haben die Initiative eine Schule für alle jetzt gegründet, vor dem Hintergrund, dass es das in Bremen das Kooperationsmodell gibt, aber noch nicht wirklich, dass es Integration eigentlich nicht gibt, das sind Fächer wie Musik, Sport, aber bei den Fächern wir Rechnen und Deutsch wird getrennt, an vielen Schulen wir das ab 5 gar nicht mehr gemacht, das ist kein Rechtsanspruch, das liegt an den Lehrern, läuft an vielen Schulen nicht gut."
An Regelschulen gibt es noch zu wenig Ressourcen, auf die behinderten Kinder einzugehen, sagt Gisela Bründermann, die selbst Lehrerin ist und beobachtet, das die Schulen noch zu wenig auf die besonderen Bedürfnisse behinderter Kinder eingestellt sind.
"Ich sehe es einfach wie das Selektieren läuft: Du gehörst hier nicht hin, wenn es aber darum geht, dass jeder bekommt, was er braucht, dann dürfte so eine Haltung nicht sein."
Ihre Tochter Miriam hat das Down Syndrom und wird im Sommer eingeschult. Miriam stand ein Jahr lang auf der Warteliste. Sie kommt in eine integrative Vorklasse in der Kinderschule Bremen, die am Modellversuch "inklusive Schule" teilnimmt. Für Gisela Bründermann und ihre Tochter ein Glücksfall:
"Ich würde mich das an keiner andere Schule trauen. Aber dort haben sie bestimmte pädagogische Prinzipien, jahrgangsübergreifendes Lernen etc. An anderen Schulen müsste noch viel geändert werden. Aber an dieser Schule, die 25 Jahre Erfahrung hat, da traut man sich das schon mal."
Bis es in Bremen normal ist, dass behinderte Kinder auch nach Klasse 5 an Regelschulen unterrichtet werden, wird es noch eine Weile dauern, da macht sich auch Gisela Bründermann keine Illusionen. Sie hofft jetzt auf die Schulreform in Bremen. Denn derzeit wird das gesamte Schulsystem – mal wieder – umgebaut. Eine gute Gelegenheit für die Initiative "Eine Schule für alle", sich für eine bessere Integration einzusetzen.
Saarland
Von Tonia Koch
"In der Konvention ist sehr klar ein Wahlrecht formuliert und ist sehr klar formuliert, dass Schritte auf dem Weg zu einer inklusiven Schule von allen Ländern eingeleitet werden müssen, die diese Konvention unterschrieben haben und dazu gehört Deutschland."
Ilse Blug leitet seit Jahren den Verein miteinander Leben Lernen im Saarland. Und wie alle Vertreter von Behindertenverbänden setzt sie große Hoffnungen in die neue UN-Konvention, insbesondere auf die Teilnahme behinderter Kinder am regulären Schulbetrieb. Ein direkter Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Regelschule ließe sich aus der UN-Konvention jedoch nicht ableiten, argumentiert der Präsident des Bundessozialgerichtes Peter Masuch.
"Der Artikel 24 mit den Bildungsanforderungen ist zunächst einmal eine Handlungspflicht des Staates und schafft keinen Rechtsanspruch eines behinderten Menschen oder seiner Angehörigen."
Es sei nun Aufgabe der Unterzeichnerstaaten, ihre rechtlichen Regeln anzupassen, sagt Masuch.
"Wir können nur hoffen, dass die Verpflichtung , die unser Staat übernommen hat, dazu führt, dass er das nationale Recht im Sinne der Förderung von behinderten Menschen ernst nimmt und entsprechend umsetzt und wir insofern einen Innovationsschub in unserem Rechtswesen und in unserm gesamten gesellschaftlichen Bereich bekommen."
Allerdings zeigt sich die Mehrzahl der Bundesländer in ihrer Domäne, der Bildungspolitik, alles andere als innovativ. Im Gegenteil, sie haben sich längst in Stellung gebracht und zwar mehr oder minder gegen den Geist der Konvention. Statt mehr Integration, wollen sie ihr ausgeklügeltes System von Sonderschulen unbedingt erhalten. Und um einer breiten Öffentlichkeit zu suggerieren, Sonderschulen seien hoffnungsvolle Einrichtungen, haben sie diese inzwischen in Förderschulen umgetauft, Annegret Kramp-Karrenbauer, saarländische Bildungsministerin.
"Wir haben höchstrichterliche Rechtssprechung, wonach Förderschulen- und das ist im Saarland so – Teil des allgemeinen Schulsystems sind. Und deshalb vertritt die Saarländische Landesregierung – wie viele andere Bundesländer auch - die Auffassung, dass trotz einer Ratifizierung der UN-Charta, Förderschulen zulässig sind und aus meiner Sicht auch notwendig sind."
Bereits 1997 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Sonderschulweg und die Unterrichtung von behinderten Kindern in Regelschulen als gleichwertig anzusehen ist. Deshalb sei es den Behörden auch gestattet, behinderte Kinder gegen ihren Willen, auf eine Sonderschule zu verweisen. Allerdings, fügten die Richter seinerzeit hinzu, sei es nur dann erlaubt, behinderte Kinder auszusondern, wenn ihre Integration in den regulären Schulbetrieb unvertretbar hohe Kosten verursache. Seitdem nutzt die Mehrzahl der Bundesländer, die vom Verfassungsgericht unterstellten höheren Kosten der Integration als Freibrief für die Belegung ihrer Sonderschulen. Mit wachsender Tendenz, vor allem bei Kindern mit diagnostizierter Lernbehinderung. Eine Praxis, die den Stand der Forschung weitestgehend ignoriert. Dass lernbehinderte Kinder in Sonderschulen weniger lernten als in Regelschulen sei längst Fakt, sagt die Frankfurter Integrationsforscherin Irmgard Schnell.
"Das ist zweifelsfrei nachgewiesen, dass diese Schulen weder in sozial emotional noch in kognitiver Hinsicht förderlich sind für die Kinder, die von diesen Schulen besucht werden."
Auch umgekehrt werde ein Schuh daraus, so Schnell.
"Nachgewiesen ist für die Nicht-Behinderten-Kinder, dass sie in Integrationsklassen entweder besser lernen oder gleich gut. Da ist ja oft die Sorge der Eltern, wird mein Kind auch genügend lernen, wenn behinderte Kinder dazu kommen, das ist zweifelsfrei festgestellt."
Dieser Einschätzung widerspricht der Landesverband Sonderpädagogik nicht. Unter dem Dach des Verbandes sind sowohl Pädagogen organisiert, die ausschließlich an Förderschulen unterrichten als auch solche Lehrer, die Schülern in Regelschulen zur Seite stehen. An der Spitze des Verbandes steht Erich Schwarz. 17 Jahre lang stand er einer L-Schule, einer Schule für Lernbehinderte vor. Den Vorschlag, den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu folgen und die L-Schulen zugunsten eines integrativen Weges abzuschaffen, hört er nicht zum ersten Mal. Und jedes Mal wehrt er sich vehement dagegen. Die Schulen für Lernbehinderte hätten - so Schwarz -eine Daseinsberechtigung, weil die Schwierigkeiten der betroffenen Kinder nicht pauschal über die Organisationsform zu regeln seien.
"Es gibt mit Sicherheit Kinder, die gehen an der Lernbehindertenschule unter. Und es gibt mit Sicherheit Kinder für die die Lernbehinderten Schulen die bessere Schule ist, weil sie dort ganz andere Bedingungen haben. Auch da rede ich aus Erfahrung. Es gibt Kinder, denen hätte man die Musserfolgserlebnisse an anderen Schulen ersparen können, sie sind in der Lernbehindertenschule regelrecht aufgeblüht. Aber es gibt tatsächlich auch Kinder denen hätte man die L-Schule besser erspart und hätte sie integrativ unterrichtet. Also ich bin der Meinung, das muss man von Kind zu Kind unterschiedlich sehen."
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Die übrigen europäischen Länder haben ihre Sonderschulen in den vergangenen Jahren überwiegend aufgelöst oder sie zu Zentren weiter entwickelt, die Regelschulen bei ihrer Arbeit mit Behinderten Kindern unterstützen. Aber wo sollen die 400.000 Schülerinnen und Schülern, die derzeit in Deutschland eine Sonderschule besuchen, unterrichtet werden. Im dreigliedrigen Schulsystem, das sie schon früh nach Leistungsklassen unterteilt, ist kein Platz für sie. An dieser Stelle habe nicht nur das Bildungssystem sondern auch die Gesellschaft versagt, schimpft Erich Schwarz.
"Diese Schulen angeln sich ihre Kinder ja nicht, sie sind ja da. Das hängt damit zusammen, dass es eine gewisse Klientel gibt, von der man im Moment nicht weiß, was man mit ihnen schulisch machen kann. Wir haben eine immer größere Zahl vom Kinder, der wir mit dem Regelschulsystem nicht mehr gerecht werden."
50 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gehören der Gruppe der Lernbehinderten an. Und diese L-Schüler, so Schwarz, scheiterten letztendlich nicht an der Schulform, sondern an der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
"Ich war in dem Modellversuch und habe zum ersten Mal eine Klasse, also zwölf Schüler unserer Schule zum Hauptschulabschluss geführt. Aber Fakt ist - dieser Hauptschulabschluss, da stand also nicht drauf, Schule für Lernbehinderte, da stand einfach nur drauf Hauptschulabschluss – aber die Kinder finden keine Lehrstelle. Wir haben nur noch Arbeit für Spezialisten. Und wir haben eine Gruppe von Menschen, die diesen Anforderungen nicht gerecht wird und die Gesellschaft schafft es nicht, sie zu integrieren."
Immer mehr L-Schüler finden sich nach ihrer Schulkarriere in beschützenden Werkstätten wieder, wo sie per definitionem ganz bestimmt nicht hingehören. Diese Entwicklung zeige eindeutig, so Ilse Blug, die saarländische Vorsitzende des Vereins miteinander Leben lernen, dass Förderschulen Kinder auf die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht vorbereiteten. Sie fordert daher ein echtes Wahlrecht für Eltern. Ein Wahlrecht hätten die Eltern jedoch erst dann, wenn die Bedingungen unter denen behinderte Kinder in Sonderschulen und in Regelschulen unterrichtet würden, tatsächlich gleichwertig seien. Das aber sei nicht der Fall. Ilse Blug.
"Es gibt zu wenig Sonderschullehrerstunden in der Integration. Es gibt auch zu wenige in den Förderschulen. Aber da kann man das irgendwie auffangen. In der Einzelintegration kann man das nicht auffangen. Die Stundenzahl sinkt von Jahr zu Jahr."
Ilse Blug hat daher Verständnis dafür, dass sich Eltern der besseren Bedingungen wegen bewusst für die Sonderschule entscheiden. Wer trotzdem den integrativen Weg gehen möchte, wird im Saarland in aller Regel nicht abgewiesen. 30 Prozent aller Kinder, für die sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird, werden in Regelschulen unterrichtet. Das ist eine Quote, die weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Die Aufnahme behinderter Kinder in die Regelschulen ist freiwillig. Sie ist in das Ermessen einer Kommission gestellt, in der Schulleitung und Behörde über maßgeblichen Einfluss verfügen. Christel Dewald die Rektorin der Saarbrücker Ordensgutgrundschule hat in 18 Jahren noch kein Kind abgewiesen.
"Da wir in jeder Klasse mehrere Integrationsschüler haben, kumulieren die Stunden und das ist von Vorteil. Wir haben zwei Integrationslehre mit voller Stundenzahl an dieser Schule."
Nur die wenigsten Kinder wissen, dass der Integrationslehrer besondere Aufgaben wahrnimmt oder wie oft er anwesend ist.
"Nein, das weiß ich nicht, der hilft meistens Ali oder Leila …"
Im Geiste der UN-Konvention, die vom Recht auf inklusive Bildung spricht, gehören hier alle dazu.
"Guten Morgen liebe Nico Drachenklasse! Guten Morgen alle zusammen!"