Unverkennbarer Verwesungsgeruch
Der Debütroman des 30-jährigen Amerikaners Isaac Marion lässt den Zombie gegen den romantisierenden Vampir auferstehen. Im Mittelpunkt steht der Zombie R, dem nichts als der Anfangsbuchstabe seines Namens geblieben ist.
Wenn die Untoten derzeit durch die Künste geistern, dann meist als schöne Leichen, die gesellschaftliche Konventionen nicht stürzen, sondern freundlich stützen. Teeniemädchen verlieben sich in glitzerhäutige Vampirburschen, die vorehelichen Sex ablehnen, Gentlemen-Revenants begeben sich in Entziehungskuren von ihrem blutigen Lebenselixier.
Nichts zu tun mit dieser sauberen Wiedergänger-Romantik hat die Welt, in die das Debüt des jungen Autors Isaac Marion führt: ein Endzeit-Szenario, das nicht erklärt und nur zaghaft hinterfragt wird, eine Welt irgendwo zwischen Cormac McCarthy und Mad Max ohne Eleganz und Kulissen-Eignung für Teenager-Liebesgeschichten. Hier verschanzen sich die Menschen in großen Footballstadien gegen das Grauen draußen und schicken allenfalls Späh- und Plündertrupps in die menschenverlassenen und bereits ausgeweideten Steinwüsten früherer Urbanität, um Medikamente oder Rauschmittel zu ergattern.
Das Grauen, das außerhalb lauert – es ist der leibhaftige Tod, es sind Zombies, die Jagd machen auf Körper und vor allem Hirne, deren Verzehr sie kurzfristig mit Erinnerungen und Lebensgefühlen versorgt. In Horden sammeln sie sich in einem alten Flughafen und tun nicht viel mehr, als tagelang Rolltreppe zu fahren und seltsame Gottesdienste vor Knochenhaufen abzuhalten. Geschichtslose Wesen sind diese stöhnenden, wortlosen Gestalten, sie haben ihre Namen und ihre Geschichte vergessen.
Aus eben dieser Wort- und Geschichtslosigkeit, aus der Innenperspektive heraus erzählt Isaac Marion die Geschichte des Zombies R, dem nichts als der Anfangsbuchstabe eines Namens geblieben ist. "Ich bin tot, aber das ist nicht so schlimm", beginnt R seinen lakonischen Bericht. Auf einem Beutezug begegnet er der jungen Julie und verändert sich dadurch: Er findet wieder zur Sprache, selbst seine abgestorbenen Zellen scheinen sich zu reanimieren. Auf der Suche nach Julie kommt R in das Footballstadion, ein Toter undercover, der von der Seuche "Leben" angesteckt scheint. "Mein fahler Freund" erzählt die Geschichte einer Re-Humanisierung, die vordergründig nur einen Zombie betrifft – tatsächlich aber auch die Menschen, die sich in Toleranz gegenüber dem "Anderen", dem Toten, üben müssen.
Wiedergänger haben in der Literatur eine lange Tradition. Sie reicht von zotteligen Ursprüngen im Volksglauben über den langsam zum Gentleman werdenden Dracula bis zu den Pop-Vampiren Hollywoods oder den Leichenarmeen des Horrorfilmregisseurs George A. Romero. Der Zombie ist immer eine mehr oder weniger beißende Spiegelung der (in)humanen Zustände einer Gesellschaft. Marion bemüht diese Ursprünge des lebenden Leichnams, er geht in seinem Roman weit hinter die derzeit beliebten domestizierten Untoten zurück. Über seinen Zeilen liegt unverkennbar Verwesungsgeruch.
Auch wenn der rasche Verkauf der Filmrechte an Hollywood nur Schlimmes ahnen lässt und das tragende Liebesthema durchaus unter Seichtheitsverdacht geraten kann: Dieses Debüt überrascht mit Sprachwitz, mit teils unappetitlicher Unverblümtheit und lädt ein zu der Überlegung, dass wir ab und an dringend die literarische Fantasie brauchen, dass der Tod nicht alles endet – und doch die Konsequenz daraus nicht immer freundlich sein kann und gut riechen muss.
Besprochen von Katrin Schumacher
Isaac Marion: Mein fahler Freund
Aus dem Englischen von Daniel Sundermann
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
299 Seiten, 19,95 Euro
Nichts zu tun mit dieser sauberen Wiedergänger-Romantik hat die Welt, in die das Debüt des jungen Autors Isaac Marion führt: ein Endzeit-Szenario, das nicht erklärt und nur zaghaft hinterfragt wird, eine Welt irgendwo zwischen Cormac McCarthy und Mad Max ohne Eleganz und Kulissen-Eignung für Teenager-Liebesgeschichten. Hier verschanzen sich die Menschen in großen Footballstadien gegen das Grauen draußen und schicken allenfalls Späh- und Plündertrupps in die menschenverlassenen und bereits ausgeweideten Steinwüsten früherer Urbanität, um Medikamente oder Rauschmittel zu ergattern.
Das Grauen, das außerhalb lauert – es ist der leibhaftige Tod, es sind Zombies, die Jagd machen auf Körper und vor allem Hirne, deren Verzehr sie kurzfristig mit Erinnerungen und Lebensgefühlen versorgt. In Horden sammeln sie sich in einem alten Flughafen und tun nicht viel mehr, als tagelang Rolltreppe zu fahren und seltsame Gottesdienste vor Knochenhaufen abzuhalten. Geschichtslose Wesen sind diese stöhnenden, wortlosen Gestalten, sie haben ihre Namen und ihre Geschichte vergessen.
Aus eben dieser Wort- und Geschichtslosigkeit, aus der Innenperspektive heraus erzählt Isaac Marion die Geschichte des Zombies R, dem nichts als der Anfangsbuchstabe eines Namens geblieben ist. "Ich bin tot, aber das ist nicht so schlimm", beginnt R seinen lakonischen Bericht. Auf einem Beutezug begegnet er der jungen Julie und verändert sich dadurch: Er findet wieder zur Sprache, selbst seine abgestorbenen Zellen scheinen sich zu reanimieren. Auf der Suche nach Julie kommt R in das Footballstadion, ein Toter undercover, der von der Seuche "Leben" angesteckt scheint. "Mein fahler Freund" erzählt die Geschichte einer Re-Humanisierung, die vordergründig nur einen Zombie betrifft – tatsächlich aber auch die Menschen, die sich in Toleranz gegenüber dem "Anderen", dem Toten, üben müssen.
Wiedergänger haben in der Literatur eine lange Tradition. Sie reicht von zotteligen Ursprüngen im Volksglauben über den langsam zum Gentleman werdenden Dracula bis zu den Pop-Vampiren Hollywoods oder den Leichenarmeen des Horrorfilmregisseurs George A. Romero. Der Zombie ist immer eine mehr oder weniger beißende Spiegelung der (in)humanen Zustände einer Gesellschaft. Marion bemüht diese Ursprünge des lebenden Leichnams, er geht in seinem Roman weit hinter die derzeit beliebten domestizierten Untoten zurück. Über seinen Zeilen liegt unverkennbar Verwesungsgeruch.
Auch wenn der rasche Verkauf der Filmrechte an Hollywood nur Schlimmes ahnen lässt und das tragende Liebesthema durchaus unter Seichtheitsverdacht geraten kann: Dieses Debüt überrascht mit Sprachwitz, mit teils unappetitlicher Unverblümtheit und lädt ein zu der Überlegung, dass wir ab und an dringend die literarische Fantasie brauchen, dass der Tod nicht alles endet – und doch die Konsequenz daraus nicht immer freundlich sein kann und gut riechen muss.
Besprochen von Katrin Schumacher
Isaac Marion: Mein fahler Freund
Aus dem Englischen von Daniel Sundermann
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
299 Seiten, 19,95 Euro