Unverklärter Blick
Ursula Meier hat nur zwei Spielfilme gedreht und schon zum zweiten Mal geht sie für die Schweiz in das Rennen um einen Oscar. In dem Film "Winterdieb", der nun in die deutschen Kinos kommt, setzt sich die Regisseurin mit ihrem Land auseinander.
"Es ist ein Land, in dem ich schnell Platzangst bekomme, ich muss es mit Abstand betrachten, von der Ferne."
"Ich liebe dieses Land. Und je älter ich werde, desto mehr interessiert es mich. Es ist ein verschrobenes, sehr komplexes Land."
Dieses Land, das ist die Schweiz - die erste Heimat von Ursula Meier. Schwarze Hose, schwarze Brille, grauer Pulli mit V-Ausschnitt, das dunkle Haar zu einem strengen Zopf zusammengebunden: die Regisseurin, Anfang vierzig, wirkt bodenständig. Reflektiert und zielsicher redet sie - am liebsten nicht über sich selbst, sondern über ihre Filme, die sie "nähern", wie sie sagt.
Wie immer bisher hat sie ihren neuesten Film "Winterdieb" in der Schweiz gedreht. Doch für Postkartenkitsch hat Ursula Meier nichts übrig. "Winterdieb" etwa spielt in einem schicken Skigebiet – und beginnt auf dem Klo.
Hektisch sucht ein Junge in Anoraktaschen und Rucksäcken nach Handschuhen, Skibrillen, Helmen. Hauptsache Marke. Anschließend nimmt er zwei Paar Skier mit, die vor der Hütte herumliegen.
Filmauszug:
"Dann rate ich Ihnen am Besten zu diesem Modell. Der hat 100 Prozent UV. Good one! 35 kostet die.
Wo hast du das Zeug her, Kleiner?
Aus einer Lagerräumung, Monsieur.
Aus einer Lagerräumung?!"
Simon verbringt den ganzen Tag auf der Piste. Doch: Skifahren kann er nicht. Unten, im Tal, lebt er in einem Hochhaus allein mit Louise zusammen, seiner älteren Schwester. Da sie nichts auf die Reihe bekommt, muss er mit seinen zwölf Jahren mit der Seilbahn hoch ins Skigebiet fahren - und Geld ranschaffen.
"Mich interessierte es, einen anderen Blick auf die oft völlig idealisierte Bergwelt zu werfen, wie sie zum Beispiel in Heimatfilmen aus der deutschen Schweiz dargestellt wird. Ich wollte das Gegenteil zeigen: wie der Tourismus die Berge beschädigt, wie viel Milliarden da fließen und wie groß die sozialen Härten sind."
Einen Film mit einem zwölfjährigen Laien als Hauptfigur zu drehen, dieses Risiko ist Ursula Meier bewusst eingegangen. Letztlich steht und fällt ihr Film mit der Performance eines unberechenbaren Kindes.
"Ich glaube, das ist ein Weg, mich Gefahren auszusetzen - und mich nicht auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Wirklich."
Bloß nicht stehen bleiben – das könnte das Credo von Ursula Meier sein. Ihre Angst, stecken zu bleiben, hat sie bereits verfilmt. In ihrem gefeierten Debut "Home" mit Isabelle Huppert lässt sie eine Familie sich buchstäblich einmauern. Sie will sich dadurch vor einer Autobahn schützen, die vor ihrer Haustür fertig gebaut wird.
"Ich kann das Gefangensein, die Borniertheit nicht leiden. Ich hasse Normen, Dinge, die feststehen. Es ist vielleicht ein Grund, warum ich ständig auf Achse bin und man mir keinen Stempel aufdrücken kann. Mein Kino zum Beispiel: ist es französisch, belgisch oder schweizerisch? Keine Ahnung, es ist von allem ein bisschen."
Die Schweiz, Frankreich und Belgien – in diesen drei Ländern fühlt sich Ursula Meier Zuhause. Als Tochter einer Französin und eines Schweizerdeutschen geht sie in Genf zur Schule, wohnt aber auf der französischen Seite. Sie wächst nicht zweisprachig auf. Als sie als das jüngste von vier Kindern auf die Welt kommt, hat sich Französisch als Familiensprache längst durchgesetzt. Täglich überquert sie die Grenze zur Schule.
"Ich fragte dann immer meine Eltern: ‚Wo sind wir?’ Sie antworteten: ‚Im No man’s land’. Und ich: ‚Aber ist das Frankreich?’ ‚Nein’. ‚Die Schweiz?’. ‚Nein’. ‚Was ist es dann?!’ Dieser Zwischenraum hat mich fasziniert, und ich denke, das ist der Raum für Phantasie."
Doch: Bis sie 14 Jahre alt ist, interessiert sich Ursula Meier wenig fürs Kino. Stattdessen trainiert sie eifrig den 400 Meter Lauf. Als sie sich von der Leichtathletik verabschiedet, entdeckt sie das Kino. Sie spielt in einem Film ihrer Schwester mit - und begeistert sich für die Regiearbeit.
"Zwischen dem Sport und dem Kino gibt es eigentlich viele Verbindungen. Sowohl als Coach als auch als Regisseur schaut man sich einen Athleten oder einen Schauspieler genau an. Es geht in beiden Fällen um den Körper, die Leistung."
Zum Regiestudium geht Ursula Meier nach Brüssel. Hier sieht sie heute ihren Lebensmittepunkt, selbst wenn sie viel zwischen Belgien, Frankreich und der Schweiz hin und her pendelt.
"Ich habe mich entschieden in einem dritten Land zu leben, das von Surrealismus geprägt ist. Diese Verrücktheit der Belgier gefällt mir sehr, und ich trage sie auch in mir. Es ist eine Seite aus meiner Kindheit, die ich hier wieder gefunden habe."
Von Belgien aus schaut Ursula Meier nun mit Distanz auf die Schweiz, brütet dort ihre Filmideen aus. Dass ihr Film "Winterdieb" die Schweiz bei den Oscars repräsentieren darf, ehrt sie. Umso mehr, weil er ein unverklärtes Bild ihres Landes zeigt.
"Ich liebe dieses Land. Und je älter ich werde, desto mehr interessiert es mich. Es ist ein verschrobenes, sehr komplexes Land."
Dieses Land, das ist die Schweiz - die erste Heimat von Ursula Meier. Schwarze Hose, schwarze Brille, grauer Pulli mit V-Ausschnitt, das dunkle Haar zu einem strengen Zopf zusammengebunden: die Regisseurin, Anfang vierzig, wirkt bodenständig. Reflektiert und zielsicher redet sie - am liebsten nicht über sich selbst, sondern über ihre Filme, die sie "nähern", wie sie sagt.
Wie immer bisher hat sie ihren neuesten Film "Winterdieb" in der Schweiz gedreht. Doch für Postkartenkitsch hat Ursula Meier nichts übrig. "Winterdieb" etwa spielt in einem schicken Skigebiet – und beginnt auf dem Klo.
Hektisch sucht ein Junge in Anoraktaschen und Rucksäcken nach Handschuhen, Skibrillen, Helmen. Hauptsache Marke. Anschließend nimmt er zwei Paar Skier mit, die vor der Hütte herumliegen.
Filmauszug:
"Dann rate ich Ihnen am Besten zu diesem Modell. Der hat 100 Prozent UV. Good one! 35 kostet die.
Wo hast du das Zeug her, Kleiner?
Aus einer Lagerräumung, Monsieur.
Aus einer Lagerräumung?!"
Simon verbringt den ganzen Tag auf der Piste. Doch: Skifahren kann er nicht. Unten, im Tal, lebt er in einem Hochhaus allein mit Louise zusammen, seiner älteren Schwester. Da sie nichts auf die Reihe bekommt, muss er mit seinen zwölf Jahren mit der Seilbahn hoch ins Skigebiet fahren - und Geld ranschaffen.
"Mich interessierte es, einen anderen Blick auf die oft völlig idealisierte Bergwelt zu werfen, wie sie zum Beispiel in Heimatfilmen aus der deutschen Schweiz dargestellt wird. Ich wollte das Gegenteil zeigen: wie der Tourismus die Berge beschädigt, wie viel Milliarden da fließen und wie groß die sozialen Härten sind."
Einen Film mit einem zwölfjährigen Laien als Hauptfigur zu drehen, dieses Risiko ist Ursula Meier bewusst eingegangen. Letztlich steht und fällt ihr Film mit der Performance eines unberechenbaren Kindes.
"Ich glaube, das ist ein Weg, mich Gefahren auszusetzen - und mich nicht auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Wirklich."
Bloß nicht stehen bleiben – das könnte das Credo von Ursula Meier sein. Ihre Angst, stecken zu bleiben, hat sie bereits verfilmt. In ihrem gefeierten Debut "Home" mit Isabelle Huppert lässt sie eine Familie sich buchstäblich einmauern. Sie will sich dadurch vor einer Autobahn schützen, die vor ihrer Haustür fertig gebaut wird.
"Ich kann das Gefangensein, die Borniertheit nicht leiden. Ich hasse Normen, Dinge, die feststehen. Es ist vielleicht ein Grund, warum ich ständig auf Achse bin und man mir keinen Stempel aufdrücken kann. Mein Kino zum Beispiel: ist es französisch, belgisch oder schweizerisch? Keine Ahnung, es ist von allem ein bisschen."
Die Schweiz, Frankreich und Belgien – in diesen drei Ländern fühlt sich Ursula Meier Zuhause. Als Tochter einer Französin und eines Schweizerdeutschen geht sie in Genf zur Schule, wohnt aber auf der französischen Seite. Sie wächst nicht zweisprachig auf. Als sie als das jüngste von vier Kindern auf die Welt kommt, hat sich Französisch als Familiensprache längst durchgesetzt. Täglich überquert sie die Grenze zur Schule.
"Ich fragte dann immer meine Eltern: ‚Wo sind wir?’ Sie antworteten: ‚Im No man’s land’. Und ich: ‚Aber ist das Frankreich?’ ‚Nein’. ‚Die Schweiz?’. ‚Nein’. ‚Was ist es dann?!’ Dieser Zwischenraum hat mich fasziniert, und ich denke, das ist der Raum für Phantasie."
Doch: Bis sie 14 Jahre alt ist, interessiert sich Ursula Meier wenig fürs Kino. Stattdessen trainiert sie eifrig den 400 Meter Lauf. Als sie sich von der Leichtathletik verabschiedet, entdeckt sie das Kino. Sie spielt in einem Film ihrer Schwester mit - und begeistert sich für die Regiearbeit.
"Zwischen dem Sport und dem Kino gibt es eigentlich viele Verbindungen. Sowohl als Coach als auch als Regisseur schaut man sich einen Athleten oder einen Schauspieler genau an. Es geht in beiden Fällen um den Körper, die Leistung."
Zum Regiestudium geht Ursula Meier nach Brüssel. Hier sieht sie heute ihren Lebensmittepunkt, selbst wenn sie viel zwischen Belgien, Frankreich und der Schweiz hin und her pendelt.
"Ich habe mich entschieden in einem dritten Land zu leben, das von Surrealismus geprägt ist. Diese Verrücktheit der Belgier gefällt mir sehr, und ich trage sie auch in mir. Es ist eine Seite aus meiner Kindheit, die ich hier wieder gefunden habe."
Von Belgien aus schaut Ursula Meier nun mit Distanz auf die Schweiz, brütet dort ihre Filmideen aus. Dass ihr Film "Winterdieb" die Schweiz bei den Oscars repräsentieren darf, ehrt sie. Umso mehr, weil er ein unverklärtes Bild ihres Landes zeigt.