Unverwüstliche Sozialromantik
1969 gab der marxistische Historiker Eric Hobsbawm zum ersten Mal sein Werk "Bandits" (Die Banditen) heraus, das sich einer Außenseiterschicht widmete. Die ländlichen Räuberbanden waren in den Augen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Geschichtsschreibung bis dato schlecht weggekommen. Jetzt ist eine Neuausgabe dieses Essays pünktlich zum 90. Geburtstag auf Deutsch erschienen.
"Die Menschen können ohne Gerechtigkeit leben, und im Allgemeinen müssen sie das auch, doch können sie nicht ohne Hoffnung leben"."
... schrieb der Historiker Eric Hobsbawm 1969 und prägte damit ein geläufiges Aperçu. Das Buch indes, in dem es stand, widmete sich einer Außenseiterschicht, die in den Augen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Geschichtsschreibung bis dato schlecht weggekommen war: die ländlichen Räuberbanden.
Schon 1959 hatte der marxistische Historiker Hobsbawm über archaische Formen sozialer Bewegungen nachgedacht und dabei das "Sozialbanditentum" als Phänomen des ländlichen Raumes entdeckt. Diese Outlaws, heißen sie nun Robin Hood oder Jesse James ...
... ""machen begangenes Unrecht wieder gut, rächen Ungerechtigkeiten und richten sich dabei nach einem weit allgemeineren Kriterium: dem der gerechten und fairen Beziehungen zwischen den Menschen, insbesondere zwischen Armen und Reichen, Schwachen und Mächtigen"."
1969 erschien das Ergebnis seiner langjährigen Arbeit unter dem Titel "Bandits" (Die Banditen) zum ersten Mal und traf den Nerv der Zeit. Die Unterscheidung zwischen eigennützigen Kriminellen auf der einen und heroischen Sozialbanditen auf der anderen Seite, die "Teil des moralischen Universums der Bauern" blieben und von diesen bei ihren Beutezügen gedeckt wurden, kam dem etwaigen Bedürfnis nach Rollenvorbildern für eigene "revolutionäre" Ambitionen entgegen - wenngleich Hobsbawm schon damals betonte, dass er sich auf dem Feld der Mythenforschung bewegte, deren verschwommene Quellenlage ihn bis heute nicht sehr bekümmert.
In der aktuellen, überarbeiteten und ergänzten Neuausgabe seines Essays, pünktlich zum 90. Geburtstag auf deutsch erschienen, werden quellenkritische Kollegen schon mal salopp als "Archivratten" bezeichnet, mit denen der Überbau-Experte Hobsbawm nicht allzu viel gemein hat (oder haben will).
So legt der Hanser-Verlag eine durchaus erhellende Lektüre zur Unverwüstlichkeit jener Sozialromantik vor, die schadlos alle Zusammenbrüche linker Gesellschaftsmodelle überstanden hat. In Habsbawms Augen waren die historischen Sozialrebellen in Gestalt des Wilderers oder Straßenräubers prinzipiell begrüßenswert. Zumindest lassen sich ihre Taten immer aus den Machtumständen der Zeit begründen, und verwerflich an ihrem Handeln ist allenfalls der eklatante Mangel einer passenden Theorie: Sozialbanditen ...
... ""verfügten über keine alternative gesellschaftliche Vision und über kein implizites (ganz zu schweigen von einem expliziten) Programm, sondern lediglich über ein berechtigtes Ressentiment gegen die soziale Ordnung, die sie ausschloss, und die Entfremdung von ihr, über das Wissen, was Unrecht ist. Darin lag ihre Tragödie."
Auch die um Dutzende Seiten ergänzte Neufassung der "Banditen" bleibt bei der Aufteilung zwischen den fiktiven "edlen Räubern" à la Robin Hood, den "Rächern" aus gekränkter Ehre und politanarchischen Guerilla-Banden, die bei Hobsbawm als "Heiducken" firmieren, heute aber eher als "Warlords" bezeichnet werden.
Bei allen drei Gruppen sucht der Autor nach Indizien, die den Sozialrebell tauglich machen zum Katalysator im Emanzipationsprozess der bäuerlichen Massen, wobei er leidlich ungerührt über die Gewaltfrage hinweggeht:
""Wo Männer Banditen werden, da verlangt Blut nach Blut und gebiert Grausamkeit neue Grausamkeit"."
... heißt es an lakonisch an einer Stelle, und die implizite hemingwaysche Machomanier lässt sich noch überbieten:
""In Lampiãos Bande galt der Grundsatz, niemals eine Frau zu vergewaltigen ('außer aus guten Gründen', das heißt vermutlich zur Strafe, aus Rache und Terror)"."
Bezeichnenderweise wird der wie in einem Abenteuerroman geschilderte spanische Sozialbandit Francisco Sabaté nicht von der Polizei erschossen, nein er "fällt" wie ein Soldat in der Schlacht. Es sind diese flirrenden Koketterien im Grauzonenbereich zwischen simpler krimineller Delinquenz und politisch zu erklärenden Gesetzesverstößen, die den "Banditen" beim ersten Erscheinen ihre Aura gaben; Francisco Sabaté war ja zugleich ein Widerständler gegen das Franco-Regime. Möglicherweise stattgefundenen Missinterpretationen seines Buches durch die 68er-Bewegung tritt Hobsbawm im neuen Nachwort entgegen, indem er alle terroristischen Widerstandsformen in der "vollständig kapitalistischen Gesellschaft" zutreffend als "Neo-Primitivismus" abkanzelt - wobei der pejorative Begriff denn auch schon das Ende der Auseinandersetzung markiert.
Das in der Vergangenheit geborgene Sozialrebellentum, das allenfalls noch in Entwicklungsländern vorkommt, will sich Hobsbawm nicht durch fatale Steigerungen zum Individualterror in der Industriegesellschaft madig machen lassen.
So sei die Re-Lektüre seines Essays all jenen empfohlen, die die ideologischen Irrläufe des 20. Jahrhunderts - gerade unter den großen Geistern - verstehen wollen. Freilich bedarf es einer Korrektur des eingänglichen Hoffnungssatzes: Wer vorrangig auf Hoffnungen baut, darf es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
Das ist das Credo jedes Priesters, sowie seiner weltlich-materialistischen Konkurrenz, die sich wie Eric Hobsbawm noch im hohen Greisenalter juvenil genug zeigt, romantischen Verklärungen zu erliegen. Den Beweis, dass Sozialbanditen die Weltgeschichte auch nur einen Millimeter zum Besseren gewendet haben, bleibt er auch vierzig Jahre nach der Erstausgabe schuldig.
Eric Hobsbawm: Die Banditen - Räuber als Sozialrebellen
Aus dem Englischen von Rudolf Weys und Andreas Wirthensohn.
Hanser Verlag, München 2007
... schrieb der Historiker Eric Hobsbawm 1969 und prägte damit ein geläufiges Aperçu. Das Buch indes, in dem es stand, widmete sich einer Außenseiterschicht, die in den Augen der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Geschichtsschreibung bis dato schlecht weggekommen war: die ländlichen Räuberbanden.
Schon 1959 hatte der marxistische Historiker Hobsbawm über archaische Formen sozialer Bewegungen nachgedacht und dabei das "Sozialbanditentum" als Phänomen des ländlichen Raumes entdeckt. Diese Outlaws, heißen sie nun Robin Hood oder Jesse James ...
... ""machen begangenes Unrecht wieder gut, rächen Ungerechtigkeiten und richten sich dabei nach einem weit allgemeineren Kriterium: dem der gerechten und fairen Beziehungen zwischen den Menschen, insbesondere zwischen Armen und Reichen, Schwachen und Mächtigen"."
1969 erschien das Ergebnis seiner langjährigen Arbeit unter dem Titel "Bandits" (Die Banditen) zum ersten Mal und traf den Nerv der Zeit. Die Unterscheidung zwischen eigennützigen Kriminellen auf der einen und heroischen Sozialbanditen auf der anderen Seite, die "Teil des moralischen Universums der Bauern" blieben und von diesen bei ihren Beutezügen gedeckt wurden, kam dem etwaigen Bedürfnis nach Rollenvorbildern für eigene "revolutionäre" Ambitionen entgegen - wenngleich Hobsbawm schon damals betonte, dass er sich auf dem Feld der Mythenforschung bewegte, deren verschwommene Quellenlage ihn bis heute nicht sehr bekümmert.
In der aktuellen, überarbeiteten und ergänzten Neuausgabe seines Essays, pünktlich zum 90. Geburtstag auf deutsch erschienen, werden quellenkritische Kollegen schon mal salopp als "Archivratten" bezeichnet, mit denen der Überbau-Experte Hobsbawm nicht allzu viel gemein hat (oder haben will).
So legt der Hanser-Verlag eine durchaus erhellende Lektüre zur Unverwüstlichkeit jener Sozialromantik vor, die schadlos alle Zusammenbrüche linker Gesellschaftsmodelle überstanden hat. In Habsbawms Augen waren die historischen Sozialrebellen in Gestalt des Wilderers oder Straßenräubers prinzipiell begrüßenswert. Zumindest lassen sich ihre Taten immer aus den Machtumständen der Zeit begründen, und verwerflich an ihrem Handeln ist allenfalls der eklatante Mangel einer passenden Theorie: Sozialbanditen ...
... ""verfügten über keine alternative gesellschaftliche Vision und über kein implizites (ganz zu schweigen von einem expliziten) Programm, sondern lediglich über ein berechtigtes Ressentiment gegen die soziale Ordnung, die sie ausschloss, und die Entfremdung von ihr, über das Wissen, was Unrecht ist. Darin lag ihre Tragödie."
Auch die um Dutzende Seiten ergänzte Neufassung der "Banditen" bleibt bei der Aufteilung zwischen den fiktiven "edlen Räubern" à la Robin Hood, den "Rächern" aus gekränkter Ehre und politanarchischen Guerilla-Banden, die bei Hobsbawm als "Heiducken" firmieren, heute aber eher als "Warlords" bezeichnet werden.
Bei allen drei Gruppen sucht der Autor nach Indizien, die den Sozialrebell tauglich machen zum Katalysator im Emanzipationsprozess der bäuerlichen Massen, wobei er leidlich ungerührt über die Gewaltfrage hinweggeht:
""Wo Männer Banditen werden, da verlangt Blut nach Blut und gebiert Grausamkeit neue Grausamkeit"."
... heißt es an lakonisch an einer Stelle, und die implizite hemingwaysche Machomanier lässt sich noch überbieten:
""In Lampiãos Bande galt der Grundsatz, niemals eine Frau zu vergewaltigen ('außer aus guten Gründen', das heißt vermutlich zur Strafe, aus Rache und Terror)"."
Bezeichnenderweise wird der wie in einem Abenteuerroman geschilderte spanische Sozialbandit Francisco Sabaté nicht von der Polizei erschossen, nein er "fällt" wie ein Soldat in der Schlacht. Es sind diese flirrenden Koketterien im Grauzonenbereich zwischen simpler krimineller Delinquenz und politisch zu erklärenden Gesetzesverstößen, die den "Banditen" beim ersten Erscheinen ihre Aura gaben; Francisco Sabaté war ja zugleich ein Widerständler gegen das Franco-Regime. Möglicherweise stattgefundenen Missinterpretationen seines Buches durch die 68er-Bewegung tritt Hobsbawm im neuen Nachwort entgegen, indem er alle terroristischen Widerstandsformen in der "vollständig kapitalistischen Gesellschaft" zutreffend als "Neo-Primitivismus" abkanzelt - wobei der pejorative Begriff denn auch schon das Ende der Auseinandersetzung markiert.
Das in der Vergangenheit geborgene Sozialrebellentum, das allenfalls noch in Entwicklungsländern vorkommt, will sich Hobsbawm nicht durch fatale Steigerungen zum Individualterror in der Industriegesellschaft madig machen lassen.
So sei die Re-Lektüre seines Essays all jenen empfohlen, die die ideologischen Irrläufe des 20. Jahrhunderts - gerade unter den großen Geistern - verstehen wollen. Freilich bedarf es einer Korrektur des eingänglichen Hoffnungssatzes: Wer vorrangig auf Hoffnungen baut, darf es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
Das ist das Credo jedes Priesters, sowie seiner weltlich-materialistischen Konkurrenz, die sich wie Eric Hobsbawm noch im hohen Greisenalter juvenil genug zeigt, romantischen Verklärungen zu erliegen. Den Beweis, dass Sozialbanditen die Weltgeschichte auch nur einen Millimeter zum Besseren gewendet haben, bleibt er auch vierzig Jahre nach der Erstausgabe schuldig.
Eric Hobsbawm: Die Banditen - Räuber als Sozialrebellen
Aus dem Englischen von Rudolf Weys und Andreas Wirthensohn.
Hanser Verlag, München 2007