Unvorstellbare Qualen fühlender Wesen
Scham holte den amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer ein, als er überlegte, was er seinem kleinen Sohn über das Fleisch auf den Tellern erzählen soll. Er vertritt in "Tiere essen" einen eher harmlosen Vegetarismus.
Vor 20 Jahren noch schraken Hausärzte zusammen, wenn sich ihre Patienten als Vegetarier zu erkennen gaben. Heute zählt es zum Allgemeinwissen, dass vegetarische Kost mindestens nicht ungesünder ist als solche mit Fleisch. Wir wissen, dass der hohe Fleischverzehr in den Industriestaaten einer der Hauptfaktoren der Regenwaldvernichtung und der Erderwärmung ist, wir wissen um die Qualen der Tiere in der heutigen Fleischindustrie. Und welche Konsequenzen ziehen wir daraus?
Diesen Fragen konnte sich der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer - der bereits seit vielen Jahren mal zum Vegetarismus geneigt hatte, dann wieder nicht - nicht mehr entziehen, als sein erstes Kind geboren wurde. Die Scham holte ihn ein, wenn er überlegte, was er seinem kleinen Sohn später einmal über das Fleisch auf den Tellern erzählen sollte, und er begann eine Recherche, die viel länger dauerte als zunächst geplant. Sein neuestes Buch "Tiere essen" ist das Resultat: Eine 300-seitige Mischung aus Reportagen, Argumentationen, Reflektionen, Begegnungen. Sehr nachdenklich, sehr anschaulich, sehr gut geschrieben.
Wie bei dem Thema nicht anders zu erwarten, sind viele Berichte über die Ställe und Schlachthäuser - obwohl man von diesen Dinge abstrakt ja eigentlich weiß - bei erneuter Begegnung per Lektüre ein Schock. Man liest von der Enge in den Ställen, den brutalen Umständen der Schlachtung, der Verrohung der Menschen, die mit den Tieren arbeiten. Den unvorstellbaren Qualen, die fühlende Wesen erleiden müssen, nur weil es für die Konsumenten bequem und billig ist. Man ertappt sich bei dem Gedanken, dass es sicher nur in Amerika so schlimm sei, nicht hier. Aber dankenswerterweise hat der Verlag einen Anhang mit Fakten aus Deutschland beigefügt. 99 Prozent des Fleisches kommt aus tierquälerischer Massentierhaltung - auch in Deutschland. Man fragt sich, wie diese Tierhaltung überhaupt mit einer Tierschutzgesetzgebung zusammengehen kann.
Die Grundsatzfrage "Vegetarismus ja oder nein?" lehnt Foer ab, weil sie die meisten Menschen überfordere. Nicht jeder könne sich vorstellen, für immer auf Fleisch zu verzichten. Aber fast jeder erkenne, sobald er von den Zuständen in der Massentierhaltung erfahre, dass es so nicht weitergehen kann. Wie wäre es also mit einem pragmatischen Fortschritt in Richtung der Minimierung des Fleischkonsums? Wenn jeder nur einmal pro Woche eine Fleischmahlzeit ausließe, schlägt Foer vor, wäre schon viel gewonnen, für die Umwelt und für die Tiere.
Zugegeben, manchmal kann es irritieren, dass Foer einen so vergleichsweise harmlosen Vegetarismus vertritt. Ob das Töten von Tieren an sich verwerflich ist, dazu will er sich nicht äußern. Umgekehrt könnte man aus seinen Darstellungen folgern: Wenn man das Übel Massentierhaltung einschränken will, steht ja auch der Konsum von Milch und Eiern in der Kritik. Mit dem Verzicht darauf sympathisiert Foer nur, er propagiert ihn jedoch nicht. Foer beschreitet stets den mittleren, den für alle gangbaren Weg. Er ist voller Nachsicht für unsere Schwächen, weil in dieser Welt fast alle Konsumentscheidungen auch eine moralische Seite besitzen. Er plädiert er für die Politik der kleinen, aber effektiven Schritte. Und er tut dies mit denkbar viel Charme und Intelligenz.
Besprochen von Hilal Sezgin
Jonathan Safran Foer: Tiere essen
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit u.a.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010
400 Seiten, 19,95 Euro
Diesen Fragen konnte sich der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer - der bereits seit vielen Jahren mal zum Vegetarismus geneigt hatte, dann wieder nicht - nicht mehr entziehen, als sein erstes Kind geboren wurde. Die Scham holte ihn ein, wenn er überlegte, was er seinem kleinen Sohn später einmal über das Fleisch auf den Tellern erzählen sollte, und er begann eine Recherche, die viel länger dauerte als zunächst geplant. Sein neuestes Buch "Tiere essen" ist das Resultat: Eine 300-seitige Mischung aus Reportagen, Argumentationen, Reflektionen, Begegnungen. Sehr nachdenklich, sehr anschaulich, sehr gut geschrieben.
Wie bei dem Thema nicht anders zu erwarten, sind viele Berichte über die Ställe und Schlachthäuser - obwohl man von diesen Dinge abstrakt ja eigentlich weiß - bei erneuter Begegnung per Lektüre ein Schock. Man liest von der Enge in den Ställen, den brutalen Umständen der Schlachtung, der Verrohung der Menschen, die mit den Tieren arbeiten. Den unvorstellbaren Qualen, die fühlende Wesen erleiden müssen, nur weil es für die Konsumenten bequem und billig ist. Man ertappt sich bei dem Gedanken, dass es sicher nur in Amerika so schlimm sei, nicht hier. Aber dankenswerterweise hat der Verlag einen Anhang mit Fakten aus Deutschland beigefügt. 99 Prozent des Fleisches kommt aus tierquälerischer Massentierhaltung - auch in Deutschland. Man fragt sich, wie diese Tierhaltung überhaupt mit einer Tierschutzgesetzgebung zusammengehen kann.
Die Grundsatzfrage "Vegetarismus ja oder nein?" lehnt Foer ab, weil sie die meisten Menschen überfordere. Nicht jeder könne sich vorstellen, für immer auf Fleisch zu verzichten. Aber fast jeder erkenne, sobald er von den Zuständen in der Massentierhaltung erfahre, dass es so nicht weitergehen kann. Wie wäre es also mit einem pragmatischen Fortschritt in Richtung der Minimierung des Fleischkonsums? Wenn jeder nur einmal pro Woche eine Fleischmahlzeit ausließe, schlägt Foer vor, wäre schon viel gewonnen, für die Umwelt und für die Tiere.
Zugegeben, manchmal kann es irritieren, dass Foer einen so vergleichsweise harmlosen Vegetarismus vertritt. Ob das Töten von Tieren an sich verwerflich ist, dazu will er sich nicht äußern. Umgekehrt könnte man aus seinen Darstellungen folgern: Wenn man das Übel Massentierhaltung einschränken will, steht ja auch der Konsum von Milch und Eiern in der Kritik. Mit dem Verzicht darauf sympathisiert Foer nur, er propagiert ihn jedoch nicht. Foer beschreitet stets den mittleren, den für alle gangbaren Weg. Er ist voller Nachsicht für unsere Schwächen, weil in dieser Welt fast alle Konsumentscheidungen auch eine moralische Seite besitzen. Er plädiert er für die Politik der kleinen, aber effektiven Schritte. Und er tut dies mit denkbar viel Charme und Intelligenz.
Besprochen von Hilal Sezgin
Jonathan Safran Foer: Tiere essen
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit u.a.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010
400 Seiten, 19,95 Euro