Unwetter

Bangladesch akklimatisiert sich

Überschwemmungen in Bangladesch, Dhaka, Oktober 2010.
Regelmäßig überschwemmt: Bangladeschs Hauptstadt Dhaka © picture alliance / dpa / Abir Abdullah
Von Thomas Kruchem |
Der Meeresspiegel steigt, die Stürme werden heftiger: Der Klimawandel ist in Bangladesch stark ausgeprägt. Die Bangladescher haben sich zwar seit Jahrzehnten gegen Naturkatastrophen gerüstet, inzwischen müssen sie aber mit den Folgen der Wetterextreme umgehen.
Ein Spaziergang mit dem Fischer Musamil Haque auf einem vier Meter hohen Erddeich im Südwesten Bangladeschs. Diesseits des Deichs das Dorf Joyalbhanga: bunt blühende Bäume und Sträucher, zwischen Häusern aus Lehm, Bambus und Wellblech spielende Kinder; auf der anderen Seite Fischerboote am Ufer eines hunderte Meter breiten Seitenarms des Ganges.
Ein Idyll – lägen nicht mitten im Dorf entwurzelte Bäume und klaffte da nicht jene zehn, zwölf Meter breite, bizarr zerfranste Lücke im Deich - als hätte Goliath seine Launen ausgelassen am Dorf der Liliputaner.
"Es war zehn Uhr abends. Wir lagen schon im Bett. Da hörte ich, wie heftiger Wind an unserer Hütte rüttelte. "Ein Zyklon" - schoss es mir durch den Kopf. Sofort habe ich meine Familie geweckt: "Schnell weg." Durch einen Regensturzbach schafften wir es gerade noch in den Schutzbau dort drüben. Dann kam die Flutwelle. Sie rollte über den Deich hinweg, riss fast alle Hütten unseres Dorfs mit sich und tötete Menschen. Die Leichen meines Bruders, seiner Frau und ihrer drei Kinder fanden wir erst zwölf Tage später."
350 Bewohner Joyalbhangas fielen 2007 dem Zyklon Sidr zum Opfer. Ihre nach dem Bruch des Deiches überfluteten Äcker und Brunnen sind bis heute unbenutzbar.
Der Wirbelsturm zerstörte in ganz Bangladesch Deiche, Straßen, Dörfer und Reisfelder und hinterließ Milliardenschäden. 5.000 Menschen starben. Auf Sidr folgte zwei Jahre später der Zyklon Aila. Aila traf die Küste auf dem Höhepunkt der Flut und spülte Milliarden Kubikmeter Salzwasser weit landeinwärts. Polder, von Deichen umgebene Äcker, wurden überflutet. Weil das Wasser monatelang nicht abfloss, versalzte das Erdreich. Vielerorts ist es bis heute unfruchtbar.
Mitte dieses Jahrhunderts werden infolge des Klimawandels 20 Prozent des Landes im Meer versunken oder unbewohnbar sein, sagen Forscher – die Heimat von 30 Millionen Menschen.
Vier Millionen Menschen ohne Trinkwasserversorgung
Im Dorf Joyalbhanga spürt Laili Begum, eine ausgezehrt wirkende Gelegenheitsarbeiterin, diese Entwicklung schon heute: Sie weiß kaum noch, wie sie an Trinkwasser kommen soll – für sich und für ihre beiden Töchter.
"Alle unsere Bohrbrunnen sind versalzen. Und zum einzigen Tiefbrunnen hier, der einem reichen Geldverleiher gehört, haben wir keinen Zutritt. Ich muss, um an sauberes Trinkwasser zu kommen, jetzt zwei Kilometer landeinwärts gehen. Manchmal nehme ich auch Wasser aus dem Teich zum Kochen. Davon kriegen die Kinder allerdings Durchfall."
Laili Begums Nachbar, der Bauer Abdul Rahman, kann mit harter Arbeit gerade mal so sechs Mäuler stopfen. Nicht mehr lange – fürchtet er.
"Auf meinem halben Hektar Land hatte ich früher zwei Ernten: so genannten Aman-Reis nach dem Monsun und künstlich bewässerten Aush-Reis im trockenen Winter. Jetzt habe ich nur noch Aman-Reis, weil mein Grundwasser zu salzig ist. Im Winter pflanze ich Sonnenblumen, die wenig Wasser brauchen. Die Kerne der Sonnenblumen aber muss ich verkaufen. Für meine Familie bleibt der Reis."
Schon vier Millionen Menschen in Bangladeschs Südwesten haben keine sichere Trinkwasserversorgung mehr. Große Ackerflächen sind zu Salzwüsten degeneriert. Noch habe die Reisproduktion im Süden insgesamt nicht abgenommen, meint der Klimaforscher Ainun Nishat aus Dhaka. Der Rückgang jedoch stehe unmittelbar bevor:
"Zuerst ziehen dann land- und arbeitslose Menschen in die nächstgelegene Stadt, um dort einen Job zu finden. Klappt das nicht, gehen sie nach Dhaka. Oder sie gehen in den Südosten, in die Chittagong Hill Tracts – in der Hoffnung auf noch ungenutztes Land dort. Tatsächlich aber geraten bengalische Zuwanderer dort sofort in Konflikte mit der ansässigen Bevölkerung. Bleibt ihnen noch das heimliche Überqueren der Grenze nach Indien – wo ihnen ein elendes Dasein als illegale Immigranten bevorsteht."
Die Grundschule des 3.000 Einwohner-Dorfes Bardatoli besteht aus einer Wellblechhalle, unterteilt mit Bastmatten. Dulon Shiktar, ein älterer Lehrer mit hennagefärbtem Bart, zählt zu den 40.000 freiwilligen Katastrophenschützern in Bangladesch.
Sobald sich ein Tiefdruckgebiet in der Bucht von Bengalen aufbaut, informieren Radio und Fernsehen die Bevölkerung, erklärt Shiktar. Es folgen in zehn Stufen, Warnsignale. Aufgabe der Katstrophenschützer sei es, die Signale zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass die Menschen entsprechend handeln.
"Während des Zyklons Sidr 2007 habe ich erleben müssen, wie zahlreiche Menschen starben, weil man sie nicht rechtzeitig gewarnt hatte oder ihnen nicht erklärt hatte, was sie tun müssen. Das darf nicht wieder geschehen", sagte ich mir und bin seitdem Freiwilliger des Zyklon-Schutzprogramms beim Roten Halbmond von Bangladesch. Wir erklären den Leuten in unserem Dorf, die verschiedenen Stufen der Warnsignale: wann sie ihr Vieh auf einen höher gelegenen Platz treiben sollen; wann sie Schmuck, Geld, Land-, Geburts- und Heiratsurkunden in Plastik verpacken und sicher verwahren sollen; wann sie schließlich sofort einen Schutzbau aufsuchen sollen."
Damit Freiwillige wie Dulon Shiktar ihre Aufgabe erfüllen können, stellt ein Hilfsprogramm für Klimageschädigte Ausrüstung bereit, sagt an einem Info-Stand auf dem örtlichen Markt GIZ-Programmleiterin Purnima Chattopadhayay-Dutt: Gummistiefel, Regenmäntel, Fahrräder, Megaphone, Sirenen.
Bangladesch baut den Katastrophenschutz seit 1970 aus
Ein Problem ist bis heute, dass es zu wenig zyklonfeste Schutzbauten gibt. Die meisten dieser Schutzbauten sind zugleich öffentliche Schulen, Moscheen oder Verwaltungsgebäude. Um im verwirrenden Gemenge betreuter Dörfer den Überblick zu behalten, haben Programmmitarbeiter aus Satellitenbildern eine zwei Quadratmeter große Karte erstellt – gespickt mit bunten Fähnchen.
"Mithilfe von diesem geographischen Informationssystem können wir gemeinsam mit der Dorfbevölkerung planen, wo wir Trinkwasserbrunnen anlegen, wohin die Leute evakuiert werden können und wo es wichtig ist, Rettungssanitäter auszubilden; wo es wichtig ist, mit den Schulen zusammenzuarbeiten im Bereich Katastrophenschutz."
Bangladesch kann, bei allen Mängeln, stolz sein auf seinen konsequenten Aufbau eines Katastrophenschutzes: 1970 starben bei einem Zyklon der höchsten Stufe 6 noch 500.000 Menschen, 1991 138.000, 2007 5.000. Die Sachschäden allerdings sind mit dem Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft immens gestiegen.
Das Dorf Bardatoli. Dort fehlten bis vor kurzem jeden Tag viele Kinder in der Schule, weil sie unter Durchfall litten, erzählt die Rektorin Sumea Nasrin. Aber vor einigen Monaten wurde in Bardatoli ein neuer Brunnen gebohrt – 300 Meter tief, weil vorher kein Trinkwasser mehr zu finden war.
"Dieser Brunnen ist ein Segen für uns. Hinzu kommt, dass der Brunnen auf einer erhöhten Plattform steht. Auch wenn das Land ringsum überflutet ist, steht er nicht unter Wasser. Vor einem Unwetter wird die Öffnung außerdem so verschlossen, dass kein Salz- oder Schmutzwasser hinein laufen kann. Sofort nach dem Unwetter können wir dann unseren Schülern und anderen Dorfbewohnern wieder sauberes Trinkwasser anbieten."
Um allerdings solches Trinkwasser auch noch in fünf Jahren nutzen zu können, müssen die Dorfbewohner den Brunnen instand halten.
Die Straße wurde übel zugerichtet
Jeder Tiefbrunnen, den wir anlegen, hat auch ein Wasserkomitee. Und das Wasserkomitee erhält einen Werkzeugkasten und kleine Ersatzteile und wird ausgebildet darin, diese Brunnen auch zu reparieren. Es gibt hier in der Gegend viele Brunnen, die nicht funktionieren, weil ein Schräubchen nicht funktioniert. Und wenn man die Leute nicht ausbildet, dann wissen die auch nicht, wie man den Brunnen wieder instand setzt.
Eigenengagement und Organisation der Betroffenen – das sind der vielleicht die wichtigsten Schüssel zur Anpassung an den Klimawandel, glaubt auch Gautum Kormakar, Bürgermeister des Dorfes Monturapur. Er deutet auf eine Schar schlammverschmierter Männer, die Lehm aus einer Grube in Körbe schaufeln und diese auf dem Kopf zu einem Deich balancieren.
Der Deich trennt Monturapur vom Kolpetua-Fluss. Dahinter liegen die Sundarbans, das größte zusammenhängende Mangrovenwaldgebiet der Welt.
Der Deich und die Straße darauf wirken ziemlich übel zugerichtet.
"Der Deich ist insgesamt 30 Kilometer lang. Dieses 130 Meter lange Stück vor unserem Dorf zählt zu den fünf Stellen, wo er schwer beschädigt ist. Sie sehen ja: Teile der Asphaltstraße sind zum Wasser hin abgebrochen; und dort drüben ist der Deich sogar abgesackt, weil das Wasser ihn ausgehöhlt hat. Kurz, dieser Deich könnte schon beim nächsten Unwetter brechen. Sie können sich darauf verlassen: In Zukunft werden wir das, was wir jetzt lernen, anwenden und auch kleinste Schäden sofort reparieren."
Ein weiterer wichtiger Baustein, sich an den Klimawandel anzupassen, ist, knapper werdendes Land und Wasser optimal zu nutzen. Und so pumpt in Monturapurs Nachbardorf Rojapara eine Dieselpumpe armdick Wasser in betonierte Kanäle. Eine Bewässerungsanlage, deren Bau das Leben von 80 Bauern grundlegend verändert hat, sagt deren Sprecher Mohammed Manik Mirsar.
"Lange Zeit hatten wir nur eine Ernte im Jahr – den Aman-Reis. Dabei hatten wir schon immer eine hervorragende Wasserquelle für die Bewässerung von Aush-Reis im Winter: einen vier Kilometer langen und 50 Meter breiten natürlichen Kanal zwischen zwei Flüssen. Diesen Kanal konnten wir bis vor kurzem nicht nutzen, weil ihn die beiden Flüsse bei Sturmfluten mit Salzwasser füllten. Jetzt haben wir zwei Schleusen gebaut, die den Kanal während der kritischen Zeit von den Flüssen trennen und so das Salzwasser fernhalten. Außerdem haben wir eine Genossenschaft gegründet und gemeinsam diese Bewässerungsanlage installiert. Dank dieser Anlage haben wir jetzt zwei Ernten im Jahr – und demnächst vielleicht drei."
Ein Sturm hatte die Reisfelder unbrauchbar gemacht
Besuch im Dorf Kabirapara. Hier leben 40 Familien der aus Myanmar stammenden Rakhine-Volksgruppe. Eine ethnische Minderheit, der die bengalische Mehrheit des Landes skeptisch und bisweilen sogar feindselig gegenübersteht.
Die Rakhine bauen traditionell ihre Häuser auf Stelzen – ein großer Vorteil bei Überflutungen. Ihr reich verzierter buddhistischer Tempel steht auf einem künstlich angelegten Hügel.
Bis vor fünf Jahren stand die Existenz des Dorfes Kabirapara auf Messers Schneide. Ein Sturm hatte die Reisfelder der Rakhine für lange Zeit unbrauchbar gemacht. Um zu überleben, schufteten Männer wie Frauen fortan als Tagelöhner im Straßenbau.
Seit 2011 jedoch kümmert sich das Anpassungsprogramm für den Klimawandel um die Einwohner von Kabirapara. Bauern und Bäuerinnen haben damit auch die Möglichkeit bekommen, sich alternative Einkommensquellen zur Landwirtschaft zu erschließen.
Heute weben etliche Frauen des Dorfes auf halbautomatischen Webstühlen Lungis, traditionelle Röcke für Männer und Frauen.
Andere haben ihre Starthilfe von zwei Hühnern, Enten oder Ziegen zu kleinen Herden vermehrt. Und die junge U-Son-Ten deutet stolz auf zwei kubikmetergroße Betongefäße.
"Diese Betongefäße hat mir eine Hilfsorganisation auf den Hof gestellt. Und sie haben mir beigebracht, darin mit Regenwürmern Kompost herzustellen. So kann ich meine Zucchini, Tomaten und Kürbisse düngen, ohne Kunstdünger kaufen zu müssen und mich dafür beim Geldverleiher zu verschulden. Auf dem Markt kann ich für mein Gemüse gute Preise verlangen und bin trotzdem billiger als meine Konkurrenten, die ihr Gemüse im Norden von Bangladesch einkaufen. Inzwischen kann ich meine drei Töchter zur höheren Schule schicken und weiß so viel über Gemüseanbau, dass mich auch ein größeres Unwetter nicht mehr aus der Bahn werfen wird."