Was sind eigentlich "tödliche Verteidigungswaffen"?
In der Diskussion über den Ukraine-Konflikt hat die US-Regierung die Lieferung von "tödlichen Verteidigungswaffen" erwogen - so als gäbe es gute und schlechte Waffen. Mehr über dieses rhetorische Manöver in unserem "Unwort der Woche".
Die Intuition ist klar: Wer Waffen "Verteidigungswaffen" nennt, selbst wenn er sie mit dem Hinweis "tödlich" versieht, der verschleiert, was Waffen eigentlich sind: Tötungsinstrumente, die mal zum Angriff, mal zur Verteidigung benutzt werden. Aber können wir dieser Intuition trauen? Würde man denn von einem Igel behaupten, er sei bewaffnet? Wenn sich ihm ein Angreifer nähert, rollt der Igel sich ein. Nun sieht der Angreifer sich konfrontiert mit einem bedrohlich wirkendes Kleid aus 5000 Stacheln. Der Igel kann aber mit seinen Stacheln nicht attackieren, sie dienen lediglich der passiven Verteidigung. Sein Verwandter, der Seeigel, trägt sogar Gift in den Stacheln. Seine Verteidigung kann also tödlich enden für den Angreifer. Sind Igel also mit tödlichen Verteidigungswaffen ausgestattet?
Rüstung, Helm und Angriffswaffe
Das Wort "Waffen" wurde früher auch im Sinne von Gerät oder Werkzeug verwendet. Laut dem Grimmschen Wörterbuch verwendeten Handwerker tagtäglich Waffen, auch wenn diese weder zum Angriff noch zur Verteidigung taugten. Der Begriff "Waffen" hängt im Mittelhochdeutschen eng mit dem Wappen zusammen. Wâfen oder wâpen bezeichnete eine ritterliche Rüstung, schloss aber auch den Helm, Schild und Angriffswaffen mit ein. So überrascht es auch nicht, dass das Wort "Wehr" zeitweise synonym verwendet wurde mit Waffe.
"Waffe" meint also ein Gerät oder Werkzeug − Heidegger hat das als Zuhandenes bezeichnet, das dadurch existiert, dass man praktisch etwas damit tut. Im Wort "Waffe" ist auch schon die Bedeutung der Abwehr oder Verteidigung durch eine Rüstung oder einen Schild eingraviert. Auf dieser Grundlage können wir jenseits sprachlicher Verschleierungen sagen, dass die Natur den Igel mit einer Waffe zur Verteidigung ausgestattet hat.
Auch Wladimir Putin spricht nur von "Verteidigung"
Und dieses Igelkonzept hat die Militärtechnik bereits umgesetzt: Mit dem Iron Dome in Israel. Der mobile Raketenabwehrschirm fängt feindliche Raketen ab und zerstört sie noch in der Luft. Es handelt sich um ein Kriegsgerät der Verteidigung, das ein anderes Kriegsgerät neutralisiert, ohne dass Menschen dabei zu Schaden kommen. Aber theoretisch können die Raketen auch Menschen töten, wenn sie zum Beispiel in einem entführten Flugzeug israelisches Territorium attackieren wollen. Der Iron Dome könnte also als Idealtyp einer "tödlichen Verteidigungswaffe" bezeichnet werden.
Wenn Barack Obama den Begriff der "tödlichen Verteidigungswaffe" gebraucht, dann verschleiert er also nicht die wahren Verhältnisse. Und doch nutzt er ihn für ein geschicktes rhetorisches Manöver: Obama schreibt so moralisch eindeutig festgelegte Rollen zu. Der, der sich nur verteidigt, mit den "guten" Waffen, macht das Gegenüber zum Angreifer mit den "bösen" Waffen.
Interessanterweise prägt sein Gegenüber, der russische Präsident Wladimir Putin, ein ähnliches Narrativ, wenn er davon spricht, dass die Separatisten in der Ostukraine sich nur verteidigen müssten. Wie auch immer die Sache dort ausgehen wird, rhetorisch werden sich Putin und Obama auf die richtige Seite der Geschichte stellen wollen − auf die der Verteidiger.