Uran aus dem Erzgebirge

Das strahlende Erbe der Wismut

11:03 Minuten
Ein Schacht einer Wismut-Grube 1996: Grubenwasser fließt in diesem Streckenabschnitt auf der 435-Meter-Sohle. Nur ein Bruchteil der einst 1.034 km offenen Grubenbaue ist derzeit noch begehbar.
Einblicke in eine der Wismut-Schächte in den 1990er Jahren. Hier wurde in der DDR Uran gefördert. © picture alliance / dpa / Jan-Peter Kasper
Von Alexander Moritz |
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Die DDR war einer der größten Uranproduzenten weltweit. Für die sowjetische Atomindustrie lieferte die Wismut rund 220.000 Tonnen des radioaktiven Materials. Bis heute sind die Folgen für Mensch und Natur spürbar. Der Rückbau kostet Milliarden.
„Zwölf Meter hat sich hier der Boden gesenkt, weil der Abbau zur Erzgewinnung bis an die Tagesoberfläche ging", erinnert sich Adolf Vater. Deshalb sei ein Teil von Oberschlema geräumt und das Kurhotel abgerissen worden. "Es ging gar nicht anders.“ (*)
Die Schäden durch den Uranabbau sind noch sehr präsent für den gelernten Schlosser, der fast ein halbes Jahrhundert bei der Wismut gearbeitet hat: „Ich habe 1956 angefangen im Bergbau. Ich will nicht behaupten, dass ich in allen Schächten war. Aber ich war in vielen.“
Angefangen hat er als Techniker, war Steiger, zum Schluss hat er als Hauptmechaniker am Rückbau der Schächte mitgearbeitet: „Hier waren auch Schächte: der Stalinschacht, weiter oben war der 310, 311, Schacht 12. Da wurde extra eine Bahn hier oben eingerichtet. Um die Kurve sehen wir noch die Hammerberghalde, wo die Masse abgekippt wurde. Das ist auch rekultiviert. Denken Sie nicht, dass da eine Halde war.“
Adolf Vater ist Anfang 70, graue Haare, rote Jacke. Er steht vor einem schneebedeckten, bewaldeten Hügel.
Adolf Vater war Bergmann bei der Wismut im Erzgebirge. Hinter ihm: die Hammerberghalde.© Deutschlandradio / Alexander Moritz
Die Halde ist heute mit Bäumen bewachsen, kaum zu unterscheiden von den natürlichen Kuppen der Erzgebirgslandschaft. Auf den ersten Blick kann man die Zeugnisse der Wismutzeit fast übersehen. Die meisten Schächte sind versiegelt, an sie erinnern nur noch Gedenktafeln im Boden.

Schnell Uran fördern für sowjetische Atomindustrie

Wachgehalten wird die Erinnerung an die Bergbauzeit im ehemaligen Wismut-Kulturhaus „Aktivist“ oben am Hang. Im Obergeschoss ist das Uranmuseum untergebracht – inklusive nachgebautem Bergwerksstollen.
Hermann Meinel hat nach der Wende das Museum über die Wismutgeschichte aufgebaut. Obwohl er selbst nicht unter Tage war – fast ein Makel hier in der Region. Aber er durfte nicht: „Meine Mutter hat mir das verboten. Ich durfte nicht zur Wismut.“
Der Bergbau war gefährlich. Regelmäßig gab es Arbeitsunfälle. Besonders in der direkten Nachkriegszeit, die sie hier nur „die wilden Jahre“ nennen. Die Wismut wurde von den sowjetischen Besatzern gegründet. Das Ziel: Uran fördern für sowjetische Atomwaffen, möglichst schnell. Auf Mensch oder Umwelt wurde keine Rücksicht genommen.
Mit Presslufthämmern brachen Arbeiter uranhaltiges Gestein aus den Stollen. Schwerste Handarbeit. Arbeitsschutz gab es kaum. Tausende starben in den folgenden Jahrzehnten an Staublunge oder erkrankten wegen der Strahlung an Lungenkrebs. Bis heute sind rund 40.000 Fälle als Berufskrankheit anerkannt. Diese Ausmaße wurden erst später klar – auch wenn die Gefahren in der Bergbauregion durchaus bekannt waren, so der Museumsdirektor:

„Dort gab es so ein Sprichwort: Man würde am Husten hören, wer auf Arbeit geht. Also es war ein offenes Geheimnis, dass diese Krankheit umgegangen ist.“

Hermann Meinel, Museumsleiter

Trotzdem gebe es eine hohe Wertschätzung des Bergmannstandes, erklärt Meinel und nennt das Sprichwort: "Der Bergmann ist der Schöpfer des Wohlstandes der Gesellschaft."
Das resultiere tatsächlich aus dieser 800-jährigen Bergbaugeschichte. Und man habe natürlich für diese schwere und gesundheitsschädliche Arbeit auch Leute gebraucht. "Das ließ sich nur regulieren, indem man Privilegien gegeben hat. Und das war bei der Wismut nach dem Zweiten Weltkrieg eine hohe Nahrungsmittelration und dann später ein gutes Sozialwesen, Urlaubsplätze, Wohnungen, Autos und solche Dinge.“
Meinel erinnert auch an die wirtschaftliche Lage der Region damals: „Das Erzgebirge war eine arme Region, das muss man ganz deutlich sagen. Dort war natürlich der Bergbau eine willkommene Verdienstquelle, und man hat - wie das üblich schon immer war - diese Umweltschäden als akzeptabel angesehen. Wenn es mir gut geht, ist es erstmal okay.“
Man sei in den Anfangsjahren einfach froh gewesen, dass man Brot und Lohn hatte, meint auch Ex-Bergmann Adolf Vater. Welche Auswirkungen der Uranabbau habe, darüber habe er sich früher keine Gedanken gemacht: „Dort, wo Bergbau ist, sehen sie immer Schäden. Ob das nun Wismut heißt oder Steinkohle oder was weiß ich. Bergbau ist Bergbau. Und damit muss man leben!“

40 Meter hohe Schutthalden neben Wohngebäuden

In einer Vitrine des Uranmuseums liegt ein fußballgroßer Brocken: uranhaltiges Erz – die sogenannte „Pechblende“. Das komme aus 1500 Metern Tiefe, erklärt Museumsleiter Meinel. "Uraninit, das glänzt sehr schön, fast schwarz wie Kohle. Wir haben hier so einen Geigerzähler, da kann man die Radioaktivität auch hören.“
Doch nur ein Bruchteil des geförderten Gesteins enthielt Uran, der Rest war Abraum. Immer mehr Schächte wurden gegraben. Mit ihnen wuchsen die Schutthalden. 39 alleine in Schlema, 40 Meter hohe, steile Kegel, bis direkt an die Wohngebäude geschüttet.
„Der Haupt-Farbton in Schlema war Grau. Die Halden waren so gut wie nicht begrünt. Das war tote Fläche, die letzten Endes Staubbelastung dargestellt hat, Radonbelastung und eben auch Chemikalien wie Eisen, Arsen, Mangan dort immer wieder ausgewaschen worden sind.“
Das Bergwerk unterhalb von Schlema und den Nachbarstädten war gigantisch: über 50 Tagschächte führten in die Tiefe, die Stollen verliefen übereinander in 62 Stockwerken. Die tiefste Sohle lag 1800 Meter unter der Erde. Eine Fahrt mit 14 Metern pro Sekunde habe – inklusive Fußweg und Umsteigen zwischen verschiedenen Förderschächten - eine Stunde gedauert, bis die Bergleute ganz unten waren, so der Museumsleiter. (*)
Insgesamt förderte die Wismut in Sachsen und Thüringen über 220.000 Tonnen Uran. Zwischen Kriegsende und 1990 zählte die DDR zu den größten Uranproduzenten der Welt. Von all dem ist heute kaum noch etwas zu sehen.

Sieben Milliarden Euro zahlte Bund für Sanierung bisher

Im Dezember 1991 hat der Bund die ehemaligen Wismut-Standorte übernommen. Mehrere tausend sind es. Seitdem läuft die Sanierung: Die meisten Bergwerkschächte wurden mit Beton verfüllt, die Stollen mit Grundwasser geflutet, Abraumhalden mit Erde abgedeckt und bepflanzt. Die schwer belasteten Abwasserseen der Aufbereitungsanlagen, etwa bei Seelingstädt in Thüringen, wurden zugeschüttet und versiegelt. Zum Ende dieses Jahrzehnts sollen die Erdarbeiten abgeschlossen sein.
Mehr als sieben Milliarden Euro hat die Sanierung bisher gekostet. Bis 2050 sind weitere zwei Milliarden zugesagt. Denn die ehemaligen Urananlagen müssen weiterhin überwacht werden, erklärt Michael Paul, der technische Geschäftsführer der Wismut: „Die mit Abstand aufwendigste Langzeitaufgabe ist die Wasserbehandlung. Sehr häufig eben auch mit der Randbedingung versehen, das an vielen Standorten nicht klar ist, wie lange diese Behandlung notwendig sein wird.“
Das Wasser, was aus den Gruben gepumpt wird und durch die Halden sickert, ist meist mit Schwermetallen kontaminiert – neben Uran auch Radium und Arsen. Die hochgiftigen Stoffe werden chemisch aus dem Wasser abgeschieden, anschließend als Sondermüll auf Halden der Wismut gelagert. Das sei eine der wichtigsten Aufgaben so Paul. "Diese Reinigungsanlagen müssen 24/7 laufen, um sicherzustellen, dass es keine Austritte gibt, die nicht tolerabel wären.“
In Bad Schlema muss auch die Belüftung einiger Stollen weitergehen. Sonst würde sich unterirdisch radioaktives Radongas anreichern und durch die Erde in Kellerräume der Häuser steigen.

Uran wurde bis vor zwei Jahren noch verkauft

In Königstein im Elbsandsteingebirge muss weiterhin uranhaltige Flüssigkeit aus dem Boden gepumpt werden. In der DDR hatte man hier mit einem damals modernen technischen Verfahren gearbeitet: Um Uran zu lösen, wurde Schwefelsäure in den Boden gepresst. Doch die Reaktion im Gestein lässt sich nicht stoppen. Auch über 30 Jahre später läuft sie weiter.
Bis 2020 hat die Wismut das Uran sogar noch verkauft. Aber mittlerweile seien die Konzentrationen soweit abgeklungen und der Urananteil so weit zurückgegangen, dass das rein betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll war, erklärt Michael Paul. Die Rest-Uranmengen, die auch noch länger austreten werden, würden in Form eines Rückstandes auf den Sondereinlagerungsbereich in Königstein verbracht und dort verwahrt.
Durch die Folgen der Wismut fällt also weiterhin radioaktives Material an. Und niemand kann sagen, wie lange die Pumpen noch laufen müssen. Museumsleiter Meinel spricht von einer "Ewigkeitsaufgabe“.

Auch nach 2050 noch nicht abgeschlossen

Dirk Rübbelke, Professor für Volkswirtschaft und Umweltökonomik an der Bergakademie Freiberg, bestätigt das: "Es ist davon auszugehen, dass auch nach 2050 Kosten auftreten und die vom Steuerzahler bezahlt werden.“ Dabei gilt die Wismut-Sanierung als weltweit beispielloses Unterfangen. Teuer und technologisch anspruchsvoll.
Anfang der 1990er-Jahre sei es noch umstritten gewesen, dass diese Aufgabe die Wismust-Mitarbeiter selbst übernehmen sollten, erzählt Museumsleiter Meinel. Die Leute fragten sich, "die, die alles kaputtgemacht haben, die sollen jetzt die Sanierung übernehmen?" Aus heutiger Sicht sei das eine der besten Entscheidungen gewesen, die man gefällt habe, weil die fachliche Kompetenz erhalten blieb.
Das erkennen auch Umweltgruppen an, die sich teils seit DDR-Zeiten mit den Bergbauschäden beschäftigen. Das Resultat der Rückbauarbeit: Die freigesetzte Radioaktivität rund um die Wismutstandorte ist stark zurückgegangen. Kleinere Mengen radioaktiver und giftiger Stoffe gelangen allerdings weiterhin in die Umwelt.

Sanierung der Uranförderstätten gilt als Erfolg

Insgesamt gilt die Sanierung der Wismut-Hinterlassenschaften als Erfolg. Anders als in anderen Uran-Abbaugebieten auf der Welt, wo radioaktive Hinterlassenschaften einfach liegengelassen werden.
In Schlema dagegen wurde das Gebiet, das sich einst um zwölf Meter absenkte, aufgefüllt, der Kurpark neu angelegt, mit Musikpavillon, Minigolfanlage und Wildgehege. Im modernen Heilbad liegen wieder Rheumakranke im radonhaltigen Wasser.
Vor 30 Jahren schien das undenkbar, erinnert sich der frühere Wismut-Kumpel Adolf Vater: „Nach der Wende stand ja in jeder Zeitung: ‚Tal des Todes‘. Da haben sich viele drüber aufgeregt. Da habe ich gesagt: Lasst nur. Wenn die Presse so urteilt, dann sind die Nachfolger verpflichtet, was draus zu machen. Und das sehen Sie ja: Es ist ja was draus geworden.“
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Angaben des Gesprächspartners präzisiert.

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