Eine Liebeserklärung an das Debattiertheater
In "Black Maria" nutzt René Pollesch die Entstehung des Kinos, um aktuelle Theaterdiskurse subversiv auf den Kopf zu stellen. Das Stück, inszeniert am Deutschen Theater in Berlin, plädiert für die Kunst der Uneindeutigkeit.
René Pollesch liebt das Kino, soviel steht fest. Benutzt er doch allzu gern Dialogzeilen aus bekannteren und unbekannteren Western, Komödien und Beziehungsdramen für seine Text-Remixe. An diesem Abend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin aber geht er einen Schritt weiter oder, man könnte auch sagen, einen ziemlich weiten Schritt zurück. Bis zum Beginn des kommerziellen Filmemachens im Jahr 1892, wo er ansetzt für eine ebenso verliebte wie bissige Hommage an dieses Medium der Bilder, des Schnitts, des Lichts und der Gesichter.
Das Bild eines Leben, das Lücken aufreißt
Bühnenbildnerin Nina von Mechow hat ihm die "Black Maria" auf die Bühne gebaut, das erste Filmstudio aus schwarzer Teerpappe, ein Haus auf Rädern, dessen Dach man aufklappen kann, um für die bestmöglichen Aufnahmen dem Stand der Sonne zu folgen. Hier wird nun ein ganz besonderes Ensemble live gefilmt – vor allem natürlich, wie immer bei Pollesch, als nie zur Ruhe kommende Disputierer und Theoriedurchhechler.
Franz Beil, Benjamin Lillie, Astrid Meyerfeldt, Jeremy Mockridge und Katrin Wichmann steigern sich mit Verve in die an Deleuze, Donna Haraway und andere Theoretiker angelehnten Diskussionen – mitsamt einer Philosophie des filmischen Anschlussfehlers, bei dem zum Beispiel die Zigaretten der Schauspieler nach dem Schnitt weniger weit aufgeraucht sind als vorher. Eine Metapher für ein Leben, das sich nie so entwickelt wie man es erwarten würde, das Lücken und Verluste aufreißt und in dessen Verlauf nur weniges verständlicher wird.
Ein Theater, in dem Rollen ausprobiert werden
Überhaupt setzt Pollesch auf produktive Unklarheit und stellt zahlreiche aktuelle Theaterdiskurse mit maliziöser Rasanz auf den Kopf: Die Frauen fordern nicht Sichtbarkeit, sondern das Gegenteil, das Ensemble klagt das Regime der Überdeutlichkeit an, will nicht Authentizität repräsentieren müssen, sondern sich allen Zuschreibungen entziehen. Wie Flüchtende, die unerkannt über eine Grenze kommen wollen, soll dieses Theater sein, sich duckend, Rollen ausprobierend, Kostüme und Verkleidungen. Kein Vorzeigen von Ausweisen, Identitäten, klaren Positionen lässt es zu. Repräsentation, heißt es da, will immer bloß Grenzen ziehen.
Viel komplizierter Text geht da aufs Publikum nieder, aber auch einige herrliche Diskurs-Entkrampfungen, irrlichternder, subversiver Witz und ein vor Charme und Wärme geradezu vibrierendes Darsteller-Quintett. Dazu Sätze wie: "Ernsthaftigkeit ist die Tarnung der Trottel" oder: "Die Regisseure können heute nichts und die Schauspieler endlich Nein sagen."
"Black Maria" ist eine furiose Liebeserklärung an die Kunst der Uneindeutigkeit, ein vor jeder selbstgerechten Besserwisserei gefeites Debattiertheater, das bei geöffnetem Dach künstliches Licht einfängt und komplexe Gedanken, Geschwätz und Humor und einen unerschütterlichen, belebenden, fröhlich stimmenden Widerspruchsgeist.