Elfriede Jelinek verhacktstückt ihr Mode-Faible auf der Bühne
Elfriede Jelinek hat eine Leidenschaft für Mode. In "Das Licht im Kasten" knöpft sie sich die nun vor: die Fashion-Victims, Kaufsucht, Produktionsbedingungen - aber auch die Mode als Metapher für die Vergänglichkeit. Das Düsseldorfer Schauspielhaus macht daraus ein elegantes Stück.
"Schnauze, Elfi, mach mal Halblanges, nicht immer so was Langes". Kurz und bündig die Anweisung, die die Textschneiderin Elfriede Jelinek sich selbst gibt irgendwo im Stoffberg ihres jüngsten Stücks. Sie hat sich daran gehalten: Zwei Stunden dauert Elfriede Jelineks "Das Licht im Kasten" in der Uraufführungsinszenierung im Düsseldorfer Schauspielhaus von Jan-Philipp Gloger. In der Jelinek-Kollektion reicht das höchstens bis knapp unters Knie.
Mode ist die oft und öffentlich bekannte Leidenschaft der Autorin, und diesem Thema widmet sie ihre neueste Kreation. Sechs Frauen (und in einem Auftritt noch eine angehende im Schulmädchen-Alter) teilen sich in Düsseldorf den Stoff – einmal mehr eine Jelinek’sche Textfläche ohne Rollen und Situationen, eine "Textwurst", wie die Autorin das freimütig nennt. Darin fächert sie viele Aspekte des Themas auf: die Fashion-Victims fetzen sich darüber, was "geht" und was "gar nicht geht", ein Zickenkrieg voller Klischees und Kalauer. Die Produktionsbedingungen der Textilindustrie in der Dritten Welt kommen zur Sprache, auch die modische Sucht, Kleider im Internet zu bestellen und massenhaft zurückzuschicken. Mehr und mehr aber gewinnt ein philosophisches Interesse die Oberhand: die Mode im Spannungsfeld von Sein und Schein, von Verhüllen und Entblößen, als Metapher der Vergänglichkeit, als Droge gegen die Angst vor Verfall und Tod.
Tiefer Riss zwischen Selbstbild und Realität
Die Mode bleibt immer jung, erneuert sich mit jedem Trend. Die Trägerin wird alt, ihr Körper gerät aus der Form. Immer kürzer der Augenblick der Illusion, in dem heiß begehrten Rock so auszusehen wir das Model auf dem Werbefoto im hell erleuchteten Schaukasten, immer bitterer das Erwachen. Das Versprechen, anders zu werden in einem anderen Kleidungsstück – oder vielleicht wieder so wie früher – ist ein Betrug, der den tiefen Riss zwischen Selbstbild und Realität nicht mehr kitten kann.
Diese Themen instrumentiert Elfriede Jelinek vielstimmig, von boulevardesker Komik über Sarkasmus und Satire bis zu einer Melancholie, die tatsächlich berührt. Ein elegantes Stück, das seine Traurigkeit mit einer bunten Oberfläche kaschiert und souverän mit der Parallelität von Form und Inhalt spielt: die Sprache knüpft die Fäden für das Gewebe, in das die Autorin ihre Gedanken kleidet, changierend zwischen Verhüllung und Entblößung. Die Textfläche verhandelt sich selbst im Thema Mode.
Mut zur Klamotte
Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger greift die verschiedenen Tonlagen des Stücks auf in einer Szenerie, die sich von der naheliegenden Illustration mit Catwalk, Umkleidekabine und dem Pakete schleppenden DHL-Boten in eine ironisch-theatralische Phantastik hinein entwickelt. Da gibt es dann auch eine naturhafte Kehrseite der durchdesignten Modewelt mit Urwalddickicht, in dem sich plüschige Füchse und Hasen gute Nacht sagen, denen die Kleiderfrage nun wirklich nicht Haare zu Berge stehen lassen muss. Die geistigen Überväter Kant und Heidegger treten auf wie aus einem Comic entsprungen, Mut zur Klamotte steht neben hoch differenzierter Kopfarbeit im Umgang mit dem Text. Das Ganze wirkt flüssig und musikalisch.
Das Damenensemble mit Manuela Alphons, Tabea Bettin, Judith Bohle, Claudia Hübbecker, Karin Pfammatter und Lou Strenger bezwingt die Textgebirge mit Witz, Präzision und Leichtigkeit. Sie ziehen sich nicht nur mit verblüffender Geschwindigkeit um, sondern bringen jedes Mal neue Farben und Töne in diese Variationen zum Thema Sein und Schein. In Düsseldorf leuchtet "Das Licht im Kasten".