Tiefenbohrung im Schnee
Berichte über Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe im Skisport während der 1970er-Jahre erschütterten dieses Jahr Österreich. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat daraus ein neues Stück gesponnen, das in Köln uraufgeführt wird.
Weiss ist die Farbe der Unschuld, und Schnee verdeckt alle Spuren. Im Stück "Schnee Weiss. Die Erfindung der alten Leier" widmet sich die österreichische Schriftstellern Elfriede Jelinek den Enthüllungen der Rennläuferin Nicola Werdenigg über sexuellen Missbrauch im österreichischen Skisport, die in Österreich im letzten Jahr für Aufsehen sorgten, aber bei den Verbänden auf eisiges Schweigen stießen. Am Schauspiel Köln kommt am Freitag das neuestes Werk der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin in einer Inszenierung des Intendanten Stefan Bachmann zur Uraufführung.
Lustvoller im Probenraum
Es sei leichter, Jelinek zu inszenieren als sie zu lesen, sagte Bachmann im Deutschlandfunk Kultur. "Das Lesen von Jelinek-Stücken, finde ich, das hat was von Folter", sagte der Regisseur. Ihm falle das irrsinnig schwer. "Das ist eigentlich etwas, dass mich immer wieder mit großer Frustration und veritablen Wutanfällen erfüllt, weil diese unendlichen Assoziationsketten so im stillen Kämmerlein zu rezipieren, das ist sehr, sehr schwierig." Das werde im Probenraum mit Schauspielern sehr viel lustvoller und sinnlicher. Jelinek verwebe in ihrem Stück die Enthüllungen über den sexuellen Missbrauch in den 1970er-Jahren mit Anleihen an die griechische Mythologie und psychoanalytische Abhandlungen. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es dürfte eine aufregende und anstrengende Woche für Stefan Bachmann sein, an deren Ende eine Uraufführung steht. Am Freitag hat "Schnee Weiss " Premiere im Schauspiel Köln, eben in der Inszenierung des Intendanten – und schon alleine der Titel ist bitterböse, geht es doch in "Schnee Weiss" um Machtmissbrauch, Frauenfeindlichkeit und sexuelle Übergriffe im Skisport. Autorin Elfriede Jelinek hat aufgegriffen, was im vergangenen Jahr bekannt wurde und was Österreich tief erschüttert hat. Guten Morgen, Herr Bachmann!
Stefan Bachmann: Guten Morgen!
Welty: Jelinek ist ja schon nicht einfach zu lesen, wie schwer ist es, Jelinek zu inszenieren?
Bachmann: Es ist leichter, als sie zu lesen.
Welty: Warum?
Bachmann: Das Lesen von Jelinek-Stücken, finde ich, hat was von Folter. Mir fällt das irrsinnig schwer, das ist eigentlich etwas, was mich immer wieder mit großer Frustration und veritablen Wutanfällen erfüllt, weil diese unendlichen Assoziationsketten so im stillen Kämmerlein zu rezipieren, das ist sehr, sehr schwierig. Das wird sofort sehr viel lustvoller und sinnlicher, wenn das im Proberaum mit Schauspielern zusammen geschieht.
Welty: "Schnee Weiss trägt den Untertitel "Die Erfindung der alten Leier". Warum dieser Untertitel?
Bachmann: Na ja, die Referenzen in diesem Stück sind eigentlich schier unendlich. Das ist, also, die Elfriede Jelinek verwebt auf ungeheuer tänzerische Weise einfach die Mythologien alter Stücke von Euripides mit psychoanalytischen Abhandlungen, Nietzsche und eben der Thematik, die so ein bisschen den Kern dieses Stückes bildet, nämlich die Skandale rund um den österreichischen Skiverband. Die Vergewaltigungsfälle, die nach 30, 40 Jahren ans Licht der Öffentlichkeit geraten sind. Die alte Leier ist eigentlich auch wieder eine Ironie, die Erfindung der alten Leier, weil Elfriede Jelinek sich selber sozusagen immer wieder so beschreibt als eine, die eben vor sich hin leiert und immer wieder den Bodensatz von Verdrängtem aufwirbelt.
Jelineks Textkunstwerke
Welty: Welchen Rechercheaufwand mussten Sie leisten, um sich auch inhaltlich in diesen Missbrauchsskandal hineinzuarbeiten? Jelinek ist ja auch nicht gerade jemand, die einem die Fakten frei Haus liefert.
Bachmann: Ja, da gibt es schon einiges nachzulesen natürlich, man hat das alles nicht so parat, das geht allerdings dem Zuschauer dann auch so, und man stellt dann schon auch fest, dass das Erfassen von Jelinek-Texten sowohl als der, der das als Regisseur umsetzt, als auch der Rezipient, der im Theater sitzt und diesen Texten beiwohnt, ihnen zuhört, das aber auch in theatralische Aktion verwandelt sieht, dass das eine intuitive Arbeit ist. Also es kommt mir so vor, dass das so …
Es gibt ja Menschen, die sprechen bei Jelinek von so Textflächen, das Wort würde ich eigentlich nie in den Mund nehmen, weil ich eher denke, es sind Textskulpturen und es sind Textkunstwerke. Und die funktionieren eben auch wie moderne Kunstwerke, dass es nicht darum geht, sofort einen narrativen Sinnzusammenhang darin zu entdecken, sondern sich auch von diesen Texten inspirieren zu lassen. Das ist auf jeden Fall so das, also, es pulsieren so Bedeutungen heraus und ich glaube, es ist am Ende gar nicht so wichtig, dass man das alles eingeordnet bekommt, weil die Themen ja allgemeingültig sind. Sexuellen Missbrauch gab es eben schon in der Antike, wir denken nur mal an Zeus und seine ganzen Frauen. Das ist einfach ein ewiges Thema, offensichtlich.
Welty: Der österreichische Skiverband hat ja so ziemlich alles getan, um die massiven Vorwürfe totzuschweigen respektive kleinzureden. Inwieweit ist "Schnee Weiss" also auch ein Stück über die Deutungshoheit im öffentlichen Raum?
Bachmann: Das Interessante ist ja, dass das Stück einfach keine … Also eigentlich zeigt es, dass jegliche Form der Wertung, der Verurteilung letzten Endes zum Scheitern verurteilt ist, weil die Themen selber einfach unendlich kompliziert sind. Das setzt Jelinek in einer Form um, die die Überforderung eigentlich noch weiter treibt und letzten Endes auch die Aussichtslosigkeit, da überhaupt jemals eine Position beziehen zu können, dass das einfach irrsinnig schwierig ist.
Wechselnde Perspektiven
Welty: Was würden Sie als Schweizer in Deutschland sagen, ist das spezifisch Österreichische an "Schnee Weiss"? Und was hat Elfriede Jelinek eben auch veranlasst, genau diesen Text zu dieser Zeit zu schreiben? #metoo gibt es ja schon länger.
Bachmann: Was für eine vertrackte Frage. Jetzt komme ich mit den Perspektiven schon ganz durcheinander – das ist auch das, was Frau Jelinek betreibt, die Perspektiven ständig zu wechseln. Ich weiß es nicht. Ich finde, diese Textsorte hat etwas Einmaliges, insofern ist sie nicht spezifisch österreichisch, sondern sie ist spezifisch Jelineksch. Was mir schon auffällt ist, dass es viele österreichische Autoren gibt, die einen radikalen Ansatz haben beim Schreiben. Vielleicht gibt es mehr Autoren, die sich weiter hinauswagen, was das Experimentieren mit Sprache angeht, als wir das in Deutschland oder der Schweiz haben. Ich weiß nicht, was das ist, das ist irgendeine Form der ostalpenländischen Freiheit, aber ich kann es auch tatsächlich nicht so genau sagen, woher das kommt.
Welty: Es ist Ihre zweite Jelinek-Inszenierung, Sie haben schon "Winterreise in Wien" auf die Bühne gebracht, und da spielte eine Skipiste ohne Schnee eine große Rolle. Inwieweit können Sie da anknüpfen?
Bachmann: Indem ich da anknüpfe. Das ist eigentlich lustig, wir fangen genau da an, wo "Winterreise" aufgehört hat. "Winterreise" endet bei mir, in meiner Inszenierung, im absoluten Skiwahnsinn, also in diesem Sportskanonenirrsinn. Genau da setzen wir an, es schneit und es wird Ski gefahren, bis sich die Bretter biegen. Von da aus geht es dann einen anderen Weg weiter.
Welty: Nach Wien ist vor Köln, dort am Schauspiel inszeniert Intendant Stefan Bachmann "Schnee Weiss" von Elfriede Jelinek. Herr Bachmann, haben Sie Dank für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.