"14 Vorhänge" von Einar Schleef am Staatstheater Augsburg
Inszenierung: André Bücker
mit: Klaus Müller
Virtuelles Requiem auf das Theater
08:50 Minuten
Das Staatstheater Augsburg entwickelt viele Stücke für Virtual Reality. Kritiker Tobi Müller hat die Premiere des virtuellen Schauspiels "14 Vorhänge" von Einar Schleef mit VR-Brille vom heimischen Sofa aus erlebt und extreme Blickwinkel eingenommen.
Das Staatstheater Augsburg hat eine eigene Digitalsparte, was während der fortdauernden Theaterschließungen nicht verkehrt sein kann. Zusammen mit einem externen Dienstleister, der Heimspiel GmbH, entwickelt der Mehrspartenbetrieb regelmäßig Inszenierungen für Virtual Reality, kurz: VR.
Zuschauer können sich also eine VR-Brille nach Hause bestellen, sie aufsetzen und in einem virtuellen Theaterraum sitzen - und zwar rundherum, 360 Grad. Wenn man im modernen Tanz oder im Schauspiel oft mitten im Geschehen sitzt, ist bei "14 Vorhänge" alles etwas anders.
Uraufführung nach Jahrzehnten
Es sind nur anderthalb Seiten Text, die der vor 20 Jahren verstorbene Einar Schleef dem Schauspieler Bernard Minetti zugeeignet hatte, aber auch ein bisschen sich selbst. Schleef war Autor, Regisseur und eben auch Schauspieler, der offen auf der Bühne gegen sein Stottern kämpfte und es so am allerbesten überwinden konnte, sozusagen im öffentlichen Schmerz. Das ist der Hintergrund dieser Uraufführung in der Augsburger Digitalsparte, denn Schleefs Text blieb bislang in der Schublade.
Rückblick eines alternden Schauspielers
Die Reflexion eines alten Schauspielers, der sein Theater enden sieht, ist ein kurzer Rückblick voller Trauer, Unverständnis, Härte, Häme und, wie immer bei Schleef, zartem Mitgefühl für den Theaterbetrieb und auch Selbstironie. In der VR-Inszenierung von André Bücker tritt das etwas in den Hintergrund. Im Vordergrund: die Räume, der Ton, das Keuchen der Figur.
Klaus Müller spielt diese Figur - und auch wenn Müller noch lange nicht so alt wie Minetti ist, als Schleef den Text für ihn schrieb, ist er auch schon 25 Jahre an diesem Theater.
Inszenierung auf einer Baustelle
Nur, welches Theater? Das Schauspiel ist in Augsburg schon lange nur in Zwischenspielstätten zu Hause, und nun wird das ganze Haus auch noch entkernt. Frühestens 2026 soll es wieder aufgehen. Und in diese staubige Baustelle werden wir per Virtual Reality sehr realistisch geführt.
Überall liegt Staub, die Sitze sind raus, keine Menschenseele weit und breit, alles in Schwarz-Weiß. Lange hören wir nur den Atem, des Schauspielers. Wenn wir an VR denken, haben wir sofort die immersiven Bilder im Kopf, wir mittendrin. Aber wir tragen ja Kopfhörer, VR ist auch immer stark: Ton.
Gefühl von Nähe und Raum
Müller ist nah mikrofoniert, vermutlich mit Raumton zusammengemischt, ein schöner Effekt von großer Nähe, aber doch mit Raumgefühl. Nachdem Klaus Müller im letzten Drittel dieser halben Stunde endlich auf die Bühne kommt und wir viele andere Räume gesehen haben, spielt er mit einer Krone, im Bademantel: Das ist auch ein King Lear wie bei Shakespeare, der sein Reich zerbröseln sieht, und das Reich ist hier das Theater der Gegenwart, das nicht spielen kann.
Extreme Blickwinkel durch die VR-Brille
Wer nicht schwindelfrei ist, erlebt auf dem Weg durch das Geisterhaus gleich noch ein bisschen mehr. Als ich auf der Höhe des Schnürbodens am Geländer stehe oder direkt unter dem Dach, auf der Zwischendecke, bin ich ganz froh um meine Tischkante, an der ich mich kurz festhalten kann. Man sollte ja sitzen mit der VR-Brille auf, zumindest das ist wie fast immer Theater.
Und die Idee, diesen Text über das vorläufige Ende des Theaters mit den Mitteln von heute oder sogar von morgen zu zeigen, geht in diesen Bildern auf wie Hefe bei 40 Grad - tatsächlich schwitze ich ganz schön unter der Brille. Tolle Effekte in diesem Requiem.
Die Technologie arbeitet allerdings selbst ein bisschen mit an dieser schön ambivalenten Grabrede. Denn was weniger gut funktioniert, ist die Schärfe auf dem Schauspieler. Und ich habe alles probiert: mit Brille, mit Lesebrille, ganz ohne. In diesen "14 Vorhängen" ist VR stark im Raumerlebnis und im Ton, und weniger in der sprichwörtlichen Figurenzeichnung. Auch wenn Müller ein bisschen singt in der Sprache wie Minetti. Hören kann ich es ja.