"Autorenmarkt leidet an Burn-out"
Als alleiniger Juror der Autorentheatertage in Berlin bricht Till Briegleb mit einer Konvention: Er hat auf dem "unglaublich hektischen Markt" keine neuen Stücke bestellt. Stattdessen sichtete er die letzten 20 Jahrgänge.
Britta Bürger: Wiederverwerten statt Wegwerfen, Ressourcen nutzen und bewahren. In vielen Bereichen der Gesellschaft geht es derzeit um Nachhaltigkeit, jetzt auch im Theater. Der Journalist und Schriftsteller Till Briegleb setzt bei seiner Auswahl des Programms der Autorentheatertage Berlin in diesem Jahr auf das "Innehalten". Er hat nämlich diesmal nicht, wie sonst üblich, Autoren gebeten, frische Texte zu einem ausgerufenen Thema einzureichen, sondern er hat sämtliche Siegerstücke der vergangenen 20 Jahre noch mal gelesen, und fünf dieser Texte stellt er jetzt erneut zur Diskussion – ein "Experiment gegen die Amnesie".
Am kommenden Donnerstag beginnen die Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin also mit einem völlig neuen Konzept, und ich freue mich, Till Briegleb, dass wir darüber jetzt mehr erfahren können von Ihnen. Schönen guten Morgen!
Till Briegleb: Schönen guten Morgen!
Britta Bürger: Wie kam es zu dieser radikalen Idee?
Till Briegleb: Die radikale Idee entstand dadurch, dass ich sieben Jahre lang im Mülheimer Auswahlgremium für das Stücke-Festival gewesen bin, und dort so ziemlich das Gros der Uraufführungen, die in Deutschland überhaupt produziert werden, als Texte gelesen hab. Da lernt man dann irgendwann schon bestimmte Kontinuitäten kennen, und diese Kontinuität, die mir da wirklich irgendwann vordringlich entgegenkam, ist eine ziemliche Überproduktion an immergleichen Texten, die strukturell immer ähnlicher werden. Ich hab das dann mal genannt: Ich hab das Gefühl, dieser ganze Autorenmarkt leidet im Moment am Burn-out-Syndrom. Gleichzeitig erinnern wir uns überhaupt nicht, was letztes Jahr gerade interessant und gut gewesen ist, also es gibt einen wahnsinnigen Verbrauch an neuen Autoren, an neuen Texten. Deswegen habe ich Ulrich Khuon zum 20. Jubiläum des Festivals dann einfach vorgeschlagen: Wir machen mal einen Stopp, allerdings jetzt auch nur dieses eine Mal, und betrachten uns einfach mal die Vergangenheit, ob es da nicht genügend Dinge gibt, die es wert sind, dass sie heute immer noch aufgeführt werden.
Britta Bürger: Vielfalt heißt ja noch lange nicht, dass die alle gut sind, aber die könnten ja alle gut sein. Können Sie noch mal ein bisschen genauer sagen, was Sie daran stört an diesem, wie Sie es sagen, Verbrauch von Stoffen und Autoren?
Till Briegleb: Also ich hab das Gefühl, alle wollen das Beste, und am Ende kommt das Schlechteste dabei raus. Es gibt unglaublich viele neue Festivals, in den letzten Wochen sind schon wieder drei neue für junge Autoren gegründet worden. Es gibt wahnsinnig viele Schreibschulen. Ganz viele Theater glauben, sie müssen eine Uraufführung in jedem Jahr im Programm haben. Das erzeugt einen unglaublich hektischen, unglaublich beschleunigten Markt, wo eigentlich keiner wirklich mehr richtig Zeit hat, sich um das Eigentliche, nämlich um das Stück zu kümmern. Eine Premiere, ein Premierentermin scheint mir heutzutage viel wichtiger, als einen Autor so lange schreiben zu lassen, bis sein Stück wirklich gut ist. Das sind bestimmte Mechanismen, die wirken einfach auch auf die Qualität dieser Stücke ein. Wir haben ja einen sehr großen Markt von Autoren, die eigentlich nur fürs Theater schreiben wollen und eigentlich gar nicht ansonsten schriftstellerisch tätig sind, die eben bestimmte Mechanismen des Theaters jetzt auch sofort aufnehmen und darauf auch reagieren. Das führt in der Breite dazu, dass die Stücke sich immer weiter ähneln.
Das vollständige Interview mit Till Briegleb zum Nachhören
Informationen der Autorentheatertage Berlin