Der Mehrwert aus der Mülltonne
Weltmeister der Mülltrennung sind wir Deutschen noch immer - und dennoch liegt beim Thema Müll mittlerweile vieles im Argen. Denn seit Jahren scheut sich die Bundesregierung, die Gesetze den heutigen Bedingungen anzupassen.
"Wir haben immer noch viel zu viel Müll, der nicht wieder genutzt wird und der wertvolle Rohstoffe enthält und das ist das Ziel, dass wir hier auch diese Wertstoffe, die im Müll sind, dass wir die besser nutzen. Das ist für die Umwelt, das ist übrigens auch gut für die Wirtschaft. Also hier haben wir eine Win-Win-Situation."
Win-Win Situation hört sich gut an. Los geht’s also – sollte man denken. Aber so einfach ist es nicht. Das zeigt sich schon allein daran, dass es immer noch kein Wertstoffgesetz gibt. Schon als Norbert Röttgen Umweltminister war, sollte ein solches Gesetz kommen und nichts ist passiert. Sein Nachfolger im Amt, Peter Altmaier, wollte es besser machen, doch auch er lieferte letztlich nichts. Die aktuelle Umweltministerin Barbara Hendricks hatte einen Entwurf noch in diesem Jahr angekündigt, doch mittlerweile ist klar: Frühestens im ersten Quartal 2015 könnte es soweit sein.
Das Problem: Wenn die Müllautos mit unserem Abfall davonfahren, beginnt ein Millionenspiel. Sortieranlagen, Aufbereiter, Müllverbrennungsanlagen, die Müllabfuhren und auch Recyclingfirmen, sie alle wollen unseren Müll haben und die Politik muss entscheiden, wer ihn bekommt.
"Da gibt es unterschiedliche Interessen - der Kommunen, der Entsorgungswirtschaft, es gibt auch innerhalb der kommunalen Familie unterschiedliche Interessen, es gibt Kommunen, die sagen: Oh, ich würde gerne mehr machen und das weg von privaten Entsorgern ziehen. Es gibt viele, die machen bewährte Kooperationsmodelle, es gibt andere, die sagen: um Gottes Willen, ich komme mit dem jetzigen, was ich noch als Kommune habe, nicht zurecht. Gebt mir bloß nicht mehr Verantwortung. Also es ist eine ziemlich schwierige Landschaft und deswegen ist unser Ziel als Ministerium, dass wir einen vernünftigen Vorschlag unterbreiten können, der möglichst großen Einigungswillen schon vorher zeigt."
Es gäbe viel zu tun
Und weil das kaum möglich ist, kommt das Gesetz bisher nicht zustande. Nach den vielen Jahren, in denen nichts passiert ist, gäbe es aber viel zu tun. Vor allem müssen endlich die Quoten erhöht werden, die festlegen, wie viel von unserem Müll recycelt werden muss. Sie stammen noch aus den 90er Jahren, als noch von Hand am Fließband sortiert wurde. Heute gibt es überall industrielle Anlagen, die mit modernster Technik die unterschiedlichen Materialen in sortenreine Fraktionen trennen, wie hier am Stadtrand von Leipzig.
Joghurtbecher, Plastikflaschen, Konservendosen und Waschmitteltüten laufen auf unzähligen Bändern kreuz und quer durch die riesigen Hallen der Müllsortieranlage. Alles, was die Bürger in die Gelbe Tonne, den Gelben Sack oder die Wertstofftonne werfen, wird hier sortiert.
René Ottlinger, der stellvertretende Anlagenleiter, führt durch das Unternehmen, das der kommunalen Stadtreinigung Leipzig und dem privaten Entsorgungsunternehmen ALBA gehört. Er deutet auf große rote Kästen, die über den Förderbändern hängen: Infrarot-Geräte.
"Wir haben hier 16 Stück in der Anlage verbaut, die verschiedene Kunststoffarten ausschießen. Hauptsächlich sind das unsere vier Kunststoffarten: PE, PP, PS und PET. Hier haben wir diese Kunststoff-Kaskade. Das heißt, alles, was Kunststoffe sind, wurden dem Strom schon mal mit zwei Nah-Infrarot-Geräten geraubt, sage ich mal. Und da wird dann nacheinander PE, PP, PS und PET ausgeschossen, in kleinen Zwischenbunkern gelagert, abtransportiert, wieder in großen Zwischenbunkern gelagert und dann in Ballen verpresst."
Die Nah-Infrarot-Geräte erkennen, aus welchem Kunststoff die Verpackung besteht, die gerade auf dem Band unter ihnen vorbeifährt und schießen sie mit mehreren Druckluftdüsen in die entsprechenden Sammelschächte. Nur so, in annähernd sortenreinen Kunststoff aufgeteilt, kann der Müll wieder zu hochwertigem Plastik verarbeitet werden: Aus einer Waschmittelflasche wird wieder eine Waschmittelflasche, aus einem Joghurtbecher ein neuer Joghurtbecher. Je besser der Verbraucher zu Hause den Müll getrennt hat, umso besser könne die Anlage ihn auch sortieren und die Rohstoffe – Weißblech, Kunststoffe oder Aluminium - wieder in den Kreislauf einbringen, sagt Ottlinger und deutet auf die vorbeifahrenden Verpackungen:
"Hier sieht man jetzt schon, wie sauber das Material ankommt. Aber auch der Trenner ist ja auch so eingestellt, dass er wirklich nur, wenn er jetzt ein Stück PE erkennt, dass er es rausschießt."
Der politische Druck fehlt
Die modernen Anlagen können viel bessere Ergebnisse erzielen als früher. Höhere Recyclingquoten wären möglich. Nur der politische Druck, das auch wirklich zu tun, fehlt. Hinzu kommt: Bisher dürfen in die Gelben Tonnen – ausgenommen sind einige Kommunen, die heute schon die Wertstofftonne haben – nur Verpackungen geworfen werden. Uwe Rantzsch ist Geschäftsführer der ALBA Leipzig GmbH:
"Und die Sortieranlage erkennt Polyethylen als Kunststoff, weiß aber nicht, ist das jetzt eine Verpackung oder ist das keine. Wie soll sie es auch erkennen. Das ist... Also wenn ich nach einer bestimmten Materialart sortiere, dann ist das so doof, ja, also noch eine weitere Unterscheidung zu treffen, Verkaufsverpackung oder nicht Verkaufsverpackung. Und genauso wie die Maschine das nicht kann, kann es ja der Bürger auch bloß nicht, er weiß ja am Ende auch gar nicht mehr... Mensch jetzt schmeiß ich einen Kleiderbügel weg, hing der mal an einem Kleid oder habe ich mir den selber gekauft. Keine Ahnung, ja. Das interessiert den nicht, der schmeißt das ja dann trotzdem einfach rein."
Diese sogenannten intelligenten Fehlwürfe in die Gelbe Tonne – also Plastik und Metall, die keine Verpackungen sind – sollen mit dem Wertstoffgesetz legalisiert werden. Rund 20 Prozent mehr Kunststoffe und Metalle erhofft man sich durch diese Maßnahme, sofern sie irgendwann einmal kommt. Für die Bürger wird es damit einfacher und übersichtlicher, was wo hineinkommt.
Das ist nicht unbedeutend, denn nicht zuletzt müssen alle mitspielen, um möglichst viel Müll wieder nutzbar zu machen. Zwar gelten die Deutschen nach wie vor als Weltmeister der Mülltrennung, doch dieser Titel ist in Gefahr.
Mülltrennung um jeden Preis gibt es nicht mehr, viele fragen sich: Noch mehr sortieren? Wird doch eh alles verbrannt. Man möchte es bequem haben und schaut zunehmend darauf, was es kostet und was es der Umwelt bringt und vor allem: Die Bürger wollen mitreden und überzeugt werden.
Die Karlsruher sind nicht als besonders aufrührerisch bekannt. Derzeit ist die gesamte Innenstadt eine Baustelle, eine neue U-Bahn entsteht. Während im nahen Stuttgart die Bürger gegen Stuttgart 21 den Aufstand proben, nehmen die Karlsruher es hin, dass ihre Fußgängerzone aus Baugruben, Absperrzäunen und Baumaschinen aller Art besteht und sie sie kaum noch betreten können. Ganz anders, nämlich ziemlich wütend, war die Reaktion hingegen als es hieß, eine weitere Mülltonne, eine für Papier wird kommen.
"[A] Was halten Sie davon? [Mann] Net viel. [A] Warum nicht? [Mann] Weil das bisherige System viel besser ist. [A] Und warum? [Mann] Ha, weil die Mülltonne jede Woche geleert wird und weil ich eigentlich keine Lust habe, mein Papier im Keller zu lagern. Ich weiß nicht, was ich mache. [A] Und haben Sie sich bei der Stadt auch, haben Sie das kundgetan? [Mann] Ich habe das kundgetan, aber eine Antwort habe ich von der Stadt nicht bekommen. [ A] Ok, gut. [Mann] Wahrscheinlich interessiert es niemanden."
Tonne nur für Papier musste her
Bisher gab es in Karlsruhe eine Wertstofftonne für Plastik, Metall und Papier. Aber darunter litt die Qualität des eingesammelten Papiers. Also musste eine Tonne nur für Papier her. Klaus Stapf ist in Karlsruhe der für den Müll zuständige Bürgermeister. Das Ganze wurde für ihn...
"...schwieriger, als wir gedacht haben, das will ich gar nicht abstreiten. Wir bewegen uns ja im Prinzip, gerade bei einer kommunalen Abfallwirtschaft, in so einem Viereck aus Bürgerservice, Gebühren, sozialer- und ökologischer Verantwortung und die Bürger haben sich an diese Art der Trennung gewöhnt, sind der Meinung, dass überwiegend kein Platz für weitere Tonnen ist."
Viele Mehrfamilienhäuser in Karlsruhe stammen aus den 60er Jahren und haben ein extra Häuschen für die Mülltonnen. Und in denen ist schlicht kein Platz mehr. Aber es gibt noch mehr Probleme, wie diese Frau in der Karlsruher Innenstadt erklärt.
"[A] Dann kriegen Sie ja jetzt auch eine neue Mülltonne bei sich zu Hause, die reine Papiertonne. [Frau] Bin ich dagegen [A] Warum? [Frau] Ganz einfach, weil der Papierpreis sich ständig ändert und wenn Schulen oder andere Einrichtungen was sammeln, kriegen die Geld dafür, muss nicht Karlsruhe kriegen. [A] Ok, das heißt, Sie benutzen die auch nicht, wenn die jetzt kommt? [Frau] Nee."
Viele Vereine in Karlsruhe haben sich in der Vergangenheit zu einem großen Teil über die Papiersammlung finanziert. Und viele Karlsruher haben sie mit ihrem Altpapier gerne unterstützt. Das, so versichert Bürgermeister Klaus Stapf, soll auch künftig möglich sein, die lautstarken Proteste seien also unbegründet.
"Wir haben sicher einen Fehler gemacht und der Fehler war, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit zu spät gestartet haben. Wir hätten die Bürger aufklären müssen, hätten Ihnen darstellen sollen, wir haben das probiert aber es war dann schon in eine andere Richtung losgefahren, dass es Befreiungsmöglichkeiten gibt, wenn man zusichert, dass man sein Papier komplett den Vereinen gibt."
Trotz aller Bedenken der Karlsruher sei der Schritt, eine extra Tonne für Papier einzuführen, ökologisch und ökonomisch sinnvoll, so die Stadtverwaltung.
Das separat gesammelte Papier hat eine deutlich bessere Qualität als das aus dem Müllmix. Und so kann künftig ein großer Teil des Altpapiers der Stadt in der nahen Papierfabrik im Rheinhafen wieder recycelt werden.
Entsorgung wird vom Hersteller finanziert
Seit 1991 setzt man beim Verpackungsmüll auf Kräfte des Marktes, damals drohte der Müll-Kollaps. Immer mehr Abfall ließ die kommunalen Deponien überquellen. Deshalb verpflichtete der Gesetzgeber die Inverkehrbringer – also jeden, der eine Verpackung über einen Supermarkt oder ein Kaufhaus in Verkehr bringt – dafür zu sorgen, dass dieser Müll eingesammelt und verwertet wird. Damit verbunden - die Geburtsstunde des Dualen Systems Deutschland, das für die Hersteller die sogenannte Produzentenverantwortung wahrnehmen sollte. Statt kommunaler Müllgebühren wird seither die Entsorgung des Verpackungsmülls von den Herstellern finanziert. Mit jeder gekauften Verpackung bezahlt der Kunde also bereits für die Entsorgung.
Heinz Georg Baum, Professor für Abfall- und Umweltwirtschaft an der Fachhochschule Fulda, nennt dies einen künstlichen Markt.
"Das ist eigentlich ein sehr schöner Begriff, weil man schon weiß von den normalen Versorgungsmärkten, dass es sinnvoll ist Marktlösungen mit hohem Innovationsdruck anzustreben. Und das heißt man setzt die Rahmenbedingungen so, dass er dann eigentlich funktioniert, wie ein normaler Markt, dafür brauchen Sie aber eine Rahmenbedingung, dazu brauchen Sie den staatlichen Zwang."
Privatwirtschaftlich organisiert sollte möglichst viel recycelt werden. Für die Verbraucher wurde dies sichtbar durch den grünen Punkt, der anzeigt, dass diese Verpackung durch das Duale System entsorgt wird. Ausschreibungen sollten garantieren, dass es zum Wettbewerb um die beste und günstigste Entsorgung und vor allem um das beste und effektivste Recycling zwischen privaten Unternehmen kommt. Ursprünglich sollte dies ein Duales System organisieren.
"Das Bundeskartellamt hat gesagt, naja, das ist ja jetzt ein Markt wie jeder andere, zwar erzwungen durch den Staat aber der Verpackungsmüll wird jetzt von der privaten Wirtschaft also vom Inverkehrbringer und der bedient sich dann Dritter, entsorgt. Das heißt, die öffentliche Hand ist da eigentlich außen vor und damit gibt es keinen Grund irgendwelchen, irgendwelche Monopolstrukturen zu dulden. Diese Auffassung kann man teilen."
Die Entscheidung des Bundeskartellamtes hatte jedenfalls weitreichende Folgen. Es entstanden neue Duale Systeme, derzeit sind es elf an der Zahl, die untereinander im Wettbewerb stehen. Der vom Staat geschaffene künstliche Markt setzt aber die falschen Anreize.
"Die einzelnen Dualen Systeme unterliegen keinem Leistungswettbewerb oder keinem Qualitätswettbewerb. Sie können jetzt nicht einen besonderen Preis verlangen für eine besonders hochwertige Entsorgung, weil sie alle mit der gleichen Infrastruktur zusammenarbeiten."
Es herrscht gnadenloser Preiswettbewerb
Statt eines Qualitätswettbewerbs unter den Systemen herrscht lediglich ein gnadenloser Preiswettbewerb. Sie können andere nur dadurch ausstechen, indem sie dem Handel immer günstigere Angebote machen – und günstigere Angebote können sie nur machen, indem sie den einzelnen Händler von größeren Mengen Verpackungsmüll befreien, als sie lizenzieren.
"Das heißt, die einzelnen Systembetreiber sind Gefangene ihres eigenen Geschäftsmodells, indem sie immer wieder mit Mengenabzügen operieren, die nachher aber gar nicht real vorhanden sind sondern die Menge landet tatsächlich im System."
Immer wieder verklagen sich die Dualen Systeme deswegen untereinander. An der von einigen Experten als Betrug bezeichneten Praxis, Mengen kreativ herunter zu rechnen, hat das aber bisher nichts geändert. Im Gegenteil: In diesem Sommer wurden so wenige Lizenzen vergeben, dass eine Finanzierungslücke von etwa 50 Millionen Euro entstand und das gesamte System wieder einmal in Gefahr geriet. Der Gesetzgeber musste einschreiten und mit der siebten Novelle der Verpackungsverordnung die größten Möglichkeiten, Mengen zu reduzieren, verbieten.
Das waren die sogenannte Eigenrücknahme und die Branchenlösungen. Für die Eigenrücknahme stehen die großen Müllbehälter am Ausgang der Supermärkte, über die aber viel größere Müllmengen abgerechnet wurden, als tatsächlich eingesammelt werden. Branchenlösungen sind beispielsweise die direkte Rücknahme von Verpackungen in Kinos oder der Gastronomie, für die dann keine Lizenzen mehr gekauft werden müssen. Die Eigenrücknahme wurde ganz abgeschafft und die Branchenlösungen wurden stark eingeschränkt.
Da aber die Marktkräfte nach wie vor die Systeme dazu treiben, Mengen zu reduzieren, ist Heinz Georg Baum auch für die Zukunft skeptisch.
"Ich glaube aber und da muss man abwarten, was die Wirklichkeit bringt, ich glaube die siebte Novelle wird das Problem nicht vollständig lösen, weil die Dualen Systeme untereinander kreativ sind beim Erfinden von Begründungen für Mengenabschläge jedweder Art. Weil das ist das große Wettbewerbsinstrument: Ich gehe zu einem hin, sage komm, du hast 300.000 Tonnen in Verkehrsbringungsmenge, wir rechnen die Menge kreativ runter auf 200000 und nur die 200.000 musst du bezahlen. Wenn später von den 300.000 280.000 Tonnen im System landen ist quasi eine Menge von 80.000 im System, die keine finanzielle Deckung hat."
Kommunen wollen Zuständigkeit zurück
Sollte das System tatsächlich kollabieren, dann müssten die Kommunen dafür sorgen, dass der Müll nicht in den Straßen liegen bleibt. Daher drängen sie darauf, wieder selbst für den Verpackungsmüll zuständig zu sein. Das bedeutet nicht, dass jede Kommune mit einem Eigenbetrieb die Mülltonnen leeren würde. Aber sie wollen entscheiden, ob sie die Leistung ausschreiben und an einen privaten Betreiber vergeben oder ob sie es selbst machen.
Das würde das Aus für die Dualen Systeme bedeuten. In Berlin ringen derzeit die Lobbygruppen und die Parteien um eine Lösung in die eine oder andere Richtung. Einzig die Grünen haben sich auf die Kommunen festgelegt – die große Koalition ist noch unentschieden. Dies ist vor allem der Grund dafür, warum es immer noch kein Wertstoffgesetz gibt. Auf die Frage, ob wir auch in Zukunft noch Duale Systeme haben werden, antwortet Florian Pronold aus dem Umweltministerium eher ausweichend.
"Ich gehe erstmal davon aus, dass das so ist."
Sicherlich haben die Kommunen derzeit gute Argumente gegen die Dualen Systeme. Dennoch sträubt man sich im Ministerium dagegen, die Verantwortung für den Verpackungsmüll wieder ganz in ihre Hände zu legen. Denn auch auf kommunaler Ebene läuft nicht alles rund in Sachen Müll. Da sind zum einen die vielen Müllverbrennungsanlagen, die sich fast alle in kommunaler Hand befinden. Und die Städte und Gemeinden haben ein großes Interesse daran, sie möglichst gut auszulasten, was bedeutet, dass Müll eher verbrannt als recycelt wird. Doch gerade das Gegenteil soll ja der Fall sein. Mehr Stoffe sollen verwertet werden, wie Christiane Schnepel vom Umweltbundesamt betont.
"Wenn das eintritt, wird der Restabfall sich minimieren. Und das ist Aufgabe der Kommunen, sorgfältig damit umzugehen. Denn sie haben ja immer einen gewissen Mindestbeitrag an fixen Kosten. Wenn aber der Restabfall sich minimiert, was ist dann mit den Abfallgebühren. Also es gab mal eine Online-Umfrage in Bezug auf die Abfall Müll-Gebühren der Restmülltonne. Und da unterschieden sich die Abfallgebühren um mehrere hundert Prozent. Und ich frage mich, wie das passieren kann und wie wird es zukünftig sein? Also ich hoffe, dass wir nicht nur über die Wertstofftonne und die Transparenz in diesem Bereich reden sondern auch über die Transparenz in der Abfallbehandlung im Restmüllbereich und auch der Gebührenerhebung."
Von nahezu allen Akteuren auf dem Müllmarkt wird beklagt, dass es keinen effektiven Vollzug gibt. Da es sich in Sachen Abfallwirtschaft um einen vom Staat selbst geschaffenen Markt handelt, wäre es gerade hier notwendig, dass staatliche Stellen überwachen, wo, wer, wie viel Müll produziert, welche Wege er einschlägt und wo er endet. Die derzeit Zuständigen, so Professor Baum, sind dazu aber nicht in der Lage.
"Das sind die Landesumweltministerien. Die haben aber kapituliert. Das geben sie auch offen zu. Eine Vollzugskontrolle ist nicht leistbar unter diesen Bedingungen. Das heißt, der für die Kontrolle zuständig ist, sieht sich außer Stande diese letztendlich durchzuführen."
Effektiver Überblick
Eine sogenannte Zentrale Stelle soll daher geschaffen werden, darauf hat man sich bereits geeinigt. Die Länder sollen darin zwar wie bisher eingebunden sein, da es sich aber um eine Institution vergleichbar mit der Bundesnetzagentur handelt, müsste sie rechtlich dem Bund unterstehen. Ähnlich der Netzagentur muss die Zentrale Stelle den Markt auch wirklich effektiv überblicken und überwachen und gegebenenfalls Strafen verhängen können. Was sie nicht sein soll, das steht für Florian Pronold aus dem Umweltministerium bereits fest.
"Es geht nicht darum, eine Überwachungspolizei zu installieren, die jedem in die Mülltonne schaut, das ist ja Humbug. Wäre übrigens mit unserem Grundgesetz auch nicht vereinbar."
Das wichtigste aus Sicht des Umweltministeriums ist, dass die Zentrale Stelle genaue Kenntnis über die Müllströme hat. Jeder, der sich in diesem Markt tummelt, muss sich registrieren lassen und seine Daten an die Zentrale Stelle weiterleiten. Dadurch wird diese staatliche Institution erst in die Lage versetzt, zu erkennen, welche Wege der Müll – auch die verschiedenen Müllarten – nehmen, wer zu welcher Zeit im Besitz des Mülls ist, wohin er dann wandert und ob er recycelt, verbrannt oder ins Ausland weiter verkauft wird. Das ist bisher so nicht möglich. Zudem sollen die kommunalen und privaten Akteure verpflichtet werden, zusammenzuarbeiten, so Florian Pronold.
"Und da kann es zu einfach besseren Kooperationen kommen, wenn man einen Zwang schafft zu kooperieren, wenn die Leute sich den Tisch setzen müssen, um miteinander zu reden, ist das immer besser, als wenn jeder versucht außerhalb des Sitzungssaales seinen eigenen Vorteil zu finden."
Zusammenarbeit ist auch an anderer Stelle gefragt, um das große Ziel zu erreichen, so viel wie möglich Müll hochwertig zu recyceln und so Rohstoffe, Energie und CO2 zu sparen.
Im Süden von Berlin hat sich seit gut 25 Jahren die Firma PAV Recyclate niedergelassen. Auf dem Hof hat gerade eben ein LKW eine Ladung alter PET-Flaschen abgeladen, die nun in der Firma aufbereitet werden.
"Der Kollege bringt im Prinzip die PET-Flaschen hier auf das Aufgabeband, da ist ein Metalldetektor, da muss er zum Teil händisch aussortieren, weil die liebe Bevölkerung ab und zu auch Fehlwürfe macht und dann ist eben Metall dabei oder sehr farbige Anteile, die würden die Qualität stören, also werden die aussortiert. Jetzt wird´s laut. Da kann man mal durchgucken, hier unten ist die Schredderanlage drin, die mahlt das Material klein und sortiert es in schwerere und leichtere Bestandteile, die leichteren Bestandteile, also zum Beispiel Etiketten werden ausgeblasen und direkt abgefüllt und die schwereren Teile, also PET-Teile, die wandern rüber in einer Rohrleitung in die Waschanlage."
Qualität muss stimmen
Fleece-Jacken werden dann beispielsweise aus den recycelten Getränkeflaschen hergestellt. Geschäftsführer Frank Giesel führt durch die Hallen, in denen verschiedene Rohr- und Schlauchleitungen verbaut sind. Sie führen das alte Plastik in die Schredder-, Sortier- und Waschstationen. Überall stehen große Big-Packs mit sortenreinen, sauberen Plastikflakes, die darauf warten, wieder verarbeitet zu werden. Damit die Qualität stimmt, müssen sich die Techniker etwas einfallen lassen.
"Na technisch optimieren wir permanent die Waschlösung, weil sich über die letzten zehn Jahre mehrfach die Art des Etiketts und die Art und Weise des Klebers geändert hat. Wir müssen uns immer ständig drauf einstellen, dass wir auch die Kleberreste runter kriegen und das ist eines der Hauptprobleme, wo sich andere Wettbewerber von uns natürlich auch dann den Hals brechen, ab und zu. Und das ist natürlich ein bisschen unser Knowhow, dass wir in Vorversuchen rauskriegen, was los ist. … schon alle möglichen anderen Kunststoffe, da kann man sich kaum aktuell drauf einstellen. Da muss man also solche schleichenden Prozesse mit in Kauf nehmen, wo das auch ´ne Weile dauert, bis man´s A merkt und wenn man B dann reagieren kann. Denn erzählen tut uns das keiner."
Geschäftsführer Giesel beklagt, dass die Produzenten auf das Ende der Wertstoffkette keine Rücksicht nehmen, sie ändern die eingesetzten Klebe-und Kunststoffe allein nach ihren Kriterien.
"Also in meinem Studium, also das Studium ist schon ungefähr, oh, da muss ich kurz drüber nachdenken, 30 oder noch länger Jahre her. Habe ich mal, ich habe ja Chemie studiert, wir haben eigentlich von recyclinggerechtem Konstruktion und Entwicklung gesprochen und zwar zu Ost-Zeiten schon, ich habe in Merseburg studiert, an der Technischen Hochschule. Und ich musste feststellen, dass also die Hersteller zunehmend weniger Rücksicht nehmen auf die Recyclingbelange. Es ist also schlichtweg uninteressant, wie der Recycler später die Stoffe wieder auseinander kriegt. Also es sind eigentlich völlig gegenläufige Tendenzen. Insbesondere, wenn man sich die Produktionsabfälle der Automobilindustrie anguckt, mit den Verbundwerkstoffen, wenn Sie sich so eine Autotür, ich will keine Marke nennen, die kriegen Sie eigentlich nie wieder auseinander, die können Sie nur schreddern und verbrennen."
Sicherheitsaspekte, das Gewicht und vor allem ein ansprechendes Design verhindern, dass die Autotüren und unzählige andere Produkte so gebaut werden, dass Recycler wie Frank Giesel die einzelnen Materialen wieder auseinander bekommen. Und nur dann können sie auch recycelt werden.
EU hat Richtung vorgegeben
Ähnliche Probleme gibt es auch bei elektronischen Geräten, wie Handys oder Computer, in denen besonders wertvolle Rohstoffe verbaut sind. Zum einen will man künftig mehr alte Geräte einsammeln und verwerten, zum anderen müssen sie so gebaut sein, dass man die Materialen wieder voneinander trennen kann. Die Europäische Union hat die Richtung vorgegeben, sagt Christiane Schnepel vom Umweltbundesamt.
"Es gibt derzeit eine neue Richtlinie, die ist in nationales Recht umzusetzen. Das hat Deutschland noch nicht geschafft, obwohl die Frist verstrichen ist. Also ein Ziel ist, die Menge erfasster Elektro-Alt-Geräte zu steigern und Regeln zu finden, dass wir mehr Ressourcenschonung erreichen. Denn über die Miniaturisierung der Produkte, Handy, Kamera, Mikrofon und was nicht alles, alles wird kleiner. Trotzdem sind da immer noch wichtige und ressourcenrelevante Metalle enthalten. Wie schaffen wir das, was so homöopathisch in der Umwelt über die Produkte verteilt wird, wieder zurück zu holen und dann wieder zurückzugewinnen."
Um die Import-Abhängigkeit zu verringern will auch die Bundesregierung vermehrt auf Recycling setzen, auch weil die Gewinnung von seltenen Erden mit gravierenden Umweltbelastungen verbunden ist. Doch viele Deutsche heben ihre alten Handys auf, anstatt sie in die Verwertung zu geben. Um das zu ändern will das Umweltbundesamt mit allen Beteiligten zusammenarbeiten.
"Im Bereich Elektrogeräte findet das derzeit schon statt, da sind Kommunen und Hersteller schon zusammen und der Handel steigt vielleicht auch noch ein, ja, wenn das alles zusammenwirkt, dann kann die Sache auch einheitlich werden. Was wir wollen, ist ja eine einheitliche Kommunikation und nicht jeder macht sein Süppchen. Was natürlich im Abfallbereich dadurch, dass es immer sehr regional oft verschieden ist, schon auch eine Herausforderung dann darstellt, das einheitlich zu gestalten."
Mit einem einheitlichen Rücknahmesystem für Elektro-Alt-Geräte will man es den Verbrauchern leichter machen. Und vor allem will man Vertrauen schaffen. Denn an Vertrauen mangelt es derzeit. Berichte über den Zusammenbruch der Dualen Systeme, drohendes Chaos, schlechte Recyclingquoten, all das fördert nicht die Bereitschaft, sauber und konsequent den Müll zu trennen. Das aber ist nötig, wenn man mehr Material besser recyceln will. Und Bilder aus Afrika, wo europäische Elektrogeräte – die als gebrauchte Altgeräte deklariert und so exportiert wurden – unter schlimmsten Umwelt- und Gesundheitsbedingungen auseinandergenommen werden, tragen sicherlich nicht dazu bei, dass mehr alte Handys in die Verwertung gelangen. Die von Deutschland noch nicht umgesetzte Richtlinie, würde diese Praktiken verhindern, so Staatssekretär Florian Pronold.
"Und wenn wir solche Missstände abstellen, dann steigt auch wieder das Vertrauen. So lange solche Dinge vorkommen, ist es doch ganz Selbstverständlich, dass Bürgerinnen und Bürger auch eine Sorge haben, was passiert denn da eigentlich. Und ich kann schon sagen, dass wir mit unserem Gesamtsystem der Abfallwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland mit an der Spitze Europas und der Welt liegen. Und das darf man bei den Einzelfällen, die es da gibt, auch nicht schlechter reden, als notwendig."
Aber es wäre deutlich mehr möglich. Doch die politischen Rahmenbedingungen hinken seit Jahren der Entwicklung hinterher. Die einheitliche Wertstofftonne und höhere Recyclingquoten sind die bekanntesten Beispiele aber bei weitem nicht alle Baustellen in Sachen Müll. Die Überkapazitäten bei der Müllverbrennung müssten angegangen werden, die Vor- und Nachbereitung des zu verbrennenden Mülls müsste geregelt werden und auch für den gewerblichen Müll müssten endlich verbindliche und umfassende Regelungen gefunden werden. Nachdem viele Jahre lang nach Kompromissen gesucht wurde und nichts passiert ist, ist es an der Zeit, das die schwarz-roten Koalition, klare Entscheidungen trifft. Damit es nachher nicht heißt: alles Müll.