Urbanes Leben

Vorzeigeviertel sind langweilig

"Hier entstehen exklusive Eigentumswohnungen" steht auf einem Werbebanner im Bezirk Mitte in Berlin.
Ein Werbebanner für Eigentumswohnungen im Bezirk Mitte in Berlin © picture alliance / dpa / Foto: Wolfram Steinberg
Von Simone Schmollack |
Städte verändern sich. Kaufhäuser schließen, Biomärkte vermehren sich. Radfahrer kämpfen mit Autos um den Straßenraum. Wohnhäuser werden saniert, Bürotürme neu gebaut. Quartiere verändern ihr Gesicht und tauschen die Bewohner aus. Hier steigen die Mieten, dort schaukeln sich soziale Probleme auf. Wien zeigt, dass es auch anders geht.
Kaum noch Hundehaufen, dafür jede Menge Glasscherben, Papier, Sperrmüll. Berlin ist dreckig. Den Bewohnern fällt das gar nicht mehr auf. Sie kennen ihre Stadt nicht anders.
An vielen Ecken ändert sich das gerade, vor allem in den Gentrifizierungsvierteln, also dort, wo Gutbetuchte einziehen, nachdem Ärmere ausgezogen sind. Und dort wird durch die Sanierung der Bausubstanz auch für Ordnung und Sauberkeit gesorgt. Das mag mancher spießig finden, für viele ist es Lebensqualität.
Der Wechsel der Bewohner bringt auch andere angenehme Dinge mit sich: Kneipen und Restaurants, Geschäfte und Kultureinrichtungen, junge Familien mit Kindern. Kurz: mehr Leben und Urbanität.
Trotzdem hat Gentrifizierung keinen guten Ruf. Weil durch sie die Mieten so rasant steigen, dass sich Menschen mit wenig Geld die Wohnungen nicht mehr leisten können. Ziehen sie weg, verliert das Quartier seine Vielfalt. Es wird zum Vorzeigekiez - wohlhabend, aber homogen. Früher wohnte der Zahnarzt neben dem Dachdecker, und die Lehrerin neben der Köchin. Heute sind die Akademiker unter sich.
Schöne Stadtteile mit sozialer Mischung gesucht
Das ist nicht schön, das ist langweilig, und das ist vor allem unsozial. Aber vielleicht gibt es ja in Kürze eine neue Entwicklung, keine, die alles rückgängig machen, aber ein wenig korrigieren würde. Denn diejenigen, die vor über zwanzig Jahren die verrotteten Kieze erobert und zu Immobilien-Eldorados gemacht haben, werden älter. Ihre Kinder sind mittlerweile erwachsen und gründen anderswo eigene Familien.
Was machen die verlassenen Eltern nun mit ihren großen Wohnungen? Ziehen sie weg? Oder bleiben sie? Bauen sie Szenekneipen zu seniorengerechten Einrichtungen um? Und wer kommt hinzu? Die sogenannte Generation Y vielleicht, also jene jungen Menschen, denen Geld nicht so wichtig ist, und die einen entspannten Alltag mit der Familie dem stressigen Job vorziehen?
Auch das wäre Gentrifizierung - und nicht einmal ein schlechter Wechsel der Kiezbewohner. Wäre! Denn die deutschen Stadtentwickler haben leider keine Antwort auf die Frage, wie man einen Stadtteil schöner gestalten und die soziale Mischung erhalten kann?
Wien fördert Mieten und Sozialräume
Aber es gibt eine Lösung, gefunden hat sie Wien. Die österreichische Hauptstadt fördert Mieten und Sozialräume. In den sogenannten Gemeindewohnungen leben Geringverdienende Tür an Tür mit bessergestellten Nachbarn. Im berühmten Hundertwasser-Haus kosten 70 Quadratmeter samt Garage rund 550 Euro.
Das "Wiener Prinzip" folgt einer einfachen Logik: Wohnen gehört zur Grundversorgung eines jeden Menschen wie Strom und Wasser. In Berlin wäre das unvorstellbar. Statt preisgünstigen Wohnraum zu fördern, hat die Stadt ehemalige Sozialwohnungen verkauft, weil sie pleite war und ist. Deswegen kann sie die Häuser auch nicht zurückkaufen.
Nun versucht es der Senat mit einem bekannten Instrument. Er will von Eigentümern Belegungsrechte für größere Wohnungen in der Innenstadt erwerben, Wohnungen, die mietpreisgebunden sind und zehn Jahre lang nur noch an einkommensschwache Familien vermietet werden dürfen. Das klingt machbar.
Vielleicht profitieren ja davon klassische Arbeiterbezirke, wo die Welle der Gentrifizierung nach und nach hinschwappt, sich aber die alte Sozialstruktur aus Kleinverdienern und Studierenden noch nicht aufgelöst hat.
Vor grauen Zeiten, als die Stadtsanierung begann, gab es Treffpunkte, an denen Planer mit Leuten aus der Nachbarschaft erörterten, was aus ihrem Viertel werden soll. Solange neue Ideen auf sich warten lassen, helfen die alten weiter.
Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Redakteurin bei der "Tageszeitung" in Berlin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin und Smolensk.
Simone Schmollack
Simone Schmollack© Dietl