Die Reportage "Sommer der Patrioten - Urlaub auf der Krim" wurde gerade als beste Reisereportage 2014 ausgezeichnet. Aus diesem Grund wiederholen wir die Sendung von Thomas Franke, der für Deutschlandradio Kultur im Sommer 2014 auf die Krim reiste, um zu erkunden, wie sich der Tourismus aus Russland nach der Annektion der Halbinsel präsentiert.
Sommer der Patrioten
Urlaub auf der Krim - das war für viele Russen immer ein Traum. Nach der Annexion der Insel wurde es zudem patriotische Pflicht, schließlich sollte der Tourismus nicht gefährdet werden. Wir wiederholen die "Beste Reisereportage 2014".
Der Moskauer Inlandsflughafen Domodedovo. Es ist sechs Uhr Morgens. Vor allem Familien und junge Paare warten auf das Boarding nach Simferopol, der Hauptstadt der Krim.
Wenn man hier auf diese Anzeige guckt, dann sieht man, dass nahezu alle halbe Stunde ein Flugzeug nach Simferopol geht.
Dreieinhalb Stunden dauert der Flug von Moskau auf die Krim. Eine gute Stunde länger als gewöhnlich. Die Maschine umfliegt das Konfliktgebiet in der Ostukraine. Der Zug fährt nicht, wegen des Krieges. Knapp 35 Stunden dauert die Zugfahrt normalerweise. Auf dem Landweg kommt man derzeit nur mit dem Auto voran, allerdings beträgt die Wartezeit an der Fähre nach Kertsch 22 Stunden. Viele Russen verbringen ihren Sommerurlaub auf der Krim. Eine patriotische Pflicht sozusagen.
Ansage: "Willkommen in Simferopol"
Der Flugplatz von Simferopol ist sehr klein. Draußen stehen ein paar Hubschrauber. Ansonsten ist die Landschaft graubraun. Steppig. Gleißende Sonne, 35 Grad im Schatten.
Viele Leute. Dann wollen wir mal zusehen, wie wir hier wegkommen. Das könnte knapp werden.
Vor dem Flughafen Männer in grauen und braunen Hemden. Einer nach dem anderen kommt auf mich zu. Der erste möchte 2000 Rubel, knapp 50 Euro, für die Fahrt in die Hauptstadt Simferopol. Dann sind es nur noch 1.500. Am Ende zahle ich 1000 Rubel, etwa 25 Euro für die Fahrt bis nach Jalta, ins touristische Zentrum der Krim.
"1000 Rubel. Nu, dawaitje."
Die Sitze sind schon recht weich, am Rückspiegel baumelt ein Kreuz, auf dem Aschenbecher klebt eine Ikone. Die wenigen Haare des Fahrers sind grau, er trägt Shorts und Sandalen.
Verbrannte Rasenflächen und überall Bauzäune
Taxifahrer: "Zu Sowjetzeiten war dieses ganze Territorium voller Leute. Überall lagen Leute im Gras und haben auf Trolleybusse und Autobusse gewartet, um an die Südküste zu fahren."
Er zeigt auf verbrannte Rasenflächen. Überall Bauzäune.
Taxifahrer: "Ich habe zwei Töchter, die leben in Kiew. Eine studiert dort, die andere lebt mit den Enkelkindern. Sie hat dorthin geheiratet. Und wir sind hier auf der Krim. Wie sollen wir diese Verbindung aufrecht halten?"
Die meisten Bewohner der Krim haben sich russische Pässe geholt. Auch der Fahrer. Das bringt Vorteile, zum Beispiel eine kostenlose Gesundheitsversorgung.
Ansonsten kämpfen die Krimbewohner mit ganz praktischen Problemen, eines davon: die Geldversorgung. Kreditkarten westlicher Banken funktionieren gar nicht.
An der Kreuzung ein McDonald's Restaurant. Die Tür ist zu, der Laden leer. Geschlossen seit der Annexion. Viele internationale Firmen können oder wollen derzeit nicht auf der Krim arbeiten.
Taxifahrer: "Ich hoffe nur eins, dass sich nun als Teil Russlands, irgendwas zum Besseren ändert. Dass es nicht so bleibt, wie es in der Ukraine war. Obwohl man Korruption nicht besiegen kann.
Die Leute, die hier waren und in der Ukraine alles unter den Nagel gerissen haben, die sind auf der Krim geblieben und sie werden das auch in Russland tun. Vielleicht weniger ...
Viele Bewohner der Krim haben sich vor der Annexion von der Regierung in Kiew vernachlässigt gefühlt. Dass es allen so ging, auch im Westen der Ukraine, spielt keine Rolle. Russland wusste die Unzufriedenheit zu nutzen.
Nach gut einer Stunde bin ich in Jalta.
Der typische Urlaubstag auf der Krim beginnt bei Sonnenaufgang mit einem Bad im Meer
Das Hotel ist nicht annähernd ausgebucht.
Die Frau an der Rezeption trägt ein weiß-blau-rotes Halstuch. Sie nimmt den Pass, überprüft die Registrierung in Moskau, die Einreisekarte vom Grenzübertritt, die Polizeiliche Anmeldung in Moskau, das Visum, macht Kopien. Sie muss alles an die Behörden melden.
Rezeptionistin: "Das machen wir seit Anfang Juli. Früher gab es das nicht."
Die Registrierung ist ein Überbleibsel der Sowjetunion. In der Ukraine ist sie abgeschafft, in Russland üblich. Jetzt bin ich ganz offiziell Feriengast auf der Krim.
Der typische Urlaubstag auf der Krim beginnt bei Sonnenaufgang mit einem Bad im Meer.
Der Strand ist total zugemüllt. 'n Haufen Flaschen, Bier, Cola, paar Wodkaflaschen, Tüten, abgegessene Maiskolben, Weinflaschen, Zigarettenpackungen. Tauben laufen auf dem Steinstrand rum. 'n paar Leute schlafen ihren Rausch aus ...
Er ist hager, alt, sehnig. Seine Badehose ist blau, seine wenigen Haare grau. Er sitzt im Schneidersitz auf den grauen Steinen und streckt die Arme der aufgehenden Sonne entgegen, schließt die Augen, öffnet den Mund weit und zeigt der Sonne die Zunge.
Badender: "Das ist ein einzigartiger Ort. Die Ukraine hat der Krim natürlich nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Das war schlecht. Ich weiß aber nicht, wie das jetzt in Russland wird. Ich komme vom ukrainischen Festland. Und das ist meine Enkelin."
Eine junge Frau kommt aus dem Wasser. Ihr Bikini ist rot, ihre Haare blond. Sie wringt sie aus. Eva ist 19 Jahre alt, studiert Theater- und Filmregie.
Enkelin: "Das Wasser ist toll, nicht zu kalt, nicht zu warm. Ideal."
Ihr Großvater heißt Vladimir, ist 73 Jahre alt und war Volleyballtrainer.
"Wir sind drei, vier Tage hier. Freunde von uns haben hier eine Wohnung, und wir sind zu Besuch. Wir legen uns hier jetzt ein bisschen in die Sonne und gehen dann nach Hause."
Enkelin: "Es ist gesünder, als mittags um zwölf in der Sonne zu liegen."
Großvater: "Die Leute sind verschreckt in diesem Jahr. Aber Sie sehen ja, hier ist alles okay. Viele Leute haben Angst, weil im Südosten der Ukraine Krieg ist."
Am Strand ist jetzt eine Frau mit großem Müllbeutel und Handschuhen. Sie sammelt Flaschen und Tüten ein. Tauben fliegen auf. Ein Mann setzt noch einmal die Wodkaflasche an, die junge Frau an seiner Seite schläft ein. Zwei Schnapsleichen werden wach. Der Tag im Ferienparadies kann beginnen.
Ein Wellensittich wechselt den Besitzer - wie die Krim
Das Büro der Hotelmanagerin. Der grün-gelbe Wellensittich schreit sein Spiegelbild an. Seit einem Jahr schon teilt sich Vera ihr Büro mit dem Vogel. Ihr Schreibtisch ist blitzblank. Hinter ihr hängt eine große bunte Diplomurkunde. Gäste aus der Ukraine haben den Vogel dagelassen, wollten ihn später abholen. Daraus wird wohl nichts mehr. Nicht nur die Krim hat den Besitzer gewechselt, auch der Sittich.
Sie haben nur 14 Gäste, sagt Managerin Vera. Normalerweise sind es um diese Jahreszeit 200. Drei von ihnen stehen in ihrem Büro.
Er hätte zu laut gesungen, beschweren sich die beiden Frauen, es sei doch Samstag, erwidert er, kommen Sie doch das nächste Mal einfach rauf.
Die Managerin Vera steht auf, um das leere Hotel zu zeigen. Ihre Absätze sind hoch, glänzen golden.
"Ich zeige erst die Standardzimmer, dann das Lux."
Acht Stockwerke hat der graue Betonklotz aus den 70er-Jahren.
"Die Leute haben Angst vor der Anreise. … Das ist das Standardzimmer."
Die Tapete ist beige, die Möbel braun. Furnier. Drei Betten, ein einzelnes für das Kind, ein Doppelbett. Bretter umfassen die Matratzen: am Kopfende, am Fußende und auch in der Mitte des Doppelbettes trennt ein Brett die Schlafenden.
"Damit man im nächsten Jahr kein Vierbettzimmer braucht."
Das Zimmer kostet 1700 Rubel am Tag, etwa 35 Euro. Verpflegung inklusive. Es seien die letzten Jahre viele Bergarbeiter aus der Ostukraine da gewesen, erzählt Vera. Von dort, wo jetzt Krieg ist.
"Wir hatten Verträge mit ukrainischen Betrieben. Sie haben uns ihre Mitarbeiter zur Erholung geschickt. Das ist vorbei. Was soll’s. Jetzt haben wir weder russische Gäste noch ukrainische. Alle haben Angst. Ich glaube aber, dass wir das überleben. Wir versuchen es. Es ist natürlich schwer in diesem Jahr. Und zwar nicht nur bei uns, das ist in allen Sanatorien so. Die meisten sind nur 50 Prozent belegt oder 30, einige sogar nur bei 10 Prozent. Wir haben auch Personal entlassen. Etwa 15 Prozent."
Die Luxuszimmer sind einfach eingerichtet, aber modern: Doppelbetten ohne Trennwand, mit Wasserkocher und Schlafsofa.
"Immerhin machen wir noch keinen Verlust. Wir liegen bei Null. Wir machen keine Schulden. Das ist die Hauptsache."
Die Krim lebt vom Tourismus. Zwar hat Russland den Staatsbetrieben nahegelegt, ihren Mitarbeitern den Urlaub auf der Krim zu empfehlen, genützt hat das aber nur bedingt.
Es wurde auch schnell eine Billigfluglinie gegründet, die möglichst vielen die Reise auf die Krim erleichtern sollte. Doch dann verhängten die EU weitere Sanktionen gegen Russland und die Fluglinie musste den Betrieb wieder einstellen. Die europäischen Firmen dürfen die Flugzeuge nicht mehr warten und versichern.
Aufwendige Gerichte für die wenigen Gäste
Der Speisesaal.
Die Wand ist braun getäfelt. Darin eine Klappe. Die Essensausgabe. Doch die ist zu. Menü steht auf einer weißblauen Tafel, doch die Tafel ist leer.
Nadeschda Petrovna kommt aus der Küche, wischt sich die Hände an einem Handtuch trocken. Sie trägt einen weißen Kittel, ihr Haar hat sie zu einer Art Vogelnest aufgetürmt.
"Zum Mittag gibt es heute ukrainischen Borschtsch. Dann Geflügelfrikadelle mit Pilzen in Sahnesoße, gebratenen Blumenkohl und Zucchini mit Mayonnaise und Knoblauch als Garnitur. Tomaten und Gurken. Was zu trinken und Obst."
Es habe mehr Spaß gemacht für viele Urlauber zu kochen, sagt die Küchenchefin, damals, als es noch einfach war auf die Krim zu kommen, und gleichzeitig schwer, einen freien Platz zu finden.
"Zurzeit bauen wir kein Buffet auf. Jetzt gibt es ein festes Menü. Wir bemühen uns, dass wir viel Gemüse haben, Fleisch- und Fischgerichte. Wir fragen die Leute auch mal, was sie essen möchten. Wir haben Gäste aus Moskau. Die freuen sich, dass sie jeden Tag etwa anderes bekommen.
Wir versuchen, Gerichte zu machen, die den Frauen zu Hause zu aufwendig sind."
Die beiden Frauen, die sich über den Lärm beschwert haben, kommen. Sie heißen Elmira und Elmira. Die eine ist groß und schlank, die andere klein und untersetzt. Die eine hat lange Haare, die andere kurze. Blond sind beide, aber gefärbt.
Sie haben einen festen Tisch, und auf dem wartet schon die erste Vorspeise.
Die große Elmira: "Probieren Sie jetzt. Guten Appetit."
Die kleine Elmira: "Ich hab mich nicht gewogen. Aber nach meinen Hosen zu urteilen, bin ich glaube ich, nicht dicker geworden. Wir bewegen uns eben viel. Das Meer, das Baden, meine Hosen rutschen sogar. Dabei versuche ich, alles zu essen. … Das sind Gurken, Surimistäbchen, Mais, Zwiebeln, Eier, Mayonnaise."
Die Große: "Den gibt es normalerweise nur an Feiertagen."
Die Kleine: "Wer traditionell feiert, macht so einen Salat."
Die Große: "Denn es dauert lange, ihn zu machen."
Die Kleine: "Wenn die Krim nicht uns gehörte, dann hätten wir hundert Mal überlegt, ob wir fahren sollen oder nicht. Zuallererst hatten wir ja Reisepässe beantragt, weil wir ins Ausland wollten, nach Europa, irgendwo an den Strand. Als dann aber die Krim unsere wurde, haben wir beschlossen, auf die Krim zu fahren."
Beide sind Ärztinnen, arbeiten an der Universität und verdienen wenig. 40.000 Rubel knapsen sie für den Jahresurlaub ab. Etwa 1000 Euro. Beide sind solo. Die lange Elmira wohnt mit ihrer Mutter in einer Zweizimmerwohnung am Rand Moskaus.
Sewastopol - geprägt von der Schwarzmeerflotte
Die Große: "Meine Mutter sieht fern, während ich bei der Arbeit bin. Da zeigen sie den Südosten. Und der ist ja um die Ecke. Wir haben dann aber die Berichte der Leute gelesen, die vor uns auf die Krim gefahren sind und dass alles ruhig ist. Und dann haben wir beschlossen zu fahren."
Zum Nachtisch bringt die Küchenchefin frische Pfirsiche.
Die beiden gehen aufs Zimmer für ein kleines Nickerchen kurze Mittagsruhe. Später wollen sie an den Strand. Bis fünf, denn um sechs gibt es Abendbrot.
Urlaub auf der Krim geht nicht ohne eine Tagestour nach Sevastopol. Vom Meer weht ein warmer Wind. Menschen flanieren im Park an der Uferpromenade. Buden, Militärpolizei mit großen Militärmützen. Vor der Küste liegen große graue Kriegsschiffe - die berühmte russische Schwarzmeerflotte.
Einen Ausflug nach Sewastopol kann nur genießen, wer Militär toll findet. Die ganze Stadt ist geprägt von der Schwarzmeerflotte, und mein Eindruck ist, dass das ganze noch einmal schlimmer geworden ist, seit Russland die Krim annektiert hat und Sevastopol wieder zu einem wichtigeren Stützpunkt ausbauen will.
Wimpel und Fahnen flattern. Von Plakaten grüßen Offiziere. Soldaten in Uniform flanieren. Das beste Hotel Sewastopols ist mit großen orange-braun-gestreiften Georgsbändern geschmückt. Symbole des neuen russischen Großmachtstrebens. Auf dem Platz vor dem Hafen steht eine Bühne. Russische Flaggen schmücken die Stahlgestänge. Junge Männer und alte Frauen werben für Hafenrundfahrten. Auf der anderen Straßenseite brennt eine ewige Flamme für die Helden des Großen Vaterländischen Krieges, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird.
Andrej und sein Kollege haben Tauben auf den Händen, saubere Vögel. Man kann sie selbst auf die Hand nehmen und sich mit ihnen fotografieren lassen. Sie leben zwar von Touristen, mögen sie aber nicht.
Andrej: "Ich denke, die Krim muss ganz Russland verteidigen, und geschlossen werden, da stören Touristen."
Die wollen in ihrer kleinen abgeschlossenen Welt leben, sagt Andrej.
Es ist Wahlkampf: Auf Plakaten der Kremlpartei "Einiges Russland" grüßen Marineoffiziere und beschwören den Ruhm der russischen Flotte.
Busse, geschmückt mit der russischen Trikolore, dem Doppelköpfigen Adler und dem Schriftzug: "Sewastopol Russisch", bringen die Leute in die Vororte.
Iwan hat ein rotes Taxi. "English Excursions" steht darauf. Er führt Touristen durch Sewastopol.
Iwan: "Früher haben im Sommer drei bis vier Kreuzfahrtschiffe jede Woche angelegt. Das waren Mittelmeerkreuzfahrten mit Abstechern ins Schwarze Meer: Odessa, Jalta, Sevastopol. Die Leute kamen aus der ganzen Welt nach Sevastopol."
An Ständen gibt es T-Shirts mit den dazugehörigen Motiven: Vermummte Kämpfer mit Sturmgewehren und dem Schriftzug "höfliche Leute". So nannte Putin die Soldaten, die plötzlich auf der Krim aufgetaucht sind und die Halbinsel der Ukraine entrissen haben. Und immer wieder T-Shirts mit der Aufschrift "Krim nasch", "Die Krim gehört uns". Und natürlich Putin T-Shirts, mal mit Sonnenbrille, mal in Uniform.
Urlaub auf der Krim ist in diesem Jahr eine hochpolitische Angelegenheit. Nicht nur, weil überall russische Fahnen wehen. Viele Leute tragen die militaristischen T-Shirts, nachts rufen Betrunkene im Jalta: Rossija, Rossija.
Die Flaniermeile in Jalta. An Marktständen gibt es blassgelbe Honigmelonen, Zeichner karikieren Touristen. Hinter einem Rollwagen steht ein Mann in Hawaiihemd, Shorts und Turnschuhen. Er verkauft Ausflüge.
Verkäufer: "Wir haben noch Fahrten nach Bachtschyssaraj. Das ist die Hauptstadt der Krimtataren. Da gibt es den Khanspalast, Moscheen und Minarette. Das ist ein Tagesausflug von 9 Uhr in der Früh bis 6 Uhr abends."
Am nächsten Vormittag bin ich in Bachtschyssaraj. Zwei Minarette überragen die Mauern des Palastes. Arkadengänge, Treppen führen die weiß getünchten Mauern hoch unters rot gedeckte Ziegeldach. Geschwungene Fensterbögen. Davor Verkaufsstände.
Zu kaufen gibt's den üblichen Touristenkitsch. Kräutermischungen, komische Tellerchen, auf denen Krim steht. Es gibt Seife zu kaufen. Glänzende Steine an Ketten.
Zinaida: "Die Gewürze hier werden in einem lokalen Betrieb hergestellt. Das ist für Lagman, für Chartscho, für Ucha, und die hier für Plow, für Hammel, für Barbecue, Grill, Schaschlik. Das sind alles Gewürzmischungen."
Sie heißt Zinaida, trägt ein geblümtes Sommerkleid und lächelt freundlich.
"Wir sind glücklich. Einfach glücklich, dass wir jetzt zu Russland gehören. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Angst wir hatten. Dass das nicht klappt, und dass wir in der Ukraine bleiben müssen. Wir hatten solche Angst vor dem rechten Sektor, vor der Nationalgarde. Putin ist so klug. Er ist ein Prachtkerl. Ein Politiker, ein Pragmatiker von ganz großer Klasse. Es gibt keinen Führer weltweit, der klüger ist als er. Weitsichtiger. Alle andern sind dagegen Nulpen. Aber Putin – hoch mit 'oj'."
Ihre Augen weiten sich, sie drängt zum Mikrofon.
"Es gibt wenige Touristen. Aber wir werden das überleben. Es werden Russen kommen. Wenn die unverschämten Polen nicht kommen – dann eben nicht, die klauen doch eh nur. Die Polen sind ein schlimmes Volk. Da muss man aufpassen. Die Ukrainer sind gekommen. Die haben drei Rubel in der Tasche und fragen nach einem Rabatt. Die Franzosen haben nie was gekauft. Die gucken, als hätten sie selbst was Besseres."
Es gibt natürlich Leute, die unter der russischen Annexion leiden. Und ich geh jetzt mal in ein Café, in dem eine Spezialoperation stattgefunden hat, vor kurzem.
Es ist halt so, dass hier sehr viele Tataren wohnen und die Tataren Moslems sind, und dass ich manchmal den Eindruck habe in Russland, dass, wenn es keinen islamistischen Extremismus gibt, Spezialeinheiten diesen extremistischen Islamismus produzieren. Und da gehen wir jetzt hin. Ein bisschen abseits vom Urlaub, aber interessant.
Die Kellnerin bringt kleine Schälchen und gießt Kaffee aus Tiegeln ein. Es riecht nach Kardamom. Das Café ist eine Touristenattraktion in Bachtschyssaraj. Es gehört Dilara Seytvelieva und ihrer Familie.
Dilara: "Allen hat das Café sehr gefallen, auch den Behörden. Im letzten Jahr hat uns die Stadtverwaltung sogar als bestes Restaurant der Stadt ausgezeichnet."
Doch seit diesem Frühjahr sind die Behörden russisch.
"Plötzlich sind vier bis fünf Leute mit Maschinengewehren hereingestürmt und sieben Leute in Zivil. Und haben ein Papier gezeigt, auf dem stand, sie hätten Hinweise darauf, dass hier illegale Unternehmertätigkeit ausgeübt wird. Und dass sie das überprüfen müssen. Sie haben alle Mitarbeiter erschreckt. Gut nur, dass die Saison dieses Jahr so schlecht ist und nur zwei Tische besetzt waren. Die haben eine richtige Show abgezogen."
Krimtataren werden von Ängsten eingeholt
Die Krimtataren sind ein traumatisiertes Volk. Die Annexion der Krim und solche Durchsuchungen wecken in ihnen schlimmste Erinnerungen.
In der Stalinzeit wurden die Krimtataren deportiert. 150.000, etwa die Hälfte von ihnen, wurden ermordet. Die Krimtataren konnten erst nach Hause auf die Krim zurückkehren, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen war. Dilara Seytvelieva kam in Usbekistan zur Welt.
Ihr Bruder ist Abgeordneter im Parlament der Ukraine. Er wird von den russischen Sicherheitskräften nicht mehr nach Hause auf die Krim gelassen. Er hätte Provokationen vorbereitet, heißt es. Dilara Seytvelieva hat Angst.
"Wir werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass die Krimtataren hier leben können und ihre Kultur auf heimatlicher Erde wiedergeboren wird."
Die Kleine Elmira: "Und da geht's zum Strand."
Der Zugang zum Meer ist abgezäunt. Ein Wachmann kontrolliert, ob Elmira und Elmira zum richtigen Hotel gehören. Einen Strand gibt es nicht. Auf einer Betonfläche stehen weiße Plastikliegen und bunte Sonnenschirme. Zum Wasser führt eine Treppe hinab. Auch hier gibt es nur graue Steine.
Ansagerin: "Das Baden im Meer ist verboten. Die Brandung und die Wellen haben mehr als fünf Punkte. Es werden alle gebeten, sich am Ufer aufzuhalten. Ich wiederhole: Das Baden im Meer ist verboten."
Die Große: "Heute kann man nur dicht am Ufer stehen. Schwimmen ist gefährlich."
Die Kleine: "Bei Sturm ab drei Punkten ist das verboten."
Am Meer gibt es auch Kuranwendungen. Das gehört für viele Russen zum Urlaub dazu.
Die Große: "Ich habe mir den Rücken massieren lassen. Danach ging es mir aber schlechter."
Die Kleine: "Ich brauche überhaupt nichts. Nur Sonne, Strand und Wasser."
Die Große: "Hier gibt es aber viel. Man kann sich schröpfen lassen oder Reflextherapie machen lassen."
Die Kleine: "Das macht jeder so, wie er will."
Die Große: "Ich war früher im Sanatorium in Sotschi. Da hat man erst Anwendungen, dann muss man sich von denen erholen. Und an den Strand kommst Du erst gegen Abend. Das ist nicht schön. Deswegen haben wir einen Ort gesucht, an dem es möglichst wenige Anwendungen gibt. Wir zahlen dann lieber extra für das, was wir wollen. Dafür haben wir mehr Freizeit."
Hornhautkuren und Tage voller Langeweile
Unter einem Sonnenschirm ein Stuhl und davor eine Schüssel mit Wasser. Darin schwimmen kleine Fische. Eine junge Frau hält die Füße ins Wasser, die Fische knabbern an ihrer Hornhaut.
Die Große: "Ich habe das gemacht. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Das sind erst so kleine Stiche und dann ist alles sauber."
Ich lass mir die Hornhaut von den Füßen abknabbern, von Fischen.
Fischfrau: "Zehn Minuten für 200, Fünfzehn für 250."
Plätschern.
Jetzt werden mir die Füße erst mal gewaschen, eingeweicht. Das Wasser ist sehr warm.
"Alles okay?"
Das kribbelt sehr. Ich bin sehr empfindlich. Und diese Fische ...
"Sie dürfen die nicht zerquetschen."
Ich bin mir nicht sicher, ob das toll ist.
Elmira und Elmira waren während meiner Hornhautkur kurz mit den Füssen im Schwarzen Meer, um sich abzukühlen.
Das ist ja auch interessant, dass ein Tag am Strand auch auf der Krim im Wesentlichen aus Langeweile besteht. Und dass man sich lange überlegt, ob man nach links oder nach rechts geht, ob man ein Eis kauft oder einen Kaffee, ob man sich massieren lässt oder das erst am Dienstag macht.
Die Kleine: "Wir mögen Meer, Luft, Wasser, wenn wir Lust haben, machen wir Ausflüge. Wir brauchen eigentliche nichts weiter als Strand und Meer. Sonne. Ja? Es gibt auf der Welt keinen schöneren Ort als die Krim."