Scheitern an den Möglichkeiten

Urlaubsreif zurück aus dem Urlaub

Ein aufblasbarer Flamingo im Meer.
In kaum einer Zeit heißt es aus so wenig so viel zu machen wie im Urlaub, meint Karlotta Ehrenberg. © Unsplash / Vicko Mozara
Gedanken von Karlotta Ehrenberg |
Länder bereisen, Horizont erweitern, Abenteuer erleben - ein Urlaub muss viel leisten. Unsere Optimierungslogik aus dem normalen Alltag gilt auch hier. So kommen wir statt entspannt oft urlaubsreif zurück, meint die Autorin Karlotta Ehrenberg.
"Na, schönen Urlaub gehabt?" - das wird man Sie an Ihrem ersten Arbeitstag fragen. Und Sie werden mit einem Strahlen antworten und verschweigen, dass die Freude auf Ihrem Gesicht nicht auf den Urlaub zurückzuführen ist, bzw. nicht so. Sie sind schlicht froh, dass er endlich vorbei ist, der Urlaub.
Ich verstehe das. In kaum einer Zeit heißt es aus so wenig so viel zu machen. Da werden Länder bereist, Körper verschönert, Horizonte erweitert, Abenteuer er- und Gemeinschaft gelebt, Auftanken und Abspannen nicht zu vergessen, genauso wie der Sinn, der nicht nur gesucht, sondern endlich gefunden gehört.
In ein, zwei, drei Wochen - je nachdem, wie lange Sie sich genommen haben; heutzutage ist sich ja jeder selbst der Boss in dem Unternehmen, das eigene Lebensprojekt zu einem möglichst erfolgreichen und glücklichen zu machen.

Bilder - tagträumerisch ausgemalt

Den Urlaub, den muss man sich verdient haben und auch erlauben können. Das zeigt schon der Ursprung des Wortes. Urlaub kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "Erlaubnis" - die mussten sich früher Ritter beim König holen, wenn sie in den Kreuzzug ziehen wollten. Verrückt, nicht? Schon unsere Urahnen haben sich freigenommen, um in den Kampf zu ziehen!
Sie finden, dass ich übertreibe? Dann denken Sie doch nur daran, wie viel Geld, Kraft und - ja, auch Verluste - es kostet, wenn man tagelang darum ringt, die Wirklichkeit in das Bild zu zwängen, das man sich tagträumerisch ausgemalt und auch präzise vorausgegoogelt hat. Aber dass der Bungalow an einer lauten Straße liegt, das wurde aus der Satellitenkarte nicht klar, im Reiseführer - kein Wort!

Auch ein Perspektivwechsel hilft nichts

Da hilft auch ein Perspektivwechsel nichts - dort lädt ein üppiger Rhododendron zum Selfie ein -, aber leider bin ich nicht allein und meine Kinder haben sich ein anderes Bild vom Urlaub gemalt, und darauf bin ich nicht dösend unter einem blühenden Strauch zu sehen. Nicht mal die Sonne macht mit. Dass es mal regnet - okay - aber drei Tage! Habe ich etwa das ganze Geld ausgegeben, um mit meiner Familie auf 30 Quadratmetern zu hocken und "Mensch ärgere Dich nicht" zu spielen?!
Klar könnte ich diese Krise auch als Chance nutzen, das tut man ja heute für gewöhnlich, um sich vor einer Niederlage zu retten. Ich könnte mich zum Beispiel lockermachen, das steht ja auch noch auf meinem Zettel, und mich auf das Wesentliche konzentrieren, also mich selbst. Jetzt achtsam meinem Atem, den Regentropfen und dem Streiten meiner Kinder zu lauschen, schaff ich aber nicht, nicht hier, und nicht so.

Verpassensangst noch penetranter als sonst

Gerade habe ich den Motor des Nachbarautos gehört, wahrscheinlich nutzen die den Tag viel besser! Verpassensangst, nennt das der Soziologe Hartmut Rosa, eine der Hauptursachen der Unrast, die einem das Leben heute so verleidet. Sie ist im Urlaub noch penetranter als sonst. Weshalb man dazu neigt, auch den Urlaub zu verplanen.
Sorgfältige Organisation ist auch vonnöten, um all die Möglichkeiten, die sich einem im Urlaub eröffnen, unterzubringen - endlich ist Zeit und Raum für alles, was ich eigentlich tun und sein will. Wobei es nicht einfach ist, den bis zum Anschlag mit Projekten gefüllten Koffer zuzukriegen. Zudem stellt sich das Problem, dass die Sachen, die ich hier einpacke, nicht wirklich zusammenpassen: Erlebnis und Erholung, Action und Kontemplation, Fortbewegung und Innehalten, das Jagen-nach-Abenteuern und Das-spüren-was-ist. Wie bitte soll das gehen?
Es geht nicht. Und so ist man am Ende gezwungen, sich für das ein oder andere zu entscheiden - meist ist es das Erlebnis und Abenteuer, die Fortbewegung und Action. Zugegebenermaßen ist das lange Verweilen im Schatten eines Rhododendrons auch nicht mein Ding. Nicht nur, dass hier der Adrenalinkick fehlt, der mich spüren lässt, dass ich die kurze Zeit auch wirklich ausnutze. Der träge Müßiggang führt auch nicht zu dem Output, den man sich von einem gelungenen Urlaub verspricht, in Form von unzähligen Fotos und Videos. Diese Trophäen haben vor allem einen Zweck: Sie müssen beweisen, dass sich der ganze Zirkus gelohnt hat.

Karlotta Ehrenberg, Jahrgang 1979, schreibt hauptsächlich für den Film. Zudem berichtet sie als Reporterin u.a. für die Deutsche Presse-Agentur und die „taz“. 2022 ist ihr erstes Sachbuch bei Audible erschienen: "Ich mach mich fertig. Vom ewigen Schuften am persönlichen Glück" - eine Gesellschaftsanalyse mit Fokus auf das Diktat zur Selbstverwirklichung und -optimierung“.

Mehr zum Thema